Berlin, 16. Juni. DasBerl. Tagebl." schreibt: Berlin sei nicht mehr die stolze Hochburg des Freisinns. DerKurier" glaubt, daß bei den Stichwahlen in Berlin die Freisinnigen höchstens einen von den vier Wahlkreisen gegen die Sozial­demokraten behaupten werden. Gewählt sind dem Vorwärts" zufolge 21 Sozialdemokraten. In 40 Wahlkreisen stehen Sozialdemokraten zur Stichwahl. Der Vorwärts feiert den 15. Juni als einen Sieges­tag der Proletariats. Als Parole für die Stich­wahlen giebt dieNat. Korr." Zusammengehen der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokraten aus. DieNordd. Allg. Ztg." polemisiert gegen die Bemängelung der Militärvorlage in denHamb. Nachr." Das Blatt erinnert daran, daß Bismarck eine weit kostspieligere Vorlage als die gegenwärtige habe einbringen wollen. Die weiteren Ausführungen suchen den Vorwurf der Hamburger Nachrichten zu entkräftigen, daß für die Artillerie ungenügend ge­sorgt sei.

Die Konservativen im zweiten Berliner Wahl­kreise haben beschlossen, Wahlenthaltung in der Stich­wahl zwischen Virchow u. dem Sozialisten anzuordnen.

DieFranks. Ztg." schreibt:Wird im neuen Reichstag eine Mehrheit für die Militärvorlage vor­handen sein? Der Norden stellt sie wahrscheinlich, der Süden wird in Opposition verharren. Die Ent­scheidung dürfte im Zentrum liegen und wie wir die Partei kennen, wird sie nicht die Gefahr laufen wollen, durch eine nochmalige Auflösung einen Bruch her­beigeführt zu sehen? dessen Wirkungen ihr in den Verlustziffern des Freisinns jetzt so abschreckend vor die Augen treten. Unter ihren Mitgliedern ist eine ganze Anzahl, die sich freie Hanv in der Miiitär- frage Vorbehalten hat, und bei der Schwächung der Linken kann schon diese ausreichen, die Forderung der Regierung in den Hafen zu bringen."

Berlin, 17. Juni. Der sozialdemokratische Vorwärts" triumphiert, höchstens in einem oder zwei Kreisen werde sich der Fortschritt in Berlin halten können; Berlin sei die Hauptstadt des internationalen Sozialismus geworden. Die Erwartungen der So­zialdemokraten seien auch nach den Nachrichten aus dem Reiche übcrtroffen, der 15. Juni sei ein Ruhmes­tag des deutschen Proletariats, aber kein Erfolg ge­nüge, so lange die Bastille des Kapitalismus noch stehe. Er schließt mit einem Hoch auf die interna­tionale befreiende Sozialdemokratie.

Berlin, 20. Juni. Bekannt definitiv 393 Wahlresultate. Gewählt 49 Konservative, 12 Reichs­partei, 16 Nationallibcrale, 3 freisinnige Vereinigung, 80 Zentrum (darunter 7 militärfreundlich), 12 Polen, 3 Antisemiten, 24 Sozialdemokraten, kein Welfe, kei­ner von der freisinnigen Volkspartei, 1 Liberaler, 1 Däne, 2 bayer. Bauernbund. 7 klerikale Elsässer, -4 süddeutsche Voikspartei. Außerdem 179 Stichwahlen.

Schneidemühl, 20. Juni. Die durch einen Brunnenbau hervorgerufene Erdsenkung beträgt be­reits einen Meter. Zerstört sind 23 Häuser. 80 Familien muhten ihre Wohnungen räumen. Pioniere sind zur Hilfeleistung eingctroffen.

Berlin, 20. Juni. Die Morgenblätter melden aus Schneidemühl: Gestern und heute sind wiederum Häusertcile eingestürzt. Die Gesamtsenkung beträgt 80 oiu; das Pflaster zeigt weite Erdspalten, das Trottoir ist aufgerissen, mit Mauersteinen bedeckt; mehrere Häuser dem Einsturz nahe, andere werden niedergerissen. Ein Kommando des Eisenbahnregi­ments trifft Nachts ein. Ter Schaden beträgt mehrere Millionen. Tem Tageblatt zufolge lehnte A h l- wardt in Arnswalde das Mandat ab, da er auf den Stichwahlsieg in Neustettin rechnet.

Am Sonnabend Vormittag hat die feierliche Uc- becsührung der Gebcine deutscher Krieger, die an dem blutigen Schlachttag von Gravelotte gefallen und in St. All begraben worden waren, auf deutsche Erde stattgefunden. Die Franzosen gaben den sechs Särgen, welche die Gebeine ausgenommen hatten, mit vollen militärischen Ehren bis zur Grenze das Ge­leite. Dort standen sich nun auf dem einstigen blu­tigen Schlachtfeld die Soldaten beider Armeen im Frieden, sich gegenseitig Ehren bezeugend, gegenüber. Nachdem der französische General Jamonr mit seiner glänzenden Suite die deutschen Truppen entlang ge­ritten war, setzte sich der Zug nunmehr unter dem Geleite deutscher Truppen nach Amanweiler in Be­wegung , wo die Beisetzung erfolgte. General v. Haeseler sprach dem General Jamont und den an­

deren französischen Offizieren den Dank für ihre Teil­nahme an der Trauerfeier aus, worauf der General Jamont erwiderte:Es ist immer angenehm, Fein­den, die tapfer gestorben sind, Ehren zu erweisen." General v. Haeseler ließ dann die deutschen Truppen vor General Jamont vorbeidefilieren und begleitete mit seiner Suite die Franzosen bis an die Grenze, wo sich die Offiziere verabschiedeten.

Schwei).

In Hottingen bei Zürich haben an einem Tag 3 Russen durch Selbstmord geendet.

Besterreich-Angsrn.

Wien, 16. Juni. Einige Zeitungen besprechen die bisher bekannt gewordenen Wahlergebnisse zum deutschen Reichstag und heben hervor, wie auch die Entscheidung ausfalle, Deutschland gehe ernsten Zei­ten entgegen.

Das offiziöse WienerFremdenblatt" stellt fest, daß die Meldung von der Teilnahme des Königs von Italien an den diesjährigen Herbstmanövern in Ungarn keine Bestätigung findet.

Frankreich.

Paris, 16. Juni. DasJournal" erzählt, Turpin habe ein neues Feldgeschütz erfunden, das von 2 Mann bedient und von zwei Pferden gezogen werden kann. Dasselbe gibt in einer Viertelstunde 5 Schüsse mit 25 000 Kugeln ab. Die Tragweite desselben ist 3500 Meter, auch bedecken die Kugeln einen Flächeninhalt von 22 000 Quadratmeter. (?)

In Paris ist man nicht sehr davon erbaut, daß Herr v. Giers die Leitung der auswärtigen Politik Rußlands wieder übernommen hat. Daß Herr v. Giers jeder gewaltthätigen, abenteuerlichen Politik abhold ist, mag den Franzosen nicht recht in den Kram passen, aber gerade das giebt seinem Wiedereintritt die richtige Bedeutung.

Paris, 17. Juni. Fast alle Blätter sprechen heute von den deutschen Wahlen und stellen sie bei­nahe sämtlich als eine Niederlage des Kaisers dar, indem sie hinzufügen, in Deutschland krache alles. DerFigaro" und andere betrachten den Wahlausfall als gefährlich, da er den Kaiser zwingen könne, eine Ableitung nach irgend einer anderen Seite zu suchen. DieGazette de France" fragt, ob das etwa ein Krieg sein solle. Andere Blätter fordern auf, die deutsche Politik genau zu beobachten und mehr denn je die Rüstungen (gemeint ist Wohl das Cadregesctz) zu be­schleunigen. Man preist die Treue von Elsaß-Loth­ringen (dabei werden die deutschfreundlichen Wahlen im Elsaß ganz verschwiegen!), das seit 22 Jahren dasselbe geblieben sei und immer noch auf Frankreich rechne. DieLiberia" meint, der Kaiser werde eine Ablenkung nach außen suchen. Der wahre Feind Deutschlands sei der Sozialismus, gegen den der Kaiser alle Parteien einigen müsse, statt sie durch die Militärvorlage zu spalten. Das Journal des Debats sagt, man könne das völlige Ergebnis der Wahlen noch.nicht voraussehen. Die wichtigste Thatsache sei das Verschwinden der Richtermänner und der Sieg der Sozialisten, mit denen man künftig zu rech nen habe. Nach der Meinung der meisten Deputierten haben die Wahlen nicht den hier erwarteten Aus­gang gehabt. In gewissen amtlichen Kreisen will man sicher sein, daß der neue Reichstag in jedem Fall die Militärvorlage bewilligen wird.

Paris, 18. Juni. In der Kammer fragte de Jonffroy an, welche Maßregeln die Regierung wegen der Dürre treffen werde. Der Landwirtschaftsminister erwiderte, er habe die Minister des Kriegs und der Marine ersucht, Konserven in Frankreich zu bestellen. Die Regierung habe beschlossen, eine» Kredit von 5 Millionen zu verlangen, die den landwirtschaftlichen Gesellschaften zum Ankauf von Futter zur Verfügung gestellt werden sollen. General Loizillon, Kcicgsmi- nister, erklärt, sein Departement sei erbötig, wenn ihm die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die Konserven-Vorräte pro 1894 und 1895 aus Frankreich anzuschaffen; für 1893 seien bereits für 30 Tausend Ztr. Verträge abgeschlossen. Der Mi­nister erklärt sich gegen den Regiebetrieb. Man könne bas Kriegsministerium unmöglich in eine Kon­servenfabrik umwandeln. Er werde sich au die Privat- Jndustrie wenden. Michou verlangt, daß das Vieh und die Schafe zur Waide in die Staatswälder ge­trieben werden dürfen. Biger, Minister der Agri­kultur und der Forsten, erklärt sich dagegen; der Zahn des Schafes sei ebenso grausam für das junge Holz, wie der Zahn des Wolfs für das Schaf. Breton

und Brienz erklären die 5 Millionen für ganz un­zureichend, ein Tropfen ins Meer. Schließlich wurde die einfache Tagesordnung angenommen.

Paris, 19. Juni. Nach dem Vormittagsbulle­tin hat sich das Befinden Carnots wirklich gebessert. Carnot wird heute das Zimmer verlassen.

F t a t i c n.

Der Papst kann's in seinemGefängnis" im Vatikan zu Rom nun wieder eine Weile aushalten. Der Betrag der Geldgeschenke, die ihm während der Feierlichkeiten seines bischöflichen Jubiläums gemacht worden sind, soll sich auf mehr als neun Millionen Francs belaufen. Die verschiedenen Pilger steuerten 3 460000 Fr. bei. Die Gaben von Einzelnen und religiösen Orden betrugen 5 600000 Fr., wovon der Herzog von Norfolk aus seiner Pcivatkasse 1000 000 Fr. gegeben hat!

England.

London, 19. Juni Meldung derDaily News" aus Konstantinopel: Das Urteil des Gerichts von Angora gegen die wegen Ruhestörungen in Cäsaren auqeklagten Armenier lautet: !7, darunter zwei Pro­fessoren des Kollegiums in Mersivan wurden zum Tode, 6 zu 15 Jahren, 18 zu 710 Jahren Ge­fängnis verurteilt, 15 freigesprochen.

Rußland.

Petersburg, l9. Juni. Aus der Insel Sa­chalin ist die Influenza epidemisch ausgcbrochen und fordert zahlreiche Opfer unter den Beamten, Zwangs- ansiedlern und Zwangsarbeitern.

Griechenland.

In Griechenland sind seit mehreren Tagen an verschiedenen Punkten, namentlich in Athen, Theben und Corfu, wiederholte Erverschüiteruageie verspürt worden. In Theben sind die bei dem letzten Erd­beben stehengcbliebenen Häuser zerstört. Das Dorf Khimara-Egnus ist in Trümmern.

Amerik a

Der Appellhos der Vereinigten Staaten hat nun einstimmig und endgültig d e Entscheidung ge­troffen, daß die Weltausstellung in Chicago an den Sonntagen nicht zu schließen sei. Die Gefahr des Defizits ist dadurch beträchtlich vermindert.

Handel L Berkehr.

Vom oberen Neckar. 18. Juni. Wegen der bedenk­lichen Trockenheit ist nun allgemein mit der Hcnernie begon­nen worden, weil andernfalls das wenige Gras mit jedem Tag nach Quaruität und Qualität geringer wird. Wie die Quantität aussällt, zeigen am besten einige Beispiele. Bon 2 Morgen Wiesen wurde der ganze Ertrag in das Gestell eines gewöhnlichen Heuwagcn geladen. Den Heuertrag von Y4 Morgen verpachtete der Schreiber dieses zu baren 50 Durchschnittlich wird pro Morgen etwa 36 Zentner geern­tet. Deshalb herrscht unter der Landbevölkerung die höchste Mutlosigkeit. Mancher Bauer hat seinen Heuvorrat, zumal der Klee gänzlichen Ausfall giebt, in 2 Monaten verfüttert. Des­halb ist er gezwungen, seinen Viehstand unter allen Umstän­den so schnell als möglich zu verringern. Weil nun gar keine Nachfrage nach Vieh ist, so wird dasselbe non den Eigentü­mern selbst geschlachtet und ansg.hanen. Freilich erhält man ans diese Weise billiges Fleisch. Jedoch, auch hier tritt ein unrichtiges Verhältnis zwischen Konsum und Produktion ein. Noch ist zu bemerken, daß, kommt nicht bald ausgiebiger Re­gen, das Getreide ebenfalls mißrät. Denn schon gilbt es, und doch ist es kaum im Blühen. Geht es so fort, so kommt vollständige Mißernte.

Stuttgart, 18. Juni. Landesproduktenbörse. Wir notieren per 100 Kilogr.: Weizen, rumän. ^« 17.75 bis .6 18, La Plata -« 18.30--« 18.60, Kansas ttil 18,50 bis .« 18.75, bayerisch .« 19, Kernen ^ 19,20, Haber ^ 18 bis -« 19.50, Mais, Ungar, -« 13.10.« 13.60.

Tuttlingen, 18. Juni. (Wollmarkt. Dritter Tag.) Fast das ganze Quantum wurde zum Preis von 100 -105 -« per Ztr. verkauft. Zwei Posten mit ca. 70 Ztr. sind noch unverkauft.

Kirchheim u. T., 20. Juni. '(Wollmarkt.) Bis ge­stern nachmittag waren im ganzen gelagert 5700 Ztr. Schä- fcrwollc, 100 Ztr. Handclsmolle. Verschiedene Partien Schäfer­wolle sind erwartet. Wasch vorzüglich. Beginn des Marktes morgen.

Berlin, 19. Juni. (Wollmarkt.) Die Tendenz war nachmittags sehr schleppend, da Kauflustige eine höhere Preis­ermäßigung als 615 ^ verlangten, welche die Verkäufer nicht bewilligen wollten; es blieben 4000 Ztr. unverkauft. Von besseren Wollen sind nur geringe Quantitäten noch am M arkte. __

Der heutigen Nr. liegt eine Gebrauchs­anweisung derlul. Zoiii-Llispsoksn IHostsubstsnren in Lxtravtfok'm" bei und wird dieses vorzügliche Präparat bei jetziger Verbrauchszeit bestens empfohlen. Da dte Gärung ca. 4'Wochen beansprucht, ist eS jetzt schon Zeck, sich seinen Erntetrunk anzusetzen. Niederlage in Nagold bei Hch. Gauß, in Altensteig bei CH. Burkhard. _

Verantwortlicher Redakteur StcinMa » del in Nagold. Druck und Verlag der G. W. Z a i s c r'i ch c n Bnchdruckerei^