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Das Urteil lautet gegen Blech und Schiffmacher auf je 2 Jahre Festung, Trapp 1 Jahr 6 Monate Festung und Köchlin 1 Jahr Festung. Die Angeklagten Jordan, Reybel, Freund und Humbert werden kosten- los freigesprochen. Dem Angeklagten Köchlin werden 4 Monate der erlittenen Untersuchungshaft angerechnet.
In den Urteilsgründen heißt es, daß sämtliche Angeklagte de- schuldigt waren, der Patriotenliga angehört und somit an landesverräterischen Bestrebungen teilgenommen zu haben, da der Zweck der Liga sei, Vereine zu gründen, welche die Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens mit Frankreich vorbereiten bez. ins Werk setzen sollten. Das Urteil führt aus, daß sich alle Mitglieder der Liga, gleichviel welche Stellung sie in- oder außerhalb der Liga einnahinen, lediglich zu dem vorgenannten Zwecke vereinigten. Die Revision des Frankfurter Vertrages ist der ausgesprochene Zweck der Liga und zwar soll Elsaß-Lothringen durch die Waffen wieder gewonnen werden. Dieser Zweck wird angestrebt durch die patriotische Erziehung der Jugend. Die Medaille der Liga ist nichts als ein Symptom des erstrebten Kampfes. Die Turngesellschaften haben die Aufgabe, die Jugend militärisch zu erziehen und zum Kriegshandwerk vorzubereiten, damit dieselbe abgerichtet in die Armee eintreten könne. Sansboeuf, der Präsident der Liga, sagte unumwunden, er freue sich, in den Turngesellschaften die unbesiegbare Armee zu sehen.
Der Gerichtshof nahm als erwiesen an, daß die Zwecke der Patriotenliga auch die der Angeklagten gewesen sind. Die Liga strebt an, ihr Ziel mit Gewalt zu erreichen und ihr Mittel ist der Krieg. Der Krieg sei aber keine legale Gewalt, wie von der Verteidigung hervorgehoben wurde. Wenn der Krieg wirklich ausgebrochen wäre, hätte derselbe den Angeklagten zugeschoben werden müssen. Das Treiben der Angeklagten wäre dann keine vorbereitende Handlung mehr gewesen. Die Angeklagten haben den Ausbruch eines Krieges erstrebt, um Elsaß-Lothringen für Frankreich wieder zu gewinnen. Die geleisteten Beiträge sollten diesem Zweck dienen. Es kommt hierbei nicht auf die Höhe der Beiträge an.
Die Liga war ferner bestrebt, ihre Organisation in Elsaß-Lothringen der deutschen Regierung gegenüber geheim zu halten, die Angeklagten waren daher auch nach § 128 des D. R.-St.-G.-B. zu verfolgen, denn nach demselben ist derjenige strafbar, welcher einer Verbindung angehört, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll.
Was den Angeklagten Köchlin anbetrifft, so hat derselbe erwiesenermaßen der Patriotenliga angehört und zu derselben Beiträge gezahlt. Sein Verhalten war nach dem § 86 des D. R.-St.-G. zu bestrafen. Der Angeklagte Blech war membre konckateur der Liga und hat als solcher zu verschiedenen Malen je 20 Frcs. gezahlt. Wie Blech die Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens auf friedlichem Wege erreichen wollte, sei nicht recht verständlich. Der Angeklagte Trapp hat bestritten, die Zwecke der Patriotenliga gekannt zu haben. Vor dem Untersuchungsrichter hat er jedoch zu Beginn des Prozesses zugestanden, daß ihm die Bestrebungen der Liga wohl bekannt gewesen seien. Auch sei für erwiesen anzunehmen, daß Trapp noch im Jahre 1886 einen Beitrag von 10 Frcs. der Liga gezahlt habe und somit noch im letzten Jahre Mitglied derselben gewesen sei. Sch iss macher hat erklärt, daß er die Zwecke der Liga nicht kannte. Von der Wahrheit dieser Angabe hat sich der Gerichtshof nicht überzeugen können, da Schiff« macher Vertrauensmann der Liga war. Bezüglich Jordans habe der Gerichtshof nicht angenommen, daß derselbe von der Liga unterrichtet gewesen sei. Bei Neybel konnte in dessen einmaligem Beitrag zur Liga eine Schuld nicht gefunden werben. Bei diesem sei es zudem möglich, daß er von den wahren Zwecken der Liga, nichts gewußt habe. Bei Freund hat der Gerichtshof die Aussagen des Zeugen Reyngold für richtig angenommen, wonach der Angeklagte den Beitrag zur Liga nur gezahlt habe, um die Medaille zu erhalten, da er ein eifriger Medaillensammler sei. Auch sein Freund erwie
senermaßen niemals deutschfeindlich gesinnt gewesen. Was den Angeklagten Humbert anbetrifft, so sei sich derselbe offenbar der Tragweite seiner Handlungen nicht bewußt gewesen. Die vier Letzgenannten waren daher freizu- sprechen und die Kosten auf die Staatskasse zu übertragen.
Gegen Köchlin wurde nur auf ein Jahr Festung deshalb erkannt, weil er Franzose ist. Bei Blech und Schiffmacher wurde als erschwerend angenommen, daß dieselben den E i d der Treue gegen den Kaiser geleistet und gebrochen hatten. Der Gerichtshof hat indessen die Ueberzeugung nicht gewinnen können, daß die beiden Angeklagten sich über ihr Verfahren klar gewesen sind, sonst würde eine andere Strafe Platz gegriffen haben.
Nach Verkündung des Urteils heiterten sich die Gesichter der Angeklagten, auch derjenigen, welche nicht freigesprochen wurden, auf, sie schüttelten sich gegenseitig herzlich die Hände. Die vier Freigesprochenen wurden sofort aus der Haft entlassen, während Köchlin, Blech, Schiffmacher und Trapp wieder in das Gefängnis abgeführt wurden.
Nach Schluß der Sitzung wurden den vier freigesprochenen Angeklagten sofort die vom Herrn Reichsanwalt Unterzeichneten Entlassungsbescheinigungen, welche die sofortige Haftentlassung bestimmen, eingehändigt. Der Verurteilte Blech warf seinen betrübt dastehenden Anverwandten wiederholt „Kußhände" zu. Köchlin verabschiedete sich durch freundliches Kopfnicken, ebenso Trapp und Schiffmacher. Das zahlreich erschienene Publikum ging nicht eher von der Stelle, als bis die Abschiedsszene zu Ende war.
Gages-Werrigkeiten.
Cannstatt, 15. Juni. Heute nachmittag 3 Uhr ertrank im Neckar oberhalb der Militärschwimmschule der 19 Jahre alte Bäckergeselle David Halbgewachs von Buoch, OA. Waiblingen. Ein zweiter junger Mann, der ihn retten wollte, ertrank ebenfalls; letzterer soll ein Schuhmacher von Zuffenhausen sein.
— Aus Nürtingen wird berichtet, daß dort ein Seminarzögling Georg Sattler aus Heiningen bei Göppingen, beim Baden im Neckar ertrunken ist. Der Badeplatz war leider noch nicht abgesteckt, so daß auch die Erlaubnis zum Baden noch nicht gegeben war. Das prächtige Badewetter verlockte aber die Leute trotzdem zu einem Bade, das Sattler, obwohl des Schwimmens nicht unkundig, mit dem Leben büßen mußte. Er geriet in eine reißende Stelle, wo er versank, ohne daß die Mitbadenden es bemerkten.
Tübingen, 16. Juni. Bei sonnigem Himmel wurde heute das Kinderfest gehalten, welchem die schlimmen Maitage den Einzug verweigert hatten. Um 1 Uhr setzten sich die großen Scharen der Kinder in Bewegung, die Mädchen mit Kränzen geschmückt, die Knaben bunte Mispeln tragend. " Eine Kapelle an der Spitze, eine andere in der Mitte, zog die unendliche Kinderschar durch die Wilhelms- und Neckarstraße auf den von prächtigen Bäumen beschatteten Wöhrplatz, ein Zug, ausgestattet mit den kleinen Turnern, Armbrustschützen, Bezingermädchen, dem hoch aufgebauten Turmwagen mit dem Maikönig und der Maikönigin nebst Hofstaat, ein fröhliches Bild der glücklichen Jugend. Auf dem herrlichen Festplatz entwickelte sich für Jung und Alt ein Volksfest, wo die Knaben mit Lauf, Kletterbaum und Schießübungen, die Mädchen mit Reigen, Ballspielen sich vergnügten, Seiltänzer ihre Künste zeigten und zwei treffliche Musikkorps ihre Weisen spielten, bis um 7 Uhr die fröhliche Kinderschar mit Musik auf den Marktplatz zog, um mit dem Lied: „Nun danket alle Gott" den heiteren Stunden einen frommen Abschluß zu geben.
Tuttlingen, 16. Juni. Dieser Tage ersuchte ein Handwerksbursche den Mesner in Seit in gen, ihm die Wallfahrlskapelle aufzuschließen, weil er daselbst ein Gebet verrichten möchte. Der Mesner gewährte die Bitte und ließ durch seinen 14jährigen Knaben die Kapelle öffnen. Da sich der Handwerksbursche zu lange in der Kapelle aushielt, schickte sich der Mesner
wenn ich nur erst die Scheu überwunden habe, mit ihr zu sprechen. Sie ist nicht schlecht, nicht böse, sie ist keine Schlange, Herr Graf. Sie ist nur leichtsinnig, heißblütig, läßt sich vom Augenblick Hinreißen. Und was sie mir auch schon angethan, sie hat es doch stets bereut und mir oft genug bewiesen, daß sie es herzlich gut mit mir meint."
„Dann hören Sie. Sie hat mir geschrieben und ihr Brief hat mich hierher- geführt. Er sollte mich hierherführen — nur dachte sich die Baronesse die Sache etwas anders. In diesem Briefe scheut sie sich nicht davor, mir Ihr Seelenleben, Johanna, blos zu legen — das heißt, so wie sie es eben erfassen kann. Ich war empört, ich habe mich geschämt, wie — ich finde kein Wort, um Ihnen meinen Eckel zu schildern. Dieser Brief wurde von einer Kupplerin geschrieben, die irgend ein Interesse an Ihrer Verheiratung hat, und er wurde in einem so frivolen Tone geschrieben, daß ich es nicht über mich bringe, Ihnen die Hand zu geben. Aber Sie sollen sich doch selbst überzeugen, — da — lesen Sie nur diesen einen Satz: „Kommen Sie, Fernegg, eilen Sie. Der Schloßzauber hat das Täubchen girre gemacht und wird Ihnen das Rechte vollenden helfen." Da — bitte — lesen Sie — aber lesen Sie nicht mehr."
Johanna nahm den Brief nicht und winkte mit der Hand. „Ich glaube Ihnen — das ist häßlich, abscheulich. Und doch scheint es abscheulicher, als es ist. Sie spricht etwas frei und schreibt auch so — aber sie meint es nicht so schlimm. Und Böses will sie mir schon gar nicht anthun. Ich weiß, daß ihr unsere Verbindung am Herzen liegt, sie hat ihr persönliches Interesse daran, und hat überdies eine Schwäche, die wohl die Schwäche der meisten Menschen sein wird; daß sie die andern nach sich selbst beurteilt. Was sie gethan hat — glauben Sie mir, sie that es in der Absicht, mir Gutes zu thun."
„Sie entwaffnen mich, Johanna."
„Ich bin Ihnen dankbar — ich kann Ihnen meinen Dank ja nur mit Worten beweisen. Aber seien Tie nur wenigstens unser Gast für heute —"
„Bei unserem Verhältnis, Johanna —"
„Sie haben Recht — ja, ja — ich dachte nicht daran." — Sie schwankte und mußte sich an einem Baum halten. — „Es ist nichts — es geht so viel durch meinen armen Kopf. Leben Sie wohl — adieu — adieu!"
Sie reichte ihm nicht die Hand und ging, ohne ihn noch einmal anzublicken.
„Johanna!"
Jetzt beschleunigte sie ihren Schritt. Sie griff nach den Baumstämmen — als ob sie spielte — und dann, als sie seinen Augen entrückt war, lehnte sie müde den Kopf an die Rindenwand eines Pavillons. So wie er hätte auch ihr Vater gehandelt. Wenn aber auch das Berechnung war? Nein, nein, es war abscheulich, das zu denken. Wie zitterte doch seine Stimme vor Empörung und wie zornig flammten seine Augen! Das aus Berechnung zu thun — das hätte nur ein schlechter Mensch vermocht. Und er war gut, daran zweifelte sie ja nicht. Er that es, weil er sie liebte — mit seinem zarten Gefühl o warum war sie so thöricht gewesen, zu zweifeln, zu fliehen, den Einzigen zu fliehen .... War das die Liebe, die da über sie kam, diese große, tiefe Liebe von der er gesprochen? .... Nein, nein, nein — ein Wahn — fort! Sie eilte den Hügel hinab, als wenn sie verfolgt würde, und nahm den nächsten Weg nach dem Schlosse. Dann blieb sie wieder zögernd stehen, mit wildatmender Brust und erhitzten Wangen. Nein — nein. — Und dann sprang sie die Treppe hinauf und verschloß sich in ihr Zimmer.
Währenddessen hatte sich Baronesse Tini in den Park geschlichen und die Beiden aus der Entfernung beobachtet. Als sie dann Johanna fliehen sah, stampfte sie ärgerlich mit dem Fuß auf den Boden. Sie hatte Alles so schön eingerichtet und er — hatte Alles wieder verdorben. Dort — wie sie den Kopf an die Wand lehnte mit dem Ausdruck heftigster Bewegung im Gesichte — war das Liebe, oder wenn nicht — was war es denn? Und so schnell trat dieser Mensch.den Rückzug an, so leicht gab er Alles auf! Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Aber sie mußte wissen, wie es ging, und mußte retten, was noch zu retten war. Sie empfand einen gewissen Ehrgeiz, die Jntrigue, die sie eingeleitet hatte, nicht im Stande verrinnen zu lassen, und die Lust, neue Fäden zu spinnen und das Gewebe damit fortzuführen, erwachte lebhaft in ihr. Aber was thun? Das Nächstliegende war, den Grafen auf- Husuchen, die Situation zu prüfen, zu erforschen, was denn eigentlich vorgefallen. Im Uebrigen durste sie ihrer Gewandtheit schon vertrauen.
(Fortsetzung folgt.)