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habe. Die Enquöte sei lediglich zu Zwecken der Information erfolgt. Baumbach (freis.) spricht gegen zu große Beschränkung der Kinder, und Frauenarbeit; auch er wünsche eine Beschränkung, aber man dürfe diesen Personen nicht jede Möglichkeit des redlichen Erwerbes entziehen. Das Prinzip der Sonntagsruhe aufzustellen, sei leicht, wenn man nicht anzugeben brauche, wie man sich die Ausführung im einzelnen denke. Die Frage der Arbeitszeit werde durch die fortschreitende Kultur besser gelöst werden, als durch gesetzliche Maßregeln. Hartmann (kons.) erklärt sich für die Anträge im allgemeinen, aus denen in der Kommission ein brauchbarer Entwurf gemacht werden könne. Oechelhäuser (nat.-lib.) behauptet die Unausführbarkeit der Anträge. — Nach den Schlußworten der Antrag, steiler werden die Anträge an eine Kommission von 28 Mitglieder verwiesen. — Nächste Sitzung morgen.
Frankreich.
Paris, 15. März. Der von Berlin zurückgekehrte Ferd. v. Lesseps wurde am Nordbahnhof von seinen Freunden empfangen. Sein erstes Wort war: ,6'est Is psix, messieurs!'* Er führte diesen Gedanken einigen Herren gegenüber noch weiter aus und sagte u. a.: Seine Absicht sei lediglich die gewesen, seinem alten Freund Herbette einen Besuch zu machen. Natürlich sei es ihm erwünscht gewesen, sich bei der Gelegenheit über die Stimmung in Berlin, über die angebliche Uebereiztheit der Armee, über die wahrscheinlichen Absichten der maßgebenden Kreise zu informieren. Nun, er sei ganz entzückt von seiner Reise. Er bringe die volle Ueberzeugung mit, daß man in Berlin den Krieg nicht wolle, auch Fürst Bismarck wolle den Frieden. Der Fürst habe ihn zweimal empfangen, am 10. und 11. März, und habe ihm am Samstag den Besuch heimgegeben. Er sei kaum eine Stunde bei ihm geblieben, er (Lesseps) sei aber bezaubert von seiner loyalen und klaren Unterhaltung und vor allem von seinen freundlichen Erklärungen. „Der Fürst machte sich eine ungenaue Idee von den Absichten unserer Regierung, er traute uns Pläne zu, die niemals von uns gehegt waren, und geheime Anwandlungen von Ungeduld, welche ihn beunruhigten und seine Nerven auf eine harte Probe stellten. Die Reichstagswahlen und die präzisen Erklä- rungen des Botschafters Herbette haben den Kanzler beruhigt und ihm die politischen Handlungen unseres Kabinets in richtigem Licht gezeigt. Das Verdienst hiebei hat einzig Herbette, und Fürst Bismarck selbst hat dies bestätigt, indem er sagte: „Herr Herbette hat seine Aufgabe — eine delikate Aufgabe, ich erkenne es heute an — vollkommen erfüllt; nie war ein Botschafter loyaler und offener. Ich schätze ihn sehr und bin glücklich, Ihnen zu wiederholen, daß dank ihm jetzt alles beruhigt, alles arrangiert ist." Ja, alles ist wieder in Ordnung, fuhr Lesseps mit einem traurigen Lächeln fort, aber wir dürfen froh sein ^ so weggekommen zu sein; der Krieg war ganz nahe bei uns, glauben Sie mir. Die Freisprechung Peyramont's ist in Berlin mit keinem Worte berührt worden; der Kanzler stehe zu hoch, um sich um solche Lappalien zu kümmern. Die Kaiserin hat mich zweimal zu sich gebeten und sagte mir, sie beschäftige sich nicht mit Politik, aber sie schätze sich glücklich, einen Franzosen zu sehen, sie liebe das schöne Frankreich und sehe es gern, wenn beide Länder in guter Harmonie leben würden; das wünsche der Kaiser und sie, die Kaiserin. Daß der Kaiser von den besten Absichten beseelt ist, ist bekannt. Ich war noch gestern in intimer Audienz bei ihm. Er sprach lange über Frankreich und bat mich um Auskunft über den Panamakanal. Ec ließ sich eine Karte des Isthmus bringen, und ich mußte ihm die Einzelheiten meines Planes, der Organisation und der Arbeiten erklären. Ec fragte mich über das Terrain, über die Schwierigkeiten und fügte hinzu, er interessiere sich sehr für dieses kolossale Werk und wünsche, daß ich reüssiere; auch wünsche er von ganzem Herzen, daß dieses Werk der Anfang einer langen Friedensaera sei. Er wünsche Frieden für jedermann, wie für das deutsche Volk."
R u f; l a n
— Ueber den geplanten Mordversuch gegen den Zaren wird noch gemeldet: Einer der Verschworenen hatte sich an die Ecke des Newski-Prospektes und der Morskaja postiert, welche die kaiserliche Familie
bei ihrer Rückfahrt von der Kirche in der Peterpaulsfeste nach dem Warschauer Bahnhof umfahren sollte, offenbar in der Berechnung, daß bei der Wendung ein langsameres Tempo eingehalten werden müßte. Der betreffende Mann, wie es sich herausstellte, ein früherer Student, trug die Bombe in der Form einer Schulmappe in der Hand. Ein Polizist sah eine rote Strippe aus dem Instrument Hervorscheinen, was seinen Verdacht erregte. Die Verhaftung erfolgte sofort und in den nächsten Augenblicken die von zwei in der Nähe befindlichen Individuen, die gleiche Schulmappen trugen. Die Meldung von der Verhaftung und dem Bombenfund wurde telegraphisch an den Kaiser abgesandt, der noch beim Gottesdienste sich befand. Der Kaiser soll in Thränen ausgebrochen sein, als er der Gefahr dachte, die seiner Familie gedroht hatte. Die Route zur Rückkehr wurde geändert und die kaiserlichen Wagen fuhren in großem Umweg nach dem Bahnhof. Ungemein zahlreiche Verhaftungen sind erfolgt; es herrscht große Bestürzung über den Vorgang in der Stadt. Großfürst Wladimir arbeitete mit den Leitern der Polizei. Verschiedene Belohnungen sind erteilt worden.
Petersburg, 17. März. Das erste Glückwunschtelegramm, welches der Zar erhielt, war von dem deutschen Kaiser. Die Berliner Geheimpolizei ließ bereits vor 14 Tagen Mitteilung hierher gelangen, daß ein Attentat beabsichtigt sei. — Warschauer Blätter berichten, daß aus Sicherheitsgründen die Verlegung der Residenz von Petersburg nach Moskau in Aussicht genommen sei.
Gcrges-Werrigkeiten.
Altensteig, 13. März. Forstwächter Krauß von Spielberg hat am verflossenen Freitag eine Schnepfe gefchoffen, für unsere Gegend und die derzeitige Witterung gewiß eine große Seltenheit.
Stuttgart, 16. März. Vor einigen Tagen sind zwei Laufbursche mit 200 unterschlagenem Gels flüchtig geworden; dieselben haben sich gestern beim Polizeiamte gestellt, nachdem sie das unterschlagene Geld verjubelt hatten. — Vor einigen Tagen wurde eine Dienstmagd hier festgenommen, welche verdächtig ist, einen Vergiftungsversuch an ihrer Dienstfrau verübt zu haben.
VomNies, 15. März. Der längere Zeit andauernde Südwestwind ist verschwunden und hat einem Nordwind erster Sorte Platz gemacht. Derselbe brachte sehr viel Schnee und bedeutende Kälte. Diese Wendung ist für die Armen höchst unangenehm, da der Holzvorrat zu Ende gehen will, angenehm aber für diejenigen, welche Holzverkäufe halten, da das Holz ziemlich hoch im Preise steht. Die Staren, Lerchen haben große Not. Auch die Saaten, besonders der Roggen, werden Not leiden, wenn es nach der alten Bauernregel geht: Märzenschnee thut den Saaten weh. Auf dem Härtsfeld, wo noch der alte Schnee liegt, wäre ein rasches Vorübergehen dieses Spätwinters sehr zu wünschen. Die Kälte hat auch den Obstbäumen mitunter zugesetzt. _^_
Kgl. Standesamt tzalw.
Vom 10. bis 16. März 1887.
Geborene:
10. März. Julie Emilie, Tochter des Julius Zapp, Spinnmeisters hier.
Gestorbene:
16. „ Babette geb. Müller, Ehefrau des Georg Thudium, fiühercn Besitzers
des .badischen Hofs- hier, 52 Jahre alt.
16. , Christiane Luise Gehring, Tochter des Friedrich Gehring, Steinhauers
hier, 17 Wochen alt.
Gottesdienste am Sonntag, den 20. März 1887.
Vom Turme Nro: 131. BormittagS-Predigt: Hr. Dekan Berg. Christenlehre mit den Töchtern. Bibelstunde, um b Uhr im Vercinshaus: Hr. Helfer Braun.
Gotteräienste ia äer Metüoäisteakapelle am Sonntag, den 20. März 1887.
Morgens stzlO Uhr, abends 6 Uhr.
2M8" Vergesset der hungernden Vögel nicht.
Jeuicceton. m°chdru-
Van Bock und meine erste Liede.
Von I-ritz Mrentano.
(Fortsetzung.)
Mein Vorschlag wurde mit einem gewissen Enthusiasmus aufgenommm und wir versprachen uns von diesem Unterricht recht gemütliche und trotzdem belehrende Plauderstunden. Es wurde festgesetzt, daß dieselben wöchentlich zweimal stattsinden und gleich am nächsten Tage beginnen sollten.
Und so zog ich denn am folgenden Nachmittage wieder die Prinzengracht hinab, als wohlbestallter Lehrer der Literatur im van der Knypsen'schen Hause. Ich muß gestehen, daß ich etwas eitel auf diese neue Stellung war. Ich fühlte mich gewissermaßen, als ich so die Straße hinabschritt, meinen Schiller unter dem Arm, den ich natürlich bereits mit einer Menge äußerst gelehrter Bemerkungen versehen hatte, damit ich mir ja gegenüber den beiden „Kindern" keine Blöse gebe.
Ach, es waren gar merkwürdige Randbemerkungen, die ich da gemacht hatte, und so oft mir heute das betreffende Exemplar des Buches wieder in die Hand fällt, kann ich mich eines stillen Lächelns über die Ausflüsse meiner damaligen Weisheit nicht erwehren.
Die erste Stunde war recht hübsch — nur glaube ich nicht, daß meine Schülerinnen viel von derselben profitierten. Sie müßten es denn als einen Gewinn bettachtet haben, zu erfahren, daß im Piquetspiel Derjenige, welcher alle Stiche in einer Pattei macht, 40 Points weiter zählt.
Hier höre ich den freundlichen Leser erstaunt fragen, wie ich vom Literatur- Unterricht plötzlich aus das Piquetspiel komme? Ich gestehe, daß der Sprung etwas seltsam ist, aber ich kam nicht darauf, sondern Herr van der Knypsen. Und das geschah folgendermaßen:
Als ich in das Haus kam, wurde ich sehr höflich empfangen und sofort zum Mittags-Kaffee eingeladen, den die Familie eben einnahm. Ich folgte der Einladung; natürlich, ich konnte doch so vieler Liebenswürdigkeit gegenüber keinen Korb geben und wir unterhielten uns dann sehr gemütlich, bis gegen vier Uhr, wo sich dem traulichen Kreis ein junges Mädchen anschloß, das von den Töchtern des Hauses besonders freundlich empfangen und mir als deren Herzensfreundin vorgestellt wurde. Da die junge Dame es sich gleich bequem machte und sichtlich die Absicht zeigte, längere Zeit hier zu bleiben, so warf ich einige so verlegene Blicke auf meinen Schiller mit den schönen Randbemerkungen, daß in denselben deutlich die Frage liegen mußte: Was wird nun aus unserer ersten Stunde?
Herr von der Knypsen verstand die stumme Anfrage sehr wohl, denn er meinte: „Wie wäre es, wenn Sie den Kindern die Lektion morgen geben würden und uns den Rest des heutigen Nachmittags widmeten? Wir spielen unsere gewöhnliche Piquet- pattie hier, wenn Ihnen nicht unbedingt daran gelegen ist, das Kaffeehaus zu besuchen."
Daran war mir nun freilich nichts gelegen, denn ich hatte des Morgens dorten mit den sechs Rangen mein tägliches Martyrium schon absolviert. Ueberdies fühlte ich mich in der Knypsen'schen Familie so behaglich, daß es mir durchaus nicht unangenehm war, bleiben zu dürfen.
Und so spielten wir denn Piquet, während die Mama, eine kleine gemütliche Frau, in einem Sessel strickte und mit der dicken Hauskatze spielte, und die „Kinder" sich mit der Freundin geheimnisvoll auf das Eifrigste unterhielten.
Mir kam diese Unterhaltung damals äußerst wichtig vor — heute weiß ich, daß, wenn junge Mädchen sich mit ver ernstesten Miene gegenseitig in das Ohr flüstern das Gespräch, sich gewöhnlich um die nichtssagendsten Dinge — etwa den Schnitt eines neuen Kragens, das Muster einer Jacke oder um eine modernere Haarfrisur dreht.
Glückliche Zeit!-
(Fortsetzung folgt.)