Volkskammer ohne Ersatz der Privilegierten in Ver­bindung mit einer gründlichen Umwandlung der ersten Kammer bezeichnet. Die Versammlung wurde vom Vorstand Kaufmann Unrath geleitet. Am gestrigen Sonntag fanden in Ruith und Scharnhausen gut besuchte Versammlungen statt, in denen sich Stutt­garter Parteigenossen zusammen mit den dortigen Freunden über die politische Lage besprachen. R. A. Scheurlen hielt in Scharnhausen einen Vortrag über die Proportionalwahlen; die Stimmung war allgemein gegen dieselben. In Abwesenheit des erkrankten Schultheißen brachte Schneidermeister Simader die besten Wünsche für dessen Gesundheit zum Ausdruck; zugleich widmete er den Bewohnern von Scharnhausen und Umgebung ein begeistertes Hoch.

Ulm, 1. Febr. Die Versammlung, welch- der Volksverein für das kath. Deutschland und der kath. Bürgerverein Ulm auf gestern nachmittag ins hies. Gesellenhaus ausgeschrieoen hatt, war von Stadt und Land sehr zahlreich besucht. Zum Vorsitzenden wurde Graf Fugger-Kirchberg gewählt. Den ersten Vortrag hielt dessen Sohn Raimund v. Fugger über den kath. Volksverein, dessen Bedeutung, Thätigkeil und Erfolge, indem er namentlich die Bestrebungen der Sozialdemokratie mit ihrem Atheismus auf reli­giösem. ihrem republikanischen Z ckunstsstaat aus po­litischem und ihrem Kommunismus auf wirtschaft­lichem Gebiete geißeln und als ulopistischen Wahn charakterisierte. Der zweite Vortrag wurde von dem Vizepräsidenten der württb. Abgeordnetenkammer Dr. Kiene gehalten. Derselbe behandelte das Thema: Das württb. Zentrum und seine Thätigkeit im Land­tag. Als Erfolge führte er auf, daß die Adreß- debatte im Jahr 1895 nicht mehr ein bloßer Hul­digungsakt geblieben, sondern einen materiellen In­halt erhalten habe durch Aufnahme von 10 Sätzen aus dem Zentrumsprogramm. Auch bei der Etats­beratung wurden durch das Zentrum der Regierung die Wünsche d s Volkes auf den verschiedensten Ge­bieten nahegelegt, namentlich die Reform der Militär­strafprozeßordnung, die Steuerreform, die Schuld­srage, der Wasserrechtsgesetzeniwurf rc.; von 14 eingebrachten Interpellationen kommen 8 auf das Zentrum. Bezüglich der Versassungsresorm sagte Redner, die Verhältniswahlen zum Ersah der Privi­legierten der K. Kammer halte das Zentrum für unbedingt richtig, nur müssen verschiedene Abände­rungen an dem Regierungsvorschlag gemacht werden, es sollten nicht schon 20 Personen, sondern minde­stens 200 einen Wahlvorschlag bilden können; auch hält er das Listenwahlverfahren für direkt verwirrend, weil der Wähler zu viele Namen auf dem Zettel vor sich habe. Den Schluß seiner Rede bildete eine scharfe Abrechnung mit der Ulmer Zeitung, die neu­lich die gesellschaftliche und politische Boykottierung des Zentrums empfohlen hatte. Seine eindringliche Warnung vor diesem Blatte wurde von der Zu­hörerschaft mit frenetischem Beifall ausgenommen. Die Notwendigkeit, für Ulm und Umgegend ein Zentrumsblatt zu gründen, dränge sich angesichts solcher schmählicher Angriffe auf die kath. Leserschaft immer mehr auf und müsse fest ins Auge gefaßt werden.

Konstanz, 1. Febr. Hegels wurde wegen Unterschlagung und Betrug zu 7 Jahren Zuchthaus und lOjährigem Ehrverlust verurteilt.

Kolmar, 30. Jan. Ein neuer Fall von Zeug­niszwang gegen die Presse ist zu verzeichnen. Er betrifft dieElsaß-Lothringische Volkspartei", deren Redakteur Waller und gesamtes Personal dem Zeug- niezwang unterworfen worden sind. Das Blatt berichtet darüber:

Am 20. Okr. hatte die Zeitung ein kurze Lokalnotiz über ein Rencontre zwischen Zivilisten und Dragonerunter- offijieren gebracht. Daraufhin verlangte das Kommando des kurmärk. 14. Drag.-Reg. die Namhaftmachung der be­teiligten Zivilisten. Als das abgelehnt wurde, veranlaßt« das Kommando die Staatsanwaltschaft, Ermittlungen an­zustellen in derUntersuchungssache betr. Schlägerei zwischen Dragonerunteroffizieren und Zivilisten". Redakteur Walter verweigerte aber auch vor dem Untersuchungsrichter sein Zeugnis unter Berufung auf seine eventuelle Mittäterschaft, und nun wurde nicht nur Vas ganze Zeitungspersonal ^"schließlich der Setzer vernommen, sondern auch ein Rechts­anwalt uud zwei Aerzte, von denen man annahm, daß sie in nahen Beziehungen zur Zeitung stehen, natürlich alles ohne praktisches Endergebnis. Weitere Vernehmungen stehen noch bevor.

Dem ganzen Verfahren liegt, so bemerkt h,ezu die Franks. Ztg. nach dieser Darstellung eine ganz gewöhnliche Schlägerei, aus der niemand ein Schaden erwachsen ist, zu Grunde. Und um einer solchen Kleinigkeit willen, setzt man einen so umfangreichen

Zeugenapparat in Bewegung, stört den Geschäftsgang einer Zeitung, holt ganz Unbeteiligte aus ihrem Beruf fort, als ob es sich um eine hochnotpeinliche Sache handelt. Nach einer späteren Meldung wurden zwei in der Expedition beschäftigte Mädchen und der Bureaulehrling, die die Aussage verweigerten, von dem Untersuchungsrichter zu einer Geldstrafe von je 3 ^ verurteilt.

Hohenstein-Ernstthal. Seine Majestät der König haben allergnädigst geruht, den hiesigen Fabrikanten H. Joh. Louis Lotze, Inh. der Hohen ste.ner SeidenfabrikLotze", Hoflieferanten I. Kgl Hoh. der Frau Großherzogin von Sachsen und I. Hoh. der Frau Herzogin von Anhalt zum Hofliefe­ranten Ihrer Maj. der Königin zu ernennen. Wir freuen uns aufrichtig, daß unserem hochverdienten 'Mitbürger diese allerhöchste Auszeichnung zu Teil geworden ist, und gratulieren ihm herzlichst, in der Ueberzeugung, daß die kgl. Gnade Herrn Lotze nur ein Sporn und ein Antrieb sein wird, auf der mut und kraftvoll betretenen Bahn unentwegt fortzuschrei­ten und die Seidenindustrie Sachsens zu immer schö­nerer Blüte, zu immer höherer Größe zu entfalten zur Ehre unseres Vaterlandes, zum Segen unserer Vaterstadt. Es verdient wiederholt hervorgehoben zu werden, daß H. Lotze der erste war. der unter großen pekuniären Opfern und schweren Kämpfen die Seidenweberei in Sachsen einführte und Hun­derten von Menschen zu Brot und Existenz verhilft. Die Hohensteiner SeidenwebereiLotze", deren all­einiger Inhaber Herr Lotze ist, erfreut sich weit und breit der größten Achtung und des größten Ansehens. Die neue allerhöchste Auszeichnung wird diesen Ruf gewiß nur noch erhöhen.

Berlin, 30. Jan. Der König von Sachsen ist heute Vormittag 11 Uhr 25 Min. hier angekommen und von dem sächsischen Gesandten empfangen worden.

Hamburg, 30. Jan. Die Centralstreikkommisston trat gestern abend zu einer Sitzung zusammen, welche bis heute früh 3 Uhr dauerte. Schließlich wurde einstimmig beschlossen, den Ausständigen die Wieder­aufnahme der Arbeit zu empfehlen.

Hamburg, 31. Jan. In den gestern stattge-' habten 11 Versammlungen der Ausständigen wurde über die Frage abgestimmt, ob Morgen die Arbeit wieder aufzunehmen sei oder nicht. Berichterstatter wurden zu den Versammlungen nicht zugelassen. Jeder Ausständige erhielt einen aufJa" und einen aufNein" lautenden Stimmzettel. Nachdem alle Ausständigen ihre Stimmen abgegeben hatten, wur­den sämtliche Urnen verschlossen und nach der Cen­tralstreikkommission gebracht. Dort wurden die Zettel geordnet und die Stimmen gezählt. Gestern nach­mittag 2'/- Uhr wurde das Ergebnis verkündet. 72 Prozent aller abgegebenen Stimmen lauteten gegen, 28 Prozent für die Aufnahme der Arbeit. Das Ergebnis wurde mit lauten Hurrahrufen aus­genommen.

Kiel, 1. Febr. Der russische Minister des Auswärtigen, Graf Murawieff, wurde alsbald nach seiner Ankunft vom Kaiser in Audienz empfangen. Graf Murawieff und der preußische Gesandte in Hamburg, Graf v. Wallwitz, nahmen an der Früh- stückstafel beim Kaffer teil.

Ausland.

Wien, 31. Jan. Die Gruft Franz Schuberts im Zentralfriedhofe hat sich schon gestern am Tage vor dem 100. Gedenktage seiner Geburt in Festes­schmuck gehüllt. Im Aufträge des Gemeinderats- Präsidiums wurde rings um die Gruft ein Hain von Palmen und Lorbeer errichtet. Vier hohe Giran- dolen stehen zu beiden Seiten des Monuments, das ein Obelisk aus Tannenreisig an jeder Seite flankiert. Heute vormittag wurde ein erster Kranz im Aufträge des Gemeinderatsprästdiums der Stadt Wien nieder­gelegt. Er ist aus Lorbeer und trägt auf seinen rot-weißen Schleifen die Inschrift:Dem unsterb­lichen Tondichter die k. k. Reichshaupt- und Residenz­stadt Wien."

Der Zusammentritt einer internationalen Sa- nitätsconferenz in Venedig anläßlich der von Indien her drohenden P.fftgefahr scheint nunmehr gesichert zu sein. Es wird hierüber aus Rom ge­meldet, daß alle Staaten gemeint sind wohl alle europäischen Staaten ihre Zustimmung zu der internationalen Pestconferen; in Venedig ausgespro­chen hätten, und daß letzt--e wahrscheinlich am 10. Februarzusammentretenwürde. Dieeinzelnen Staaten würden sowohl diplomaiische als wissenschaftliche

Vertreter zu der Conferenz entsenden. Im Reichs­gesundheitsamte zu Berlin tagt bekanntlich gegen­wärtig eine von der Rsichsregierung einberufene Sachverständigen-Commission zur Erörterung der gegen die Pestgefahr zu ergreifenden Maßnahmen.

Die russische Regierung hat ganz Indien als pestverseucht erklären lassen. Dieses Vorgehen wird russischerseits durch den Hinweis auf die nahe­liegende Möglichkeit begründet, daß unter den gegen­wärtigen Verhältnissen in verschiedenen Teilen In­diens neue Seuchenheerde entstehen könnten. Dieses Vorgehen Rußlands ist natürlich kein Compliment für England.

London, 1. Febr. Wie das Reutersche Bureau aus Braß von gestern meldet, berichtet eine Depesche aus Egbom (?), daß die Flottille des Expeditions- Corps der Royal Niger Company die Hauptstadt des südlichen Landes der Fullahs, Lady, genommen hat. Die Stadt wurde zerstört. 1200 Sklaven wurden befreit. Die Macht der Fullahs südlich vom Niger ist vollständig vernichtet. Die Expedition marschiert jetzt nach Bida und dem Lande nördlich vom Niger.

Pretoria, 31. Jan. Reuter meldet von gestern: Der Financier I. B. Robinson hat heute den Prä­sidenten Krüger über wichtige Bergwerksangelegen­heiten befragt. Krüger sagte, daß die Verhandlungen über die Herabsetzung des Eisenbahntarifs für Kohlen noch im Gange feien. Die Schulen im Geldfelder­bezirk würden fortan unterstützt und die englische Sprache dort obligatorisch. Ueber Chamberlains Rede bemerkte Krüger, es würde ihm lieber sein, wenn Chamberlain bestimmt und klar bezeichnen wollte, was für Versprechungen er, Krüger, den Uitlanders gemacht habe, welche nicht erfüllt sein sollen. Der Präsident versicherte nachdrücklich, er wünsche den Frieden; fremde Staatsangehörige ge­nießen jeden möglichen Schutz, solange sie nicht Ruhestörungen Hervorrufen.

Kleinere Mitteilungen.

^ Bad Tein ach, 1. Febr. Bei den durch Badbesitzer Bauer unter fachmännischer Leitung vorgenommenen Ent­sandungsarbeiten der altberühmten Hirschquelle zeigte sich lautTüb. Ehr." bei einer Tiefbohrung dieser Quelle um Meter ein ungeheurer Kohlensäure-Reichtum, so daß diese Quelle, die bisher pro Minute nur knapp 3 Liter Mineralwasser ergab, jetzt 15 Liter pro Minute von vor­züglicher Klarheit und lieblichem Geschmack wirft. Es können jetzt innerhalb 24 Stunden bequem 40,000 Flaschen gefüllt werden. Der Kohlensäuregehalt, der sich immer noch steigert, übertrifft den der Bachquelle die bisher zu den kohlen- äurereichsten aller bekannten Quellen zählte noch erheblich.

, Neuenbürg, 1. Febr. In dem etwa 1'/- Stunden von hier gelegenen badischen Orte Langenalb wurde gestern nacht der dortige Lammwirt Kraft von dem Fuhrmann Ludwig Schwarz von Schwann durch drei Messerstiche lebensgefährlich verletzt. Der Thäter, ein als händelsüchtig bekannter junger Mann wird ferner Bestrafung in Pforzheim entgegengehen. Im Enzthal und seinen bewaldeten Höhen liegt ein tüchtiger Schnee, der jedoch keinerlei Verkehrs­störungen brachte, da das sogenannte Bahnschleifen und Schneeschäufeln organisiert ist. Von Pforzheim her verkehren zahlreiche Schlitten im Thal«.

Wildbad, 31. Jan. Gestern morgen wurde der Holz­hauer Christ. Eitel, verheiratet und Vater von 6 Kindern, im Walde beim Holzfällen von einem stürzenden Baum erschlagen. Der Tod trat sofort ein.

Un lertürkheim, 31. Jan. Heute nachmittag verschied nach kurzer Erkrankung unser in weiten Kreisen bekannter Oberlehrer I. Fladt im Alter von 73 Jahren, welcher eit dem Jahre 1844 in hiesiger Gemeinde wirkte, als Lehrer von zwei bis drei Generationen in hohem Ansehen stand und sich allgemeiner Beliebtheit und Achtung erfreute.

der Garnison Ludwigs bürg sind seit dem 24. d. M. abgängig geworden zwei aus Cannstatt gebürtige Musketiere, aus der Garnison Stuttgart seit dem 20. d. M. ein Dragoner. Dieselben werden steckbrieflich verfolgt.

*, Ludwigsburg, 1. Febr. Der als Stadlacciser nach Hall versetzte Zoll- und Staotacciseamts-Gehilfe Stell- rscht von hier hatte heute das Unglück, daß ihm die Fuhr­leute, welche seinen Möbelwagen zu a Zweck der Beförderung nach Hall zur Bahn bringen sollten, denselben in der vorderen Schloßstraße umwarfen und zwar auf ganz ebener Stelle, wodurch ein ganz bedeutenger Schaden an dem Hausrat des Beamten entstanden ist.

Göppingen, 31. Jan. Diesen Morgen wurde auf einer Eisplatte in der F ls oberhalb der Pumpstation ein etwa 20 Jahre alter Arbeiter tot aufgefundsn. Ob Unglück oder Mord vorliegt, ist noch nicht sestgeftellt. Einige Be­wohner der nächstgelegenen Häuser haben in der Barmittel nacht Hilferufe gehört. __

Landwirtschaft, Handel und Verkehr.

Calw, 23. Jan. (Fruchtpceise). Kernen, neuer, S., Dinkel neuer 6.50, 6.43, 6.40, Haber neuer 6.60,5.78, 5.50, Bohnen,

Tübingen, 22. Jan. (Schranne) Neuer Dinkel per 100 Kilo ^ 12.84, 12.65, 12.52, alter Dinkel