62. Jahrgang.
Uro. 69.
Amts- um! InteüigenMatt für äen Bezirk.
Erscheint Z>le»»l«g, Ao»««r»ta- L Samstag.
Lie Einrückungsgebühr beträgt S ^ ft. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.
Donnerstag, äen 16. Juni 1887.
Abonnementspreis halbjährlich 1 ^ 80 H, durch ! die Post bezogen im Bezirk 2 SO H, sonst ia l ganz Württemberg 2 70
Amtliche Wekcrnntmcrchungen.
Bekanntmachung,
betreffend die Veränderung der am Schweinbach befindlichen Ueuanlage des Schleifereibefitzers Ernst GoUmer in Hirsau.
Der Schleisereibesitzer Ernst Gollmer in Hirsau beabsichtigt, die zum Betrieb seiner in Gebäude Nr. 74 ck am rechten Ufer des Schweinbachs auf Parzelle 170 rr, Markung Hirsau, befindlichen Wollspinnerei vorhandene Neuanlage in der Art abzuändern, daß die Wollspinnerei, welche seither durch eine Transmission von dem Schleifereigebäude Nro. 74 aus in Bewegung gesetzt wurde, durch ein neues rückschlägiges Zellenrad von 4,3 in Höhe und 0,60 m lichter Breite auf Parzelle Nro. 170 a betrieben, das alte oberschlägige Rad für die Schleiferei aber unverändert beibehalten wird.
Dies wird dem Anfügen bekannt gemacht, daß etwaige Einwendungen binnen 14 Tagen bei dem Oberamt anzubringen und daß nach Verfluß der Frist, welche ihren Anfang nimmt mit dem Ablauf des Tages, an dem dieses Blatt ausgegeben wird, Einwendungen in dem Verfahren nicht mehr angebracht werden können.
Die Pläne, Zeichnungen und Beschreibungen sind auf der Oberamtskanzlei zur Einsicht aufgelegt.
Calw, den 13. Juni 1887. K. Oberamt.
Supper.
Lehrkursus für Hufschmiede.
An der K. Tierarzneischule wird nach Verfügung des K. Ministeriums des Innern, betreffend den Vollzug des Gesetzes vom 28. April 1885 über das Hufbeschlaggewerbe, vom 11. Juni 1885, Reg.-Bl. S. 215, ein 12 Wochen dauernder Unterrichtskursus für Hufschmiede in der Zeit vom 18. Juli—8. Oktober abgehalten werden. Die Kosten des Unterrichts werden von der Staatskasse getragen; jedoch haben die Schüler für ihren Unterhält selbst zu sorgen. Ein Staats, beitrag wird nicht gewährt. Die Teilnehmer an dem Kursus haben sich am Schluffe des Unterrichskurses, in Anwesenheit eines Delegierten der K. Zentralstelle für die Landwirtschaft, einer Prüfung zu unterwerfen, von deren Erstehen die Berechtigung für den Betrieb des Hufbeschlaggewerbes für den ganzen Umfang des deutschen Reiches abhängig ist.
Hufschmiede, welche diese Gelegenheit zum Zwecke ihrer weiteren Ausbildung und der Berechtigung zur Ausübung des Husschmiedgewerbes benützen
wollen, haben sich bei der Unterzeichneten Stelle, welche im Einverständnis mit der K. Zentralstelle für die Landwirtschaft über die Zulassung zu dem Kursus entscheidet, längstens bis zum 1. Juli melden.
Dem Zulaffungsgesuch sind beizulegen:
1) ein Geburtszeugnis,
2) der Nachweis der mit Erfolg bestandenen Lehrzeit im Schmiedehandwerk Und einer zweijährigen Thätigkeit als Schmiedgeselle, wobei der Bewerber Wn im Hufbeschlage beschäftigt gewesen sein muß,
3) wenn der Bewerber minderjährig ist, eine Einwilligungserklärung des Vaters oder Vormunds,
4) ein von der Gemeindebehörde des Wohnsitzes des Bewerbers ausgestelltes Prädikatszeugnis sowie eine Bescheinigung derselben darüber, daß dem Bewerber die erforderlichen Geldmittel zur Bestreitung seines Unterhalts während des Unterrichtskurses zu Gebote stehen werden,
5) eine von dem Bewerber, und, wenn derselbe minderjährig ist, auch vom Vater oder Vormund Unterzeichnete Erklärung, durch welche die Verbindlichkeit übernommen wird, die der Staatskaffe erwachsenen Unterrichtskosten zu ersetzen, wenn von dem Schüler der Unterrichtskurs vor dessen Beendigung ohne Genehmigung der K. Zentralstelle für die Landwirtschaft verlassen, oder durch eigenes Verschulden die Entfernung aus demselben veranlaßt oder die Prüfung binnen einer ihm gesetzten Frist nicht erstanden wird (§ 4 Abs. 2 der Verfügung des Ministeriums des Innern vom 11. Juni 1885).
Stuttgart, den 6. Juni 1887.
Direktion der K. Tierarzneischule:
F r i ck e r.
Oockverratsprozeß Möckkin unä Genoffea.
LO. Ueber den Verlauf des zweiten Verhandlungstages empfingen wir die folgenden Spezialtelegramme:
Leipzig, 14. Juni, 11 Uhr vormittags. Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen beginnt zunächst das Verhör des Angeklagten Köchlin. Derselbe wurde im Jahr 1883 Mitglied der Patriotenliga. Die Tendenz der Liga sei ihm nicht bekannt gewesen. Die Losreißung Elsaß-Lothringens mit Gewalt habe er nicht gebilligt. Er habe sich gedacht, Deutschland könnte im Falle einer Geldverlegenheit Elsaß-Lothringen an Frankreich abtreten. (Heiterkeit im Auditorium, worüber Angeklagter entrüstet.)
Feuilleton. ,Nachdruck vkrbolm.,
Schtoßzauber.
Novelle von ßmik Feschkau.
(Fortsetzung.)
Noch einen Augenblick stand Johanna zögernd still, als er sich ihr aber nähern wollte, verschwand sie hinter der Portiere und er hörte, wie sie den Schlüssel umdrehte.
Der Graf trat an die Thür, aber hier hielt er wieder und versank in Gedanken, vergessend wo er sich befand. Erst als das Kammermädchen verwundert den Kopf hineinstreckte, besann er sich und entfernte sich. Als er an Tinis Thür vorübereilen wollte, hörte er das Rascheln der Seide und der schwarze Lockenkopf fuhr ihm entgegen.
„Nun?"
Er zuckte die Achseln. „Sie müssen leider nach Wildenstein. Adieu?"
Er hatte schon die halbe Treppe zurückgelegt, als Tini im noch nachrief: „Sie ungeschickter Mensch!" Dann zog sie sich in ihr Zimmer zurück und sagt« seufzend: „Reisen wir halt. Aber die Tini wird Euch schon Raison beibringen!"
Schloß Wildenstein war eine Laune des Großvaters der Baronesse Johanna. In ein romantisches Waldthal gebaut, glich es mit seinen zahllosen Thürmen und Erkern, seinen Zinnen und Giebeln, seinen in der Luft schwebenden Gängen und seinen über den breiten, stets mit Wasser gefüllten, Graben führenden Zugbrücken eher einem Märchenspiel, als dem Schloß eines modernen Aristokraten. Betrat man aber das Gebäude, so war man über die seltsame Anlage noch mehr verwundert. Ein merkwürdiges Labyrinth von Gängen, Zimmern, Kammem und Sälen in denen sich nur der Eingeweihte zurecht fand. Alles anders als in andern Schlössern und bei aller Unregelmäßigkeit und Sonderbarkeit doch von einer erstaunlichen Klugheit der Anordnung zeugend. Das Rätsel des Baues löste sich, wenn man seine Entstehung kannte. Der Baron, ein halber Poet, der Phantasie und Wirklichkeit gern vermengte und ein Todfeind der Alltäglichkeit war, hatte auf einer seiner einsamen Wanderungen
einen Platz entdeckt, der ihm mit seiner bizarren Gebirgsscenerie, seiner Fülle von Ausblicken in die verschiedenartigsten Landschaften und seinem träumerisch stillen Waldgrunde so recht ans Herz wuchs. .Hier will ich rasten", sagte er sich, und in wenig Tagen schon wurden auf dem Platze lustig die Bäume gefällt und die Arbeiter hoben den Grund aus für die Fundamente des neuen Schlosses. Zunächst sollte dieses Schloß freilich nichts Anderes sein, als nur ein riesiger Thurm, eine Reihe wohnlich eingerichteter Gemächer, die übereinander lagen und aus deren Fenstern man die überraschendsten Aussichten genoß. Nun aber erwachte die Baulust des Barons und von Jahr zu Jahr wurde nach seinen eigenen Ideen ein neues Stück an den Turm gebaut, bis der Tod des Bauherrn dem phantastischen Treiben ein Ende machte. Das Schloß fiel dem Onkel der Baronesse zu, der es später ihrem Vater verkaufte. Dieser bewohnte es indeß in seinen letzten Jahren nicht mehr und es verfiel denn auch ein wenig. Der Park verwilderte, der Epheu überwucherte die Mauern und verhüllte einige Fenster gänzlich, da und dort bröckelte das nicht immer nach staatischen Gesetzen aufgeführte Mauerwerk ab, und einer der Thürme dem der Baron einen unverhältnismäßigen Erker angehängt hatte, stürzte sogar zur Hälfte ein. Aber all das erhöhte nur den Reiz des Baues auf empfängliche Gemüther, und in dem Augenblick, da sich Johanna gesagt hatte: „Ich will in die Einsamkeit fliehen", da stand auch das alte Schloß mit seiner Märchenstimmung vor ihrer Seele, und in die Wehmut, die sie empfand mengte sich etrvas wie die Freude über das Wiedersehen eines geliebten Gegenstandes.
Als man in Wildenstein ankam hatte der Winter eben seinen Einzug gehalten. Der Verwalter hatte den Schlitten nach dem Bahnhof geschickt, und das muntere Geklingel der Schellen, der pfeilschnelle Flug durch die von der Sonne beglänzte Winterlandschast stimmten Baronesse Tini, die sehr schlecht gelaunt war wieder etwas Heller. Während sie im Kuppee ziemlich einsilbig gewesen und die Fragen Johannas kaum beantwortet hatte, begann sie jetzt selbst das Gespräch.
„Das macht sich hübsch", sagte sie, als sie durch das Dorf an den erstaunt grüßenden Bauern vorüberflogen. „Wir könnten einmal einen Schlitten-Korso arrangieren !"