erhob bis jetzt als Beitrag 1' 2 pCt. des ortsüblichen Taglohns. Im Dezember 1892 beschloß der Ge-^ meinderat, gedrängt von Arbeitern und Arbeitgebern, den bis dahin beibehaltenen Aerztezwang auszuheben und jedem kranken Versicherten die Wahl unter den 5 hiesigen Aerzten zu lassen. Die Folgen dieses Schrittes ließen nicht lange auf sich warten. War schon unter dem Aerztezwang zweifellos mit Jnan- spruchnahme ärztlicher Hilfe Mißbrauch getrieben, so steigerte sich jetzt dieser Mißbrauch ins Unglaubliche, indem in den ersten 9 Monaten zur Deckung der Ausgaben dem Reservefonds 3000 , /< entnommen werden mußten. Trotz einer stattgefundenen Beiträgeerhöhung konnte das Gleichgeivicht nicht hergestellt werden, und jetzt soll die Errichtung einer Ortskrankenkasse in Frage kommen.
^ Brandfall: In Wolfschlugen Haus und Scheuer des Fuhrmann Roth.
Aussichten im Volksschuldienst. Uebersetzung fast aller Berussarten ist gegenwärtig die stehende Klage, und manchem Familienvater wird es zurzeit schwer gemacht, für seine Söhne die richtige Berufswahl zu treffen. Entsprechende Aufklärung über die jeweiligen Aussichten in den einzelnen Berufsarten ist daher sehr angezeigt. So sind z. B. die Verhältnisse im Volksschüldienfte recht ungünstige geworden. starke Andrang von Kandidaten Mitte der 75er und Anfangs der 80er Jahre hat es mit sich gebracht, daß die definitive Anstellung immer weiter hinausrückt. Im Schuljahre 1892,93 standen unter 77 definitiv angestellten Kandidaten im 27. Lebensjahre keiner, im 28. 9"/», im 29. 33,8",», im 30. 39".., im 31. 11,7»/«, im 32. 3,9»,«, im 33. 1,3»,» und im 36. Lebensjahre eben- falls 13»«. Infolge des weiten Hinausrückens der definitiven Anstellung verlängert sich in entsprechender Weise die Lehrgehilfenzeit, so daß Leute nach fünfjähriger anstrengender Vorbereitungszeit noch im Alter von 25—27 Jahren neben einem heizbaren Zimmer mit dem unentbehrlichsten Mobiliar, 2 Rm. Buchenholz und 7 ',2 Zentner Dinkel je nach dem Anstellungsort 500, 520 und 540 , Gehalt beziehen , wozu nach zurückgelegtem 25. Lebensjahre noch 50 ..N staatliche Zulage kommen. Wohl haben verschiedene Gemeinden aus freien Stücken zum Teil namhaft aufgebessert; aber weitaus die meisten thun eben nichts, solange sie nicht durch das Gesetz gezwungen werden. Wenn der Staat nicht in Bälde umfassende Maßregeln ergreift durch Erhöhung der mehr als bescheidenen Lehrgehilfen- und Unterlehrersgehälter (letztere betragen neben den obengenannten Naturalbezügen nach dem Anstellungsorte, ob Gemeinde III., 11. oder!. Klasse, 600, 640 und 680 M), durch entsprechende Versorgung unständiger Lehrer in Krankheitsfällen, wie auch durch Errichtung einer großen Anzahl definitiver Schulstellen, so geht der evangelische Lehrerstand Württembergs einer Notlage entgegen, wie sie zum großen Nachteil der Schule und damit der Volksbildung in den 50er Jahren schon einmal vorhanden war und gegen welche das Los des geringstbezahlten jugendlichen Arbeiters noch glänzend zu nennen ist. (N. T.)
München, 13. Nov. Im Laufe des heutigen Tages sind alle Fürstlichkeiten zu der Hochzeit des Erzherzogs Joseph August mit der Prinzessin!Auguste, zweiten Tochter des Prinzen Leopold, hier eingetros- fen. Um 10 Uhr traf der Kaiser von Oesterreich aus Wien ein, und um 12 Uhr dessen ältester Bruder, Erzherzog Karl Ludwig. Sämtliche Fürstlichkeiten wurden am Bahnhofe von dem Prinzregenten empfangen. Vor dem Palais Leopold brachten dem Brautpaare Abends halb 8 Uhr 54 hiesige Gesangvereine eine Serenade dar.
Dresden, 15. Nov. Das amtliche „Dresdener Journal" meldet, daß Seine Majestät der .König unter mäßigen Fiebererscheinungen an Bronchialkatarrh ertrankt ist und das Bett hüten muß.
Köln, 16. Nov. Bei dem Festessen in Gürzenich anläßlich der Einweihung des neuen Postgebäudes brachte Dr. Stephan einen Toast auf den Kaiser aus: Wer das Glück habe, in der Nähe des Monarchen zu weilen, wisse, mit wie scharfem Geist der Kaiser alle zum Wohlstände der Nation führenden Elemente durchdringe. Dazu gehöre das Verkehrswesen. Der Kaiser verfolge mit eingehendem Interesse alle Fortschritte. Die sicherste Gewähr für das Gedeihen und die Entwicklung des Handels und Verkehrs sei der Friede; alle wissen, mit welcher Weisheit der Kaiser auf Erhaltung dieses kostbaren
Gutes bedacht ist, die Verstärkung der Machtmittel! habe diesen Zweck. Deutschlands Freunde wüßten, was sie an deutscher Treue und Macht für Helfer- Haben.
Schneidemühl, 14. Nov. Der Magistrat und die Stadtverordneten haben in der gestrigen Sitzung beschlossen, daß, wenn die Arbeiten des Brunnenmeisters Beyer bis Samstag erfolglos blieben, alsdann der Plan des Oberbaurats Freund zur Ausführung kommen soll. Nach diesem Plan soll der Brunnen nüt Sand und Erde ausgefüllt werden und auf die Ausfüllung eine Lage Faschinen und Sandsäcke geschichtet werden, lieber das ganze Brunnen-Terrain wird dann eine kugelförmige Sandaufschüttung gehäuft, deren Gewicht den Druck des Waffers aufheben soll.
Hannover, 15. Nov. Ein Nachspiel zu dem großen Spieler- und Wucher-Prozeß begann heute vor der Strafkammer des hiesigen Landgerichts. Es sind des gewerbs- u. gewohnheitsmäßigen Wuchers angeklagt: Rentner Krain und Frau Guhl aus Berlin, die Agenten Hollmann und Hirsch und die Witwe Schwieger aus Hannover. Den Angeklagten steht eine Reihe von Verteidigern zur Seite.
Der Kaiser wird den Reichstag in Person durch eine feierliche Thronrede eröffnen, deren Wortlaut in der letzten Sitzung des Bundesrats festgestellt und dem Kaiser seitens des Reichskanzlers bereits vorgelegt ist. Wie man vernimmt, wird die Thronrede besonders die Reform des Reichsfinanzsystems betonen, die Kolonialpolitik streifen und auch die Handelsvertragspolitik in den Rahmen einer kurzen Besprechung umfassen. Ueberraschungen wird die Thronrede indessen in keiner Weise bringen. Die Politik der Reichsregierung liegt ja allerdings offen genug da, eine Ueberraschung der Welt durch eine Kursveränderung ist ausgeschlossen, wir sind in das Fahrwasser der ruhigen, Herr von Caprivi sagte „langweiligen" Politik geraten.
Berlin, 15. Novbr. Der russische Großfürst Wladimir nebst Gemahlin sind zu Besuch am hiesigen Hofe eingetroffen. Der Kaiser und der Großfürst umarmten und küßten sich herzlich und begaben sich dann nach dem Neuen Palais.
Berlin, 15. Nov. Laut einer Meldung der „Kreuzztg." aus Rom wird von russischer Seite dort erklärt, die Erwerbung eines franz. Mittelmeerhafens sei nicht beabsichtigt.
Berlin, 16. Nov. Die Reichstagseröffnung fand im weißen Saale des k. Schlosses statt. Etwa 150 Reichstagsabgeordnete waren anwesend. Die Bundesratsmitglieder erschienen unter Führung des Reichskanzlers Graf Caprivi. Darauf betrat der Kaiser, von dreimaligem Hoch begrüßt, den Saal und bestieg den Thron. Er verlas mit weithin vernehmlicher Stimme die Thronrede, deren Passus über die guten und friedlichen Beziehungen Deutschlands zu den auswärtigen Mächten mit lebhaftem Beifall ausgenommen wurden. Der Reichskanzler erklärte hierauf die Session für eröffnet. Der Feierlichkeit wohnte auch die gesamte hiesige Generalität bei.
Frankreich.
In Paris fanden am 12. d. Sühugottesdienste statt in Notre Dame und St. Germain des Präs wegen der vor 150 Jahren stattgefundenen Entweihung. Am 10. Nov. 1793 wurde der Kultus der „Göttin Vernunft" offiziell in Paris eingeführt, und die Menge begleitete mit Gesängen die Dirne, welche diese Rolle zu spielen angenommen hatte, bis zum Hochaltar, wo sie Platz nahm. Am 12. wurde die Abtei St. Germain verwüstet, die Reliquien des h. Germanus und des h. Maurus profaniert und zerstört. Fast in allen Kirchen von Paris wurden Verwüstungen begangen, höhnische Prozessionen wurden veranstaltet, bei denen die Haupt- Helden priesterlichen Ornat anlegren, den sie in den Sakristeien fanden und allerhand Schabernack trieben. Die Kirchenschätze wurden in die Münze gebracht, um eingeschmolzen zu werden. Der Psarrer von St. Germain des Präs brachte eine d.-r Haupl- reliquien, ein Stück von dem Kreuz Christi, in Sicherheit; es liegt nun in der Kirche Notre Dame.
Paris, 14. Nov. Wie aus Perpignan gemeldet wird, verhaftete die Polizei den Italiener Antonio Ninaldi, der aus Barcelona daselbst eiugetroffen war. In dem mit ihm vorgenommenen Verhör- erklärte er, Anarchist zu sein. Mau glaubt, daß Rinaldi der Urheber des Attentats im Theatro Liceo in
Barcelona sei, doch leugnet er jede Teilnahme an demselben.
Die Pariser Unterrichtsbehörde teilte allen Volksschullehrern in den an-Deutschland grenzenden Departements eine Belehrung mit, die sie anhält, der Schuljugend einzuschärfen, daß sie gegebenen Falls einem eindringenden Feinde keinerlei Auskunft geben dürfe, worüber sie auch befragt werden möge.
Paris, 14. Nov.' Der serbische Gesandte Georg- jewitsch wurde, als er in einem hiesigen Restaurant speiste, von einem Schuster angefallen und durch ein Schustermeffer an der rechten Seite verletzt. Derselbe verweigert jede Auskunft über den Beweggrund zu der That.
Wer hätte das gedacht? Das ganze Glück, das Frankreich durch die Huld des Zaren beschert worden ist, verdankt das Land weiter Niemand, als dem — Papst. So verkündet es im „Figaro" der frühere Deputierte Piou, der ganz genau wissen will, daß erst durch die Haltung des heiligen Vaters gegenüber der französischen Republik und durch dessen direkte Ratschläge die Bedenken des Zaren gegen eine russisch-französische Allianz besiegt worden seien.
Italien.
Offiziös wird verbreitet, der Besuch Kalnokys bei dem König Humbert bezwecke nichts anderes, als für die Verleihung des Annunciaten-Ordens persönlich zu danken. — Die „Italic" sieht in dem Besuch den Beweis, daß der Dreibund unerschüttert dasteht. „Man wird in Monza freilich über Politik sprechen, aber sich gewiß nichts neues sagen. Allein das Ereignis ist auch in diesen bescheidenen Grenzen so bedeutend, daß man sich dazu nur beglückwünschen kann. Der Friede Europas hat morgen einen guten Tag."
England.
Den Engländern scheint bei dem Gedanken, eines Tags die russische und französische Seemacht gegen sich vereinigt zu sehen, doch etwas ungemütlich zu werden, denn seit den Ruffenfesten bildet die Wehrfrage ein ständiges Kapitel in allen maßgebenden englischen Blättern. Die „Times" kommt bei einem Vergleich der Stärkenverhältniffe der europäischen Flotten zu dem Schluß, daß es eine unabweisbare Pflicht sei, die englische Flotte auf einen unüberwindlichen Stand zu bringen, selbst wenn weitere 100 Millionen Pfund (2 Milliarden Mark!) dafür ausgegeben werden müßten.
Serbien.
In der serbischen Staatsdruckerei sind dieser Tage große, seit Jahren betriebene Unterschleife mit Stempel- und Briefmarken, Wechsel-Blanquetten rc. entdeckt worden. Die Staatskasse ist um sehr bedeutende Beiträge geschädigt worden, bis jetzt sind Unterschleife bis zu annähernd einer Million Franken konstatiert. Zahlreiche Personen sind in die Affaire verwickelt, mehrere Beamte der Staatsdruckerei befinden sich bereits in Haft. Weitere Verhaftungen sind bevorstehend, auch von Geschäftsleuten, die den Verschleiß besorgt haben.
Afrika.
Der neue Feldzug der Franzosen gegen den König Behanzin von Dahomey ist von bestem Ersolge begleitet. General Dodds besetzte Atscheribe, die Residenz Behanzins, infolgedessen sich die Da- homeyaner unterwarfen. Bei Dodds erschienen Abgesandte benachbarter Stämme mit der Versicherung, dieselben würden Behanzin an der Flucht hindern. Eine Depesche aus Kotonu meldet ferner, daß Behanzin dem General Dodds 400 Gewehre und 4 Kanonen ausgeliefert hat. Seine völlige Unterwerfung soll bevorstehen.
Handel und Verkehr.
Stuttgart, 13. Nov. (Landesproduktenbörse.) Wir notieren per 100 Kilogramm: Weizen, La Plata Mk. 17.52, dto.Kansas 17.70—17.75, dto. Land 16.90, dto. Rumän. 17.70, Dinkel beregnet 11.40, dto. unberegnet 12.—, Gerste Ungar. 20.50, dto. bayr. 19.—, Haber, Alb 17.—18.80, dto. Holländer 19.40, dto. Rumän. 19.25, dto. bad. Oberl. 18.90.
Stuttgart, 13. Nov. (Mehlbörse.) Suppengries Mk. 29.50, Mehl Nr. 0: 28.50—29.50, dto. Nr. 4: 26.50 bis 27.50, dto. Nr. 2: 25.—25.50, dto. Nr. 3: 23.—23.50, dt. Nr. 4: 19.—19.50. Kleie mit Sack Mk. 10.— per 100 Kilo je nach Qualität.
Konkurseröffnungen. Keppler, Eva, geb. Stäb, Witwe des Bäremvirts Albert Keppler in Erzgrube, OA. ^reudenstadt.
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Hiezu das Unterhaltungsblatt Nr. 45.
l Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen j Buchhandlung (Emil Zaiser) Nagold.