Amts- und Intelligenz-Blatt Kr den Obrrsmts -Bezirk Nagold.

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Donnerstag 30. Wovember

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1893.

Deutschland im heutigen Europa.

Es ist im Laufe der letzten Monate wiederholt die Ansicht ausgesprochen worden, die Verhältnisse im heutigen Europa hätten sich erheblich verändert. Man sagt, durch die russisch-französische Annäherung und infolge der hündischen Kriecherei der Franzosen vor allem, was moskowitisch heißt, sei der Zar von Rußland der eigentliche ausschlaggebende, Faktor in Europa geworden. Darin liege gegen früher die Aenderung, und das sei zu bedauern. Es ist richtig, daß heute in Wahrheit niemand anders, als Kaiser Alexander III. von Rußland die Entscheidung über einen allgemeinen europäischen Krieg in der Hand hält. Wer den Russenfanatismus in Frankreich kennt, der wird keinen Augenblick darüber im Zweifel sein, daß die Franzosen in dem Moment, in welchem der Zar winken sollte, losschlagen werden, und keine französische Regierung würde in diesem Moment dem Ausbruch der Volksleidenschaft gewachsen sein. Entwe­der würde sie blind der blinden Masse folgen müssen, oder aber ihre letzte Stunde würde geschlagen haben. Das kann der russische Selbstherrscher bewirken, da die übrigen europäischen Nationen entschieden fried­liebend sind, so ist er ausschlaggebende Person in Europa insofern, als er den kriegslustigen Staat, und damit den Krieg selbst im Zaume hält. Aber bedeutet das ausschlaggebend, wenn man die un­heimliche Macht besitzt, eine große Massenwürgerei herbeizusühren, welcher der, der die Furien wildester Leidenschaft entfesselt, zuerst zum Opfer fallen kann, und zwar sehr leicht fallen kann? Man wird das kaum sagen können. Kaiser Alexander wäre die ausschlaggebende Macht in Europa, doch nur dann in Wahrheit, wenn er nicht allein über den Krieg zu gebieten hätte, sondern auch über den Sieg. Und wer will das wohl behaupten? Gewiß, dem deut­schen Volke ist bei dem Gedanken an einen Krieg nicht freudig zu Mute, aber davon, daß wir vor­demausschlaggebenden" Manne und seiner Armee Angst zu haben brauchten, kann doch nicht die Rede sein. Ist er ausschlaggebend, sind wir krastbewußt und siegesfreudig, und sollte dann eben der Krieg trotz unserer Friedensliebe unabwendbar sein, dann klopft man jenem eben das Ausschlaggebende aus und daseuropäische Gleichgewicht" ist wieder her­gestellt, wenn es eben überhaupt gestört worden war.

Diese Rolle, welche der Kaiser von Rußland inne hat, hat er sich nur dadurch erworben, daß er seine Abneigung gegen die französische Republik fallen ließ, die chm vorher nicht hoffähig erschienen war. Daß er sie anerkennen mußte, wenn er eben diese Rolle spielen wollte, schreibt sich nicht daher, daß irgend Jemand es mit den Rußen verdorben hat, sondern daher, daß die russische Orientpolitik des Zaren Rußland in eine Sackgasse geführt hatte, in der es weder vorwärts noch rückwärts konnte. Lieber brach Alexander III. mit allen Erinnerungen seiner Dynastie, als daß er noch länger in dieser unbehaglichen Lage blieb, für welche doch nur er allein die Schuld trug. Hätte Rußland über Frank­reich verfügen wollen, es hätte das schon vor heute und zwanzig Jahren gekonnt, denn ununterbrochen haben die Franzosen nach dem Rockzipfel des Zaren geschaut, ob sie ihn nicht küssen können. Damals hielt man in Petersburg aus größeres politisches Renommee, als heute und sich darum die Franzoseu vom Leibe. Der Haß der Moskowiter war schon zu Ende der siebziger Jahre gegen Deutschland so groß, daß man je eher, je lieber gegen Deutschland ins Feld gezogen wäre, wenn man sich nur etwas

stärker gefühlt hätte. Die Hetze, die damals von

General Skobelew, dem Moskauer Redakteur Kalkow und sonstigen lieben Seelen gegen Alles, was Deutsch hieß, ins Werk gesetzt wurde, übertraf die allerjüng­sten Leistungen der Deutschenhetze erheblich. In die­sen Tagen erst ist ein Brief des zweiten Alexanders an seinen Oheim, den alten Kaiser Wilhelm I. be­kannt geworden, welcher einer halben Kriegserklärung glich und den schleunigen Abschluß des deutsch-öster­reichischen Bündnisses zur Folge hatte. Die Situa­tion war also zu jener Zeit gefährlich genug, ge­fährlicher sogar als heute. Dann starb Alexander II, und sein Sohn, der heutige Zar, bestieg den Thron. Bis dahin war er entschiedener Franzosenfreund und ebenso entschiedener Deutschenfeind gewesen. Die Ermordung seines Vaters nahm ihn gegen die fran­zösischen Republikaner ein, aber er kehrte am Ende doch zu seinen früheren Neigungen zurück, weil er sich keinen anderen Rat wußte, und jedenfalls trug dieser Schritt, das ist Alexander III., zur Ehre an­zurechnen, kein Kriegsprogramm in sich. Aber große Veränderungen haben wir hier nicht erlebt, allerhöch- stens Uebergänge.

Deutschland aber hat nun statt des einen frühe­ren Verbündeten Oesterreich-IIngarn deren zwei, näm­lich noch Italien, es kann auch in gewissen Fällen auf England rechnen. Das ist keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung, und wenn auch unser einer Verbündeter, Italien, im Moment eine politische Krisis zu überstehen hat, so wird doch das eigent­liche Machtgefüge des italienischen Staate» hierdurch nicht berührt. Politisch hat sich also zu unserem Nach­teil nichts geändert, es mag manches bestimmter in die Erscheinung getreten sein, als es früher der Fall gewesen, aber die Thatsachen, die heute bestehen, be­standen im Wesentlichen auch schon früher. Was sich in Europa geändert hat, liegt nicht auf politi­schem, sondern aus wirtschaftlichem Gebiete, und diese Aenderung mußte kommen, denn die Industrie hat iu allen Staaten, ohne jede Ausnahme, eine wahre Riesenentwicklung genommen. Wodurch diese Ent­wicklung befördert worden ist, ist am Ende gleich- giltig; genug, daß sie da ist, und deshalb muß mit dieser Thatsache gerechnet werden. Es wäre unseren Reichstagsabgeordneten in der That zu wünschen, daß sie einmal eine Rundreise durch ganz Europa unternehmen möchten, sie würden über manches ins Klare kommen, bezüglich dessen augenblicklich noch Meinungsverschiedenheiten bestehen. Es ist überall anders geworden, weit mehr als Jemand denkt, der ruhig hinter den deutschen Grenzpfählen verharrt.

Tages-Weuigkellen.

Deutsches Ueich.

Nagold. (Gewerbe-Vereinliches.) Im Reichs­tag wurde mit Beratung der neuen Steuergesetze bereits begonnen; um nichts zu versäumen, hat der Gewerbeverein die in dieser Angelegenheit projektierte Eingabe schleunigst abgehen lassen, und wird infolge dessen die in diesen Tagen abzuhaltene Versammlung unterbleiben.

s?s Nagold, 28 . Nov. In gewohnter Weise feierte der Militär-Verein den Gedenktag der Schlacht von Champigny. Der Saal des Gasthofs zur Post war vollständig besetzt, und wir sehen daran immer aufs neue, wie der hiesige Militärverein es versteht, seine Mitglieder anzuregen und einmütig zusammen­zuhalten. Sticht wenig trug hiezu der neugegründete, lebensfähige Singkranz des Vereins bei. Es war eine Freude zu sehen, wie junge und alte Sänger

mit Eifer sich bemühten, ihr Bestes zu geben. Die

Stimmmittel sind recht gute und mit jedem neuen Auftreten sind Fortschritte zu konstatieren. Eröffnet wurde der Abend mit dem Lied:Wir grüßen dich, du Land der Kraft und Treue", es folgte sodann: Urvater Rhein" v. Möhring,Schlachtengebet" v. Himmel,Nimm deine schönsten Melodien" u. a. Wir beglückwünschten den Verein zu seiner neuesten Leistung und möchten ihm für sein künftiges Streben nur noch den Rat geben, daß eine gewisse Hast im Vortrag, die sich zwar etwas gemildert hat, noch mehr abzulegen wäre, auch sind im Tenor einzelne Stimmen noch etwas zu bügeln; die vortrefflichen Stimmmittel, die gerade hier zu finden sind, kommen noch nicht in richtiger Weise zur Geltung. Als Redner wurde von Seiten des Vereins Hr. Ober­lehrer Schwarzmayer gewonnen. Derselbe verstand es in vortrefflicher Weise des Tages selbst zu ge­denken, insbesondere aber verbreitete er sich mit großem Geschick über die Aufgabe und Bedeutung der Mili­tärvereine überhaupt. Wir geben die interessante Rede rm Auszug wieder: Die große Zeit des deutsch­französischen Kriegs tritt uns heute wieder vor die Seele, eine Zeit, in der alle deutschen Stämme wett- geeisert haben in Tapferkeit und Heldensinn, wo ein Stamm es dem andern in diesen Tugenden zuvor thun wollte, wo sich jeder zurückgesetzt fühlte, wenn er längere Zeit keine Gelegenheit fand, sich aktiv an großen Entscheidungen zu beteiligen. In dieser Lage befanden sich namentlich die Württem- herger, die bei Wörth, Sedan und zum Teil bei Paris nur mit Nebensächlichem betraut waren. Alle anderen Stämme, Preußen. Bayern, Sachsen, Ba­denser und Hessen hatten schon reichlich Lorbeeren gepflückt, nur die Württemberg er gingen bis jetzt meistens leer aus. Da aus einmal wendete sich das Blatt, der Ruf der tapsern Schwaben erscholl durch ganz Deutschland und aus dem Mund des obersten Feldherrn ernteten sie das höchste Lob. Das verdanken sie den Tagen von Villiers und Cham­pigny, Tage, die zu den glorreichsten des ganzen Kriegs zählen, die sich ebenbürtig den Ruhmestagen der andern deutschen Stämme, anreihen. Diese Kämpfe alle aber haben das gemeinsame, daß sie nicht nur das höchste Maß milit. Tüchtigkeit und Tapferkeit voraussetzten, sondern von jedem einzelnen Mann auch eine Ausdauer, Zähigkeit und Willens­stärke forderten, die nur der leisten kann, der sich des vollen Ernstes der Lage und der persönlich aus ihm ruhenden Verantwortung bewußt ist. Das ist das Geheimnis des Heldentums. Ist ein Heer von diesem Geiste durchdrungen, so ist es unüberwind­lich, dies zeigten die Württemberger auch bei Villiers und Champigny. Die heutige Feier gilt nun in erster Linie den Mitgliedern des Vereins, die den Krieg mitmachten, den Helden von Champigny. Aber für den Verein im allgemeinen sollte die Feier eine höhere Bedeutung erlangen. Die schönste Frucht des deutsch-französischen Kriegs ist ja die Einigung der deutschen Stämme, das auf Frankreichs Boden errichtete deutsche Reich. Man pries sich damals glücklich, die Errichtung des deutschen Kaisertums miterlebt zu haben und nun Glied eines großen mächtigen Reichs zu sein. Die Begeisterung jener Lage ist nun freilich verrauscht und mußte verrauschen, aber daß an ihrer Stelle schon nach so kurzer Zeit fruchtloser Parteihader die Kraft des deutschen Volkes verzehre, statt dieselbe zum Gedeihen des Reiches zu verwerten, das hätte man damals nicht für möglich gehalten. Es bewährt sich die alte Erfahrung: Es ist leichter, ein Vermögen erwerben, als es er-

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