Amts- und Intelligenz-Blatt flir den Oberamts-Bezirk Nagold.

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1893

Amtliches.

Verfügung des Ministeriums des In­nern, betreffend das Verbot der Verwen­dung rot oder grün geblendeter Laternen zur Beleuchtung der Fuhrwerke nnd Fahr­räder (Velocipede) bei Nacht. Vom 29. Sep­tember 1893.

Um den Gefahren zu begegnen, welche daraus entstehen können, daß rotes und grünes Licht, wel­ches bei Nacht als Signal für Eifenbahnzwecke dient, auch bei der Beleuchtung von Fuhrwerken und Fahr­rädern (Velocipeden) zur Benützung kommt, wird in Ergänzung der ßß 3 ff der Ministerialverfügungen vom 16. September 1888, betreffend die Beleuchtung der Fuhrwerke bei Nacht (Reg. Blatt S. 317) und betreffend den Radfahr- (Velocipede-) Verkehr (Neg. Blatt S. 319), mit Allerhöchster Genehmigung Sei­ner Königlichen Majestät verfügt, daß die vorgeschrie- bene Beleuchtung der Fuhrwerke und Fahrräder (Velocipede) bei Nacht nicht durch rot oder grün geblendete Laternen erfolgen darf.

Stuttgart, den 29. Sept. 1893.

Schund.

Bekanntmachung.

Am Montag und Dienstag, den 16. und 17. d. Mts., findet von 9 Uhr Vormittags bis 4 Uhr Nachmittags ein Schießen des Ulanen-Regiments Nr. 19 mit scharfen Patronen nordwestlich von Aid­lingen statt. Der im Gefahrsbereich liegende Raum wird mit Sicherheitsposten umstellt werden; derselbe ist begrenzt durch die Straßen Aidlingen-Dätzingen, Dätzingen-Ostelsheim, Aidlingen-Deufringen, Deuf- ringen-Gechingen, Gechingen-Althengstett. Diese sämt­lichen Straßen werden abgesperrt und in den da­zwischen liegenden Getänden dürfen keinerlei Feld­oder Waldarbeiten vorgenommen werden.

Dies wird hiemit zur allgemeinen Kenntnis ge­bracht. Die Ortsvorsteher der beteiligten Gemeinden und insbesondere derjenigen in Betracht kommenden Orte, aus welchen der Markt in Weilderstadt am 16. d. Mts. befahren wird, haben dies öffentlich bekannt zu machen.

Calw, den 13. Oktober 1893.

K. Oberamt. Lang.

Oer Frauzolen-Lanmcl.

Wer die Franzosen und den französischen Na­tionalcharakter einigermaßen nur kennt, der konnte von vornherein nicht im Zweifel darüber sein, daß die Kaltwafferstrahlen, die auf Geheiß des Zaren nach Paris gerichtet wurden, nur in den sogenann­ten offiziellen Kreisen einigermaßen wirken würden, hingegen auf die von den Nevancheblättern beein­flußte breite Volksmenge wenig Eindruck machen würden. Es ist dem Wunsche des russischen Kaisers gemäß der Umfang der Festlichkeiten so beschränkt, daß wenigstens bei den offiziellen Veranstaltungen keine peinlich wirkende Demonstration zu erwarten ist, doch kann niemand dafür Verantwortung über­nehmen, daß nicht beim Erscheinen der russischen Marineoffiziere Ausbrüche der Volksleidenschaft statt­finden werden. Die von einigen Pariser chauvi­nistischen Journalen verbreitete tolle Nachricht, es würden einige hundert deutsche Agents provocateurs zur Seine kommen, um die Festlichkeiten durch Jn- scenierung von allerlei Unfug zu stören, beweist schon, wie wenig sicher die Franzosen ihrer eigenen Landsleute für den entscheidenden Moment sind, trotzdem doch der Wille Kaiser Alexanders II., die

Festtage sollten in vollster Ruhe und Ordnung ver­lausen, allgemein bekannt. Das Tollste bei dieser tollen Geschichte ist aber doch, daß sie in recht wei­ten Kreisen der französischen Bevölkerung, in erster Reihe in Südfrankreich, Glauben gefunden hat. Der Südfranzose ist den Parisern noch um eine be­deutende Portion Leidenschaftlichkeit überlegen, und der Verlauf des Empfanges der russischen Schiffe daselbst mag seltsame Bilder entrollen. Hat doch der Bürgermeister von Toulon mehrfach Beweise dafür gegeben gehabt, wie er total den Kopf ver­loren hatte, so daß es erst einer nachdrücklichen Mahnung der Staatsgewalt zur ruhigen Ueberlegung bedurft hat, um dieser wieder zu ihrem Rechte zu helfen. Gehen Leute, denen man Bildung und Einsicht Zutrauen sollte, schon so weit, was mag dann von beeinflußten und voreingenommenen Men­schen zu erwarten sein? Dieser Umstand erklärt es, wenn allenthalben dem Verlaufe der Pariser Russen­feier mit großer Erwartung entgegen gesehen wird.

Kaiser Alexander von Rußland hat wohl kaum erwartet, daß das Erscheinen seiner Kriegsschiffe in einem französischen Hafen einen derartigen, geradezu an Raserei grenzender! Taumel Hervorrufen würde. Aber der Franzose ist nun einmal so, er ist außer Stande, irgend eine Sache unparteiisch zu betrachten. Entweder bitterster Haß oder flammende Begeiste­rung, ein Drittes giebt es für die große Menge nicht, diejenigen, welche sich wirklich Sachlichkeit des Urteils bewahrt haben, sind an Zahl gering, und von ihnen hat noch dazu selten jemapd den Mut seiner Ueberzeugung. Die Furcht, unpopulär sich zu machen, hält auch selbständige, große Geister von einem offenen, befreienden Wort zurück und zwingt sie zu bedingungslosem Schweigen. Mit allerlei kleinen Mittelchen versucht auch wohl die französische Regierung den Ueberschwänglichkeiten ihrer Mitbür­ger Einhalt zu thun, aber zu einem energischen Wort sich aüfzuraffen, ist sie außer Stande, sie darf auch wohl kaum wagen, es auszusprechen. Die Touloner und Pariser würden außer sich sein, wenn einer ihrer Minister ihnen gehörig den Text lesen oder gar den Versuch unternehmen wollte, sie dar­über anfzuklären. daß, dieser ganze Russen-Enthu- siasmus angesichts der wirklichen Beziehungen zwi­schen der sranzösischen Republik und dem Zaren­reiche einen komischen Beigeschmack hat. Der Zar liebt es, Frankreich im europäischen Kartenspiel als Trumpf zu verwenden, aber daran denkt er denn doch nicht, sich von Frankreich aus als Trumpf ge­brauchen zu lassen. Eine neue russische Anleihe hat diefranzösischeUeberschwänglichkeit vor einigen Wochen schon wieder auf sich genommen; man' wird bald einsehen und erkennen lernen, daß hier nur eine Abschlagszahlung vorlag.

Im Ganzen spielt Frankreich bei den Russen­festen eben keine hervorragende Rolle, aber auch vom Zaren und Rußland läßt sich dies nicht gerade be­haupten. Ist es für die Franzosen, die sich doch selbst Republikaner nennen, entwürdigend, dem Ge­schwader eines despotischen Staates Huldigungen darzubringen, welche alles Maß und Ziel übersteigen, so sind doch auch die Russen in einer eigenen Lage, denn vom Erhabenen bis zum Lächerlichen ist es wirklich nur ein Schritt. Die ganze französische Liebedienerei und Freundschaft hat für Rußland nicht entfernt heute denjenigen Wert, welchen der Abschluß eines deutsch-russischen Handelsvertrages hat. Wäre die Geldnot in Rußland in Folge des Zollkrieges nicht eine so sehr große, das russische

Geschwader wäre ganz gewiß noch nicht nach Toulon gegangen. Kaiser Alexander von Rußland ist mit der von ihm unter dem Einfluß der extremen Pan­slawisten persönlich befohlenen bulgarischen Politik in eine Sackgasse geraten; er richtete im Balkon gar nichts aus, wozu nun freilich die Ungeschicklich­keit der russischen Agenten in Sofia ungenrein viel beitrug, die nicht auf freundliche Verständigung, sondern auf unbedingte Unterwerfung unter den Willen des Zaren hinarbeiteten, und Rußland trennte sich in Folge dieser brutalen Politik auch von Deutschland und Oestereich-Ungarn, die gern zur Vermittlung die Hand bieten wollten, Fürst Bis­marck hat sich ja selbst als ehrlicher Makler gerühmt, aber doch nicht die Hand dazu bieten können und wollen, ein tüchtiges, gesundes Volk, wie die Bul­garen, bei den Ohren zum Gehorsam gegen den Zaren heranzuziehen. Damit war der Riß zwischen Rußland und seinen beiden großen westlichen Nach­barn vollzogen und dieser Riß ist von der kleinen, aber mächtigen Clique in Petersburg immer mehr erweitert worden. Nachdem man an der Newa soweit durch die eigene Schuld gekommen war, blieb nun ein einziger Schritt übrig; man mußte sich zur Mehrung des russischen Einflusses in europäischen Fragen der Mithilfe eines Staates versichern, der, ohne zu fragen, mit Rußland durch Dick und Dünn ging. In Frankreich, das sich schon lange nach der russischen Freundschaft sehnte, hat man diesen Mithelfer gesunden. Würdig sind die Rollen, welche beide Staaten in diesem neuen Verhältnis spielen, aber gerade so wenig, wie die zu Ehren desselben jetzt stattfindenden Feierlichkeiten.

Praktischen Nutzen haben weder Frankreich noch Rußland aus diesen Beziehungen gehabt und eben deshalb erscheinen die Russenfestlichkeiten in Paris so komisch. Der Zar hat seinen Willen in Bulga­rien bis heute noch nicht durchgesetzt, und die nun­mehr stattfindende Bildung eines russischen Geschwa­ders in: mittelländischen Meere hätte sich auch früher schon ebenso gut arrangieren lassen. Mit dem deut­schen Reiche leben die Russen im Zollkriege, und keine französische Freundschaft kann den hieraus erwach­senden Schaden ihnen ersetzen. Auf der anderen Seite können die Franzosen nicht das Geringste da­von merken, daß Kaiser Alexander in absehbarer Zeit ihnen Elsaß-Lothringen wieder verschaffen wird. Sie sind in ihrer Voreingenommenheit auch nicht im Stande, zu erkennen, daß Rußland bei seiner heu­tigen wirtschaftlichen Lage und bei der Macht des Dreibundes gar nicht befähigt ist, Frankreich den Wiedergewinn des Reichslandes zu garantieren. Wa­rum feiert man nun in Paris Feste, warum hat man sie s. Z. in Kronstadt und Petersburg began­gen? Hat man etwa das Bedürfnis, die wahrhafter Freundschaft entsprungenen Besuche unter den Für­sten des Dreibundes nachzuahmen? Fast scheint es so, und da der Zar schwerlich jemals republikanischen Boden betreten wird, behilft man sich, so gut es angehen will. Aber wenn nun diese Festlichkeiten aus dem Streben, zu glänzen, und aus der lieben Eitelkeit entspringen, wozu denn ein Verhalten, wel­ches leicht dazu beitragen kann, ernstlich verstimmend und peinlich zu wirken?. Der Franzosen-Taumel hat Dimensionen angenommen, daß ihm alles zuzutrauen ist. Es wäre recht gut, es folgten vor dem nahen Beginn der Festlichkeiten noch ein paar recht, recht kräftige Wasserstrahlen, denn sonst mag es in ver­folgenden Woche in Paris sehr leicht drunter und drüber gehen. Nnd der Eindruck davon würde nir­gends ein guter sein!