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1893.

Zur Lutlajslmg des Fürsten Bismarck.

Ueber die Vorgänge bei der Entlassung des Für­sten Bismarck bringt Dr. Hans Blum's WerkDas Deutsche Reich zur Zeit Bismarck's" allerlei Mit­teilungen, die zum Teil auf Gespräche mit dem Altreichskanzler selbst zurückzuführen sind. Wir he­ben aus diesen Erinnerungen, in denen Altes und Neues, Bekanntes und weniger Bekanntes verfloch­ten ist, einige interessantere Züge heraus. Ueber den direkten Anlaß zum Konflikt zwischen Kaiser und Kanzler, den vielbesprochenen Besuch Windthorsts bei Bismarck wird in Bestätigung und Ergänzung früherer Mitteilungen berichtet: Sobald der Kaiser von diesem Vorgang erfuhr, sandte er den Chef des Zivilkabinetts v. Lucanus an den Reichskanzler mit dem Gebot, der Kaiser fordere vom Fürsten Bismarck, daß dieser dem Kaiser zuvor» Bericht er­statte, wenn er Abgeordnete bei sich empfangen wolle, um mit ihnen politische Gespräche zu führen. Fürst Bismarck erwiderte daraus etwa: Er bitte Sr. Ma­jestät zu sagen, er lasse niemanden über seine Schwelle verfügen. Danach erschien der Kaiser am 15. März ganz früh, als Fürst Bismarck noch im Bette lag, im Palais des Reichskanzlers und ver­langte diesen sofort zu sprechen. Fürst Bismarck kleidete sich rasch an und trat dem Kaiser gegenüber. Der Monarch fragte den Fürsten erregt, was seine Unterhandlungen mit Windthorst zu bedeuten hätten. Bismarck erwiderte, daß es sich um Privatangele­genheiten gehandelt habe. Darauf betonte der Kai­ser, daß er das Recht habe, von Verhandlungen seines Kanzlers mit einem Parteiführer wie Windt­horst rechtzeitig zu erfahren. Diesen Anspruch wies Bismarck mit der Erklärung zurück, daß er seinen Verkehr mit Abgeordneten keiner Aufsicht unterwer­fen und über seine Schwelle niemanden gebieten lasse. Die Scene nahm dann etwa folgenden weiteren Ver­lauf:Auch nicht, wenn ich es Ihnen als Ihr Souverain befehle?" rief der Kaiser in großer Er­regung.Der Befehl meines Herrn endet am Sa­lon meiner Frau," erwiderte Bismarck fest. Dann setzte er noch hinzu: Nur infolge eines Versprechens an jöaiser Wilhelm I., einst seinem Enkel zu dienen, sei er in seiner Stellung verblieben. Er sei aber gern bereit, sich in den Ruhestand zurückzuziehen, wenn er dem Kaiser unbequem werde.

Der Kaiser sandte dann den Chef des Zivilka- binets von Lucanus an Bismarck mit der Auffor­derung zur Einreichung des Entlassungsgesuches und mit der Ankündigung, der Kaiser wolle den Fürsten Bismarck bei diesem Anlaß zum Herzog von Lauen­burg ernennen. Bismarck erwiderte, das hätte er schon lange werden können, wenn sein Streben da­nach gestanden hätte. Auch das Anerbieten einer Dotation zur standesgemäßen Führung des Her- zogstitels wies Bismarck zurück, indem er ungefähr äußerte, mau könne ihm doch nicht zumuten, seine Laufbahn damit zu schließen, daß er einer Gratifi­kation, wie sie eifrigen Postbeamten zu Neujahr zuteil werde, uachlaufe.

In Betreff der Denkschrift, in welcher Fürst Bismarck sein Entlassungsgesuch begründet, sagt Blum: Bismarck erörterte darin die Gründe, welche ihm, wenn nicht der bestimmte Befehl des Kaisers vorläge, den Rücktritt, trotz seiner Jahre und seiner Gesundheitsverhältnisse, im Staatsinteresse nicht er­laubt erscheinen ließen. Dieses sogenannteEntlas- sungsgesuch" dürfte also in Wahrheit die nachdrück­lichste Begründung der "Notwendigkeit von Bismarcks Bleiben im Amte erhalten haben. Daß diese Be­

gründung mit der ganzen Wucht und überzeugenden Kraft einer Staatsschrist Bismarck's geführt sein wird, läßt sich bei der großen Wichtigkeit, welche der Fürst aus ihre Abfassung legte, ohne weiteres vermuten.

Ueber die Verabschiedung des Altkanzlers rm Kaiserschlosse (26. März) erzählt Blum: Fast an­derthalb Stunden dauerte der Aufenthalt des Für­sten im Schlosse. Zunächst erschien beim Eintritt die Kaiserin mit den Prinzen. Sie nahm herzlichen Abschied von dem Entlassenen, drückte dem treuen Manne fest die Hand und ries ihm ergriffen:Le­ben Sie wohl!" zu. Die Prinzen stimmten in den Ruf mit ein. Erst nach dieser Scene kam der Kat ser. Was er mit dem Fürsten gesprochen, ist nicht bekannt geworden.

Hages-Weuigkeiten.

Deutsches Reich.

o Nagold, 24. Novbr. Die auf gestern Abend einberufene Versammlung des hiesigen Ge­werbevereins im Gasth.z. Rößle" hatte keinen besonders zahlreichen Besuch, destomehr ein warmes, reges Interesse für unfern Gewerbestand. Herr Kommerzienrat Sannwald eröffnete die Sitzung und erteilte Herrn Stadtschultheiß Brodbeck das Wort. Hr. Stadtschultheiß berichtete in erläuternden Worten über die XXXV. Wanderversammlung der württemb. Gewerbevereine zu Cannstatt am 3., 4. und 5. Septbr., (siehe den bereits gebrachten Spe­zialbericht) an der die Herren Stadtschultheiß Brod­beck, Fabrikant Koch, Kaufm. Hettler, Buchdruk- kereibes. E. Zaiser und Maler Hespeler teilge­nommen haben. Nachdem Redner das Kassenwesen in einigen Zahlen erläuterte, (der Verband zählt 78 Vereine mit ca. 10,000 Mitgliedern und besitzt ein Vermögen von 1928 22 I) gab er uns ein

umfangreiches Bild vom Standpunkt des gewerbli­chen Lebens. Das erste war die Vertretung der Interessen des Kleingewerbestands durch event. Errichtung eigentlicher Gewerbekam­mern. Schon im Jahre 1878 wurde in Magde­burg die Resolution gefaßt:Das Handwerk ist be­rechtigt, die Einsetzung solcher Kammern zu verlangen, welche in beständiger Fühlung mit der Gesetzgebung es möglich machen, daß die das Handwerk berüh­rende Gesetze nur nach Anhören der Sachver­ständigen des Handwerks zu Stande kommen. Nach den vielfach erwähnten Vorschlägen des preu- sischen Handelsministeriums würden drei Organe die Aufgaben im Handwerk erfüllen:Die bestehen­den Innungen, die neuen Fachgenossenschaften und die neuen Gewerbekammern. Nachdem den neuen Fachgenossenschaften der größte Teil der Rechte zufallen würde, bieten sie dann die Grund­lage des Handwerks. Daraus sollen die Handwer­kerkammern gebildet werden, wobei die Zahl der von den einzelnen Mitgliedern nach Anhörung Gewerbetreibender durch die höhere Verwaltungs­behörde bestimmt werden soll. Als obligatorische Aufgabe wird folgendes bezeichnet: Die Aufsicht über die Fachgenossenschaften und Innungen ihres Bezirks, die Aufsicht über die Durchführung der Vorschriften für das Lehrlingswesen, die Wahrnehmung der ihnen auf dein Gebiete des Lehrlingswesens übertragenen Obliegenheiten, Mitwirkung bei Ueberwachung der Arbeiterschutzbestimmungen, Sorge für Arbeitsnach­weis, Herbergswesen und Berichterstattung über ge­werbliche Fragen. Als fakultative Aufgaben wur­den ausgeführt: Beratung von Einrichtungen, die

zur Förderung der Ausbildung von Gesellen und

Lehrlingen und Errichtung von Fachschulen, wobei sie über An- und Abmeldung der Gesellen und Lehr­linge bei den Fachgenossenschaften Vorschriften er­lassen dürfen. Für die Handwerkerkammer soll von der Landeszentralbehörde ein Kommissar bestellt wer­den, der die Rechte eines Mitglieds der Kammer, aber ohne Stimmrecht hat. Derselbe kann Beschlüsse der Kammer mit aufschiebender Wirkung bean­standen. Die Handwerkerkammern sollen Korpora­tionsrechte haben. In Verbindung hiemit sollen die Befugnisse der Innungen, die sich über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus erstrecken, aufgehoben wer­den. Die Kosten der Handwerkerkammern sollen, soweit sie in den sonstigen Einnahmen keine Deckung finden, von den Fachgenossenschaften durch jährliche Beiträge ausgebracht werden. Diese Vorschläge pla­nen somit eine Zwangsorganisation des gesamten Handwerks. Zur Erleichterung der Berufswahl würde sich die allgemeine Einrichtung von Lehr­lingsschulen (Handarbeitsunterricht) an den Volks­schulen empfehlen, wie sie bereits in Frankreich und Oesterreich mit gutem Erfolg eingeführt sind. Diese Schulen gewähren Knaben vom 12. Lebensjahr ab neben gewerblicher Ausbildung eine Vervollständi­gung des Elementarunterrichts. Die Fähigkeiten und Neigungen der jungen Leute werden dadurch geweckt und die Aklle eines verfehlten Berufes wer­den seltener. Für die Vertretung der Interessen von Handel und Gewerbe sind als einheitliche Ver­bände die Handels- und Gewerbekammern beizube­halten, und vor allem ist darauf zu sehen, daß der Kleingewerbetreibende (1s aus dem Kleinge­werbestand und Vs aus der Großindustrie) in die Handelskammer gewählt wird. Die Kosten der Han­dels- und Gewerbekammern sollen nicht von der Staatskasse getragen werden, um selbst Summen nach Belieben einstellen zu können, denn da würde die eine Handelskammer opulenter sein, als die an­dere und der Staat kann unmöglich bloß den Zahler machen und nicht mitthun. In dem Moment, da der Staat die Kosten übernehmen würde, müßte er sich für jede einzelne Ausgabe auch das volle Genehmi­gungsrecht Vorbehalten und damit wäre es mit der Selbständigkeit der Handels- und Gewerbekammern aus. Redner kommt auf die Errichtung von Fi­lialen der württemb. Notenbank an einzelnen Plätzen des Landes zu sprechen und betont, daß die württemb. Notenbank die Verhältnisse von Handel, Industrie und Gewerbe unseres engeren Vaterlan­des besser kennt und daß sie den Bedürfnissen in einzelnen Fällen eher Rechnung tragen kann, als die Reichsbank. Der Verwaltungsapparat ist bei der württ. Notenbank kleiner beisammen, und es können in besonders wichtigen Fällen kurzer Hand Beschlüsse gefaßt werden, die ein Geschäft rasch erledigen, während der Beamte der Reichsbank an den Buch­staben seiner sehr strengen Vorschriften gebunden ist und hiervon unter keinen Umständen abweichen darf. Der gestellte Antrag, dafür zu sorgen, daß die übri­gen württemb. Banknoten auch in Deutschland ange­nommen werden, wurde allerseits unterstützt u. doch drang derselbe nicht durch, vielmehr wurde der Regie­rungsantrag angenommen, in einzelnen notwendigen Fällen Filialen der württ. Notenbank zu errrichten. Redner brachte noch mehrere interessante Einzelheiten des Gewerbetages zum Ausdruck und nach den von der Versammlung beigestimmten Dankesworten ging der Vorsitzende Herr Kommerzienrath Sannwald zum Kern der Sache über:Die Petition des Handels- u. Gewerbevereins Heilbronn über