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Amts- und Intelligenz-Blatt flir den Obrramts-Bezirk Nagold.
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Nagold, Mittwoch den 7. Juli
1897.
Zur wirtschaftlichen Lage.
-j- Da eine große plötzliche Steigerung des Waaren- verbrauches zumal was die Jndustrieartikel anbetrifft, nicht vom Jnlande und auch nicht von Europa erwartet werden kann, so bleiben wir noch immer der Meinung, daß eine höhere Blütenstufe des wirtschaftlichen Lebens in Europa, bez. in Deutschland indirekt zunächst nur von einer Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten von Nordamerika erwartet werden'kann, denn fängt erst in diesem riesig ausgedehnten Lande mit seinen reichen Hilfsquellen und seinen 65 Millionen Einwohnern das wirtschaftliche Leben und der Unternehmung?- geist wieder an, rechte Fortschritte zu machen, so kaufen die Amerikaner trotz ihrer Zölle doch ohne Zweifel eine weit größere Menge Maaren in Europa resp. in Deutschland als es gegenwärtig der Fall ist. Leider sind aber die Nachrichten aus Nordamerika noch immer nicht zuversichtlich in Bezug auf eine allgemeine Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Das Fachblatt „Dunas Review" schreibt zwar, daß in den Vereinigten Staaten eine Besserung in der Geschäftslage täglich deutlicher hervortrete, und führt als Beweise den Ankauf von 7000 Ballen Schafwolle durch eine Bostoner Firma und von 100,000 Tonnen Eisen durch einen Newyorker Börsenunternehmer an, und in den letzten 14 Tagen seien ferner Verträge für 7 Millionen Tonnen Eisenerz abgeschlossen worden. DieNewyorker-Handels-Zeitung will in ihren Beobacktungen aber noch keine entschiedene Hebung der wirtschaftlichen Lage in Amerika sehen, indem sie schreibt: Die schärfsten Beobachter unserer wirtschaftlichen Verhältnisse vermögen nirgends einen Anhaltspunkt für den Glauben an eine kräftige Besserung zu entdecken. Selbst die Erledigung des Tarifproblems kann die erhoffte Beffergestaltung nicht ohne Mitwirkung anderer Bedingungen des Wohlstandes herbeisühren. So lange auch die amerikanische Landwirtschaft nicht eine wesentliche Besserung erlebt, kann der von unten nach oben steigende Consum keine großen Dimensionen annehmen. Dazu gehört vor Allem eine reiche Ernte und ein durch Mißernten des Auslandes zur Entstehung gebrachter Export bei guten Preisen. Unseren Fabriken fehlt der innere Halt, welcher ihnen nur durch eine kräftige Nachfrage nach Maare geboten werden kann. Während der Ankauf amerikanischer Produkte und Industrie-Erzeugnisse durch das Ausland eine ermutigende Höhe erreicht hat, bleibt der heimische Verbrauch weit hinter der Ausdehnung normaler Zeiten zurück, und wird der letztere wohl kaum vor dem kommenden Herbste sich von der herrschenden Stille erholen. Selbst die von Präsident Mac Kinley und dem Schatzsekretär Gage in der letzten Woche nicht ganz absichtslos und tendenzfrei gemachten Erklärungen, denen gemäß das Vertrauen in die Zu
kunft ein wohlbegründetes sei, vermögen höchstens die Stimmung zu bessern, keineswegs aber das Räderwerk der Industrie und des Handels in eine stärkere Bewegung zu setzen. Freilich enthalten diese Erklärungen eine gewisse positive Zusicherung, daß die Regierung keinen Schritt thun wird, durch welchen Handel und Wandel eine Störung erleiden werden. Aber eine sichtbare und erkennbare Frucht tragen diese Versickerungen vorerst nicht. Auch trägt der Nebel, welcher um die Währungsfrage liegt, dazu bei, das Unsicherheitsgefühl lebendig zu halten. Präsident Mac Kinley und Schatzsekretär Gage haben zwar neulich Gelegenheit genommen, von der Notwendigkeit einer Reform unseres Währungswesens aus der Grundlage weltebenbürtigen Geldes zu sprechen. Gage hat bis jetzt unterlassen, die Grundzüge seiner Finanzanschauungen und der von ihm begünstigten Politik näher anzugeben.
Hages-Weuigkettm.
Deutsches Reich.
Bebenhausen, 3. Juli. Der König, welcher die Nachrichten von dem in der Nacht vom 30. Juni auf 1. Juli über mehrere Oberämter des Landes hereingebrochenen Elementarereigniffenmit dem tiefsten Bedauern entgegennahm, hat durch den Staatsminister des Innern sich eingehenden Bericht darüber erstatten lassen und sofort Maßregeln zur alsbaldigen Linderung der dringendsten Not in den betroffenen Gemeinden angeordnet.
Stuttgart, 1. Juli. Nach dem jetzt vorgrlegten Gesetzentwurf über die Verfassungsrevision ist für die erste Kammer folgende Zusammensetzung vorgeschlagen. Die erste Kammer besteht: 1) aus den Prinzen des königlichen Hauses, 2) aus den Häuptern der fürstlichen und gräflichen Familien und Vertretern standesherrlicher Herrschaften, auf deren Besitzungen vormals Reichs- oder Kreistagsstimmen geruht haben, sowie aus den Häuptern der gräflichen Familie von Rechberg und Neipperg, solange dieselben im Besitze ihrer mit Fideikommiß belegten, nach dem Rechte der Erstgeburt sich vererbenden Grnudbesitzungen im Königreiche sich befinden; 3) aus den vom König erblich ernannten Mitgliedern; 4) aus vom König in der Höchstzahl von 10 auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern (bisher waren es bekanntlich 6); 5) aus 8 Mitgliedern des ritterschaftlichen Adels, welche von diesem aus seiner Mitte gewählt werden; 6) aus dem Präsidenten des evangelischen Konsistoriums und dem dienstältesten evang. Generalsuperintendenten, sowie dem kath. Bischof; 7) aus je einem Vertreter der Landesuniversität Tübingen und der technischen Hochschule in Stuttgart.—DiezweiteKammersollfolgender- maßen zusammengesetzt sein 1) aus 3 Abgeordneten der Stadt Stuttgart; 2) aus je einem Abgeordneten der übrigen 6 „guten" Städte; 3) aus je einem
Abgeordneten eines jeden Oberamtsbezirks; 4) aus 21 weiteren in den 4 Kreisen des Königreichs nach dem Grundsatz der Listen- und Verhältniswahl gewählten Abgeordneten, von denen 7 auf den Neckarkreis, je 5 aus Schwarzwald- und Donaukreis und 4 auf den Jagstkreis entfallen.
Heilbronn, 2. Juli. Se. Exz. der Hr. Minister des Innern von Pischek kam gestern Nachmittag in Begleitung einiger anderer Herren hier an und fuhr sofort nach Neckarsulm, wo sich allerdings ein trauriges Bild der Verwüstung zeigt. Alles was vom Gewitter betroffen wurde, ist unbarmherzig der Verwüstung überliefert worden. Bäume von 1 Meter Durchmesser liegen auf dem Hammelwasen zahlreich entwurzelt platt am Boden. Die Feder sträubt sich, die Verwüstungen im einzelnen zu schildern; besonders traurige Gesichter sieht man bei den Weingärtnern, deren Güter vom Elemente betroffen wurden, was nicht zu verwundern ist, da hier alles unrettbar verloren ist.
Industrie-, Gewerbe- u. Kunst-Ausstellung in Heilbronn. Der Besuch des Stuttgarter Lieder, kranzes bildete am letzten Sonntag das Ereignis des Tages, waren es doch nicht weniger als 200 Sänger und an 900 Vereinsmitglieder, die an dieser Sängerfahrt nach der Heilbronner Ausstellung Teil nahmen. Auch sonst durfte sich die Ausstellung in der letzten Woche eines regen Besuches erfreuen, namentlich sind es die größeren württemb. Fabriken, die in liberaler Weise es ihren Arbeitern ermöglichen, die Ausstellung gemeinschaftlich zu besuchen. Ferner wurde die Ausstellung am Montag durch den Besuch des Fürsten von Hohenlohe-Bartenstein geehrt, der längere Zeit in derselben verweilte. Daß man auch außerhalb Württembergs von der Heilbronner Ausstellung Notiz nimmt, beweisen die Aufsätze, welche die großen illustrierten Journale wie: „lieber Land und Meer," „Vom Fels zum Meer," „Gartenlaube," „Illustrierte Zeitung," „Universum" u. a. über dieselbe brachten bezw. noch bringen werden. Erwähnt sei hier noch, daß den Bedürfnissen des Publikums in jeder Beziehung Rechnung getragen ist und in der Ausstellung sowohl wie in der Stadt keine „Ausstellungspreise" gefordert und dem schmaleren Geldbeutel keine unerschwinglichen Ausgaben zugemutet werden.
Göppingen, 5. Juli. Die Unterbediensteten der württ. Post hielten gestern ihre jährliche Zusammenkunft in unserer Stadt. Die auswärtigen Gäste wurden mit Musik am Bahnhof empfangen. Da- rauf folgte ein Frühschoppen im Türkengarten. Das Mittagsmahl fand im Dreikönig statt. Nachher wurdeeingemeinsamerSpaziergang ausden Panorama- weg gemacht, von dem aus man eine schöne Aussicht auf Stadt und Umgebung, sowie auf Hohenstaufen, Rechberg und andere Albberge hat; auch derSauer-
Der eingeschriebene Brief.
Erzählung von Gustav Höcker.
6) (Fortsetzung.) (Nachdr. verb.)
7 ,An diesem Zuge erkenne ich ganz die alte Schwäche meines Bruders," lächelte Frau Mosevius bitter, „ganz jene unverantwortliche Nachsicht, wodurch er sein einziges Kind verzog und zum Fluche seines Lebens machte. — Ich darf wohl annehmen," fuhr sie mit leisem Hohne fort, „daß Sie aus dem Eldorado der verlorenen Söhne als reicher Mann zurückgekehrt sind, nicht wahr?"
„Nein, aber —"
„Das dachte ich mir," fiel die alte Dame in herbem Tone ein, „sonst würden Sie schwerlich so lebhaftes Verlangen nach mir tragen, denn eine Tante mit strengen Grundsätzen sucht ein Mann Ihrer Art nur auf, wenn er sie braucht. Aber machen Sie sich keine Hoffnung! Ich würde nichts für Sie thun, und wenn ich Sie vor meinen Füßen sterben sähe!"
„Das sollen Sie auch nicht," sagte Oswald mit bebender Stimme, „aber grausam ist es von Ihnen, daß Sie jetzt, um mich aus meiner Existenz zu vertreiben, jenen Brief meines Vaters, worin er Ihnen meine Schuld enthüllt und Ihre Hilfe erfleht, aus der Hand gegeben und mich dadurch einem Teufel in Menschengestalt überliefert haben, der mir mein Hab und Gut abpreffen oder mich vernichten wird."
„Das ist eine Lüge!" fuhr Frau Mosevius zornig auf. „Ich habe diesen Brief nie erhalten."
„Sie haben ihn doch erhalten," behauptete Oswald fest, „ich habe guten Grund, hiervon überzeugt zu sein."
Außer sich über diese vermeintliche Dreistigkeit, riß die alte Dame mit aller Kraft an dem Klingelzuge. „Elender!" schrie sie dem Neffen zu, „Sie haben diese Lüge ersonnen, um mir Geld abzutrotzen. — Sophie! Therese!" wandte sie sich an die herbeistürzenden Dienerinnen, „schützt mich vor diesem Menschen! Ruft Hilfe herbei! Holt die Polizei!"
„Es ist gut, ich gehe schon," sagte Oswald. „Ich bedarf keines stärkeren Beweises von Ihrer Unversöhnlichkeit und Lieblosigkeit. Leben Sie wohl!"
Mit diesen Worten entfernte er sich.
Fast um die nämliche Stunde, wo sich in der Residenz die eben erzählte Scene abspielte, empfing der Bankier Jakob Spangenberger in seinem ans Komptoir stoßenden Kabinet den Besuch Mary Brandts. Der alte, etwas herbe Junggeselle begrüßte die Frau des Zahnarztes mit kalter Höflichkeit. Mary begann von dem Fremden zu sprechen, der ihren Gatten heimsuchte: sie wisse, daß Oswald unmittelbar nach dem ersten Erscheinen dieses Unbekannten zu Herrn Spangenberg geeilt sei, und könne aus diesem Umstande erraten, um was es sich handle.
„So ist es Ihnen also bekannt, daß —" sagte der Bankier und stockte.
Mary nickte, den Blick zu Boden senkend.
„Dann kann ich nur wiederholen, was ich schon Ihrem Gatten sagte," fuhr Spangenberg fort, „daß ich nämlich an dem Besuche des Fremden unschuldig Rn. Leider befinde ich mich nicht in der Lage, Ihnen in dieser äußerst schwierigen Sache einen Rat zu geben, und Hilfe für Ihren Gemahl werden Sie doch von mir verlangen. Ganz abgesehen davon, daß ich wohl der Letzte sein sollte, den man mit der Angelegenheit behelligt, habe ich um jene Zeit — ich meine, vor elf Jahren — einen harten Verlust, einen weiteren harten Verlust erlitten, für welchen ich vom seligen Kreisgerichtspräsidenten nicht entschädigt worden bin."
„Und für den mein Gatte ebenfalls verantwortlich sein soll?" rief Mary mit ungläubigen Erstaunen.
„Ich fürchte das fast," versetzte Herr Spangenberg achselzuckend.
„Wie soll ich das verstehen?" forschte Mary ängstlich.
„Je nun, ich meine," sagte der Bankier, sich räuspernd, als besinne er sich auf eine geschickte Wendung, „ich meine, daß die augenblickliche Lage Ihres Gatten, wie sie durch den Fremden hervor- gerufen ist, von zwei vorhandenen Uebeln doch eigentlich das kleinere sei."
„Sie sprechen in Rätseln, Herr Spangenberg. Ich denke doch. Sie wurden vom Vater meiner Gatten entschädigt?" bemerkte Mary. (F. f.)