62 . Jahrgang

Aro. 66.

Amts- unä Intekkigenzbkatt für äen Äezir^.

Erscheint Iteurtag, Isnnerrtag L Sam»ta«.

Die Einrückungsgebühr beträgt S ^ p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.

Donnerstag, äen 9. Juni 1887.

> Abonnementspreis halbjährlich 1 ^ 80 durch l die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in

i ganz Württemberg 2 70 H.

. ArnMche WekanrrLmcrchungen.

Bekanntmachung, Schafräude betr.

Unter den Schafen des Sattlers Karl Grünemai hier ist die Schafräude erloschen, was hiemit zur öffentlichen Kenntnis gebracht wird. Calw, den 8. Juni 1887. K. Oberamt.

Supper.

'Aotttifchs Wachvichten.

Deutsches Reich.

Hamburg, 4. Juni. Die von Kiel eingetroffenen Festgäste, darunter die Minister, Mitglieder des Bundesrats und Reichstags und höhere Beamte des Reichs und Preußens versammelten sich vormittags auf der Börse, wo sie von Senator Petersen begrüßt wurden. Bürger, meister Versmann erläuterte die ausgestellten Zollanschlußpläne. Darauf erfolgte eine Rundfahrt durch die alten und neuen Stadtteile bis zum künftigen Freihafengebiet, woselbst die Fahrt per Dampfer fortgesetzt wurde. Man besichtigte die Quaiarbeiten und die großartigen Krähne. Bei der neuen Elbbrücke wurde angelegt und ein Imbiß genommen, dann wurde die Fahrt bis zum künftigen Ankerplatz der oberelbischen Schiffe fortgesetzt. Danach folgte der größte Teil der Festgäste einer Einladung Wörmanns und wohnte dem Stapellauf eines neuen Dampfers der Wörmannslinie auf der Werft Blohm und Vvß bei. Wörmann brachte ein Hoch auf die Gäste aus. Staatsminister v. Bötticher dankte und sprach seine Freude aus, auf einer Stätte deutschen Gewerbefleißes zu stehen und die Fortschritte deutscher Arbeiter und deutscher Betriebsamkeit vor sich sehen zu können; er toastete auf die Werft von Blohm und Voß. Abends fand ein vom Senat gegebenes Festessen im Hamburger Hof statt. Bürgermeister Versmann präsidierte, rechts saß v. Bötticher, links der Reichstagspräsident v. Wedell-Piesdorff. Versmann brachte ein begeistert aufgenommenes Hoch auf den Kaiser aus, sodann, die Bedeutung der gestrigen und heutigen Feierlichkeiten hervor­hebend , ein Hoch auf die Gäste. Minister v. Bötticher dankte und toastete auf den Senat. Bürgermeister Petersen toastete auf die Ehrenbürger Ham­burgs, Bismarck und Moltke, v. Wedell-Piesdorff auf die Hamburger Bürger, schüft und Hamburgs Handel. Bürgerschaftspräsident Mönkeberg dankte und toastete auf Deutschlands Heer und Marine als Beschützer und Förderer von Handel und Gewerbe. General Treskow dankte und gedachte des wehrhaften

Deutschlands. Um 9 Uhr hob Bürgermeister Versmann die Tafel auf. Danach vereinigte man sich im Alsterpavillon, von wo aus die Illumination des Alsterbassins und der Lombardsbrücke und das Feuerwerk auf der Binnen- alster besichtigt wurde. Das Wetter war herrlich.

Berlin, 5. Juni. Hiesigen Blättern zufolge hat sich der Kaiser eine Erkältung zugezogen, welche zwar durchaus keinen ernsten Charakter trägt, aber doch das Aufgeben der projektierten Reise nach Liegnitz not­wendig machte. Das bereits nach Liegnitz abgegangene Gefolge des Kaisers reist heute von dort wieder zurück. Der kommandierende General des V. Armeekorps, Generallieutenant Freiherr v. Meerscheidt-Hüllessem, ist nunmehr mit der Vertretung des Kaisers bei der Jubiläumsfeier des Königs-Grenadier-Regiments Nr. 7 beauftragt.

Berlin, 6. Juni. Das Unwohlsein des Kaisers, von dem der Reichsanzeiger* heute Mitteilung macht, besteht in einer leichten Erkältung, die mit Heiserkeit verbunden ist und auch heute noch fortdauert. Der Er­kältungszustand ist jedoch nicht von ernsteren Erscheinungen begleitet, der Kaiser konnte heute Mittag aufstehen; nur wird er das Zimmer noch hüten müssen. Wahrscheinlich hat sich der Kaiser in Kiel bei der Fahrt auf der Pommerania", die er trotz allen vorherigen Abratens nicht hatte im Stich lasten wollen, um die auf der Flotte befindlichen Mannschaften nicht zu ent­täuschen, eine leichte Erkältung zugezogen. Seine Kur. und Badereisen wird der Kaiser am 18. d. M. antreten und sich auch in diesem Sommer wieder zunächst, nach Bad Ems begeben. Der Kronprinz kam heute Vormittag von Potsdam nach Berlin, stattete nach erfolgter Ankunft sofort im kaiser­lichen Palais bei der Frau Großherzogin von Baden einen Besuch ab, nahm später im krvnprinzlichen Palais einige Vorträge entgegen und kehrte Nach­mittags nach dem neuen Palais zurück. Bei der Auffahrt zum Palais des des Kaisers wurde der Kronprinz von der, auf die Wachparade harrenden Menge stürmisch begrüßt. Dr. Magenzie ist, wie derVoss. Ztg." von Lon­don gemeldet wird, Sonntag abend nach Berlin abgereist. Wie derObserv." erfahren haben will, werde der Kronprinz alsbald nach Dr. Mackenzie's Be­suche nach London übersiedeln, um dort täglich die weiteren Besuche des eng­lischen Spezialisten zu empfangen. Späterhin werde der Kronprinz höchst wahrscheinlich das Schloß Noreis auf der Insel Wight bewohnen. Dr. Wegener und Professor Gerhardt würden den hohen Patienten vermutlich nach London begleiten. Dagegen würde derBörsenkurier" wissen, daß Dr. Mackenzie aus England schon eingetroffen wäre und am Sonntag eine neuerliche Kehlkopfuntersuchung des Kronprinzen vorgenommen hätte. Diese Untersuchung habe, wie dem Blatte mitgeteilt wird, ein durchaus günstiges

Feuilleton. »Nachdruck »krdolii!.,

Schloßzttuöer.

Novelle von Kmil Selchkau.

(Fortsetzung.)

Man stand auf und begab sich in den Nebenraum, wo die Billards und Spiel­tische standen, und über den rollenden Kugeln und den schäumenden Gläsern waren die Geschicke der Familie Larinsky bald vergessen. Während dessen hatte Fernegg seinen Schritt nach der inneren Stadt gelenkt, als er aber vor dem Hotel stand, in dein er init dem Freunde Zusammentreffen wollte, kehrte er wieder um. Es war ja noch Zeit und er hatte das Bedürfnis nach Luft, nach Bewegung, nach Zerstreuung. Das Gespräch im Kasino hatte ihn mehr erregt, als er sich selbst gestehen wollte, und immer wieder schweiften seine Gedanken zu dem schönen Mädchen mit dem stillen, ernsten Madonnengesicht und den sinnenden, tiefblickenden Augen. Sie schien ihm nicht abgeneigt zu sein, wenigstens sprach sie in Gesellschaft häufiger mit ihm als mit Andern. Ja am vergangenen Samstag, im Hause ihres Vormunds, da hatte er sie Überrascht, wie sie ihn, sich unbemerkt glaubend, einen Augenblick lang beobachtete. Als er seine Augen zu ihr wandte, schlug sie die ihren nieder und eine leichte Röte überzog ihre Wangen. Er fühlte wie das Blut fieberheiß nach seinem Kopfe strömte und wollte zu ihr eilen. Da trippelte die Komptesse Poldie heran und hielt ihn fest. Wie es ihn jetzt verdroß und anwiderte, das verführerische Lächelmund das pikante Fächcrspiel der hübschen Kokette, das noch vor wenig Tagen auch auf ihn seine Wirk­ung nicht verfehlte. Er hatte kein Ohr mehr für ihre Scherze und brachte auch nicht eine einzige galante Bemerkung über die Lippen, so daß sie ihn endlich unwillig ver­ließ. Aber die Gelegenheft war versäumt, und so oft er sich Johanna in der Folge auch näherte, sie war stets umringt von Herren und Damen.

Dann, am andern Morgen, war er wieder etwas kühler geworden. Wollte

auch er sich einen Korb holen? Hatte sie nicht Bewerber abgewiesen, die in keinet Beziehung hinter ihin zurückstanden? Sollte er, der er über Jugendthorheiten längst hinaus war, sich jetzt einem Gefühle überlassen, das so aussichtslos war? Und doch er liebte sie das sagte er sich immer wieder, das sagte er sich auch jetzt, nach­dem Johanna wieder so lebhaft vor seine Seele getreten war. Sein Schritt wurde schneller, unruhiger, er übersah die Bekannten, die an ihm vorüber eilten und ihn grüßten. Die Zeit der Begegnung mit dem Freunde war längst gekommen er dachte nicht mehr daran. Er dachte nur noch an sie und da stand er plötzlich vor ihrem Hause. Ein kleines Palais in der Vorstadt, das von der Straße durch einen kleinen Vorgarten getrennt war. Er kannte cs wohl es war nicht zum ersten Rial, daß seine Schritte sich so unwillkürlich nach diesem Ziel gerichtet hatten. Und nun war es nicht thöricht, zu zögern? War es nicht das Beste, vor sie zu treten, sie zu fragen? und wenn sie mit Nein antwortete, zu vergessen? Er ließ die Klingel wieder los. Es giebt Dinge, die man nicht vergessen kann, und sie? Hatte er nicht an jenem Abend den Zufall gepriesen, der ihm endlich das einzige Weib gezeigt, das seine Genossin werden konnte?" Das einzige Weib, deren Sprache jene zarte Empfindung, deren ganzes Leben jenen ernsten, aller Hohlheit abgewandten Sinn verriet, wie sie seinem Wesen entsprachen! Das einzige Weib, mit dem er glück­lich werden konnte! Er hatte ja diesem Glücke schon entsagt, er hatte schon Pläne für Reisen entworfen, mit denen er sein Leben ausfüllen wollte - aber jetzt war die Sehnsucht nach einem Menschenwesen, nach den weichen Armen der Liebe in seinem Herzen wieder mächtig emporgelodert. Er sah bereits, wie sich sein einsames Haus belebte, er sah sie schalten und walten darin, er saß plaudernd mit ihr am Kamine, wenn draußen die Winterstürme tobten warum sollte das Alles nicht zu erringen sein? Warum sollte er jetzt noch zögern, nachdem sie ihm bewiesen hatte, daß er ihr nicht ganz gleichgiltig war?! Er zog rasch an der Klingel, und erst als der Diener daS Gitter öffnete, besann er sich, mit welchem Vorwand er vor sic treten sollte.

Melden Sie mich in einer dringenden Angelegenheit", sagte er, und eine Minute später stand er vor ihr.

Verzeihen Sie, daß ich zu einer solch ungewohnten Stunde"