Aro. 52

62. Jahrgang

Amts- unä Intelkigenzökalt für äen Kezirkr.

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Calwer Wochenblatt

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Hämische Wachrnchten.

Frankreich.

Paris, 1. Mai. Seit Freitag nacht ist Herr Schnäbel 6 frei. Er wurde von der deutschen Behörde in Metz mit der größten Höflichkeit in ein Coups I. Klaffe untergebracht und nach Pagny befördert, wo seine Frau bereits ihn erwartete. Er wurde mit dem Geschrei: Vivo Sokinsvdolo, vivo la krsnco! empfangen. Ec ist voll Lobes über die Aufmerksamkeit, mit der er von den deutschen Behörden während seiner ganzen Gefangenschaft, die 7 Tage lang dauerte, behandelt worden ist. Ohne sich zu Haus in Pagny oder Pont ä Mouffon aufzuhalten, fuhr er auf Befehl der Regierung sofort über Avricourt hieher, um über seine Erlebnisse an amtlicher Stelle zu berichten. Die Blätter sprechen sämtlich ihre Befriedigung aus, daß Frank­reich nunmehr seinen Schnäbel« wieder hat, und daß die Sache verhältnis­mäßig so gut abgegangen ist. Dies wird hier hauptsächlich der Geschicklichkeit des Ministers Flourens zugeschrieben, welcher sich auf juristische Erwägungen beschränkt und die Politik möglichst aus dem Spiel gelaffen habe. Einige Blätter lassen sich auch herbei, der Berliner Regierung einiges Verdienst zuzuerkennen. Es wird betont, daß die Freilassung auf Befehl des Kaisers erfolgt sei, der damit seine Friedensliebe bewiesen habe. Einige malitiöse Zeitungen lassen zwischen den Zeilen lesen, der Kaiser sei damit in einen gewissen Gegensatz zu dem Reichskanzler getreten. Ohne derartige Unter­stellungen geht es hier einmal nicht ab. Bekanntlich hat der Vielgenannte seine Freilassung dem Umstande zu verdanken, daß seine Verhaftung durch die Berliner Geheimpolizisten erfolgte, während er sich auf Einladung des deutschen Kommissars Gautsch zu einer Unterredung mit demselben auf deutsches Gebiet begeben hatte. Obgleich nun Gautsch in bestimmter Weise die Mitmissenschaft an der geplanten Verhaftung in Abrede gezogen hat, so wollte die deutsche Regierung doch auch den Schein abwenden, als ob Treu­losigkeit eines Beamten bei der Verhaftung im Spiel gewesen sei. Sie bekannte sich zu dem Grundsatz, daß einer Abmachung wie der zwischen Gautsch und Schnäbel« der Charakter eines freien Geleites innewohne. Beide Nationen .dürfen sich zu dieser Lösung beglückwünschen, welche der Empfindlichkeit keiner

von beiden zu nahe tritt und bei der jede von beiden ihren Zweck erreicht hat: Frankreich hat die Auslieferung seines Kommissärs erreicht und Deutsch­land hat nach Westen hin eine Warnung erteilt, daß es dempatriotischen", auf Störung des Friedens gerichteten Treiben von französischen Beamten an der Grenze nicht unter allen Umständen ruhig zusehen will.

Rußland.

Petersburg, 2. Mai. Das Urteil im N i h i l ist e n p r o z e ß ist gestern Abend in später Stunde gefällt worden; die Verkündigung desselben soll am Donnerstag stattfinden. Das Urteil lautet gegen 7 Angeklagte auf Todesstrafe, gegen die Uebrigen auf Verschickung nach Sibirien. In der Verhandlung beantragte der Staatsanwalt Neklujodow in einer glänzenden, eine ganze Sitzung ausfüllenden Rede gegen die 9 Angeklagten die Todesstrafe. Die Verteidiger betonten alle die Schwere ihrer Aufgabe und suchten eine Entschuldigung in der Jugend ver Angeklagten und dem ihnen auferlegten moralischen Zwang, obgleich die meisten der Angeklagten betont hatten, daß sie aus eigener Ueberzeugung an dem Anschläge teilgenommen haben.

(Straßb. P.)

Gages-Weirigkeiten.

* Calw, 4. Mai. Gestern abend gab der hiesige Kirchengesangverein seinen Mitgliedern ein Freikonzert im Jul. Dreiß'schen Saale. Dasselbe dauerte von 7>/g bis 11 Uhr und bot einen reichen, sehr mannig­fachen musikalischen Genuß. Das Programm enthielt 12 Nummern, wurde aber durch verschiedene eingelegte Harfen- und Gesangsstücke aufs reichlichste vermehrt. Nur kleinere Werke kamen zur Aufführung und es dürften viele unter den Besuchern gewesen sein, die gerade in diesen ihre größte Befriedi­gung finden, da sie jedem für musikalische Schönheit empfindlichen Gemüt hohe Befriedigung gewähren müssen. Eröffnet wurde das Konzert mit dem Chor:Singe, wem Gesang gegeben" von Stunz, gedichtet von L. Uhland, dessen hundertjähriger Geburtstag in den letzten Tagen in vielen Städten durch besondere Festaufführungen gefeiert wurde. Ein weiterer ChorEs blickt so still der Mond mich an" von A. Braun, war wie der erste von packender Wirkung und wurde in abgerundeter Weise wiedergegeben; dagegen konnten wir uns für den letzten Chor:Bleib bei mir" von Offenbach, nicht erwärmen; der Unterschied zwischen der bekannten Volksmelodie und der in diesem Lied gesungenen war ein bedeutender und es wird wohl jedermann der ersteren den Vorzug geben. Die andern Nummern des Programms be­standen aus Harfen-, Gesangs-, Klavier-, Violin- und Flötenvorträgen. Großer

JeuiLLeLon. «Nachdruck °»b°.-n.>

In SkÜA'IS.

Novelle von Wolfgang ZZrachvogel.

(Fortsetzung.)

Wenn ich Euch einlüde, noch eine Viertelstunde mit mir zu verplaudern?" fragte die Gräfin, an der Treppe stehen bleibend.

Das, was ich Euch zu sagen habe, braucht nicht so viel Zeit, es sind nur wenige Worte."

So sagt sie jetzt."

Oben erklangen schon die Schritte des Kammerdieners, der bald darauf mit einem silbernen Armleuchter voll brennender Kerzen herabgeeilt kam.

Holger sah im Halbdunkel ihre Augen glühend auf sich ruhen, da vergingen ihm Vernunft und Sinne, er schlang leidenschaftlich seinen Arm um sie und flüsterte ihr in's Ohr:

Ich liebe Euch!"

Die Gräfin hatte nichts Anderes erwartet; als sie sich aber faßte, war sie allein

er war schnell davon geeilt, und ihr Kammerdiener stand mit gebeugtem Rücken und der lächelndsten, devotesten Lakeienphysiognomie am Fuße der Treppe, um ihr emporzuleuchten.

Am andern Tage kam Holger zur gewohnten Stunde nicht, auch am zweiten und dritten machte die schöne Gräfin vergebens noch sorgfältigere Toilette als sonst

er blieb aus.

Endlich hielt sie sich nicht länger; nachdem sie bis Mittag auf ihn gewartet hatte, sandte sie am vierten Tage einen Diener zu ihm und ließ ihn bitten, mit ihr zu Abend zu speisen.

Der Bote brachte sogleich ein Schreiben des Junkers zurück, dasselbe war voll

l von Entschuldigungen und Bitten um Verzeihung wegen der Kränkung und Beleidigung, I die er ihr zugefügt.

Einige Stunden später empfing sie ihn. Holger trat schüchtern ein und blieb dicht an der Thüre stehen; sie schien ihn gar nicht zu bemerken; endlich aber blickte sie auf und reichte ihm lächelnd die Hand hin.

Er trat eilig näher und sein Mut begann zu wachsen.

Zürnt Ihr mir noch?" fragte er verlegen.

Weshalb, mein Freund?"

Wegen meiner Kühnheit von neulich Abend", brachte er stockend hervor.

Die Gräfin sah Holger lange prüfend an, und er schlug die Augen nieder, weil er ihren Blick nicht ertragen konnte.

Habt Ihr je gehört, daß die Sonne Jemandem gezürnt hätte, weil er sich an ihren Strahlen gewärmt? Wie es die Bestimmung der Sonne ist, zu wärmen, so ist es die Bestimmung des Weibes geliebt zu werden, und wahrlich, ich wüßte mix keine größere Huldigung, als eines Mannes eines edlen Mannes Neigung."

Aber ich war wahnsinnig, als ich es Euch zu sagen wagte; Euere Blicke hatten mir die Sinne geraubt und ich hatte keine Vernunft mehr." Der gute Junker schätzte die Kluft zwischen sich und dem Königskind so weit, so tief und so unüberbrückbar, daß er seine Liebeserklärung fast wie eine Majestätsbeleidigung betrachtete. Anchises kann seine Unwürdigkeit der Aphrodite gegenüber nicht so tief empfunden haben, wie unser Held, drum war der Letztere ziemlich überrascht, als ihm die Gräfin erwiderte:

So wäre das, was Ihr mir gesagt habt, nicht wahr?"

Wahr?" wiederholte Holger flüsternd.

Nun?"

Wie um sich zu dem großen Worte zu sammeln, sah Holger zu Boden als er aber auf- und in die schimmernden, schwarzen Augen schaute, da überkam ihn der Wahnwitz, der ihn an jenem Abend so plötzlich gepackt hatte, von Neuem, er warf sich vor der schönen Geliebten nieder, beugte den Kopf zur Erde und rief leidenschaftlich:

Ja, es ist wahr, verurteilt mich, so hart Ihr wollt, was kann ich denn für meine Liebe?"