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Martin, gewiß nicht ausgeglichen wird. Auch die sehr beschnittene Mobilmachungsprobe des 10. französischen Armeekorps wird der Welt nicht sonderlich imponieren. Große Rohheit dokumentierte die Bevölkerung einer Eisenbahnstation unweit Nancy, welche sich auf 200 italienische Arbeiter mit Mut stürzte und sie vertrieb.
KoMische Wachvichten.
Deutsches Reich.
Berlin, 3. Aug. Der günstige Zustand des Krön- prinzen läßt die weitere Ausgabe von Bulletins unnötig erscheinen. Der Hals und die Stimme sind beinahe normal und kein Nachwuchs der Wucherung mehr bemerkbar.
— Dem kommandierenden General des 4. Armeekorps Grafen Blumenthal ist zu seinem Jubeltage folgende Kabinetsordre des Kaisers zugegangen: Ich spreche Ihnen zum 30. dieses Monats, dem Tage, an welchem vor 60 Jahren Ihre an hohen Verdiensten und Ehren so reiche Dienstzeit begann, Meine wärmsten und herzlichsten Glückwünsche aus und wünsche, daß mein beifolgendes Bild Ihnen noch recht lange und demnächst Ihren später» Nach, kommen vor Augen stellen möge, wie Ihr König Ihres hervorragenden Anteils an drei ruhmvollen Kriegen und Ihrer für alle Zeiten auf den Ehrentafeln der Armee verzeichneten Dienste jederzeit mit wärmstem Dank und hoher Anerkennung eingedenk gewesen ist. So lange Gottes Wille uns noch beisammen läßt, immer Ihr dankbarer König Wilhelm.
— Die „Straßburger Post" berichtet über folgenden Gewaltstreich der französischen Regierung gegen deutfchen Gewerbfleiß: Die seit sechs Jahren in Embermenil bei Lüneville bestehende Pappenfabrik von Gebr. Weis - bach, welche vor einigen Wochen in der französischen Hetzprefse als Deutsche denunziert wurden, ist durch Dekret des Präfekten Schn erb von Nancy plötzlich geschloffen worden. Die Firmeninhaber sind aufs empfindlichste geschädigt; über hundert Arbeiter, deutscher und französischer Nationalität, brotlos und dem Elend preisgegeben. Weisbach hat bei der Gründung der Fabrik allen gesetzlichen Anforderungen genügt, seitdem mit den französischen Lokalbehörden aufs friedlichste gelebt und ist in der ganzen Gegend geachtet, so daß die Maßregel offenbar keinen persönlichen Charakter trägt, sondern der Hetzpresse zuliebe als ein Schlag gegen Deutsche verfügt wurde.
— Die „Kreuzztg." spielt mit ihren Angriffen gegen die russischen Papiere stark nach der politischen Seite hin. Das Blatt, das einst die russische Freundschaft so hoch hielt, schreibt Sätze, wie die folgenden: „Kommt es bei den Hetzereien der russischen Agitationsparteien zu Nerbungen oder zum Kriege mit Deutschland, wer wird sich in Rußland bei der Geldnot, die dort jeder kleinere Krieg erzeugt, genötigt fühlen, den Feinden die schweren Zinsen zu zahlen, wenn mit einem billigen Ukas die widerwärtigen Abzapfungen auf das bequemste gestopft werden können? Man berufe sich zur Beschwichtigung nicht auf Verträge Rußlands, die heilig gehalten werden müßten; als wenn die Sicherheit des Eigentums der Fremden in Rußland, ja noch mehr die Garantie der Religionsübung in den Ostseeprovinzen nicht auf heiligen, feierlich beschworenen Verträgen geruht hätten! Hat Rußland in der That den Willen, sich Deutschland genehm zu zeigen, so giebt es zwei Dinge, welche keinen Hintergedanken aufkommen lassen würden: die Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen zu Deutschland, vermittelst welcher die Härten der unverantwortlichen Maßregeln gegen deutschen Besitz und deutsche Gerechtsame gelindert werden könnten, und die Reduktion der Armee, die bei der eigentümlichen militärischen Lage Rußlands weit über die Grenzen einer Verteidigungsarmee hinaus sich erweitert hat. An dis Stelle der Vertrauensseligkeit Rußland gegenüber, dessen Beziehungen zu Deutschland bisher nur freundliche waren, ist jetzt ein ebenso gerechtfertigtes Mißtrauen getreten. Noch mehr, bei der entschieden feindseligen Haltung des Zarenreiches erscheint es uns unfaßbar, daß wir den Rufsen das Geld geben, um seine Chikanen
weiter zu treiben, daß die Deutschen ihnen die Kapitalien vorschießen, um die Bahnen zu bauen, mit denen sie die deutsche Landwirtschaft ruinieren, und welche sie befähigen, ihre Armeekorps von den äußersten Grenzen auf deutsches Gebiet hinüberzuführen."
Tages-Weuigkeilen.
Ludwigsburg, 2. Aug. Gestern mittag kam, der L. Ztg. zufolge, in Kornwestheim ein lljähriges Mädchen dem Herde zu nahe, so daß seine Kleider Feuer fingen. Schnell sprang es zum nahen Brunnen, wo zufälligerweise jemand schon Wasser bereit hatte und das durch den Zug noch mehr angefachte Feuer löschte. Das Kind ist so s ch w e r.v e r l e tz t, daß man nicht weiß, ob es mit dem Leben davonkommt.
Eßlingen, 2. Aug. In der Kellerei des Fabrikanten R. Hengst e n b e r g sollte ein jüngerer Küferburfche ein über 4000 Liter haltendes Faß reinigen, das Weinessig enthielt, seit kurzer Zeit angebrochen und in den letzten Tagen geleert worden war. Derselbe nahm den Schlauch der Wasserleitung und ein brennendes Licht mit in das Faß, um aufrecht stehend in der weiten Höhlung die Reinigung vorzunehmen. Ein anderer Arbeiter, der gleichzeitig im Keller beschäftigt war, hörte jedoch nichts von Kratzen und Bürsten, wohl aber ein dumpfes Stöhnen und Röcheln. Er sprang darauf zu und sah, daß das Licht erloschen war. Dann fuhr er rasch mit dem Arm durch die von dem ausgenommenen Thürchen gewonnene Oeffnung und fand den Küferburschen bewußtlos auf dem Boden des Fasses liegend. Mit großer Mühe gelang es ihm, denselben herauszuziehen; sein Gesicht war blau; die Augen standen weit vor. Doch gelang es bald, ihn wieder ins Leben zurück- zurufen, und er konnte am folgenden Tage die Arbeit wieder aufnehmen. Der Eigentümer hat nun sämtlichen Arbeitern strengstens befohlen, die leeren Weinessigfässer zuerst mit Wasser auszuspritzen, dann ein Licht hineinzustellen und erst, wenn das Licht brennt, ins Faß zu steigen.
— In Oeschingen, OA. Rottenburg, traf der Blitz, ohne zu zünden, den Giebel eines Hauses. Unter dem Fenster eines Seitengiebels stand der Hausbesitzer, der 27jährige verheiratete Bauer Werner. Der Strahl sprang auf ihn über und richtete ihn übel zu. Erst nach einer halben Stunde kam der Bedauernswerte wieder zum Bewußtsein. Der Kopf ist arg angeschwollen, die Haare sind teilweise versengt und der linke Fuß, der zwei Wunden zeigt, ist bis jetzt gelähmt. Beinkleider und Stiefel sind total zerrissen und aus den Sohlen der letzteren herausgeschleudert. Die Spur des Blitzstrahls läßt sich von da an, wo er den Unglücklichen traf, im Hause nicht mehr weiter verfolgen. Da vor 7 Jahren in derselben Gegend des Dorfs ein Blitzschlag eine Feuersbrunst entzündet hat, die 13 Häuser in Asche legte, so ist, wie die „Ludw. Ztg." berichtet, infolge dieses neuen Unfalles unter den Leuten die bedauerliche Meinung entstanden, als sei der vor 8 Jahren auf dem dort stehenden Schulhaufe errichtete Blitzableiter die Ursache dieser Blitzgefahr.
Tübingen. Die Enthüllung des Denkmals für Ottilie Wilder- muth ist auf den 10. August festgesetzt.
— Aus Reutlingen kommt die schmerzliche Nachricht, daß Gustav Werner am Dienstag abend um 7 Uhr nach längerem Leiden gestorben ist. Die Trauer um den allverehrten Mann wird sicher vom ganzen Lande geteilt werden. Hat der Verstorbene doch bis zu seinen letzten Stunden sich der herzlichsten Teilnahme vom Throne wie aus allen Kreisen des Volkes erfreuen und so vor seinem Scheiden die glückliche Gewißheit gewinnen dürfen, daß das Werk seines Lebens, das Werk der reinsten, edelsten Menschenliebe, ihm auch die Liebe aller seiner Mitmenschen gewonnen hat. Es ist ein schönes Zeichen unserer Zeit, daß das Beispiel eines Mannes, wie Gustav Werner war, seine Wirkung nicht beschränkt auf den Kreis derer, denen er wohl- gethan, oder seiner engeren Freunde und Gesinnungsgenossen, daß vielmehr der Name Gustav Werner heute von Mund zu Mund geht und von allen, die je von ihm gehört, sie mögen sonst in ihren Anschauungen noch so weit
zu bleiben. Das giebt Dir aber nicht das Recht, ohne meine Erlaubnis diese Schwelle zu überschreiten, entferne Dich also, sonst rufe ich den Hirschwirt zu Hilfe."
Des Mädchens Aufregung hatte sich immer mehr gesteigert, sie wies mit der Hanv gegen die Thüre und ihre Augen sprühten unter den dunklen, dichtzusammen- gezogenen Brauen Blitze.
„Nur nicht gleich so hitzig, spröde Dirne", höhnte Jörge, einige Schritte näher tretend, „lasse ein vernünftiges Wort mit Dir reden. Dein Vater habe keine Schulden, meinst Du? Alles ist ihm verbrannt, bis auf die Wiesen und sein Stückchen Wald."
„Wer aber will behaupten", frug Eva, „daß mein Vater Jemandem etwas schuldig sei ?"
„Ich behaupte das", rief Jörge, „oder meinst Du etiva, ich werde einen todkranken Mann mit seiner stolzen Tochter bei mir aufnehmen und ein ganzes Jahr beherbergen, ohne selbst an einen Lohn dabei zu denken? Dennoch bin ich großmütig, denn nicht nur will ich diese Schuld streichen, sondern Dich auch noch zur reichen Müllerin machen."
Todenblaß war Eva auf einen Stuhl gesunken. „In der That, sehr großmütig !" sagte sie mit zornbebender Stimme, „aber nur gemach, Herr Jörge, der Oel- müller hat noch Freunde, er wird Hilfe finden, denn zwingen wird mich mein Vater nie, die Frau eines mir verhaßten Mannes zu werden."
„Vielleicht wird Dich aber dieses hier zwingen", spottete Jörge, der sich an der zunehinenden Erregung der Jungfrau zu weiden schien, „siehst Du", rief er, ein Papier aus der Tasche ziehend, „dieses wird Dich zwingen. Damit hat sich Dein Bruder in meine Hände gegeben, damit kann ich all seine Schmach und Schande, die ihn in die Ferne getrieben veröffentlichen und diese Schmach und Schande wird auch über Dich und Deinen Vater kommen."
Mit weitausgerissenen Augen starrte Eva den Sprecher an.
„Elender Lügner!" rief sie außer sich, „mein Bruder ist niemals schlecht gewesen wie Du, der schon als Knabe Kinder und Tiere gequält, er hat nichts gethan was uns Schande bringen könnte."
„Hier ist der Schuldschein", lachte Jörge höhnisch, „und wie die Schuld entstanden ist, soll alle Welt und zuerst Dein Vater erfahren, wenn Du bei Deiner Weigerung beharrest. Ob es dem kaum Genesenen heilsam sein wird, möchte ich bezweifeln. Du hast eine Stunde Zeit zum Überlegen."
„Satan!" rief die Jungfrau wie vernichtet.
„Jeder bedient sich seines Vorteils so gut er kann", sagte ruhig der Müller, „willigst Du in die Heirat, so ist diese Handschrift Deines Bruders mein erstes Brautgeschenk an Dich."
Trostlos starrte die Jungfrau vor sich nieder. „Nur einige Wochen lasse mir Bedenkzeit", bat sie.
„Einige Wochen? — ja! Du glaubst, der Dich aus dem Feuer geholt hat, werde Dir auch jetzt wieder helfen?"
„Jörge!" wiederholte die Jungfrau, „lasse mir einige Wochen —"
„Drei Tage, keine Stunde länger", beharrte Jörge, „in drei Tagen hoffe ich eine günstige Antwort zu haben, sonst —". Er erhob drohend den Finger und schritt hinaus, die Thüre hinter sich dröhnend zuschlagend.
Eva barg ihr Gesicht weinend in den Händen. „Allmächtiger Gott!" rief sie aus, „warum ließest Du uns diesem Menschen in die Hände fallen?"
Ein inbrünstiges Gebet, in welchem sie Gottes Schutz und Beistand erflehte, beruhigte ihr Gemüt und sie gab der Hoffnung Raum, daß, so kurz auch die von Jörge gesetzte Frist sein mochte, der Himmel doch noch eine unerwartete Hilfe senden könne.
In dieser Stimmung fand sie ihr Vater, der von seinem ersten Ausgange zurückkehrte. Jede Thränenspur war verwischt und sie konnte ihm fast mit heiterer Miene entgegen gehen.
„Freue Dich, Kind!" rief er, „in zwei Tagen können wir in unser neues Heim einziehen. Oder wird es Dir am Ende schwer aus diesem Hause zu scheiden?
„Schwer?!" rief Eva, „ich zähle die Stunden, bis wir wieder unter unserm Dache sind."
(Fortsetzung folgt.)