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62. Jahrgang

Erscheint Z>ie»»t«g, Aonnerstag L K»m»ta».

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Dienstag, äen 23. August 1887.

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Haitische WcrchvicHten.

Deutsches Reich.

Potsdam, 18. Aug. Bei der Fahnenweihe im Marmorsaale des Stadtschloffes vertrat Prinz Wilhelm den Kaiser, der noch un­wohl ist. Es nahmen teil die Kaiserin, Prinzessin Wilhelm, Prinzessin Friedrich Karl, die Prinzen Friedrich Leopold und Alexander, ferner die im Gardekorps dienenden, zur Zeit bei den. Truppenteilen anwesenden Prinzen aus den regierenden deutschen Häusern, alle aktiven Generäle der hiesigen und der Berliner Garnison, die Generaladjutanten, die Generäle ä la suits und die Flügeladjutanten des Kaisers. Nachdem Prinz Wilhelm in jede der auf dem Tisch aufgelegten neuen Fahnen den ersten Nagel im Namen des Kaisers eingeschlagen, schlug die Kaiserin den zweiten Nagel ein. Hierauf folgte Prinz Wilhelm mit einem Nagel für den Kronprinzen, einem dritten für sich, mit je einem Nagel für jeden seiner vier Söhne, sodann die Prinzeß Wilhelm und die übrigen Prinzen und Prinzessinen nach der Rangordnung, sowie die Prinzen und Prinzessinen der deutschen Häuser, endlich die Generalität und Regimentskommandeure und die zur Feier kommandierten Offiziere und Unteroffiziere. An die Nagelung schloß sich eine kirchliche Feier zur Weihe der Fahnen an, die vom Feldprobst Dr. Richter vorgenommen wurde. Die neuen Fahnen wurden nach dem Schluffe der kirchlichen Feier durch die Leib- kompagnie des ersten Garderegiments zu Fuß nach dem Exerzierhause ge­bracht, wo sie von den Regimentskommandeuren übernommen wurden. Im Bronzesal des Stadtschlosses fand hieraus für die Teilnehmerin der Feier ein -Frühstück von 120 Gedecken statt. Der russische Militärbzpollmächtigte Kutusow wohnte der Feier bei. 1-, - »

Kissingenj 16. Aug. Fürst Bismarck fuhr . r nachmittag von der oberen Saline nach Kissingen, um dem Herzog . E-mbridge, der ' stch zur Zeit zur Kur dahier befindet, einen Besuch abzu7""7ss. "Sobald sich die König!. Hofcquipage in Kissingen zeigte, sammelte sicher, r,>dem Kurhause, wo der Herzog von Cambridge Wohnung genommen, eine ,-^oße Menge von Kurgästen, die den Fürsten Bismarck mit Hochrufen begrüßte. Die Gen­darmerie hatte Mühe, das zahlreiche Publikum in angemessener Entfernung zu halten. Fürst Bismarck trug gegen seine sonstige Gewohnheit einen Zylinderhut. Der Gesundheitszustand des Fürsten Bismarck ist vortrefflich.

Bulgarien.

Sofia, 20. Aug. Der hiesige deutsche Konsul hat die Weisung erhalten, sich nicht mehr als bei der bulgarischen Regierung beglaubigt zu betrachten und benachrichtigte deshalb seinen österreichischen Kollegen, daß er

gelegentlich der Feier des österreichischen Kaisers seine Flagge nicht hissen werde. Prinz Ferdinand hat die Konsuln der Mächte, welche ihm in Philippopel, allerdings nicht in amtlicher Eigenschaft, ihre Aufwartung machen wollen, nicht empfangen. Das Kabinet ist noch nicht zu Stande gekommen. Stambuloff hat die Uebernahme der Neubildung des Kabinets abgelehnt und auf seinen Vorschlag wird der bisherige Präsident der Sobranje, Tonischest, sich diesem Auftrag unterziehen.

Philippopel, 19. Aug. Prinz Ferdinand ist gestern unter Salut von 101 Kanonenschüssen hier eingezogen. Infanterie, Artillerie und Kavallerie bildeten Spalier, die Militär- und Zivilbehörden empfingen den Primen vor der Stadt, wo der Prinz, begleitet von den Majoren Popoff und Petzoff und einer Anzahl von Offizieren, von der dichtgedrängten Menschenmenge mit Hurrahs begrüßt wurde. Der Prinz ritt durch die Stadt nach seinem Absteigequartier, fiieg aber nicht im Konak ab. Auf dem Platz in der Mitte der Stadt erwartete der Metropolit Gervasius mit der Geistlichkeit den Prinzen, welcher sich in die Kathedrale begab, wo ein Tedeum gesungen wurde.

Hages-WeirigkeiLen.

Stuttgart, 19. Aug. Gestern wehte die italienische Trikolore (grün-weiß-rot) im Fabrikhofe von C. Leins u. Co. in der Bahnhofstraße Es galt eine Art Richtfest nach erfolgter Vollendung eines durchaus in Elsenkonstruktion ausgeführten Palmenhauses, das die Firma für ein Land­gut bei Rom liefert. Der Entwurf hiezu wurde von C. Leins u. Co. ge­macht und in kurzer Zeit stand der eiserne Bau fertig da. Derselbe enthält S Teile: den hohen Mittel- oder Kuppelbau, daran rechts und links an­stoßend je ein Langhaus, an welche sich die zu beiden Seiten flankierenden Pavillons anlehnen. Die beiden Langhäuser sind niedriger als die Pa­villons, die in ihrer ganzen Höhe nach vorn mit Giebeln abschiießen, während der ziemlich vorspringende Mittelbau das ebenfalls in Giebelforln ausge­führte zweifiügelige Portal enthält. Die Fassade macht einen geschmackvollen Eindruck. Vom Boden führt eine eiserne Wendeltreppe bis auf das Dach auf eine Galerie. Selbstverständlich fehl zum Schutze gegen Blitzschlag eine Blitzableiteranlage nicht. In der Rückwand wird eine Oeffnung gelassen, durch welche man mittelst einiger Stufen in einen auf der anderen Seite an­gebrachten Wandelgang gelangt, der ebenfalls in reicher Architektur gehalten ist. Die Aufstellung geschieht durch die eigenen Monteure der Fabrik, die sich demnächst mit einem Ingenieur nach Italien begeben werden. Bei

Feuilleton. (Nachdruck »erb»I«i.>

Am Rang rm) Reichtum.

Dem Englischen frei nacherzählt von Leo Sonntag.

(Fortsetzung.)

Ich danke!" sagte Lady Cardin knapp, als Laura den Staub von ihrem Reit­kleide entfernt hatte, und wollte der Gärtnersfrau nachlässig ein Geldstück in die Hand geleiten lassen.

Hätte ein glühendes Stück Eisen ihre Hand berührt, so hätte Laura dieselbe nicht hastiger zurückziehen können. Sie ließ das Geldstück zwischen den Fingem durch zu Boden gleiten unv wieder stieg jenes heiße Erröten in ihrem Gesicht auf.

Wie ungeschickt Sie sind!" bemerkte die Dame wegwerfend.Es ist merk­würdig, wie viele Menschen es in untergeordneten Verhältnissen giebt, die noch nicht einmal gelernt haben, ihre Hände zu gebrauchen!" und ohne dieungeschickte Dienerin" noch eines Blickes zu würdigen, setzte sie durch eine leichte Berührung mit der Peitsche ihr Pferd in Galopp und verschwand hinter den Bäumen.

Laura war wieder in das Zimmer getreten, noch lag die Helle Röte auf ihren Wangen, aber aus ihren Augen leuchtete ein Licht, das vorhin nie dagewesen war.

Eine hochmütige Frau!" bemerkte der Fremde, wie für sich redend,aber sie hat das Recht dazu, hochmütig zu sein. Ist sie doch durch ihre hohe Geburt aus ganz anderem, viel besserem Stoff als jene untergeordneten Menschen, die nicht ge­lernt haben, ihre Hände zu gebrauchen!"

Während er sprach, hob die junge Frau ihre beiden untadelhaft geformten, weißen Hände in die Höhe und betrachtete sie wohlgefällig; aber plötzlich zuckte sie zusammen, und verbarg wieder die Rechte mit dem schlichten Goldreif; doch diesmal wich ihr Auge dem des alten Herrn nicht mehr aus, sondem sie blickte ihm scharf ins Gesicht und sagte;

Sie haben gehört, was die stolze Lady Cardin mir gesagt hat? Sie haben gehört, was und wie sie mit mir gesprochen hat? Jedes Wort und jede Betonung?"

Ich habe!" war die lakonische Antwort.

Und Sie behaupten noch immer, ich sei eine de Bourdon?"

Ich kann es Ihnen sogar sofort beweisen!"

Dann thun sie es!" sagte Laura Roden bestimmt.Ich iverde aufmerk­sam zuhören!"

Der Advokat zog seinen Stuhl näher zu ihr und begann in vollständig ruhiger Geschäftsmanier:

Meine Erzählung wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, außerdem ist die Angelegenheit so klar, daß Sie dieselbe sehr leicht begreifen werden. Zur Zeit der großen Revolution war ein Marquis Jean Babtiste de Bourdon gezwungen, sich von Frankreich nach England zu flüchten. Er gehörte zu dem ältesten Adel Frankreichs und wurde deshalb verbannt, seine Güter eingezogen und rettete nichts als das naifie Leben. Hier in England erwarb er seinen Unterhalt durch Unterrichkgeben und schließ­lich heiratete er auch eine junge Engländerin, welche bei der Geburt ihres ersten Kindes, eines Sohnes, starb. Als dieser Sohn herangewachsen war, heiratete er gleichfalls eine Engländerin ein armes, ungebildetes Landmädchen. Aus dieser Ehe entsprangen zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen. Das Mädchen verschwand, heiratete irgend einen jungen Mann von keiner Bedeutung und blieb verschollen. Der Knabe jedoch wurde wieder eingesetzt in alle Rechte seiner Vorfahren, deren sämt­liche Titel und Güter er zurückhielt. Allein er, es ist der einzige Marquis de Bourdon, hielt es für klüger, sein Vermögen nicht mehr dem wankelmütigen Frankreich anzu­vertrauen; er verkaufte seine dortigen Besitzungen mit Ausnahme des alten Stamm­schlosses, zog nach England und kaufte das Schloß Fernholm, auf welchem er noch jetzt lebt. Es war dies ein recht vorteilhafter Ankauf, denn eine Eisenbahn wurde durch seine Ländereien gebaut, wodurch er einen Teil des Gutes mit enormem Ge­winne verkaufen konnte, während auf einein anderen ihm gehörigen Grundstücke eine der reichsten Kohlenminen Englands entdeckt wurde, so daß der Marquis de Bourdon jetzt ein mehrfacher Millionär ist."

.Ein mehrfacher Millionär!" wiederholte Laura in der größten Verwunderung.

So ist es! Und seit jenem Glückswechsel ist der Marquis auf's Eifrigste be»