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Berlin, 24. Mai. Die gestrige Meldung des Wolff'schen Tele- graphen-Bureaus hat ohne Zweifel die weitesten Kreise der Bevölkerung, welche durch Gerüchte aller Art über das Befinden des Kronprinzen beunruhigt waren, sehr beruhigt und heutige Privatmitteilungen bestätigen, daß zur Zeit keinerlei Grund vorhanden ist für die Befürchtung, daß das Halsleiden des Kronprinzen nicht in Bälde behoben sein werde. Eine Operation hat nicht stattgefunden. Richtig ist, daß der Kronprinz an einer starken anhaltenden Heiserkeit leidet; richtig ist auch, daß die ärztliche Untersuchung das Vorhandensein einer Wucherung im Halse ergeben; dagegen ist nicht zutreffend, wenn mitgeteilt wird, daß diese Wucherung einen bösartigen Charakter trage, oder daß sie durch Operation entfernt worden sei. Es hat vielmehr die auf Grund gemeinsamer Untersuchung stattgehabte Beratung ärztlicher Autoritäten, an welcher die Professoren Bergmann und Gerhardt, sowie der Leibarzt Wegner und ein englischer Spezialist, Dr. Morel! Mackenzie, teilgenommen haben, dahin entschieden, daß die im Halse con- skalierten wucherischen Bildungen bösartiger Natur Nicht seien und daher von einem operativen Eingriffe abgesehen werden könne. Das Allgemeinbefinden des Kronprinzen ist fortgesetzt ein befriedigendes. Derselbe hat guten Appetit und Schlaf; nur ist ein Sichfernhalten von öffentlichen Akten angeraten, sonst geht und fährt der Kronprinz mit den Seinigen spazieren.
— Der „Herold" begleitet den Abdruck eines neulichen Hetzartikels der „Mosk. Ztg." gegen den deutschen Reichskanzler mit folgender, die Haltung der russischen Tagespreffe charakterisierender Bemerkung: „Fast.sämtliche Residenzblätter, in erster Reihe natürlich die „Nowoftt", wüten gegen Deutschland und würden am liebsten, wenn sie könnten, das „verräterische" Deutschland mit Krieg überziehen. Nach unserem Dafürhalten ist auf Jahre hinaus keine Aussicht, daß unsere national-russische Presse Deutschland Gerechtigkeit wiederfahren läßt; darüber täusche man sich in Deutschland nicht. Alles, was Deutschland macht oder nicht macht, sagt oder nicht sagt, denkt oder nicht denkt, ist in den Augen unserer Presse ein Verbrechen gegen Rußland, die ganze Existenz eines deutschen Reiches ,st ein Verbrechen gegen Rußland, ja, daß überhaupt eine deutsche Sprache vorhanden, daß es überhaupt Deutsche giebt oder jemals gegeben, ist ein Verbrechen gegen Rußland. Kurz und gut, mit diesen Wahnsinnigen ist nicht zu reden — die Tollwut, die doch sonst gewöhnlich eine akute, unter Paroxysmen schnell endigende Krankheit ist, ist hier eben in chronische Raserei ausgeartet."
„I Wevrnischtes.
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— Der „Tüb. Chr." berichtet man aus Oberndorf: „Ein Veteran aus dem letzten Krieg, gebürtig von einem Hofe bei Aichhal den, diess. Oberamts, welcher seither in der Gefangenschaft i nAlg i e r schmachtete, kam dieser Tage in seine Heimat zurück. Derselbe war von der südlichen Sonne und der schweren Arbeit — er mußte am Pflug das Pferd ersetzen — so gebräunt und unkenntlich geworden, daß ihn der Schultheiß nicht sofort als einen seiner Bürger anerkennen wollte. Um so eher erkannte ihn seine Frau als ihren ersten Mann; zum Unglück aber ist dieselbe mit einem anderen verheiratet, weil sie den wiedergekommenen tot geglaubt hatte. Aus der Gefangenschaft in Algier entkam der Bedauernswerte mit noch anderen Sklaven deutscher Abkunft, indem er, einen unbewachten Augenblick benutzend, den Pflug verließ und sich bei Tag in den Wäldern versteckt hielt, während er bei Nacht weiter reiste. Nach den Aussagen des Veteranen sollen noch eine größere Anzahl Deutscher als gefangen gehaltene Sklaven in Algier, schmachten." (?)
— Eine unerschöpfliche Mietskutsche. Der Bär in Berlin erzählt: Mietekutschen waren zur Zeit des Königs Friedrich II. in Berlin noch eine Seltenheit und galten für einen Luxus, den sich nur die gutsituierte Minderheit der Gesellschaft gestatten konnte. Nun kam Prinz
Heinrich auf den Einfall, den Auftrag zu erteilen, auf einem „Freiball", den er zu geben beabsichtigte, niemand zuzulassen, der nicht in einer Droschke Vorfahren würde. Diese Verordnung kam gar manchem, der sich auf den Ball gefreut hatte, sehr ungelegen. Auch 12 Friseurgehilfen, die den Ball besuchen wollten, begriffen gar bald, daß die dazu erforderlichen 3 Kutschen, ihre Mittel zu mieten nicht erlaubten. Indessen ersannen sie bald eine List, die ihnen auch gelang. 4 setzten sich in die Droschke und fuhren so langsam zum Palais, daß ihre übrigen 8 Genoffen zu Fuß Nachfolgen konnten. Als die Droschke vor dem Palais anhielt, öffneten sie beide Schläge des Wagens, und wenn rechts einer ausstieg, stieg links einer ein, begünstigt von der ^
Dunkelheit, die von den Oellampen der Thoreinfahrt nur wenig gedämpft wurde. Der Posten mochte sich allerdings schier verwundern über die Uner- schöpflichkeit der Mietskutsche; allein die Täuschung gelang vollständig und sämtliche Friseure verschwanden sehr bald im Ballsaale.
— Gute Antwort. Der Chef der bekannten Champagnerfabrik Rüderer erhielt eines Tages einen Brief folgenden Inhalts: „Mein Herr! Ich habe keinen Sous und bete Champagner an. Haben Sie die Güte, mir einen Korb voll Ihres göttlichen Getränkes zu senden. Mit ihm hoffe ich mein Elend zu vergessen." „Mein Herr!" antwortete Rüderer umgehend, „Ihr Mittel, Ihr Elend zu vergessen, taugt nichts. Die unaufhörliche und hartnäckige Präsentation meiner Rechnung würde Sie jeden Augenblick wieder an Ihre traurige Lage erinnern."
Des Lehrers ideale Gestrrrmng.
Eine Studie von Max August Baumgartner in Calw.
(Fortsetzung und Schluß.)
Liebe zum Berufe und ideales Streben sind die Wurzeln der dem Lehrer notwendigen Begeisterung. Um diese immer rege zu erhalten, ist ein fünffaches erforderlich: Liebe zur Wissenschaft, Liebe zur Kunst, Patriotismus, Korpsgeist und Zufriedenheit.
Liebe zur Wissenschaft. Mephisto in Göthes „Faust" droht: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, so Hab ich dich schon halb" und die Engelein singen: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen." Diesterweg sagt: „Der Lehrer lehrt nur solange richtig, als er tüchtig lernt. Er muß ein reiches Wissen besitzen; in seinem Gedächtnisse muß ein unerschöpflicher, täglich sich mehrender Vorrat wissenswürdiger Kenntnisse liegen, damit er jedem geben könne nach Bedürfnis, jenem leichte, diesem derbe Kraft, dem anderen Milch; einem reichen Könige gleich, in dessen gefüllter Schatzkammer sich Münzen finden von jedwedem Gehalt, jedwedem Gepräge. Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang, des Wissenswürdigen viel." Besondere Sorgfalt hat der Lehrer den Disziplinen zuzuwenden, die er für seinen Beruf braucht. Von außerordentlichem Werte ist das Studium der Geschichte der Pädagogik, denn dieses macht ihn bekannt mit Männern, die vor uneigennütziger Liebe für die Jugend und das Volk erglühten und in der Sorge darüber ihr eigenes Ich vergaßen. Wer denkt hier nicht an einen Ainos Comenius und noch viel mehr an einen Heinrich Pestalozzi? —
Ein weiterer Führer durch das Leben sei dem Lehrer die Kunst! Er habe Sinn für Poesie und Malerei, besonders aber für Musik, erhält er da- für doch schon während seiner Schulzeit eine wenn auch ganz bescheidene Anregung. Er erschließe Herz und Sinn den Schöpfungen alter und bewährter Meister! „Musik ist Kunst, mein Wunsch ihr Gunst!" Eine dritte Forderung ist Patriotismus. Der Lehrer soll frei sein, mit anderen Worten, Charakter haben heißt deutsch sein. Wir Lehrer sind die treuen Diener des Vaterlandes; wir erziehen ihm das Heranwachsende Geschlecht; wir führen ihm in den Heranwachsenden stets junges frisches Blut zu, seine kommenden Geschicke sind zum Teil in unsrer Hand, wir pflegen die Hoffnungen des Vaterlandes in unfern Mauern." (Diesterweg.) Können wir auch keine Schlachten gewinnen, so können wir doch in das zarte jugendliche Herz die
zu sprechen, weil er weiß, wie lieb ich Euch immer gehabt habe. Da hat er mir auch einmal die Geschichte von dem schönen Weibsbild, das des Königs Schwester ist, erzählt."
„Ja, die Gräfin ist w.it schöner als ich."
„L, der Herr behauptet, sie wäre nur schön, wenn man Euch nicht sähe; eine .Kienfackel leuchtet auch, und doch qualmt sie nur, wenn die Sonne dazu scheint!"
Das Blut stieg in Ebba's Wangen empor, als hätte Holger selbst das eben -gesagt und sie schaute verschämt auf ihren Erdbeerstrauß.
„Er hat mich schwer gekränkt, Ihr habt Recht", sagte sie endlich.
„Aber er hat es auch schwer gebüßt", meinte Kate, „ich will Euch etwas an- vertraurn, was niemand außer mir und meinem Tochtersohne, der sein Diener ist, weiß. Jeden Abend reitet er mit dem Frede von Harrested hinüber nach Gieddesborg, blos um Euch nahe zu sein, und wartet draußen an der Ringmauer, bis alle Lichter in der Burg verlöscht sind, besonders bis die beiden Turmfenster dunkel geworden sind."
„Das thut der Junker?" fragte Ebba erschreckt.
Ihr siel dann ein, was ihr Ole vorhin gesagt hatte, und sie war nun sicher, daß der Perwalter keine Gespenster gesehen und der Gärtner nicht blos ein Rudel Hirsche vorbeistürmen gehört.
„Ihr dürft es aber Niemandem sagen, sonst verderbt ihr ihm die letzte Freude."
Ebba fand keine Worte, um der Alten zu antworten, das, was sie soeben erfahren hatte, raubte ihr alle Fassung. Eine große Angst befiel sie plötzlich, sie möchte dem Junker begegnen, drum sagte sie:
„Ich werde nicht erst nach dem Dorfe gehen; begleite mich ein Stück Weges bis zu den Hürden."
Die Alte schwatzt» viel von ihrem Garten, ihrer Hütte und von Frede, dem Sohne ihrer Tochter, der ihr Stolz war, Ebba hörte kaum hin, ihr Herz pochte so gewaltig, als wollte es das enge Mieder sprengen.
Endlich bei den Hürden blieb sie stehen und sagte zögernd:
„Es ist also gam gewiß wahr, daß Holger mich liebt?"
„Würde er es mir wohl alle Tage sagen, wenn es nicht so wäre?"
Ebba suchte nach einer Erwiederung doch vergebens.
„Darf ich dem Herrn nichts von Euch berichten?" fragte Kate.
„Erinnere ihn daran, daß meines Vaters Namenstag in einer Woche ist."
Dann wandte sie sich hastig um und eilte den Waldweg entlang bis zur Burg, hinter deren Ringmauer sie bald mit der Dogge verschwand. —
Am nächsten Morgen war große Aufregung im Hofe und später auch im Schloß. Aus einer der Hürden waren bei Nacht zwei Lämmer gestohlen worden.
Ole meldete bei dieser Gelegenheit pflichtschuldigst die Spuckgeschichte, die Herrn Giedde vor einigen Tagen schon zu Ohren gekommen war. Der Oberjägermeister polterte gar gewaltig und gab strengen Befehl, die Wachen bei dem Vieh sorgfältiger zu beobachten.
Trotzdem hatte Ole am folgenden Morgen die traurige Pflicht, seinem Herrn zu berichten, daß in der letzten Nacht ein anderthalbjähriges Fuchsfohlen den beiden Lämmern gefolgt sei. Auf welche Weise, wann und auf welchem Wege das Tier sortgetrieben worden, war nicht zu ermitteln gewesen. Nur eins wußten die Dienstleute anzugeben, daß nach eingetretener Dunkelheit zwei Reiter auf Gieddesborg zu geritten und nach einer Stunde zurückgekehrt seien.
Ole erlaubte sich die bescheidene Bemerkung, daß das der spukhafte Jäger gewesen sein müsse. Herr Giedde schüttelte den Kopf, und Ebba, die auch zugegen war, wechselte mehrere Male die Farbe.
Endlich beschloß der Oberjägermeister nach längerem Ueberlegen, mit Ole und seinem Leibjäger Karl die nächste Nacht in den Hürden zu wachen.
Wie vorauszusehen war, und wie der Leibjäger, der mit dieser Maßregel sehr unzufrieden war, und seinen Laubsack dem harten Erdboden bei weitem vorzog, prophezeit hatte, regte sich in der ganzen Nacht nichts; nur die Blätter über den drei Männern flüsterten im leisen Winde. Mit dem ersten Morgen kehrte der Oberjägermeister müde und verschlafen mit seinen Getreuen nach der Burg zurück, ärgerlich, daß er ohne Erfolg gewacht hatte, aber durchaus nicht abgeschreckt.
(Fortsetzung folgt.)