Aro. 89
62. Jahrgang
Amts- unä
IntelligenMatt für äenKezir^.
Erschrint Iieniiag, Kounerstag L Kam»tag.
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Dienstag, äen 2. August 1887.
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die Redaktion.
H^otitifche WcrchvichLen.
Berlin, 29. Juli. Aus Sofia wird der „Voss. Ztg." geschrieben: Das Hinausschieben des Antritts der Regierung durch den Prinzen von Koburg hat auf die hiesigen leitenden Kreise eine geradezu niederdrückende Wirkung ausgeübt. Weniger wäre dies von der Bevölkerung oder der Militärpartei zu sagen. Erstere verhielt sich gegenüber der Kandidatur teil- nahmlos, letztere stand ihr sogar feindlich gegenüber. Die Militärpartei unter Führung des früheren Ministers Nicolaijew hatte, während die Sobranje in Tirnova tagte, schon einen Aufstand vorbereitet, der die Regenten festnehmen die Unabhängigkeit Bulgariens verkünden und den Battenberger zum Könige einsetzen sollte. Durch den Adjutanten des Ministers bekamen die Regenten indes Wind und konnten noch rechtzeitig Maßregeln zur Verhinderung treffen. Besonders die Ostrumelioten begeistern sich täglich mehr und mehr für den Battenberger. Aeußerlich gaben sie ihren Gefühlen dadurch Ausdruck, daß sie sich weigerten, mit 2 Offizieren an der Militärdeputation für den Koburger teilzunehmen, und es blieb den Bulgaren nichts übrig, als allein zu reisen. Unter diesen Umständen wird man es dem Prinzen von Koburg nicht verübeln können, wenn er die Reise nach Sofia sich zwölfmal überlegt, denn er würde hier nichts weniger als auf Rosen gebettet.
— In den „Berl. Polit. Nachr." wird dem Gerüchte entgegen getreten, daß die neuen 20 Pfennigstücke aus Nickel in Kurzem wieder eingezogen und umgeprägt werden sollten, weil die Mischung des Materials, aus dem die Münzen geprägt sind, angeblich mißlungen und weil dieselben so schnell schwarz würden, daß die Prägung schwer erkennbar sei. Eine Einziehung und Umprägung der 20 Pfennigstücke sei um so weniger aus den vorgenannten Motiven abzuleiten, als die Mischung des Materials genau der bereits bewährten Mischung entspricht, welche unsere 10 Pfennig- und 5 Pfennigstücke aus Nickel ausweisen.
Frankreich.
Paris, 29. Juli. Beim Wiederzusammentritt der Kammer soll ein Gelbbuch verteilt werden. Dasselbe soll Mitteilungen über Bulgarien,
über das ägyptische Abkommen und über den Fall Schnäbele enthalten. — Der „Lanterne", welche mit Boulanger in Verbindung steht, wird aus Cler- mont-Ferrand gemeldet, Boulanger werde Ferry wegen seiner Rede in Epinal fordern; die Zeugen des Generals seien gestern bereits von Cler« mont nach Paris abgereist. — Ferron hat den Militärmusiken verboten, Gassenhauer aufzuspielen. Boulangistische Blätter sprechen sich darüber miß. billigend aus. — Cassagnac erklärt in der „Autoiitö", so lange Laur nicht beweise, daß die Armee und die Rechte angesichts des Feindes eine Revolution geplant hätten, werde er ihm nichts gewähren, denn einem Menschen, den man nicht achten könne, schulde man nichts. Ueber sein Verhalten am am Tage von Sedan giebt Cassagnac eine lange Erklärung und kommt zu dem Schluß, daß Laur noch einmal gelogen habe. — Unter der Ueberschrift „Letztes Wort an Cassagnac" erklärte dagegen Laur, Cassagnac wolle sich nicht schlagen, weil er jetzt reich sei. Er rate ihm, seine parlamentarische Stellung aufzugeben, anderfalls würde er eine Untersuchung veranlassen und ihn vor der öffentlichen Meinung wegen seiner Flucht in die Keller von Sedan angesichts des Feindes verfolgen. Im übrigen nennt Laur weder den Namen der Generäle noch die der Abgeordneten, die Boulanger für den Staatsstreich zu gewinnen suchten. — Der „National" teilt mit, er werde die Namen der Journalisten, welche sich der Erpressung schuldig gemacht hätten, Mitteilen; bis jetzt seien ihm erst 13 bekannt.
Belgien und Niederlande.
— Der Gesundheitszustand König Wilhelms der Niederlande gibt, wie man der „N. Z. Ztg." aus Amsterdam schreibt, zu ernsten Befürchtungen -Anlaß. Der Keim der Krankheit des Königs liege in einem langjährigen Blasenleiden, wogegen alljährliche Kuren in den Bädern Wildungen und Karlsbad angewendet wurden. Diesmal habe die Kur wenig Erfolg gehabt. Am 30. Juni sei König Wilhelm auf Anraten der Aerzte in Begleitung der Königin Emma aus Wilvungen nach Holland zurückgekehrt und befinde sich seitdem auf Schloß Soest. _
Gages-Werrigkeiten.
sAmtliches.s Vermöge Höchster Entschließung vom 26. Juli d. I. haben Seine Königliche Majestät an der Realanstalt in Stuttgart die Hauptlehrstelle an Klasse Vl dem Professor Rettich an dem Real- lyceum in Calw in Gnaden übertragen.
— Von der evangelischen Oberschulbehörde wurde am 22. Juli die Volksschulstelle in Stuttgart dem Unterlehrer Staiger in Calw übertragen.
Feuilleton. (Nachdruck V-Ibot-N.>
Die Emigranten
von L. ^vari.
(Fortsetzung.)
Mit der übermenschlichen Kraft der Verzweiflung stemmte er sich nochmals dem Hinternis entgegen, die Eichenthüre gab nach und Amandus stürzte die mit erstickendem Qualme angefüllte Treppe hinauf. Der Instinkt der Liebe leitete ihn an die richtige Thüre, bald lag das halb ohnmächtige Mädchen in seinen Armen und wurde von ihm auf die Straße getragen, auf welcher inzwischen die Mehrzahl der erschreckten Dorfbewohner zusammengeströmt war.
„Mein Vater! mein Vater!" rief Eva mit markerschütterndem Schrei, „er muß noch im Hause sein, rettet meinen armen, lieben Vater."
Abermals eiste Amandus auf das brennende Haus zu.
„Es ist Euer Tod!" rief die entsetzte Zuschauermenge, das Haus stürzt ein, bleibt davon!"
Amandus hörte die Warnung nicht. Nach mehreren Minuten, während welcher die Angst der armen Eva fast die Besinnung raubte, erschien Amandus mit einem anscheinend leblosen Körper, den er sanft in die weit ausgcbreiteten Arme des laut aufschreienden Mädchens legte. Kaum war er seiner Bürde ledig, als er sich wie von unsichtbarer Hand gewaltsam gegen das brennende Haus geschleudert fühlte, welches in demselben Augenblick unter einer Garbe hoch aussprühender Feuerfunken krachend zusammenstürzte. — Ein dicker Qualm verhüllte auf einige Zeit die Brandstätte.
4. Kapitel.
Auf die Lagunenstadt Venedig, welcher die Italiener den Namen „Lelüsstma" (die Schöne) gegeben haben, senkte sich der Abend hernieder, mit all dem Zauber, wie ihn nur der Himmel Italiens hervorzubringen vermag. Die Sonne neigte sich
dem Untergänge und in ihrem goldenen und purpurnen Wiederscheine erstrahlten die Kirchen und Kuppeln, Türme und Paläste, daß die ganze meerumschlossene Stadt in einem Feuermeere zu schwimmen schien und der entzückte Blick sich nicht zu trennen, vermochte von dieser märchenhaften Pracht.
Ein venezianischer Kriegsmann stand am Ufer und schaute geblendeten Auges' in dieses wundervolle Schauspiel. Kein Entzücken malte sich jedoch auf seinen ernsten wettergebräunten Zügen; seine Blicke wurden vielmehr trüber und trüber, je herrlicher die abendliche Schönheit sich entfaltete, und eine namenlose Wehmut verbreitete sich über sein noch jugendliches Gesicht. Seine Aufmerksamkeit gast einigen Barken, welche sich der Landungsstelle näherten, an welcher er sich befand. Die zahlreichen Insassen erkannte er an ihren braunen Mänteln als Teilhaber eines Pilgerzuges; sie kamen von Joppe und besuchten Venedig, um am Grabe des hl. Markus zu beten.
Die Pilger landeten und gingen unter lauten Gesprächen und lebhaften Gesten an dem jungen Krieger vorüber.
Plötzlich erheiterten sich seine Mienen und ein Heller Freudenschimmer zog über sein ernstes Gesicht. „Verzeiht!" redete er auf deutsch einen der Männer an, welcher einiges Gepäck trug, „ich hörte hier meine Muttersprache. Darf ich fragen aus welchem Teile Deutschlands die Pilger stammen?"
„Also ein Landsmann!" antwortete der kurze, stämmige Ankömmling, dessen bärtiges Gesicht mit den derben, sinnlichen Zügen nicht gerade auf jenes fromme Gefühl schließen ließ, welches die Menschen nach dem heiligen Grabe zieht, „wo wir im deutschen Reiche zu Hause sind, läßt sich schwer bestimmen, da wir so ein wenig aus aller Herren Länder zusammengewürfelt sind. Ich für meinen Teil stamme aus Schwaben, habe den Herrn, dem ich diene, nach Jerusalem begleitet und ziehe nun wohlgemuts wieder mit ihm heim, seelenfroh, die südliche Hitze, die schmutzigen Herbergen und das verteufelte Ungeziefer bald hinter mir zu haben. Da stehen nun meine Gefährten wie angenagelt und begaffen den feuerroten Himmel mit Ach und Oh, als ob unser schwarzer Tannenwald mit seinem Harzduft und seimr Kühle nicht tausendmal schöner wäre."
„Wahrlich! mir aus der Seele gesprochen!" rief der Soldat.