62 . Jahrgang.

Aro. 26 .

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'Kotttifche Wcrchvichten.

Deutsches Reich.

Aus Elsaß-Lothringen, 28. Febr. Die Regierung in Straß­burg hat am Samstag dieAuflösung des Landesverbandes der elsäs - fischen Gesangvereine angeordnet, deren Präsident der Baron Ru­dolph v. Türkheim in Truttenhausen ist. Es scheint begründeter Verdacht vorzuliegen, daß dieser Verband den Bestrebungen der Patrioten-Liga nicht fern stand. DieBerl. Post" erfährt, daß in den nächsten Tagen schon die Auflösung aller derjenigen Vereine, welche Altdeutschen statutengemäß oder notorisch die Aufnahme verweigerten, erfolgen wird, wie denn überhaupt eine sehr strenge Handhabung der Vereinsgesetze eintreten soll. Das Gleiche gilt von der Fremden-Polizei. Die Maßregel, welche vor Kurzem gegen Ange­hörige der französischen Armee ergriffen wurde, wonach solchen nur gegen jedesmalige, besonders einzuholende Erlaubnis Und nur für kurze Dauer der Aufenthalt im Lande gestattet werden kann, wird auch auf Zivilpersonen aus­gedehnt. Auch sollen im Prinzips keine Jagdscheine mehr an Franzosen ausgegeben werden. Weitere Maßregeln, welche geeignet sind, den französischen Einfluß zu beseitigen undElsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern" zu be­wahren, steht bevor.

Frankreich.

Aus Frankreich liegen nach demFr. I." Nachrichten erregter Art vor: auf der Ost« und Nordbahn werden Wagen zu Parks vereinigt, seit einigen Tagen wird die Zahl der Wagen, die nach den Reichslanden abgelassen werden, auffällig beschränkt, die Wagen besserer Gattung werden zurück­behalten. In Belsort hat man mit der Abholzung der Glacis begonnen, eine Maßregel, die dock nur sonst erfolgt, wenn der Krieg für unmittelbar bevorstehend gilt. Wie der Str. P. von zuverlässiger Seite mitgeteilt wird, sind in dem hinter der französischen Grenzstation Audun-le- Roman (Strecke Diedenhofen-Sedan-Paris) befindlichen Eisenbahntunnel die Sprengminen mit Schießbaumwolle geladen worden. Die auf der gleichen Strecke diesseits der Grenze gelegenen Kunstbauten (Viadukt und Tunnel

zwischen Hayingen und Fentsch) sind bereits seit längerer Zeit Gegenstand sorgfältigster Ueberwachung durch das Bahnaufsichts- und Gendarmeriepersonal.

Nizza , 26. Febr. (Erdbeben.) Die Marie Comte MallaufsLna hat eine beruhigende Proklamation erlassen, die freilich nicht viel nützt, weil man sich sagt, daß die städtische Verwaltung unmöglich eine Garantie dafür übernehmen kann, daß sich die Erdstöße vom Aschermittwoch nicht wiederholen werden. Taschendiebe haben gute Geschäfte gemacht, indem sie in die improvisierten Zelte, Badekabinelte u. s. w. eindrangen und zusammenstahlen, was möglich war. Am besten davongekommen ist Monako mit Monte Carlo; dagegen ist Mentone ruiniert. Man mußte von Regierungswegen Zelte hinschaffen, worin die Bevölkerung untergebracht wurde. Die Läden sind geschloffen, die Not ist groß. In Kann es sind die Schäden weniger groß. Als man den Prinzen von Wales aufforderte, in den Garten zu gehen, sagte er, das falle ihm nicht ein; er blieb im Bett und empfahl seinen Leuten, dasselbe zu thun. Man hat sich seither dort beruhigt; doch waren die Bewohner die letzte Nacht meist wach und die Fremden m den Salons der Hotels ver­sammelt, um beim ersten verdächtigen Anzeichen das Freie gewinnen zu können. In Nizza ist an den Folgen des Schreckens Miß Maria Vollon aus London gestorben. Man hört noch eine Masse von Einzelheiten, die aber nicht alle an­geführt werden können. Mentone macht den Eindruck einer zusammenge­schossenen Stadt. Die Villen Cipolino, Carö'i und Louvre sind eingestürzt; das ganze Quartier St. Benedikt liegt in Trümmern. Viele Häuser sind von außen gesehen noch im Stand; wenn man aber hineintritt, ist alles zerstört: die Mauern und Wände haben Riffe, die Plafonvs sind herabgestürzt rc. Am Quai du Midi ist ein Teil des Hotels d'Angleterre eingestürzt; das Hotel du Midi ist geräumt und geschlossen. Dreitausend Personen haben ihr Lager im Freien aufgeschlagen. Man benützt auch alle Fuhrwerke zur Installation, selbst der Leichenwagen wird zum Schlafen verwendet. Man schätzt in Mentone, daß 700 Häuser beschädigt sind, 300 davon sind so zu­gerichtet, daß man sie abbrechen muß, 200 erfordern gründliche Reparaturen.

In Mentone fehlt es an Brot. Die Bäckerläden sind geschloffen, weil die Backöfen demoliert sind. Es sind daselbst 150 Häuser verlaßen worden, alle sind stark beschädigt. Nach amtlichen Mitteilungen sind infolge des Erdbebens nachstehende Ortschaften in Ligurien am meisten heimgesucht worden: Bejardo, woselbst 300 Personen getötet und verwundet wurden, Diano Marina mit 250 Toten und Verwundeten, Bufsano mit 50 Toten und 36 Verwundeten, Diano Castello mit 30 Toten und vielen Verwundeten. In Nizza schliefen viele Wintergäste noch vom 24. auf 25. bei strenger Kälte unter freiem Himmel, auf Stühlen und Bänken, in offenen Wagen, welche 100 Fr. für die Nacht kosteten.

JeuiLteton.

(Widerrechtlicher Nachdruck wird verfolgt.)

Im letzten Augenblicke.

Kriminal-Novelle von Kric d'Hscar.

(Fortsetzung.)

Der Doktor Henrik konnte vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt sein. Sein Haar hatte bereits einen leichten Silberschein angenommen. Seine Physiognomie kündete einen festen aber schroffen Charakter an und seiner gefurchten Stirne fehlte es nicht an einem gewissen Adel. Seine Haltung war ernst und ruhig und sein offenes Auge blickte wie im Bewußtsein seiner gerechten Sache frei vor sich hin. Im Ganzen machte seine Erscheinung den Eindruck eines Mannes von edelm, etwas hoch­mütigem Wesen der seine gefährliche Lage vollkommen begreift und die Zuversicht in sich trägt, sich in derselben behaupten zu können. Ein Menschenkenner würde in ihm gewiß einen Mörder nie vermuten.

Die gewöhnliche, formelle Frage des Präsidenten, ob der Angeklagte sich schuldig bekenne, wurde verneint, worauf der Staatsprocurator sich erhob, um die Anklage vorzutragen.

Er begann mit einer Darlegung der Sache, welche im Allgemeinen wenig von der Mitteilung abwich, die wir davon bereits gegeben haben. Dann kam er auf den wichtigsten Punkt, auf die Todesursache des Verstorbenen zu sprechen, und hier sah er sich lediglich auf das Gebiet der Hypothesen angewiesen.

Es hat notwendig eine Vergiftung stattgefunden", sagte er.Die Aerzte be­haupten es zwar nicht, aber ebensowenig vermögen sie eine andere Todesursache anzu­geben. Es muß daher angenommen werden, daß man sich keines gewöhnlichen Giftes bedient habe, sondern einer ganz neuerlichen Entdeckung der Wissenschaft, einer eigen­tümlichen Substanz, deren Wirkung ebenso schrecklich als schnell und unbegreiflich ist. Dieses Gift läßt an dem Leichnam nicht die mindeste Spur zurück, und kein Arzt

hat bis jetzt die Wirkung dieses unbekannten, totbringenden Elements erklären können. Gift hat unzweifelhaft dem Leben des Herrn de Braz ein Ziel gesetzt. Aber welche Person hat es ihm beigebracht? Hier kommen wir aus einer Dunkelheit in die andere. Liegt ein Selbstmord vor? Nichts ist unwahrscheinlicher! Der Angeklagte behauptet, nicht im Besitze von Giften zu sein, auch hat man in seinem Hause nichts vorgefunden, was seiner Behauptung hätte wiedersprechen können.

Ein anderer Umstand ist zur Sprache gekommen, der den Angeschuldigten zu belasten schien! er sagte, daß der Verstorbene sich ihm als ein Pariser Kaufmann Namens Charlot vorgestellt habe, aber die angestellten Ermittelungen haben ergeben, daß dies nicht positiv unwahr sei. Denn Herr de Braz, dessen Gebieterin aus Frank­reich verbannt ist, konnte Gründe haben, nicht unter seinem wahren Namen die Reise nach Paris zu machen. Dies hat auch der Zeuge Herr Marmold, Haushofmeister der Königin Hortense, bestätigt. Hat sich nun der Angeklagte, der aus dem Munde des Herrn de Braz erfahren haben kann, daß er eine bedeutende Geldsumme bei sich führe, an seinem Gaste einer so schwarzen Unthat schuldig gemacht? Ich behaupte, daß dem so sei!"

Nachdem der Staatsprokurator noch versucht hatte, die Schuld des Angeklagten auf eine sehr künstliche, aber durchaus nicht legale und überzeugende Weise als wahr­scheinlich hinzustellen, ging er auf die Beschreibung der Lertlichkeit über, woselbst der Tod des Herrn de Braz stattgefunden hatte.

Das Haus des Angeschuldigten wurde nur von diesem, seiner Haushälterin und dem Diener bewohnt. Letzterer schlief in einem kleinen Gehöfte, neben dem Pferdestall. Der Doktor hatte die Räume an dem einen Ende des Hauses inne­während das Zimmer der Wirtschafterin sich am andern Ende befand. Das Schlaf­gemach, welches Herrn de Braz angewiesen worden war, lag in der Nähe des von der Wirtschafterin bewohnten Zimmers, und zu den sämtlichen Räumen führt ein Korridor, der die ganze Länge des Hauses durchschneidet. Uebrigens ist noch ein Zeuge vorhanden, dessen Aussage für die lokalen Verhältnisie, von großer Wichtigkeit ist, ich beantrage dessen sofortige Vernehmung."