62. Jahrgang.
Uro. 94.
Amts- unil IntekkigenMatt für äen Kezir^.
Erscheint Men»t«S, Io««er»tag L Samstag.
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Samstag, äen 13. August 188?.
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-Politische Wachrichten.
Oesterreich-Ungarn.
Bad Gastein, 9. August. Kaiser Wilhelm hat heute seine Badekur beendet. Sowohl vormittags als während der Nachmittagsstunden hat der Kaiser seine Promenaden teils zu Fuß, teils im Rollwagen unternommen. Er wohnte heute abend der letzten Dillettantenvorstellung in der Villa Lehndorff bei. Zur Aufführung kam Grandjeans Lustspiel „Der Hut". Nach der Beendigung des Einakters dankte der Kaiser für den ihm bereiteten amüsanten Abend, welcher diesmal mit einer gewissen Feierlichkeit schloß. Auf den Wunsch des Kaisers bildeten die Darsteller der Rollen zwei Gruppen, die Damen auf der einen, die Herren mit Operndirektor Strantz auf der andern Seite des Saales. General Graf Lehndorff nahm einen Zylinderhut, in welchem sich goldene, brillantenbesetzte Reifen befanden, und Kaiser Wilhelm ging nun von Person zu Person, um aus dem Hute Ehrengeschenke für die Schauspieler der Gasteiner Hofbühne zu zaubern. Jeder der angenehm überraschten Dilettanten küßte dem kaiserlichen Spender die Hand. „Für das nächste Jahr recht fleißig sein", scherzte der Kaiser und nahm von den versammelten Gästen Abschied. — Nachmittags fand in den Appartements des Kaisers das Abschiedsdiner statt, welchem Großherzogin Sophie von Sachsen- Weimar. Botschafter Prinz Reuß, Statthalter Graf Thun und Prinz Rohan, der Freund und Altersgenosse des Kaisers, beiwohnten. Die für morgen 1 Uhr mittags festgesetzt gewesene Abreise des Kaisers wurde verschoben, y>eil der Kaiser eine Einladung der Großherzogin zum Dejeuner an- genommen hat.
Gastein, 10. Aug^ Ein Teil des Gefolges ist bereits um 1 >/» Uhr abgereist. Nachmittags füllte eine dichte Volksmenge den Straubingeiplatz Kopf an Kopf, so daß kaum für die Durchfahrt des kaiserlichen Wagens Raum blieb. Bei einem Teile herrschte eine gewisse Besorgnis, da sich das Gerücht verbreitet hatte, der Kaiser sei gestern gefallen und habe sich verletzt. Auf Anfrage erfuhr man folgendes: Der Kaiser war gestern abend in seinem Arbeitszimmer damit beschäftigt, eine Auswahl aus den für die Herren des Gefolges bestimmten Geschenken zu treffen. Es sei ein Gegenstand zu Boden gefallen, der Kaiser habe sich selbst darnach gebückt und sei dabei etwas gestrauchelt. — Von 2 Uhr ab wurde die Bewegung auf dem Platze immer lebhafter. Um 3,50 Uhr stimmte die Badekapelle „Heil Dir im Siegerkranz" an und der Wagen, in dem der Kaiser Platz genommen, wurde sichtbar. Ein brausendes, nicht enden wollendes Hoch erschütterte die Luft, als der
AbUÜIetON. (Nachdruck verboten.)
Die Emigranten
von D. ^vsai.
(Fortsetzung.)
„Wer so glücklich ist, fing er endlich seine Erzählung an, „immer in der Heimat verbleiben zu dürfen, der kann sich keine Vorstellung von dem Weh machen, welches des Menschen Brust durchzieht, der gezwungen wird, den liebgewordenen Ort zu verlassen, wo alle Erinnerungen seiner Kindheit wurzeln. Ich habe das Weh bis zur Neige gekostet, denn mir war eine mit reicher Liebe gesegnete Kindheit und Jugend gewesen. Mit nieinen Eltern wohnte ich auf einem einsam gelegenen Bauerngute inmitten der herrlichsten Natur. Schneebedeckte Bergesgipfel waren unsere Nachbarn und grüßten zu uns hernieder, während die prächtige Landschaft gleich einem lieblichen Garten ringsum unser Haus ausgebreitet war. Solche Umgebung, die an die Größe Gottes gemahnt, mag zu Ernst und Nachdenken stimmen und meine Eltern waren den auch fromme Christen. Frühe schon ließ mich meine gute Mutter die Hände falten und lernte mich aufschauen zu dem, der unser Beschützer in jeder Not und unser Trost und Trübsal ist. Den Kinderschuhen entwachsen, durfte ich meine Eltern zu ihren Gebetsversammlungen ins nächstgelegene Dorf begleiten, wo die Lutheraner zu denen meine Ellern gehörten, im verborgenen ihren Gottesdienst abhielten. Aber trotz dieser Heimlichkeit, zu welcher die Unduldsamkeit der Katholiken zwang, strömten die Glaubensgenossen von nah und fern herbei, voll Andacht den reinen Lehren des Evangeliums zu lauschen. Umgeben von der treuen Liebe meiner gottesfürchtigen Eltern und ihrer stammen Freunde, wuchs ich heran. Unser treuester Freund war der Gemeindeälteste Amand Klinger, der auch zugleich mein Pate war und von mir hoch verehrt wurde. In seinem Hause waren wir jeden Sonntag willkommene Gäste, wenn wir, um den Gottesdienst zu besuchen, nach seinem Dorfe kamen. Wie einer der Propheten des alten Testamentes erschien er mir, wenn er mit gottbegeisterten Worten zur Versammlung sprach. Sein silberweißes Haar umgab sein greises Haupt
Kaiser, rechts und links fortwährend freundlich grüßend, langsam die Menge durchfuhr, um das ihm so lieb gewordene Gastein zu verlassen. Das Antlitz des Kaisers war ernst und zeigte Spuren inniger Bewegung, denn der Abschied ist ihm wie immer, so auch diesmal, sicherlich schwer geworden.
Gcrges-Weuigkeiten.
— (Einges.) Am nächsten Sonntag abends 9 Uhr findet seitens des Liebenzeller Verschönerungsvereins eine bengalische Beleuchtung der Burg Liebenzell statt, worauf wir allgemein aufmerksam machen möchten.
Stuttgart, 10. Aug. In den letzten Tagen wurde auf dem Grabe des früheren Kultministers v. Geßler und dessen Gattin auf dem Pragfriedhof ein großes Denkmal von Hellem Sandstein auf dunkelrotem Sockel errichtet. Es besteht in einem hohen Mittelaufbau und zwei flankierenden niederen Seitenteilen, welche Vasen aus demselben Material tragen. Unter der Grabschrift in der Mitte befindet sich ein breites Feld mit einem liegenden Palmzweige. Das Denkmal befindet sich nur einige Schritte hinter dem des Generals Frhrn. v. Reizenstein, welches wohl zu den originellsten und sinnigsten gehört, was der Pragfriedhof besitzt; es ist ein mächtiger, tief dunkler, unten glatt geschliffener Marmorblock, in Form eines Quaders, die obere Fläche ist roh behauen und auf ihr liegen die Emblemen des Kriegers, Helm, Schild, Speer in gewaltigen Formen, fast doppelter natürlicher Größe. Das Geßler'sche Denkmal ist nach einem Entwurf von Lambert und Stahl durch Bildhauer Knaisch hier ausgeführt. — Gestern bemerkte man auf dem Grabe des Philosophen Ephorus Planck einen großen, frischen Kranz, der. mit einer Inschrift versehen, am Fuße des Denkmals lehnte. Dieselbe lautet: „Auch Einer", und zwar einer im Alter von 84 Jahren, widmet diesen Kranz als ein Zeichen seiner Verehrung und Dankbarkeit dem hier Ruhenden, in der Hoffnung, daß die Saat, die derselbe gesäet, erblühen und durch begnadete junge Kräfte reifen werde zum Heile
der Menschheit." Es ist dies ein schöner Akt von Pietät, wie wir hören,
von der Tochter des 84jährigen Verehrers, der in Berlin lebt und Mitglied der philophischen Gesellschaft dort ist, auf Wunsch ihres Vaters ausgesührt
worden; dieselbe hat ihre Reise von der Schweiz nach Berlin eigens zu
diesem Zwecke über Stuttgart gemacht. — Gestern früh hat ein lediger 29 Jahre alter Schreiner im Jmmenhoferweg sich das Leben nehmen wollen. Er feuerte 1 Revolverschuß auf die linke Brust ab, wobei ihm der Revolver
gleich einem Glorienscheine und seine, noch im Alter ungemein klaren Augen schauten mit einer Innigkeit und einem Vertrauen zu Demjenigen empor, von welchen: uns Hilfe kommt, daß alle, die seinen Lehren lauschten, von gleicher Glaubensfreudigkeit durchdrungen waren. Da brach unerwartet eine schwere, traurige Zeit über uns herein. Der Erzbischof duldete keine Lutheraner mehr in seinem Lande; entweder mußte man diesen Glauben abschwören und zur katholischen Kirche übertreten oder die Heimat für immer verlassen. Wir wählten das Letztere. Aber es bedurfte des felsenfesten Glaubens der Unser», um bei dem erschütternden Seeyen, die sich am Tage des Aufwuchses von der Heimat abspielten, nicht wankend zu werden. Herzbrechend war der Abschied von den geliebten Heimatthälern von Haus und Hof. Viele konnten es nicht ertragen und unterwarfen sich dem Gebote des Erzbischofs. Wir jedoch zogen aus, 400 an der Zahl, unter Führung meines greisen Paten. Es war im September des Jahres 1508, wo wir aufbrachen, und erst iin darauffolgenden Frühling sollten wir durch die Güte Eures Herzogs eine neue Heimat finden. Über all die Drangsale, die wir während unserer Reise durch die katholischen Lai,de erlitten, wo man uns als lustverpestende Ketzer behandelte, laß mich mit Stillschweigen hinweggehen. Ich würde ihrer kaum mehr gedenken, hätten sie nicht meinen beiden Ellern das Leben gekostet. Immer und überall von Soldaten zur Eile angetrieben, suchten sich einst die Unsrigen ihrer Peiniger zu erwehren, und dabei fanden leider viele ihren Tod. Auch mein Vater war unter den Gefallenen. Meine Mutter» welche durch die Strapazen der Winterreise ohnedies schon gänzlich erschöpft war» konnte diesen furchtbaren Schlag nicht verschmerzen, sie erlag ihren körperlichen Leiden und ihrem namenlosen Seelenschmerze. Auch mein ehrwürdiger Pate sollte die neue Heimat nicht sehen. In Leutkirch, wo uns von Protestanten und Katholiken die liebevollste Aufnahine zu Teil wurde, hat man ihn an die Seite meiner unvergeßlichen Mutter gebettet. Es war eine harte, schwere Prüfung, die mir auferlegt wurde, und ich würde sie nicht ertragen haben, wenn nicht all mein Denken und meine Kräfte für Andere in Anspruch genommen gewesen wäre, denn Krankheiten und Leiden rafften die Unsrigen dahin und niemand dachte nur an sich selbst. Von den 4M, die ausgezogen waren, erreichten nur noch 80 das'württembergische Land, so furchtbar hatte der Tod in unfern Reihen gewütet. Aber trotzdem sind wir unsenn Glauben treu