Deutscher Reichstag.

IV. 0. Der Reichstag beriet am Mittwoch über die An­träge Auer und Ancker, und über das auf Grund dieser Anträge von einer besonderen Kommission ausgearbeitete neue Vereins- und Versammlungsgesetz, dessen tz 1 jedem Deutschen das Recht giebt, sich friedlich und unbewaffnet, ohne behördliche Erlaubnis sich zu versammeln. Bon poli­tischen Versammlungen sollen nur Minderjährige ausge­nommen sein. Der Abg. Rickert (frs. Verg.) befürwortet unter Bezugnahme auf das Fiasko der Regierung in dem Prozeß gegen die sozialdemokratische Parteiorganisation den neuen Gesetzentwurf. Staatsminister v. Bötticher erklärte, sich über die Stellung zu der Regierung zu dem Commissionsentwurf sich noch nicht äußern zu können, da die Regierung zu Initiativanträgen immer erst Stellung nimmt, wenn Beschlüsse des Reichstags in zweiter Lesung vorliegen. Bezmann (frs. Vrg.) erklärt, den verb. Regie­rungen und den Abgeordneten fei die Regierung die Ant­wort auf die Frage schuldig, wie sie sich zu dem Commis­sionsentwurfstelle. Auf eine Erwiderung des Staatssekretärs v. Bötticher, daß die Regierung über die Zeit, wo sie von ihrer gesetzgeberischen Befugnis Gebrauch machen wolle, keine Veranworlung schuldig und im vorliegenden Falle ihre Stellung nach den in der Sitzung gefaßten Beschlüssen abhängig machen werde, beleuchtet Auer den Prozeß gegen die Sozialdemokratie Berlin. Bennigsen erklärt die Zu­stimmung der Nationalliberalen zu dem Entwurf. Lieber erklärt die Zustimmung des Zentrums. Darauf werden die einzelnen Paragraphen des Gesetzes fast debattelos an­genommen. Nur 8 4, der das Vereinigungsrecht betrifft, gab noch zu einer kurzen Diskussion Anlaß. Freitag 2 Uhr Börsengesetz. Schluß 5^ Uhr. _

Hages-Weuigkeiten.

Deutsches Reich.

Nagold, 6. Juni.Versichere Deine Ernte gegen Hagelschlag!" Viel verheißend stehen Reben, Bäume, Saaten und Wiesen da; sie haben gut überwintert und freudige Hoffnung auf reiche Ernte schwillt des Landmanns Brust. Möge die Hoffnung nicht zu Schanden werden! Möge Frost, ungünstige Sommerwitterung und möge vernichten­der Hagelschlag uns verschonen! Jahr um Jahr schlägt letzterer tiefe und schwere Wunden. Mil Bangen beobachtet der Landwirt in gewitterschwülen Tagen des Himmels Wolken. Wenn sie sich massig zusammenballen und gelblich färben, wenn der Donner von fernher dröhnt und Sturmesgewalt urplötzlich die Wolkengebirge gegen uns wälzt, Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag sich folgt und ein unheimlich Tosen und Rauschen sich erhebt dann zittert des Bauern Herz, es weiß, das ist der Würgengel Hagel! Und herein bricht er mit Entsetzen, mit furchtbarem Wüten eine Viertelstunde noch und hin ist die Ernte, zerstört die Hoffnung, unsägliches Weh erfüllt das Herz! Dieses Weh, diesen Schmerz zu lindern, dazu dient die Hagelversicherung. An Euch, Landwirte, ist es, die helfende Hand zu ergreifen und darum möchten wir nochmals dringend die Mahnung wiederholen: Versichert Eure Ernte gegen Hagelschlag!

Nagold, 7. Juni. Der Monat Juni bringt uns Sommers Anfang und auch die schöne Zeit der Rosen. War es bisher eine Laune der Witterungs­gewalten nach der anderen, die wir zu tragen hatten, so wird der Juni-Monat hoffentlich seinem alten, guten Renommee, im Jahre das beständigste schöne Wetter zu bringen, treu bleiben, unbeschadet natür­lich des für Fluren und Saaten erforderlichen Nasses. Denn aus manchem Bezirk kommen schon wieder leise andeutende Klagen, daß die Vegetation unter der Trockenheit recht zu leiden hat, und die Futter­ernte, wenn auch nicht gerade schlecht, doch bei Weitem nicht so ergiebig zu werden droht, wie man früher hoffen konnte. Auch in Aeckern und Gärten ist noch manches zurück; der Frühling war zuerst rauh und kalt, dann trockneten Wind und Sonne wieder rasch den Boden, und die Wirkung der zeitweise» Nieder­schläge war keine nachhaltige. So sieht es doch vielfach aus, wenn es auch vielfach besser steht, zu wünschen ist aber keinem landwirtschaftlichen Bezirk ein Ausfall in irgend einer Ernte. Der Juni hat den längsten Tag im Jahr und, neben dem September, auch das hellste Wetter.

r. Nagold, 8. Juni. Begünstigt durch das schöne Wetter konnte der hiesige Turnverein gestern einen gelungenen Ausflug nach Altensteig machen. Mit über 20 Mitgliedern und Zöglingen marschierte der Verein um 2 Uhr vom Lokal, Gasthaus z.Hirsch", ab, und kam nach 2'/estündigem Marsch über Rohr­dorf, Wöllhausen, Mohnhardt, in Allensteig an. Vor dem Gasthaus z.Traube" begrüßte uns der Altensteiger Turnverein, der zugleich sein jährliches Anturnen hielt, der Calwer, Wildbader und Wild­berger Turnverein. Vereint mit diesen und unter

Leitung des Gauturnwarts Pfrommer von Calw setzte sich der stattliche Zug mit Musik in Bewegung durch die Stadt auf den Festplatz, wo bis 5 Uhr geturnt wurde. Hierauf erfrischte man sich beim kühlen Trünke, bis die Wildbader und Wildberger schieden, und bald darauf, nachdem noch dem Tanz­vergnügen gehuldigt wurde, auch wir den Heim­marsch antraten, aber nicht ohne uns noch im Gasthof z.Traube" auf den Weg gestärkt zu haben. Dann ging's unter Begleitung einiger Altensteiger Turner zur Stadt hinaus mit demAbschieds-GrußGut Heil!" UndAuf Wiedersehen!"

Gündringen, 6. Juni. (Einges.) Gestern, am Jahrestage der großen Katastrophe im Eyachthale, wiederholte sich nur in etwas kleinerem Maßstabe, in hiesigem Orte das gleiche Naturereignis. Inder Zeit von 46 Uhr abends fiel zwischen genanntem Orte und Haiterbach ein Wolkenbruch mit Hagel untermischt. Unter rauschendem Getöse ergoß sich das Wasser, alles verderbend und verwüstend, die enge Thalsenkung herab. Im Dorfe hat dieses wilde Element viele Gräben gerissen, darunter einen 35 m langen und 3 m tiefen und einen zweiten 8 in lang und 4 m tief. Die 3 großen Schuttanhäufungen belaufen sich auf einige Hundert Cbm. Was sich in dem Wege des Wassers vorfand, Langholz, Scheiter­holz, Holzbeugen, Geräte, Gartenzäune, Steinblöcke bis zu einem Gewicht von 5 Zentnern wurde mit fchrtgeriffen. Die mit größter Sorgfalt gepflegten Gärtchen und Krautländer wurden total verwüstet. Ganze Ströme Wassers nahmen ihren Lauf durch die Häuser, so daß für einige höchste Gefahr vor­handen war, fortgeschwemmt zu werden. Aus meh­reren Ställen konnte man nur noch mit vieler Mühe das Vieh flüchten. Viele Wiesen und Grasgärten sind vom Geröll vollständig bedeckt. Ein ziemlich tiefer Brunnen wurde ganz verschüttet. Nicht un­erheblicher Schaden wurde an den Feldern durch Abschwemmen des Humusbodens verursacht. Es darf ein Glück genannt werden, daß diese verheeren­den Wasserfluten bei Tag daherbrausten, bei Nacht wären ihnen sicherlich Menschenleben zum Opfer ge­fallen. (Ein weiterer Bericht folgt in nächster Num­mer. Die Red.)

t. Vom Calwer Wald, 6. Juni. Auf Martinsmooser Markung entlud sich gestern nach- mitzag zwischen 3 und 4 Uhr ein heftiges Gewitter, verbunden mit Hagel. Beinahe 20 Minuten lang fielen in großer Menge etwa haselnußgroße Schloßen. Das von Südosten kommende Gewitter traf besonders schwer den östlichen Teil der Markung. Die Roggen­felder, die Heuer besonders schön standen, sind total verhagelt, so daß sie umgsackert werden müssen. Leider sind in der beschädigten Gemeinde nur etwa 12 Güterbesitzer versichert. Wenn man daran denkt, wie im vorigen Jahr durch den Hagel so große Not in manchen Gemeinden der Oberämter Nagold und Calw entstand und weiter in Betracht zieht, daß die Bedingungen, unter welchen mit der Norddeutschen Allgemeinen Hagelversicherung Verträge abgeschlossen werden können, besonders günstige sind, so muß man es als ein großes Versäumnis ansehen, wenn der Landmann bei uns es unterläßt, seine Getreidefelder zu versichern, umsomehr, da ja die Versicherungs­prämien äußerst nieder angerechnet werden.

Freudenstadt, 5. Juni. Am 16. und 17. d. M. wird hier die Jahresversammlung des Württem- bergischen Hauptvereins der Gustav-Adolfsstiftung gefeiert werden. Bei dieser Feier wird folgendes Programm eingehalten werden: Dienstag den 16. Juni, nachmittags ',-4 Uhr, findet in der hiesigen evangelischen Stadtkirche die Begrüßung der erschie­nenen Festgäste statt, wobei zugleich auch die einge­gangenen Gaben und Festängebinde überreicht wer­den. Abends 7 Uhr wird sich daran in der städti­schen Turnhalle eine gesellige Vereinigung anschließen, bei welcher Ansprachen und Gesänge miteinander abwechseln werden; auch die Aufführung eines Fest­spiels ist für diesen Abend in Aussicht genommen. Am Mittwoch den 17. Juni morgens 9 Uhr findet der Festgottesdienst in der Stadtkirche statt; die Fest­predigt hält Dekan Römer aus Nagold. Weitere Ansprachen von Geistlichen aus der Diaspora werden halten: Pfarrer Japuemar aus Laibach in Krain und Pfarrer Beckmann aus Barmen (Agent der evan­gelischen Gesellschaft für dis protestantischen Deutschen in Südamerika). Das Mittagsmahl wird im Gast­hof zur Post und im KurhausPalmenwald" ein­genommen werden. Zu dem Festängebinde haben

die bürgerlichen Kollegien eine Gabe von 1000 aus der Stadtkasse verwilligt.

Stuttgart, 4. Juni. In einer auf heute Nach­mittag in den Saal von Weiß einberufenen Bäcker- vvrsammlung sprach als Referent der sozialdemokrat. Reichstagsabg. Molkenbuhr über denMaximalar­beitstag in Bäckereien vor dem deutschen Reichstag." Dem Bundesrat sei 1890 die Befugnis eingeräumt worden, zum Schutze der Arbeiter, speziell auch im Bäckergewerbe, auf Grund des H 120 o der Gewerbe­novelle vorzugehen. Nun, da er hievon mäßigen Gebrauch machen wolle, werde ihm das Recht dazu abgestritten. Und doch sei es klar, daß er geraoe beim Bäckergewerbe den Anfang machen müsse, da dieses besondere Mißstände ausweise, wie die auf Bebels Anregung 1892 erhobene Enquste zeigte. Bäckergehilfe Rösler erwidert, daß die Einführung, des Maximalarbeitstages der besonderen Verhältnisse in diesem Gewerbe halber nicht angehe. Dagegen müsse auf den Schutz der Lehrlinge gedrungen werden, damit die Meister sich nicht mehr blos mit Lehrlingen durchhelfen können. Ferner solle der Reichstag die Nachtarbeit verbieten. Uebrigens könne der Arbeiter selber doch manches zur Hebung und Besserung sei­ner individuellen Lage thun. Diese Ausführungen wurden von 2 sozialdemokratischen Rednern eingehend kritisiert. Bäckermeister Kälberer kommt hierauf zum Wort und entgegnet Molkenbuhr u. a., daß die Ein­führung des Maximalarbeitstages die Schichtarbeit und weiter den Ruin des Kleinbetriebs zur Folge hätte. Bebel habe bei seiner Enpuöte in der Haupt­sache sozialdemokratische Arbeiter gefragt. Redner ist für Einführung der Tagarbeit, ebenso für den Schutz der jugendlichen Arbeiter. Bebels Behaup­tung, die Mehrzahl der Bäcker sei syphilitisch, müsse mit Entrüstung zurückgewiesen werden. Die Verhält­nisse in Hamburg haben mit dem Bäckergewerbe nichts zu thun. Molkenbuhr führt eine Berichtigung der Bebel'schen Behauptung an. Die Einführung des Maximalarbeitstages treffe gerade den Großbetrieb, bei dem die Arbeitszeit am häufigsten über 12 Stun­den ausgedehnt sei. Die amtlichen Erhebungen stellen fest, daß in fast 1"/» der Betriebe über 18 Stunden gearbeitet werde. Bei so langer Arbeitszeit müsse der Reinlichkeitssinn verloren gehen. Die Regelung der Arbeitszeit komme dem Arbeiter in jeder Beziehung zu Gute und mache die gewissenlose Ausbeutung unmöglich. Nach einer weiteren Rede des Vorsitzen­den, der von der Verkürzung der Arbeitszeit nicht Verwahrlosung, sondern im Gegenteil Hebung der Arbeiter erhofft, ergreift noch Hildebrand (Soz.) das Wort: Selbst von Seiten der Meister werde der Maximalarbeitstag für durchführbar gehalten. Daß Kälberer die Tagarbeit befürwortet, sei mit Freuden zu begrüßen. Bäckermeister Bärer erklärt, daß, wenn der 12stündige Arbeitstag Gesetz werde, sich die Meister damit abfinden müssen und können. Ein Geselle verlangt, die Meister sollen sich zusammenthun und selber die Mißstände abschaffen. Bäckermeister Kälbe­rer entgegnet, daß dies ohne Hilfe gesetzlicher Bestim­mungen unmöglich sei. Mit der Inständigen Arbeits­nacht können sich nur gut situierte Meister abfinden. Er empfehle eine Resolution, daß die Versammlung die Einführung des Maximalarbeitstages verlange, wenn die Nachtarbeit abgeschafft werde. Schließlich wird die Resolution ohne diese Bedingung angenom­men. Nach fast 4stündiger Dauer schloß die mehr­fach stürmisch bewegte Versammlung.

Stuttgart, S. Juni. Als beste Schieß-Schützen- compagnie im 13. Armeecorps hat sich Heuer die 1. Com­pagnie des 7. Jnf.-Regts. 12S (Hauptmann Ferling) erwiesen. Voriges Jahr erhielt die am Arm zu tragende bronzene Schießauszeichnung die 7. Compagnie des Grenadier-Regi­ments Königin Olga (Hauptmann Koenneritz.)

Pforzheim, 4. Juni. Es sind gegenwärtig zwischen der hiesigen Stadtgemeinde und den maß­gebenden Behörden Unterhandlungen im Gang, dis darauf hinausgehen, den Sitz eines der kürzlich erst aus den bisherigen Halbbataillonen geschaffenen Voll­bataillonen nach Pforzheim zu verlegen. Die Be­dingungen, welche die Militärbehörden stellen, gipfeln darin, daß die Stadtgemeinde die hierzu notwendige Kaserne erbauen und das nötige Gelände stellen müsse. Das hierzu verwendete Kapital würde die Militärbehörde mit 6 pCt. verzinsen.

Kleinere Mitteilungen.

Hochdorf, 5. Juni. Im vergangenen laufenden Jahre wurde hier ein Schulhaus erbaut, das seiner Vollendung entgegengeht. Der Neubau steht an der Bollmaringer Straße aus einem von allen Seiten freien Platze und hat einen hübschen Vorplatz, welcher durch ein schönes Portal