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jedes Bauern und die Hergebung jedes Soldaten entwickeln kann. Wie ein Offizier mir kürzlich bemerkte: „Das Volk kennt Rußland und kennt den Fürsten; aber es versteht nicht eine Regierung, welche ihm nicht seinen Fürsten zurückgiebt, während sie nichts mit Rußland zu thun haben will." Die Armee glaubt, ein kurzer schwerer, aber entscheidender Kampf möge der Ausgang sein wie er wolle, sei das Beste. Die Regierung sieht weiter und erkennt die Gefahren irgend welcher voreiligen Handlungsweise wohl. Die Vorstellungen Oestreichs, Englands und besonders die Italiens haben ihres Eindrucks nicht verfehlt. Die Regierung hat sich aufs Neue bemüht, die öffentliche Meinung zu besänftigen und sowohl vor Tollkühnheit wie vor Verzweiflung zu warnen. Um aber ihren schwindenden Einfluß wieder« zugewinnen, muß sie beim Zusammentritt der Sobranje Bestimmtes entweder zur Besserung der Finanzlage oder zur Beendigung der politischen Krisis Vorschlägen. Sollte die elftere Frage befriedigend gelöst werden, so wird das Land geduldiger die Lösung des letzteren abwarten.
England.
London, 16. April. In der gestrigen Unterhaussitzung entstanden bei Beratung der irischen Strafrechtsnovelle sehr tumultarische Scenen. Der Irländer Healy nannte Saunderson wegen dessen Aeußerung, die Parnelliten hätten mit Leuten Verbindungen, welche ihnen als Mörder wohlbekannt seien, einen Lügner. Healy wurde wegen dieses Ausdrucks auf Beschluß des Hauses ausgeschlossen und verließ das Haus unter dem Beifall der Parnelliten. Hierauf nannte Sexion das Mitglied Saunderson einen Lügner. Schließlich zogen aber beide ch>e beleidigenden Aeußerungen zurück.
H crges-Hlerrigkeiten.
Calw. Am letzten Freitag nachmittag verunglückte ein junger Mann, Gipser Haas hier, als er an seinem Hause eine Reparatur vornehmen wollte. Infolge Ausgleitens stürzte er auf die Straße und war in wenigen Augenlicken tot.
Stuttgart, 15. April. Der auch in weiteren Kreisen bekannte Schriftsteller Graf Adelmann liegt als Opfer des jüngsten Erdbebens an der Riviera in Wiesbaden hoffnungslos darnieder. Gras Adelmann war bei Ausbruch der Katastrophe in Mentone und flüchtete bei dem Wüten der Elemente im Hemde auf die Straß;. Ob er sich innerliche Verletzungen zugezogen oder ob seine Krankheit eine Folge heftiger Erkältungen ist, vermögen wir nicht anzugeben. Die ihn behandelnden Aerzte befürchten das Schlimmste, sofern nicht binnen Kurzem eine Wendung zum Besseren erfolgt.
Von der Jagst, 14. April. Vorigen Sommer trat der Landwirt Hübner von Treienbach, früher Studierender der Landwirtschaft auf der Akademie Hohenheim, in die Dienste einer Handelsgesellschaft in Westafrika auf den Loosmseln (Kamerun); gestern traf die Nachricht ein, daß der junge Mann dort dem Fieber erlegen ist.
Heiden he im, 14. Apr. Fabr. Viktor Zöppritz von Mergelstetten hielt gestern abend in den Räumen der Museumsgesellschaft einen Lstünvigen Vortrag über die Riviera. Er war vor drei Wochen an der ligurischen Küste und konnte daher nach eigens gemachter Anschauung vortragen. Es gelang ihm dabei so recht die Zuhörer zu fesseln, und man glaubte sich bald selbst auf den herrlichen Küstenstrich versetzt, als ob man dort mit dem Redner, einem gelehrigen und kundigen Führer die prächtigen Gefilde durchwandere. Der Raum fehlt, um den eingehenden Vortrag des Näheren wiederzugeben. Am Schlüsse des Vortrags sprach Redner noch über das in einem Teil der R. ausgetretene Erdbeben, teilte eine genauere Zusammenstellung der beim Erdbeben Umgekommenen und Verwundeten mit, die Anzahl beider ist fast ganz gleich und beträgt etwa 500. In Bajardo gab es allein 230 Tote, aber nur 60 Verwundete. Tie Leute in jener Gegend haben sich während dieser Schreck.nszeit recht mutlos benommen und verharren heute noch in größter Unibäiigknt und Gleichgültigkeit. Die schlechte Bauart der
Gebäude sei recht viel daran schuld, daß das Erdbeben die menschlichen Wohnungen so übel zurichten konnte. Redner teilt aus der Zeit des Erdbebens mit, wie eigentümlicherweise durch einen Toten 200 Menschen das Leben erhalten blieb. In Bussano trug man einen Menschen zu Grabe. Als dieser an der dortigen Kirche vorbeigetragen wurde, folgten dem Leichenzug der Geistliche mit 200 Andächtigen, die in der Kirche waren. Kaum war die Kirche leer, so stürzte sie infolge des Erdbebens zusammen. Redner selbst konnte aus eigener Erfahrung etwas über die in R. nach dem Erdbeben noch verspürten Erdstöße Mitteilen, indem während seines Aufenthaltes daselbst drei solche die Leute ängsteten. Nachdem der Redner die Riviera wegen ihrer herrlichen Partien für Touristen noch den anwesenden jüngeren Herren empfohlen, beendigte er seinen anziehenden, lehrreichen Vortrag, dem lebhafter Beifall folgte.
Waldsee, 14. Apr. In einem Walde bei Gaishaus fanden heute Holzfuhrleute die Leiche eines 74jährigen Mannes aus der Umgegend, der vor einer Woche seine Angehörigen verlassen hatte, um bei der Oberamts, sparkasse in Wangen eine Sparkasseneinlage zu erheben und Allem nach auf dem Heimwege vom Schlage gerührt wurde. Da sich nur weniges Geld bei ihm vorfand, ist zu vermuten, daß der Verstorbene entweder sein Geld verloren hat, oder der Leichnam beraubt wurde.
* Baden-Baden, 14. April. Das herrliche Osterwetter hat uns eine große Anzahl Gäste zugeführt. Die Zahl der vom 9. bis 12. April angekommenen Fremden, welche einen längeren Aufenthalt genommen haben, beträgt ungefähr 400. Auf der Promenade herrschte reges Leben; die Kurkapelle hatte bereits den Kwsk bezogen und erfreuten sich die ersten Frühlingskonzerte im Freien zahlreichen Besuchs. Gestern schlug die Witterung plötzlich um: der warme Frühlingsregen verwandelte sich in kalte Regenschauer und heute Vormittag wirbelten die Schneeflocken durch die Luft so lustig wie im Winler. Auf den umliegenden Bergen liegt eine leichte Schneedecke, die zu dem üppigen Dunkelgrün der Wiesen einen eigentümlichen Gegensatz bildet. — Der untere Schwarzwald ist diesen Frühling mit einem neuen Luftkurort bereichert worden. Hc. S. A. Sommer hat auf dem 1000 m über dem Meere gelegenen Hundseck, unweit des Luftkurorts zum „Sand", ein mit aller Bequemlichkeit ausgestattetes Gasthaus errichtet, worauf wir Touristen und Sommerfrischler gerne aufmerksam machen.
Deutz, 13. April. Die Blutthat der beiden Pioniere klärt sich durch die Aussagen des Ueberlebenden auf. Die beiden Pioniere, als Gehilfen zur Büchsenmacherei kommandiert, hatten widerrechtlich zwei in Reparatur befindliche Gewehre genommen, dieselben mit selbstgefertigten P krönen geladen und sich damit hinter die Böschungen des Walles an den Kasematten auf die Lauer gelegt, um Katzen zu schießen. Du-ch Zufall traf den Einen die Kugel aus der Jagdflinte semes Kameraden in die Schläfe; das Gewehr hatte sich in Folge Berührung des Stechers entladen. Als der unvorsichtige Schütze die Leiche seines Kameraden sab, nahm er des ketzeren Gewehr, steckte den Lauf in den Mund und drückte ab. Aber den gesuchten Tod fand er nicht; der größte Teil des Gesichtes und der Gaumen ist völlig zerschmettert, doch ist Hoffnung vorhanden, den Schwerverletzten am Leben zu erhalten.
Hamburg, 13. April. Die Schuhmachergesellen hier, in Altona und Ottensen haben gestern wegen Lohnzwistigkeiten die Arbeit niedergelegt. In Hamburg streiken 1200, in Altona 400 Gesellen, welche sämtlich dem Fachverem angehören.
— Aus Potsdam wird geschrieben: Der Pächter der Gastwirtschaft „Zur Bavaria" in der Vrktoriastraße, Mtlius, sah sich veranlaßt, seinen 15jährigen Sohn, der ihm in der Bedienung der Gäste und im Hauswesen zur Hand ging, wegen eines mangelhaft geputzten Lampenzylinders in Gegenwart einiger Gäste ernstlich anzureden, wobei er ihm einen Klapps an den Kopf gab. Der Bursche ging auf sein Zimmer und schrieb auf den Fußboden „Ehre verloren - Alles verloren!" nahm dann einen Revolver und erschoß sich.
„Ja. Wir waren im Frühling einmal bei Euch in Harrested, als gerade Herr Nosenkrands zu Gaste da war; er ruhte sich nur einen Tag aus, ehe er seine Reise nach Ribe fortsetzte. Da hörte ich ihn sagen: „Frau Schwester, Ihr haltet den Junker noch zu sehr als Kind und vergeht immer, daß er in den zweiundzwanzig Jahren, so er zu Eurer Freude und seines Geschlechtes Hoffnung lebt, nach und nach ein stattliches Herrlein geworden."
„Das sagte der Oheim damals?" rief Holger errötend, da er sich durch ein solches Urteil vor Ebba gedemütigt fühlte.
„Das sagte er, fast Wort für Wort, wie ich es Dir berichte", beteuerte Ebba, „und noch mehr."
„Meinst Du auch, daß meine Mutter mich zu lange als Buben behandelt hat?" forschte Holger.
„Ich weiß ja nicht, wie die anderen Junker im Reiche gehalten werden", meinte sie ausweichend, „aber mach' Deiner Frau Mutter kein Uebel daraus, denn, wenn es auch nicht Recht gewesen wäre, so müßte sie schon ihre große Zärtlichkeit als Entschuldigung haben."
Holger sah sinnend über den See nach der Insel hin; zwischen den struppigen Weiden stiegen blasse Nebel auf.
„Weißt Du", fuhr Ebba nach kurzer Pause fort, mir hat meine Mutter oft von dem Leben der Junker in Kopenhagen und bei Hofe erzählt. Da wäre Keiner, meinte sie, der nicht auf daS Gotteslästerliche fluchte — die meisten tränken, bis sie unter den Tisch fielen, und spielten, so lange noch ein roter Heller in ihren Taschen wäre."
Holger schüttelte ungläubig den Kopf, doch Ebba sagte schnell!
„Sie war lange genug in Kopenhagen und würde mir so etwas nicht erzählen, wenn es nicht wahr wäre. Was sagt denn aber die Frau Wind zu Deiner Ausfahrt?"
„Jetzt begreife ich, nachdem, was Du mir von meines Oheims Reden vertraut hast, daß sie sich so bald gefügt."
Und hast Du meine Mutter schon gesprochen?
„Sie hat mich gemahnt, ich solle gut bleiben und mich brav halten."
Ebba sah den Freund groß und ernst an:
„Da hat sie gewiß recht gethan", sagte sie.
Holger wich ihrem Blick aus und schaute nach der Insel hinüber, auf der die Nebel immer dichter dem sumpfigen Erdboden entquollen, während der glutige Widerschein des Abendhimmels im See allmählig zu verlöschen begann.
So standen sie lange neben einander, ohne sich anzusehen und ohne zu reden.
Ebba sah wie eine zarte Märchengestalt aus; das üppige blonde Haar floß ungeflochten, nur leicht gewellt über den Rücken tief hernieder und war erst an den goldig schimmernden Spitzen durch ein weißes Band gefesselt.
Dem Junker war heute in der sonst so vertrauten Gespielin Gegenwart sehr unbehaglich; er hatte sich so gesehnt, mit ihr allein zu sein und auf seinem Herritte wohl hundert Mal die kleine Oration hergesagt, die er sich daheim mühsam aufgesetzt, und vermittelst derer er ihr gestehen wollte, wie lieb er sie hätte, und daß sie sein ganzes Herz ausfüllte — und jetzt war ihm der sonst so gesprächige Mund verschlossen, so daß er nicht einmal etwas Gleichgiltiges Hervorbringen konnte.
„Wir sollten bald hineinkommen", sagte er endlich, um dies für ihn sehr peinliche Stillschweigen zu endigen.
„So komm", meinte Ebba auffahrend und wandte sich um.
Schweigend, wie sie vorher bei einander gestanden, gingen sie jetzt neben ein- nander her. Nur zuweilen warf Holger einen verstohlenen Blick auf sie — sie hatte einen Strauß flattriger Monatsrosen, die inzwischen halb verwelkt waren, im Gürtel befestigt, und der Junker meinte manchmal den süßen Duft der blaffen Spätlinge einzuatmen.
So kamen sie langsam in die Nähe der hohen Rosenhecken, von denen Ebba ihren Strauß gepflückt hatte, und nur diese noch trennten sie von den Blumenanlagm. Nach wenigen Schritten mußten sie auf den freien und leicht zu überblickenden Platz vor dem Schlosse heraustreten, und er hatte ihr noch nichts gesagt.
(Fortsetzung folgt.)
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