letzt. Er wurde von den dienstthuenden Stationswärtern aufgefunden und in den hiesigen Spital verbracht, woselbst ihm ein Bein amputiert werden wird.
Murrhardt, 18. Febr. Heute wurde ein hiesiger Bürger Namens Christian Schnepf, von dem seit fast 3 Jahren von seiten des Publikums und des Gerichts gegen ihn gehegten schweren Verdacht, seinen älteren Sohn Christian im Alter von 14 Jahren in der Aufregung erschlagen zu haben, mit einemmal gereinigt. Der Knabe hatte sich nämlich im März 1884 mit einigen Kameraden von Hause entfernt und sich in unserem und im Bezirk Marbach bettelnd Herumgetrieben. In Erdmannshausen ließ er sich einen kleineren Gelddiebstahl zu schulden kommen und wurde dafür in Marbach 11 Tage eingesperrt. Nach Abbüßung dieser Strafe wurde er jedoch in der Heimat nicht mehr gesehen, und allgemein nahm man an, daß den Knaben das in obigem Verdacht ausgesprochene Schicksal erreicht habe. Von seiten des Gerichts wurde die Untersuchung mehrmals ausgenommen, ja im letzten Herbst wurden sogar im Keller des Schnepf'schen Hauses und in dessen Hofraum Ausgrabungen veranstaltet, jedoch ganz ohne Erfolg. Schnepf war drei Wochen in Untersuchungshaft, wurde zwar wieder entlassen, war aber doch von jedermann angesehen, daß er die That verübt habe. Heute nun kam der Junge wohlbehalten nach Hause, nachdem er seiner Aussage nach in der Gegend von Mannheim bei einem Bauern die Zwischenzeit zugebracht hat.
Ulm, 20. Febr. Gestern wurde bei einem Sozialdemokraten, welcher -vorgestern abend in der Wahlversammlung des Reichstagsabgeordneten v. Fischer diesen mehrfach interpelliert hatte, eine polizeiliche Haussuchung seiner Wohnung vorgenommen, da in den letzten Tagen Exemplare eines von der K. Kreisregierung in Ellwangen verbotenen Flugblattes durch die Post versandt worden waren und man nun in jenem einen Verbreiter der verbotenen Druckschrift vermutete. Wie man hört, sind bei demselben auch Exemplare davon vorgefunden und mit Beschlag belegt worden. Auch das Zimmer eines Schneidergesellen wurde durchsucht, welcher den gleichen Wahlaufruf — jedoch vor Erlaß des Verbots — verbreitet hatte; es wurden aber bei demselben keine Blätter mehr vorgefunden.
Wevrnifchtes.
Capstadt, 25. Jan. Ueber das Schicksal des verschollenen Herrn Adolf Lüderitz aus Bremen und seines Reisegefährten Joseph Steingröver erhält die „Köln. Ztg." weitere Nachrichten. Ein etwa sechs Stunden von der Mündung des Orangeflusses wohnender Boer, Renard Couzö, hat durchreisenden Händlern erzählt, er habe um die Zeit des 22. Oktober nicht weit von der Mündung des Flusses gefischt, als zwei Herren, ein größerer, der eine goldene Brille getragen, und ein kleinerer in einem kleinen Boote den Fluß heruntergekommen seien. Dieselben hätten versucht, aus der Mündung in die offene See zu fahren, was ihnen aber infolge der dort vorhandenen Katarakte und der vor der Mündung lagernden Sandbank nicht gelungen sei. Darauf hätten sie, wobei er mitgeholfen, das leichte Boot ans Ufer gezogen und es an eine Stelle des rechts vom Flusse belegenen Felsufers getragen, wo durch ein vorliegendes Riff die starke Brandung gebrochen wurde und ihm mitgeteilt, sie beabsichtigten, nach Angra Pequena zu segeln. Auf seine Frage, ob sie sich denn getrauten, in einem so kleinen gebrechlichen Fahrzeug eine so gefährliche weite Fahrt zu unter- nehmen, habe der kleinere geantwortet, das Boot sei seefähig, Wind und Strömung günstig, und so würden sie in zwei Tagen dort sein. Darauf sei das kleine Segel aufgezogen und das Boot in nordwestlicher Richtung mit auffallender Geschwindigkeit auf die hohe See gesegelt. Er habe die Fahrt mit den Augen verfolgt, das kleine Boot sei ihm aber bald in Folge der hohen Dünung aus dem Gesicht verschwunden. Ein englischer Minenarbeiter hat ebenfalls die Ausfahrt des Bootes aus der Flußmündung verfolgt, bis es mit einem Male aus seinen Äugen verschwand; ob es umgeschlagen war oder nur durch die Wogen verdeckt wurde, konnte er nicht unterscheiden. Da man seitdem nichts wieder von Lüderitz und Steingröver
und aus derselben die Ueberzeugung gewonnen, daß der Angeklagte, er möge schuldig sein oder nicht, nach der Lage der Dinge freigesprochen werden müsse. Er glaubte daher der Gerechtigkeit einen Dienst zu erweisen, indem er vor Beginn der Verhandlung an die Jury eine Rede hielt, in welcher er seine Ansicht von der Sache darlegte und mit den Worten schloß:
„Daher, meine Herren, rate ich Ihnen, die Anklage zu verwerfen. Bedenken Sie doch, daß — wenn schon nicht das Leben, die Ehre eines Mannes auf dem Spiel steht, und das will hier, gerade hier, dasselbe sagen! Die Ehre eines allgemein geachteten Arztes ist dessen Leben! Bedenken Sie ferner, daß — sollte er wirklich schuldig sein, dermaleinst wirkliche Beweise gegen den Angeklagten vorgebracht werden könnten. Sollen Sie aber dem heutigen Prozesse freien Lauf lassen, so muß für immer die Freisprechung erfolgen. Sie werden die Anklage verwerfen, meine Herren, um so eher, als es ja doch zu jeder beliebigen Zeit nur von Ihnen abhängt, den Beschuldigten von Neuem in Anklagezustand zu versetzen und das Verbrechen zu bestrafen."
Das Ansehen des Präsidenten konnte diesmal den Sieg über die Voreingenommenheit der Geschworenen nicht davongetragen. Nach einer ziemlich stürmischen Beratung entschieden sie sich dahin, daß der Prozeß seinen Verlauf nehme und die Vernehmungen beginnen sollten.
Nun aber forderte der Staatsprokurator, der die Meinung des Präsidenten vollkommen teilte, den Gerichtshof auf, die Verhandlung zu vertagen, weil die Untersuchung noch nicht vollständig geschlossen sei und die Beibringung von Beweisen noch -einige Monate Zeit erfordere.
Diesem Verlangen wiedersetzte sich der Verteidiger des Angeschuldigten mit Heftigkeit.
„Sie hätten sich", rief er dem Staatsprokurator zu, „mit Beweisen versehen sollen, ehe sie bei Gericht die Verhandlung des Prozesses beantragten! Die Verschiebung der Verhandlung würde meinem Klienten eine lange, ungerechtfertigte Untersuchungshaft bringen und da die Anklage nicht derart ist, daß der Angeschuldigte gegm
gehört hat und verschiedene zur Aufsuchung derselben unternommenen Expeditionen kein Ergebnis gehabt haben, kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, daß beide Herren ihren Tod in den Wellen gefunden haben.
— Ein Menschenfreund vor Gericht. Aus Berlin. „Ick bin een Menschenfreind un kann natierlich keen Tier nich unrecht leiden sehen, da braucht sik so'n Schutzmann um meinen Hund ooch nicht zu kümmern." So meinte der Handelsmann Albert Schön, der der Beamtenbeleidigung angeklagt war und vom Vorsitzenden befragt wurde, ob er sich schuldig bekenne. — Vors.: Soll das eine Antwort auf meine Frage sein? — Angekl.: Ick will blos damit sagen, det ick ooch menschlichet Jefühl habe, jerade so jut als een Schutzmann und weiter habe ick ihm nischt jesagt und wenn det strafbar sollte sind, denn weeß ick nich, denn kommt det woll ooch nächstens heraus, det wir for die Herren Schutzleite stramm stehen müssen, denn will ick aber doch lieber in Kamerun mit kleenjemachtem Kiehn handeln, als wie hier. — Vors.: Lassen Sie alle überflüssigen Bemerkungen und bleiben Sie bei der Sache. Sind Sie übrigens nicht schon einmal wegen Beamtenbeleidigung vorbestraft? — Angekl.: I bewahre! Schon zweeemal. Ick kann Ihnen blos sagen, ick bin een Menschenfreind, aber die Schutzleite sind noch mein Dod, ick möchte blos wissen, wo die Leite Mens in'n Kopp behalten können, wat man nich darf. — Vors.: Die letzte Strafe haben Sie sich aber auf recht mutwillige Weise zugezogen. Sie liefen einem reitenden Schutzmann, der im Trabe die Straße Alt-Moabit passierte, nach und riefen fortwährend: Herr Schutzmann! Herr Schutzmann! Als der Gerufene endlich still hielt und sich nach Ihnen umsah, riefen Sie ihm zu: Bringen Sie mir for'n Sechser dicken Priem mit! Ist für solchen Hohn eine dreitägige Gefängnisstrafe nicht viel zu milde? — Angekl.: Kann ick nich finden, mir sagen die Leite manchmal noch jan; wat Anderes, wat ick ruhig instecken muss. — Vors.: Bleiben wir bei der heutigen Sache, Sie fuhren also in der Mittagsstunde des 14. September mit ihrem Hundefuhrwerk die Jnvalidenstraße entlang? — Angek.l.: Det stimmt, und det war 'ne kallibarische Hitze, so dat ick meinen Phylax an den Brunnen führen un ihn saufen lassen musste. So'n Tier hat ooch Durscht un ick bin een Menschenfreind. — Vors.: Daß Sie für ihr Tier sorgen, ist gewiß anerkennenswert, Sie hätten den Maulkorb wieder aufsetzen müssen nachdem es gesoffen hatte. — Angekl.: Ick war jerade bei, als der Schutzmann kam un mir anfahren dhat, det ick mir beinahe verschrocken hätte. „Warum hat der Hund keinen Maulkorb an?" fragte er mir in'n Ton, als wenn ick meinen eijenen Vater een Ooje ausgeworfen hädde. Ick sage, sehen Sie denn nich, det ick ihn hier in die Hand habe un jerade bei will? Sie sollten lieber Mitleid mit det arme Tier haben, wat so in'n Wajen anjespannt wird un denn vor Durst die Zunge aus'n Halse hängen läßt un denn noch wat mit die Peitsche kriegt, sagde ick, denn ick bin en Menschenfreind. — Vors.: Nach der Anklage sollen Sie gesagt haben, Sie möchten den Schutzmann mal vor den Wagen spannen können, den würden Sie mit der Peitsche hauen, bis er die Zunge zum Halse hinaus hängen ließe. — Angekl.: Herr meines Lebens! Wo kann's möglich sind, det der Schutzmann mir so mißverstehen konnte, aber bei die Hitze un den schweren Helm un denn so ville in'n Kopp zu nehmen, so 'n Mann is eijentlich ooch zu bedauern. — Da die Einreden des Angeklagten sich nicht als stichhaltig erwiesen, wurde er zu einer Woche Gefängnis verurteilt.
Wer Freunde hat, darf sich über Neider nicht wundern ist es doch einmal so im Leben, daß sich das Work Schillers »Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil" nur zu sehr bewahrheitet. ES darf daher die Freunde von Apotheker R. Brandts Schweizerpillen nicht beunruhigen, wenn zwischen die Worte des Dankes und der Anerkennung auch hie und da einmal ein Unzufriedener seiner Ansicht Luft macht. Allen es recht zu machen, ist nicht möglich und so werden sich zu den vielen Tausenden, welche den Apotheker R. Brandt'« Schweizerpillen Hilfe und Heilung verdanken, auch Einige gesellen, die mit denselben nicht zufrieden gewesen sind, ohne daß hierdurch nur die geringste Berechtigung gegeben wäre, auf den allgemeinen Wert des Mittels Schlüsse zu ziehen. Erhältlich ü Schachtel 1 in den Apotheken.
Kaution auf freien Fuß gestellt werden kann, so würde ihn schon vorher, er mag schuldig sein oder unschuldig, eine schwere Strafe treffen. Ich verlangte daher die Eröffnung der Verhandlung!"
Die Gründe des Verteidigers waren unwiderlegbar, und so verweigerte denn der Präsident die Vertagung der Sache. Niemand zweifelte jetzt mehr daran, daß der Angeklagte freigesprochen würde, denn es leuchtete ein, daß der Staatsprokurator die Hinausschiebung der Verhandlung nur verlangt habe, weil es ihm an gesetzlichen Beweisen fehlte.
Aber die Ungewißheit, daß die Geschworenen durch die öffentliche Meinung sich bestimmen lassen würden, trotz der mangelnden Beweise ein verurteilendes Verdikt abzugeben, steigerte das Interesse, welches Jedermann an der Sache nahm, auf den höchsten Grad.
Man fragte sich: „Wie wird dieses Drama enden? Werden die Geschworenen einen Mann in den Tod schicken, gegen den keine legalen Beweise vorliegen?"
Daß eine Verurteilung erfolgen könne, bezweifelten jetzt selbst Diejenigen, welche bisher in der Beschuldigung des Dr. Henrik am lautesten gewesen. Sie begriffen nun, daß es anders ist, einem Gerichte Gehör zu geben und darauf hin eine feindselige Meinung zu äußern, als von einem Gerichtshöfe nach Recht und Gewissen ein Urteil auszusprechen.
Endlich wurde die Sitzung ordnungsgemäß ausgenommen und der Präsident befahl den Angeklagten vorzuführen.
Als Dr. Henrik im Gerichtssaale erschien, überflog seine Wangen eine vorübergehende Röte in dem kurzen Momente, da er auf die Anklagebank zuschritt und tausend aufmerksame Blicke sich auf ihn hefteten. Er setzte sich nieder, schlug die Arme übereinander und erwartete den Beginn der Handlung mit einer gelassenen Ruhe als wäre er nur herbeschieden, um durch seine Anwesenheit die Zahl der Zuhörer zu vermehren.
(Fortsetzung folgt.)