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Gewissenhaftigkeit in Teinach und den umliegenden Ortschaften seinen Beruf ausübte, in Kurzem seinen derzeitigen Wirkungskreis verlassen, um nach Neckarwestheim überzusiedeln. Dieser Verlust wird eine schmerzliche Lücke bei Allen verursachen, welchen er unverdrossen und unbekümmert um Ent« fernung bei Tage und bei Nacht zur Hilfeleistung herbeieilte. Wir rufen au ch auf diesem Wege Hrn. Schrägte ein herzliches Lebewohl zu in der festen Ueberzeugung, daß es ihm am Strande des Neckars gelingen wird, die wohlverdiente Anerkennung zu erhalten.
Stuttgart, 22. Apr. Der Extrazug. welcher Ihre Maj. die Königin von Nizza nach der schwäbischen Residenz geführt, traf gestern zur festgesetzten Minute 6 Uhr 35 ein. Auf dem Bahnhof hatten sich die Angehörigen der König!. Familie versammelt: II. KK. HH. Prinz Wilhelm mit hoher Gemahlin und Mutter, der Prinzessin Friedrich K. H. und der Prinzessin Pauline, Se. Hoh. Prinz Weimar mit hoher Gemahlin, der Prinzessin Auguste K. H. mit dem Prinzen Ernst und der Prinzessin Olga, I. Kais. Hoh. die Herzogin Eugen, Se. K. Hoh. Herzog Albrecht, S. D. der Fürst von Urach; auch Fürst Hermann zu Hohenlohe-Langenburg hatte sich in Generalsunisorm eingefunde.n, ebenso der gesamte Hofstaat, Graf v. Taubenheim, Obersthofmarschall Frhr. v. Thumb, Hofjägermeister Graf v. Uxküll, die beiden Stallmeister Graf v. Gronsfeld und Frhr. v. Wöll« warth (der neuernannte Hofmarschall), ferner der Minister des Aeußern und des kgl. Hauses v. Mittnacht, der k. russ. Gesandte mit Gemahlin und dem gesamten Gesandtschaftspersonal, die höchsten Hofbeamten Präs. v. Tscherning, der russ. Probst v. Bazaroff rc. Der königl. Salonwagen war an das Ende des von Finanzrat Hörner begleiteten Zuges gestellt worden. Die Lokomotive wurde von Obermaschinenmeister Baurat Klose geleitet. Als die Königin ausgestiegen, nahm sie den Arm des Prinzen Wilhelm, begrüßte mit freundlichen Worten die einzelnen Angehörigen der K. Familie, sowie auch die anwesenden Hofstaaten und verließ am Arme des Prinzen den Bahnhof. Die Gemahlin des russischen Gesandten übergab bei der Begrüßung ein herrliches, aus lauter Rosen gebundenes Osterei mit Atlaebändern in den russischen Landesfarben. Am Portale wurde I. Maj. von der dicht gedrängten Menschenmenge mit Hochrufen begrüßt. Die Königin fuhr mit I. Kais. Hoh. der Großfürstin nach dem K. Residenzschlosse, wo die Königin vorerst Wohnung n.ehmen wird. Für die reiche Ausschmückung der Gemächer Ihrer Majestät hat die Kunst der Hofgärtner Sorge getragen. Die Königin ist bei vortrefflichem Aussehen, und es hat den Anschein, daß nur die glückliche Seite des Klimas an der Riviera Einfluß zu üben im Stande gewesen.
Stuttgart, 23. April. Pferdemarkt-Lotterie. Bei der diesmaligen Pferdemarkt-Lotterie scheinen erfreulicherweise fast sämtliche Gewinnste in Hände von Leuten gefallen zu sein, denen eine wirkliche Freude daraus erwuchs, ja nicht wenigen mag dadurch ausgeholsen worden sein. An den ersten Gewinnst küpft sich ein hübsches.Geschichtchen. Derselbe fiel dem Mälzereipächter Geis in Baienfurt bei Ravensburg zu. Als kürzlich dessen einziges Pferd krank wurde und der Vater davon bei Tisch erzählte, rührte des Vaters Sorge den etwa t2jährigen Sohn so, daß er mit Einwilligung der Mutter seiner Sparbüchse 4 entnah n und nachmittags nach Ravensburg hineinwandelte, um bei Kaufmann Leimengruber zwei Pserdemarktlose zu erstehen. Und richtig gewann das eine das große Los. Heute früh ist nun der Vater mit seinem Söhnchen hier eingetroffen, um den Gewinn abzuholen. Der zweite Gewinn traf einen Arbeiter aus Cannstatt, der dritte einen Arbeiter von Werkmeister Han gl eit er. Ferner sind bis jetzt abgeholt worden der 7. von zwei Arbeitern bei Schiedmayer U. Söhne (nicht P. Schiedmayer, wie es gestern hieß), der 22. von einem Bürger aus Ebingen und der 42. von einem Bauersmann aus Groß-Jngersheim.
Zuffenhausen, 22. April. Der Schnellzug Nr. 23, welcher die Station Zuffenhausen abends 4 Uhr passiert, ist infolge falscher Weichenstellung entgleist. Doch ist außer der teilweisen Beschädigung einiger
Personenwagen weiteres Unglück nicht zu beklagen. Der die Zentralweiche bedienende Wärter hatte, um den von Stuttgart um 3 Uhr 55 Min. abgehenden Eisenbahnzug hereinzulassen, die Weiche gezogen, während der.Schnell- zug dieselbe noch nicht passiert hatte, und so kam es, daß ein Teil der Hinteren Wagen des letzteren Zuges auf ein anderes Geleise kam, als die vorausgehenden, wodurch der Unfall herbeigeführt wurde.
Ludwigsburg, 22. April. Die hiesige Polizei ist heute vormittag einem raffinierten Gauner und Betrüger auf die Fersen gekommen, der sich als reicher Baron, als Rittergutsbesitzer oder hoher Postbeamter ausgab. Sein Auftreten und seine Manieren gaben zu keinem Zweifel Anlaß. Er wurde jedoch als arbeitsscheuer Gipser aus Neuhausen a. F. entpuppt und dem hiesigen Amtsgericht zur Bestrafung überliefert.
— In Tübingen wurde am 21. ds. Landgerichspräsident v. Boscher beerdigt. Dem reich mit Kränzen und Palmen geschmückten Sarge folgte das Korps Rhenania, welchem der Verstorbene angehört hatte, die Mitglieder des Landgerichts, des Offizierskorps, Professoren der Universität, viele Beamte und Bürger. Justizminister Dr. v. Faber hatte sich selbst zur Beerdigung eingefunden. Am Grabe legte Landgerichtsdirektor v. Häcker im Namen der Mitglieder des Landgerichts einen Kranz nieder.
Geradstetten, im Remsthal, 22. April. Seit heute blüht der erste Früh-Airschbaum.
Aalen, 2t. April. In der Nacht von gestern auf heute wurden in Unterkochen und der dazu gehörigen Parzelle Glashütte 2 freche Dieb- stähle mittelst Einbruchs verübt. Gegen Mitternacht sahen Vorübergehende in der Metzig des Metzgermeisters M. noch Licht. Zwar verwunderte man sich hierüber, schenkte jedoch der Sache keine weitere Beachtung. Am Morgen war die von der Wohnung in die Metzig führende Thüre gesperrt. Nach Ocffnnng fand man auf dem Tische ein Beil; aus der Platte war ein Stück herausgesägt und die hierdurch zugänglich gewordene Kasse ihres Inhalts mit 30—40 ^ beraubt. Außerdem ließ der Dieb 2 Schinken und geräuchertes Fleisch mitlaufen. Er hatte die hölzerne Füllung aus einem Fenster an der Hinteren Seite der Metzig herausgeschnitten und war so in dieselbe eingedrungen. — Ganz gemütlich wurde die Sache zu gleicher Zeit auf der ca. 2 Kilom. von Unterkochen entfernten Glashütte behandelt, dort schnitten der oder die Diebe eine Scheibe aus einem Fenster der Wirtschaft zum Felsen heraus, öffneten dasselbe und gelangten so mit leichter Mühe in den Wirtschaftsraum, leerten das ausliegende Füßchen mit 6-8 Liter bis auf die Nagelprobe bei obligatem Käs und Brot, warfen das Faß zum Fenster hinaus und suchten dann das Weite, wobei sie verschiedenes Schuhwerk Mitnahmen.
WevrnifcHtes.
— Ein Dankschreiben unseres Kaisers. Der Verband deutscher Architekten- und Jngenieurvereine zu Hamburg hatte, wie s. Z. > gemeldet,, dem Kaiser zu seinem 90. Geburtstag einen Tafelaufsatz übersendet. Nach den Worten des Erlasses des Kaisers in Erwiderung auf die Kunstgebungen zum 22. März glaubte der Vereinsvorstand nicht, eine besondere Erwiderung erwarten zu dürfen. Derselbe ist deshalb um so freudiger berührt durch den Empfang zweier Schreiben, das eine vom königl. Hofmarschallamt, worin Graf Perponcher den Dank des Kaisers ausspricht, der „an der Hand der eingesandten Beschreibung den dargebrachten Aufsatz eingehend besichtigt habe"; das andere ist aus dem Geheimen Zivilkabinet des Kaisers, vom Wirkl. Geh. Rat v. Wilmowsky unterzeichnet, und giebt der hohen Freude des Kaisers über das Geschenk Ausdruck. „Der Festbau, welcher sich als ein Symbol des wieder aufgerichteten Deutschen Reiches schützend über die Germania erhebt, hat sowohl in der sinnigen Erfindung, als auch in der gelungenen Ausführung Seiner Majestät lebhaften Beifall gesunden.
Die Herren des Reichsrats waren vorüber und die Wache ließ die Hellebarde sinken, zum Zeichen, daß die Beiden ihren Weg fortsetzen durften.
„Sie sind Beide sehr mächtig?" fragte Holger, den eben auf der Staatstreppe verschwindenden Räten nachsehend.
„Uhlefeld herrscht unumschränkt in Dänemark, und Friedrich III. ist nicht mehr .König als er."
„Aber Sehestedt?"
„Ist Admiral der Flotte und repräsentiert so eigentlich die Macht unseres Landes nach Außen hin. Durch die Flotte, deren Abgott er ist, übt er ein glückliches Gegengewicht gegen Uhlefeld aus — sonst wartet er nur auf eine günstige Gelegenheit, um seinen Schwager zu stürzen und selbst an seine Stelle zu treten."
Nachdem Rosenkrands und Holger schweigend die Treppe hinabgestiegen waren, fragte letzterer plötzlich:
„An wen, meint Ihr soll ich mich halten?"
„Wobei?" entgegnete Rosenkrands, dessen Gedanken bereits weiter geschweift
waren.
„Nun, ich denke, wenn zwei Männer, wie diese beiden Schwager des Königs, sich gegenüberstehen, so haben sie doch auch Beide einen mächtigen Anhang unter dem Adel, auf den sie sich stützen können."
„Natürlich."
„Glaubt Ihr nun, daß man es mit Uhlefeld oder Sehestedt hält?"
Herr Rosenkrands war durch diese eigentlich ganz nahe liegende Frage ein wenig in Verlegenheit gesetzt; nach einer Weile sagte er:
„Am klügsten thut, wer sich allein auf sich verläßt. Das Parteiwesen bei Hofe ist gefahrvoll. Wenn Du das Unglück hast, Dich für Denjenigen zu entscheiden, der später unterliegt, so magst Du arge Noth haben, wie Du Deinen Kopf auf den Schultern wahren sollst."
„Wer nichts setzt, kann nichts gewinnen, Oheim, Ihr wißt, das ist so auch beim Knöcheln — und je höher der Einsatz, desto lohnender der Gewinn."
Rosenkrands schüttelte den Kopf und nahm sich vor, dem Junker zu Hause
darüber eine Vorlesung zu halten. Holger aber fuhr in seiner leichtsinnigen Weise mit einem übermütigen Lächeln fort:
„Vorläufig werde ich mir's noch mit ansehen; gestern hat mir Jemand die Gräfin Uhlefeld gezeigt, sie ist sehr schön — nun will ich abwarten, ob die Gräfin Sehestedt wirklich noch hübscher ist, wie Kanut Reventlow behauptet, und mich dann erst für eine der Schwestern entscheiden — das ist nicht gefährlich, wie ich glaube, und wird den Kopf nicht kosten."
Als sie bald darauf in den Schloßhof hinaustraten, verließ einige Schritt von ihnen entfernt eine junge, in Pelz und Sammet gehüllte Frau eine Sänfte.
Herr Rosenkrands blieb stehen und sagte leise:
„Du hast Glück, hier kannst Du gleich die Gräfin Penz sehen, sie ist die älteste Tochter des verstorbenen Königs, aber Leute die sich darauf verstehen, meinen, ihr gebühre der Apfel des Paris vor ihren jüngeren Schwestern."
„Penz?" fragte Holger.
„Ihr Mann, der im vergangenen Jahre zu seinen Vätern versammelt wurde, war Statthalter in Holstein und besonderer Günstling Christians IV."
„O, sie ist wunderbar schön!" flüsterte Holger und staunte das herrliche Frauenbild, das sich langsam näherte, an.
„Ich will sie begrüßen", entgegnete Rosenkrands.
„Ihr kennt sie?"
„Nur zu gut", meinte der Ritter, doch Holger überhörte, in Anschauen versunken, den Ton seiner Stimme und sah nicht das vielsagende Lächeln, mit dem der Oheim seine Worte begleitete.
Die Gräfin Sophie Eleonore von Penz war damals vielleicht zweiunddreißig Jahre alt und seit länger als einem Jahre Witwe. Ihre Schönheit war von der edelsten Art, doch glich sie mit ihrer leicht gebogenen Nase, dem dunklen Haar und den brennenden schwarzen Augen mehr einer Südländerin, denn einer Tochter des grünenden Seelands. Da sie in die dicke Pelze gehüllt war, konnte ihre freie, schlanke Gestalt nicht zur Geltung kommen, doch waren auch die Art der Haltung und die Bewegungen der Bewunderung würdig. (Forts, folgt.)
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