die Leichenverbrennung am größten, aber auch aus diesen Kreisen mehren sich die Stimmen für die Verbrennung. Referent zeigte, daß die Bibel und Christus selbst keine Stellung zu der Frage ein­nehmen, und daß die Christen bis zu Karl dem Großen ihre Leichen verbrannten. Die Sitte des Begräbnisses sei kein Glaubensbekenntnis, son­dern neutrales Gebiet, und man solle jeden: die Freiheit lassen, hierin zu handeln, wie er wolle; namentlich aber solle man die kirchliche Mitwirkung bei Leichenverbrennungen nicht versagen. Mehrere Redner, darunter auch Stadtpfarrer Gerok, sprachen sich in gleichem Sinne aus und fußten darauf, daß die Auferstehung durch die Kraft Gottes geschehen werde, daß man die fakultative Verbrennung ge­statten, daß man die Anhänger der Verbrennung nicht gering schätzen und ihnen die kirchliche Betei­ligung nicht verweigern solle.

Uck. Stuttgart, 1. Nov. Der Gemeinderat beschloß heute, das Elektrizitätswerk aus städ­tischen Mitteln zu bauen und zu betreiben. Der Pferdebahngesellschaft wurde elektrischer Betrieb ge­stattet.

Brandfall. In Pflugfelden die zwei Dop­pelscheuern der Bauern Dobler und Noz. Das Feuer wurde gelegt; der Brandstifter ist in Haft ge­nommen.

DUUck. Kiel, 2. Nov. Die hier verhafteten Spione es sind bekanntlich 2 Franzosen sind wegen Landesverrates durch Aufnahme militärischer Pläne und Photographien, sowie wegen Verleitung anderer Personen zum Landesverrat angeklagt. Beide Angeklagte erhalten einen Offizier als Verteidiger. Die Hauptverhandlung findet unter Ausschluß der Oeffentlichkeit statt.

Köln, 28. Okt. In der gestrigen Verhand­lung des sozialdemokratischen Parteitags sprach Bebel über die Beteiligung an den Landtagswahlen. Er erklärte, die sozialdemokratische Partei dürfe wohl, aber könne sich nicht beteiligen. Dabei verlas er einen Brief Miguels an Karl Marx, in dem Miguel sich als Kommunisten bekennt und sich Karl Marx ganz zur Verfügung stellt. Angenommen wurde eine Resolution, in der erklärt wird, es sei Pflicht der Parteigenossen in Preußen, sich jeder Beteiligung an den Landtagswahlen unter dem jetzigen Wahl­system zu enthalten; daran schließt sich die Auffor­derung, in den Einzelstaaten eine energische Aktion für das allgemeine Stimmrecht zu den Landtagen einzuleiten.

DerReichsanzeiger" veröffentlicht eine kaiser­liche Verordnung, durch die der Reichstag am 16. November einberusen wird.

Die zur Reichssteuerreform gehörenden Ge setzentwürfe, also Tabak-, Wein- und Stempel­steuergesetz, sowie das Gesetz, welches das finan zielle Verhältnis des Reichs zu den Einzelnstaaten regeln wird, und eine den ganzen Plan behandelnde Denkschrift werden wie nunmehr feststeht dem Reichstage gleich nach seinem Zusammentritt zugehen. Von den 100 Millionen, die bekanntlich für die Militärvorlage und diesen Steuerplan notwendig find, sollen ungefähr 50 Millionen durch die Tabak­fabrikatsteuer, etwa 36 Millionen durch Erhöhung! und Vermehrung der Reichsstempelabgaben, der Rest durch die Weinsteuer aufgebracht werden. Von den Neichsstempelabgaben wird die sogenannte Börsen­steuer, also der Stempel auf Kauf- und Anschaffungs­geschäfte, Wertpapiere und Lotterielose, vermutlich im allgemeinen verdoppelt und für die Umsätze in nicht­deutschen Werten wahrscheinlich noch weiter erhöht werden. Außerdem steht ein Stempel von 10 I aus Frachtbriefe und ein gleich hoher Stempel auf alle Quittungen über 20 - ^ in sicherer Aussicht. Daß die Weinsteuer im Bundesrat durchgeht, unter­liegt nach der Fr. Ztg. keinem Zweifel. Es wird sich nur darum handeln, ob die Wertgrenze, von der ab die Besteuerung des Weines eintritt, etwas über 50 /k hinaufgesetzt wird. Auf unbedingten Wider­stand wird das nicht stoßen, obwohl die norddeut­schen Finanzleiter es schon für eine große Konzession an die weinbautreibenden Staaten ansehen, daß ab­weichend von allen Steuern auf Nahrungs- und Ge­nußmittel die geringeren Weinsorten überhaupt von der Reichssteuer freigelassen werden sollen.

Die Beweisaufnahme in dem Spieler- und Wuchererprozeß m Hannover ist am Dienstag Mittag beendet worden. Der Prozeß hat im Allge­nieinen recht grelle Schlaglichter aus die Spielleiden­schaft der Offiziere geworfen, die in den: Prozeß als

Zeugen erschienen sind; es ist allgemein bekannt ge­wesen, daß Mißstände dieser Art im deutschen Of­fizierkorps herrschen, aber wohl 'Niemand hätte ge­glaubt, daß der Umfang derselben so groß sei, wie er sich jetzt durch den Prozeß herausgestellt hat. Es sind diesmal nicht blos junge Lieutenants, sondern auch ältere Offiziere bis zum Generalmajor hinauf, die vor Gericht bekunden müssen, daß sie dem Spiel­teufel leichtsinnig Tausende geopfert und sich, um das zur Bezahlung der Spielschulden nötige Geld zu beschaffen, den Wucherern in die Arme geworfen haben. Ein Premierlieutenant Graf v. Sierstorpff vom 2. Gardedragoner-Regiment in Berlin kommt mit dem Angeklagten Seemann nicht zum ersten Mal in Verbindung. Er hat den bestimmten Eindruck, es mit Schleppern und Falschspielern zu thun zu haben, gleichwohl ergiebt er sich dem Spiel wie einem Verhängnis und erklärt vor Gericht:Ich sagte mir, es ist gleichgültig, ob ich nach Monaco gehe oder zu Samuel Seemann." Was aber soll man sagen zu den Vorgängen, an die das Zeugnis des Lieute­nants v. Plessen vom 17. Dragoner-Regiment in Ludwigslust anknüpft? Dieser Lieutenant befindet sich schon ohnehin in Geldverlegenheit. Auf die Ein­ladung Abters, der in Ludwigslust erscheint und ihm am selbigen Abend in Hamburg einenreichen Mann" als Spieler Nachweisen will, diniert er gut in Lud­wigslust und fährt dann in sehr animierter Stim­mung nach Hamburg. Er hat blos 400 -L bares Geld bei sich und verliert alsbald 30000 <7. Er­spielt die ganze Nacht hindurch, erklärt aber, daß ihm die Sache schon verdächtig vergekommen sei, als er 19000 -// verloren hatte. 'Natürlich kann er nicht bezahlen, lehnt es auch ab, einen Schuldschein zu unterschreiben, erklärt aber, es sei selbstverständ­lich unter anständigen Menschen, Spielschulden zu berichtigen. Nun aber kommt der zweite Akt. Aus Anraten seines Kameraden v. Schierstädt lockt er den Abter nach Ludwigslust in seine Wohnung. Dort sind Lieutenant v. Schierstädt und Redakteur Föltzer aus Berlin im Schlafzimmer versteckt. Die drei Personen bringen es zuwege, daß Abter schrift­lich erklärt, aus die Forderung von 19000 - wich überhaupt auf alle Forderungen, die er an Offiziere der deutschen Armee habe, Verzicht zu leisten. Aus der Verhandlung gewinnt man den Eindruck, daß die drei Personen eine starke Nötigung aus Abter haben, wobei Föltzer als ein politischer Polizist dar­gestellt worden zu sein scheint. Genau in allen Einzelheiten sind die herbei vorgekommenen Szenen nicht klargestellt, da der Präsident dem Zeugen be­kundete, daß er nicht genötigt sei, gegen sich selbst auszusagen.

Berlin, 30. Okt. Die Erregung in Spanien wegen der Niederlage bei Melitta ist sehr groß. Die Cortes sollen zum Zweck weiterer Geldbewilli­gung einberufen werden.

Berlin, 31. Okt. Zur Bekanntgabe eines Briefes von Miquel an Marx durch Bebel auf dem sozialdemokratischen Parteitag in Köln bemerkt dasBert. Tagebl.": Ob Bebel ganz vergessen habe, daß er in seiner Jugend zu den eifrigsten Verfechtern der fortschrittlichen Ideen gehörte. Durch Gegen­überstellung des Bebel von damals und von heute ließe sich wohl derselbe pikante Effekt erzielen.

Berlin, 31. Okt. Für Jnvalidenpensionen sind im nächsten Reichsetat 2',» Millionen Mark mehr angesetzt als im laufenden Jahre.

Berlin, 1. Nov. DieNordd. Allg. Ztg." berichtet, daß der Kaiser den Reichstag persönlich eröffnen werde.

lick. Hannover, 1. Nov. In dem Spieler­und Wucherprozeß beantragte der Staatsanwalt gegen v. Meyerinck > Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust, gegen Fährte 5 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust, gegen Abtee 7 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust, gegen Samuel Seemann 4 Jahre Ge­fängnis, 5 Jahre Ehrverlust, gegen Heß 4 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust, gegen Max Nosen- berg 2 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust, gegen Julius Rosenberg und gegen Sußmanu je 1500 - /k Geld strafe oder 150 Tage Gefängnis.

Ueber den Brief, welchen der heutige preußische Finanzminister Dr. Miquel als junger Student an -den Sozialistenführer Karl Marx in London geschrieben hat und worin er sich offen zum Com- inunismus und Atheismus bekannt, wird im Allge­meinen schnell genug zur Tagesordnung übergegan­gen. Fast übereinstimmend wird hervorgehoben, daß ganz belanglos ist, was ein junger Mensch, der noch

dazu unter dem Einfluß beK tollen Jahres 1848 stand, geschrieben hat. Mancher heutige Politiker wird als junger Mensch seine Maßen Dummheiten geschrieben und gesprochen haben. Wer will sich darum kümmern!

Es darf als feststehend betrachtet werden, daß nach Beendigung des Spieb und Wucherprozes­ses in Hannover der Reichstag sich mit den dabei aufgedeckten Mißständen beschäftigen wird. Auch wird nach Beendigung des Prozesses eine unmittel­bare Aenßerung des Kaisers, sowie die Bestrafung der blosgestellten Offiziere erwartet.

Prinz Viktor von Italien, der n tu snita des Berliner Garde-Kürassierregiments geführt wird, hat dem Regiment eine Summe von 5000 - L zur Ver­fügung gestellt. Das Geld soll unter die Unterof­fiziere.und Mannschaften verteilt werden- Oesterreich-Ungarn.

In Wien steht ein Ministerwechsel bevor: Das Mi­nisterium Taaffe, welches seit 1878 cm Amte und dessen Chef, Graf Taaffe, ein Jugendfreund des Kaisers ist, sieht sich mit seinen Regierungskünsten am Ende. Graf Taaffe hat bekanntlich anfänglich die Czcchen und andere deutsch­feindliche Parteien stets auf Kosten der Deutschen bevor­zugt, und namentlich-die Deutschbühmen können ein Lied davon singen, was sie unter diesem Ministerium auszu- stehen hatten. Als Gras Taaffe erkannte, daß seine Günst­linge ihm über den Kopf zu wachsen drohten, versuchte er eine'Aussöhnung der verschiedenen Nationalitäten im Lande herbeizuführen- konnte aber nichts erreichen. In letzter Zeit hat er nun wiederum allerlei bedenkliche Schritte gethan, und die Folge war die ziemlich einmütige Erklärung ver­grasten politischen Parteien, daß mit diesem Ministerium sich überhaupt nicht mehr zusammenarbeiten lasse. Kaiser Franz Joseph ist zu einer Konferenz mit dem Ministerprä­sidenten und den Führern der großen Parteien in Wien eingetrosfen, es hat auch ein Ministerrat unter Vorsitz des Kaisers stattgefunden, wie die obwaltenden Hindernisse zu heben seien, ist noch nicht getroffen.

lick. Wien, 1. Nov. Der Ministerpräsident Gras Taaffe soll dem Kaiser den Statthalter Grasen Thun zur Kabinetsbildung empfohlen haben. Thun wird heute Abend Prag verlassen und hierher kommen.

Frankreich.

Paris, 31. Okt. Aus Ajaccio wird gemeldet, der dortige Bischof habe für den Tag der Ankunft der Russen eine große religiöse Ceremonie angeord­net, der er selbst präsidieren werde; alle Kirchen­glocken werden läuten.

Paris. Die Nachricht 'von der Absendung eines englischen Geschwaders von 20 Schiffen nach der marokkanischen Küste hat großes Aussehen erregt. Die Zeitungen erklären, Frankreich könne nicht un- thätig zuschauen. DieDebals" erinnern an Sa- lisbury's Rede in Glasgow 1-Gi: Marokko werde über kurz oder lang für Europa die Quell? gleicher Schwierigkeiten und für den europäischen Frieden ebenso bedrohlich werden wie zuvor die östlich n muhamedanischen Länder. Der ,, Lemps" wa.-.rt Spanien, mehr zu thun, als seine W ffsene.n" ;u rächen. Die Folgen könnten hochernst werden.

Spanien.

Madrid, 31. Okt. Der Kn-gsmmister begieN sich dem Ve enehmen nach denn: äh st nach Meist! General Marias übernahm den Obee.iesehl über Me 8000 Man» de-Z für Marokko oe stimmten Expe.-i- tionskorps. Infolge des Ausbleibens »allerer N: richten ist die Bevölkerung sehe beunruhigt.

!lck. Malaga, 1. Novbr. -Nachrichten zufolge, welche der afrikanische Pdstdampfer aus Meli»a bringt, richtete Genera! Murcias »ach liebe nähme des Oberbefehls gestern ein nanulerbrochenes Je ec auf die Kabylen. General Orte,» machte AaSsä.l-,

vertrieb die Mauren auS ihren parken Stellungen und entsetzte Melitta, -wo er frische Truppen zn-.'ü k- ließ. Ortega verlangt vom Kriegs nlnister, die Trup- pensendnngen einzuschränken, bis Baracken gehn ck und Unterkommen für die Sakralen geschaffen seien. Trotz der Niederlage herrscht .große Begeisterung unter den spanisch, n Soldaten.

England.

London, 31. Okt. Die Ehieagoer Weltaus­stellung wurde gestern morgen, während die Flaggen ans Halbmast gehißt wurden, geschlossen. Alle ge­planten Feste unterblieben wegen Harrisons Ermor­dung. Die Zahl der bezahlenden Besucher der Aus­stellung überstieg 20 Millionen. Alle Kosten wurd -n gedeckt.

Hiezu das NnterhaltnngZblatt 'Nr. 43.

Redaktion, Truck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung (Emil Zaiser) Nagold.