Briefe nach Wien geschickt, als einen Diplomaten, wie wir ihn leider nicht immer haben könnten, in den Himmel, und war sehr scharf gegen die Militär­kommission. Da Huene selbst erklärte, daß ihm vom Zentrum nur wenige für das Kompromiß Gefolg­schaft zugesagt haben, und Eugen Richter, die Kom­promißlustigen in seiner Partei inzwischen wieder auf den Weg des Gehorsams zurückzubringen be­flissen ist, so gilt das Scheitern der Militärvor­lage heute wieder als wahrscheinlich.

Graf Ballestrem hat den Vorsitz der Zent- rumsfraktion niedergelegt.

Deutscher Reichstag. Bei überfüllten Tribünen ge­nehmigte der Reichstag Dienstag definitiv den Gesetzentwurf, betr. die Ersatzverreilung und den zweiten Nachtragsetat. Das neue Wuchergesetz wurde in der Gesamtabstimmung an­genommen. Alsdann folgte die Beratung des Antrages Ahl- wardt. Die Kommisston, welcher derselbe zur Prüfung über­wiesen war, beantragt, zu erklären, daß der Inhalt des Aktenmaterials des Abg. Ahlwar dt den vom genannten Abgeordneten gegen frühere und jetzige Mitglieder des Reichs­tags und des Bundesrates erhobenen Anschuldigungen nicht entspricht. Abg. von Cuny (natlib.) berichtet über die Ver­handlungen der Kommission, und bezeichnet die Beschuldigun­gen Ahlwardts, bei der Errichtung des Jnvalidenfonds sei das deutsche Volk durch den Einfluß von Börsenjuden um Hunderte von Millionen betrogen, als total falsch. Abg. Porsch (Ctr.) berichtet über die Verhandlungen der Kom­mission wegen der übrigen Ahlwardtschen Behauptungen und legt dar, daß Ahlwardt selbst nicht einmal genau gewußt, was in seinen Akten gestanden habe. Er hat gegen den Finanzminister Dr. Miguel den Vorwurf erhoben, daß un­ter dessen Leitung die Berliner Diskontogesellschaft eine not- leidende Eisenbahngciellschaft bewuchert und derselben SSOsg Zinsen für Beschaffung staatlicher Gelder abgenommcn habe, ferner, daß Minister Miguel durch Verschweigen dieser That- sachc einen Falscheid geleistet. Bon allem sei rein nichts er­wiesen, alles unbegründet. Wenn Ahlwardt noch einen Fun­ken von Ehrgefühl im Leibe habe, müsse er seine Anschuldi­gungen zurücknehmen. (Beifall.) Abg. Ahlwardt führt aus, der Jnvalidenfonds sei weder den Interessen der Invaliden, noch des Volks entsprechend eingerichtet gewesen und es sei dabei auch wohl nicht alles regelrecht zugegangen. Der Jn- validensondS sei durch Ankauf von Obligationen notleidender Bahnen schwer bedroht gewesen, und nur durch die Eisen­bahnverstaatlichung habe dies geändert werden können. Da­bei hätten die großen Bankhäuser am meisten verdient. Die Zinsen und die Provision, die der rumänischen Bahngesell­schaft von der Diskontogesellschaft abgenommen seien, erschei­nen ihm heute noch zu hoch. Die aus dem angeblichen Briefe des Rumänen Kalindero gegen den Finanzminister Miguel erhobenen Beschuldigungen zieht der Redner zurück. Nach verschiedenen Ausführungen gegen die Kommission kommt Ahlwardt zum Schluffe, er könne sich in Einzelheiten geirrt haben, in der Hauptsache seien die Behauptungen aber zu­treffend. Er werde nun sein Aktenmaterial im Druck ver­öffentlichen und seinen Kampf gegen das Judentum weiter führen. Die Referenten von Cuny und Dr. Porsch treten Ahlwardts Ausführungen, der sich dann entfernt, entgegen, worauf der Kommissionsantrag einstimmig angenommen wird. Auch die anwesenden Antisemiten Böckel und Zimmer­mann stimmen dafür. Mittwoch 12 Uhr: Militärvorlage.

Die Abstimmung über die neue Militärvorlage im Reichstage wird voraussichtlich am Sonnabend Spätnachmittag dieser Woche stattfinden, mit der Ab­lehnung der Regierungsforderung enden, worauf dann die Auflösung des Reichstags publiziert werden wird.

Berlin, 3. Mai. Herr v. Huene hat seinen Antrag im Reichstag eingebracht. Derselbe be­deutet gegenüber der Regierungsvorlage ein Minus von 13 800 Mann an der Präsenz, einschließlich 1095 Unteroffiziere. Ferner soll eine vorläufige Ver­minderung von 11000 Gemeinen wegen der Unter- offizier-Manquements für die ersten Jahre stattfinden, welche im Laufe von 5 Jahren nach und nach ver­schwinden foll. Endlich soll im ersten Jahre durch Entlassung der Dispositionsurlauber im bisherigen Umfange eine Minderpräsenz von 5000 Mann er­zielt werden. Im ersten Jahre betrüge sonach die Gesamtabminderung -29 800 Rekruten. An Kosten würden dauernd etwa neun Millionen, außerdem für das erste Jahr 4 Millionen erspart. Endlich ergäben sich nicht unerhebliche Ersparnisse an den einmaligen Ausgaben.

Berlin, 4. Mai. Caprivi hat dem Kaiser bereits über die veränderte Lage Bortrag gehalten. Der Kaiser hat auf den Vortrag des Reichskanzlers für den Fall der Ablehnung des Ausgleichs die Einwilligung zur Auflösung des Reichstags ge­geben. Dem Bundesrate ist bereits ein sich darauf beziehender preußischer Antrag zugegangen. Am Samstag dürfte die entscheidende Abstimmung im Reichstag fallen.

Schwei).

Fluelen, 2. Mai. Das Kaiserpaar mit Ge­folge ist um 8 Uhr 20 Min. früh bei prachtvollstem Wetter hier eingetroffen. Der Bahnhof ist glänzend dekoriert mit deutschen und schweizerischen Fahnen.

Am Bahnhof befanden sich der Armeekorpskomman­dant Wieland, der Generalstabschef Keller, Oberst­lieutenant Ruffy und andere Schweizer Offiziere, sowie das deutsche Gesandtschaftspersonal. . Nach der Begrüßung begab sich das Kaiserpaar auf den geschmückten DampferStadt Luzern," das Gefolge auf dieJtalia."

Luzernj, 2. Mai. Beim Nahen des kaiserlichen Schiffes ertönte Kanonendonner von den Höhen Luzerns. Am Ufer standen viele Tausende, welche beim Eintreffen des Kaiserschiffes vor dem Schweizer Hof brausende Hochrufe ausbrachten. Die Musik spielte die Preußische Hymne. Kleine Mädchen in Nationaltracht überreichten Blumensträuße. Der Bun­despräsident Schenk, die Bundesräte Frey und Lach enal begrüßten das Kaiserpaar und geleite­ten dasselbe über die mit Teppichen belegte Straße durch das Militär-Spalier in den Schweizer Hof.

Luzern, 2. Mai. Im großen Lesesaale des Schweizer Hofes fand die offizielle Begrüßung und gegenseitige Vorstellung statt. Sodann begann das Festmahl im großen Saale des Schweizer Hofes. Insgesamt nahmen an dem Mahle 42 Personen Teil. Der Bundespräsident brachte den Toast auf den Kaiser und die Kaiserin aus, worauf der Kaiser dankte. Die Verabschiedung des Kaiserpaares von den Bundesräten am Bahnhofe war sehr herzlich. Die Abfahrt erfolgte direkt nach Karlsruhe ohne Aufenthalt in Basel.

Luzern, 2. Mai. Auf den Toast des Bnn- despräsidenten erwiderte der Kaiser: Die freund­liche Einladung, auf der Heimreise einige Stunden in der Schweiz zu verweilen, habe ihnen beiden zur aufrichtigen Freude gereicht. Mt herzlichem Danke und zugleich im Namen des gesamten deutschen Vol­kes erwidere er die liebenswürdige Begrüßung und den traulichen Empfang der Schweizer. Die herr­liche soeben ihm gezeigie Gegend sei ihm nicht un­bekannt, denn in jüngeren Jahren habe er sich schon einmal an dem Anblick dieser Berge un) Seen er­freut, welche jährlich Tausenden seiner deutschen Landsleute, Erfrischung, Kräftigung und gastliche Ausnahme gewährten. Mit Befriedigung konstatiere er, daß die guten freundnachbarlichen Beziehungen, die von Alters her mir der Schweiz bestanden hätten, unverändert fortdauerten, und er hoffe, daß der ver­tragsmäßig gesicherte Verkehr zwischen der Schweiz und Deutschland sich weiterhin gedeihlich entwickeln und dazu beitragen werde, die Freundschaft zwischen beiden Völkern zu erhalten und zu festigen. Er trinke auf das Wohl der Schweiz, der Schweizer und des Präsidenten der Eidgenossenschaft.

Besterreich-Angarn.

Der ehemalige Statthalter von Mähren, Ge­heimrat Freiherr Adolf Poche durchschnitt sich in Wien den Hals, stürzte sich dann vom dritten Stock­werke in den Hof und wurde noch lebend in die Klinik gebracht. Er starb nach drei Stunden. Der achtzigjährige Greis stand vor einer Augenoperation.

Italien.

Die Kaiserreise nach dem Süden ist zu Ende. Der Abschied der kaiserlichen Majestäten aus Italien war ebenso herzlich und innig, wie die Ankunft und der ganze zehntägige Aufenthalt. Nach der Rundfahrt im Golfe des italienischen Kriegshafen Spezzia, auf welcher den fürstlichen Herrschaften am Montag nach­mittag die stürmischten Ovationen dargebracht wurden, erfolgte noch ein kurzes, vertrauliches Zusammensein der Majestäten in Spezzia selbst, worauf das deutsche Kaiserpaar seine Reise nach Norden fortsetzte, während König Humbert und Königin Margherita von Italien nach Rom zurückfuhren, wo die Ankunft in der Nacht zum Dienstag erfolgte.

Rußland.

Notstand in Rußland. Eine Reihe von rus­sischen Gouvernements im Süden und an dem Wolga­fluß werden wegen der unzureichenden Ernte im ver- floffenen Jahre ebenso wie zur Zeit der Hungersnot auf Staatskosten verpflegt, für deren Verpflegung die Regierung 39 Millionen Pud bestimmen mußte. Ge­radezu schauderhaft ist die Lage der Bauern im Be­zirk Schadrin, Gouvernemement Perim, wo 23 000 Bauern sich von Gartenmelde und Feldgras ernähren, und eine ebenso große Zahl aufs Betteln angewiesen ist. Die Lohnpreise sind dort bis auf 5 Kopeken den Tag gesunken, wobei auch unter diesem Preise die Arbeit nicht für alle Hände reicht und 10000 Per­sonen auswandern mußten."

Amerika.

Newyork, 3. Mai. 22 000 Arbeiter streiken in Ohio, weil eine 5prozentige Lohnerhöhung ver­weigert wurde.

Chicago, 2. Mai. Auf dem Gebiet der In­dustrie gebührt Deutschland die Palme, obgleich auch Großbritannien gutes geleistet hat. Auch Frank­reich und Japan erregen Interesse. Mehr als drei­hundert ausländische Journalisten wohnten der Er­öffnungsfeierlichkeit bei, unter ihnen viele Engländer und Deutsche. Einige, die aus Furcht, im Men­schengewühl zu ersticken, auf die Estrade des Präsiden­ten sich gedrängt hatten, wurden durch die Polizei entfernt; auch wurden mehrere Personen verhaftet.

^-^7----

Kleilltre Mittkilusge«.

b'Maienstecken." (Einges.) Noch ist sie nicht gänzlich verschwunden, die alte Sitte des Maiensteckens. Des find gar viele Schwarzwaldorte Zeuge. Auch sonst trifft man noch hin und wieder im Lande Anklänge an eine Sitte, die früher, als noch der Wald von den Menschen weniger als heute respektiert wurde, in großem Maßstabe gepflegt worden ist. In der Nacht vom letzten April zum 1. Mai erstanden geheimnisvoll vor dem Hause des Schulzen, der Wirte, auf Brunnen und öffentlichen Plätzen Birken, Tannen oder Fichten. Und vor das Fenster der Geliebten einen Maien zu pflanzen, war Ehrenpflicht der Burschen. Das kostete manch jungem Bäumlein oder auch manch schlanker Tanne das Leben und dem Staate, den Gemeinden oder dem Bauer manch einen schönen Gulden, dessen nicht zu gedenken, daß die mit einem Maien Beehrten die ihnen geschenkte Aufmerksamkeit auf irgend eine Weise ausgleichen mußten. Deswegen ist es nicht zu beklagen, daß die Anzahl der Maien auch da. wo sie noch blühen, ziemlich zurückgegangen ist. Wo aber noch Maien gesteckt werden, da ist es eine unruhige Nacht, die erste Nacht des Mai, und die jungen Bursche machen sich in derselben viel Mühe. In ihrer un­gebundenen Ausgelassenheit schaffen sie alles, was nicht niet- und nagelfest ist, an geheime Orte. Und die Mädchen, die, des Maientags uneingedenk, ihre Milch­häfen rc. auf dem Küchenbrett übernachten ließen, können sie am andern Morgen auf den Zähnen einer Egge entdecken und aus einem bunten Durcheinander wieder zusammenlesen. Aber sie thun's noch gerne, wenn ihnen der Mutwille, die Eifersucht, oder die Schadenfreude nur keinenfalschen" Maien gesteckt oder kein Sägmehlwegchen gestreut hat. Und auch die Alten sind mit solchem Unfug noch zufrieden. Aber wenn derselbe die Schläfer durch Feuersignale in die kühle Nachtluft hinaus irre führt, wie es Heuer irgendwo vorgekommen ist, so möchte der Spaß doch zu weit getrieben sein. Der Frühling wird sich da­durch nicht mehr und nicht weniger bestimmen lassen, sein stündiges Quartier bei uns aufzuschlagen. Denn das ist doch wohl die oder wenigstens eine Deu­tung dieser Fröhlichkeiten beim Maienftecken: Dem Frühling, den man von Flur und Wald in die Wohn­stätten der Menschen locken möchte, und dem Wonne­mond frohen Willkomm zu geben.

Stuttgart, 1. Mai. Durchgebrannt ist dieser Tage die Frau eines Bürstenwarenfabrikanten, Mutter von 6 Kindern, mit einem ca. 20 Jahre jüngeren Pferdebahnkondukteur. Der Gatte soll übrigens nichts weniger als unglücklich sein.

Handel L Verkehr.

>» Alten steig, 4. Mai. Der gestrige Viehmarkt war gering befahren; es war kaum die Hälfte Tiere aufgestellt wie fonst, wo ihre Zahl 1000 und darüber betrug. Auch war viel minderwertige Ware da. Der Handel ging ganz flau und die Preise gingen bedeutend zurück, weshalb der in den letzten Wochen bei den Metzgern eingetretene Fleischauf­schlag, 6 >4 pro F, wohl wieder aufgehoben werden dürfte. Auch beim Fettvieh machte sich ein Preisabschlag bemerkbar. Für fette Ochsen im Gewicht von circa 34 Ztr. wurden kaum 2830 für den Zentner lebend Gewicht statt 32 und 34 wie sonst erlöst. Der Schweinemarkt war gut beschickt und ging auch der Handel gut. Bei den Läuferschweinen machte sich gegen den letzten Markt ein kleiner Preisrückgang be­merkbar. Die Saugschweine hielten sich auf dem Preis fest und wurde das Paar mit 2636 bezahlt.

Konkurseröffnungen. Adolf Fränkel, Kaufmann, Inhaber eines Herrenkleidergeschäfts in Stuttgart. Wilhelm Friedrich Haag, Schneidermeister in Heiningen. Christian Bandle, Rotgerber in Unterwciffach.

Hiyu das Uuterhaltuugsblatt Nr. 18.

Verantwortlicher Redakteur Steinwandel in Nagold. Druck und Verlag der G. W. Zaiser' schen Buchdruckerei.