Schwierigkeit liegt darin, die notwendige Anzahl vom Centrum und den Freisinnigen zusammenzubringcn, die dafür stimmen.

Deutscher Reichstag. In der Donnerstagssitzung wurde zunächst der Gesetzentwurf betr. die Geltung des Gc- richtsverfassungsgesetzes in Helgoland definitiv angenommen. Es folgt die dritte Beratung des Gesetzentwurfs gegen den Verrat militärischer Geheimnisse. Abg. v, Bar (freis.) hat immer noch schwere Bedenken gegen die Vorlage. Abg. Schneider-Hamm (natlib.) beantragte auch den Verrat von Nachrichten, deren Geheimhaltung im Interesse der Lan­desverteidigung liegt, unter Strafe zu stellen. Abg. Gröber (Ctr.) hält das nach den Beschlüssen zweiter Lesung nicht mehr für erforderlich. Kriegsminister von Kalten born- Stachau, Abg. Marquardsen (natlib.) sprechen für den Antrag Schneider, während die Abgq. von Bar (freis.) und Gröber (Ctr.) dabei bleiben, derselbe sei überflüssig. Abg. Fritzen (Ctr.) ist für den Antrag. Der Antrag wird mit 131 gegen 97 Stimmen abgelehnt und dann das ganze Ge­setz definitiv gegen Freisinnige und Sozialdemokraten ange­nommen. Es folgt die dritte Beratung des neuen Wucher­gesetzes, in welcher die Abgg. Lieberm ann von Sonnen­berg und Böckel (Antifem.) sich gegen Bemerkungen des Abg. Stadthagen bei der zweiten Lesung wenden. Abg. Träger (freis ) bezeichnet das Gesetz als unannehmbar für seine Partei. Dann wird die Weiterberaiung bis Freitag vertagt.

Deutscher Reichstag. Die Freitagssitzung bot nach ruhigem Anfang wieder stürmCche Scenen. Die Interpella­tion Richter wegen vorgekommener Verwarnung von Per­sonen des Beurlaubtenstandes bei den Frühjahrskontrollver- sammlungen in Bezug auf Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte bei öffentlicher Erörterung allgemeiner Fragen der Militärgesetzgebung beantwortete Kriegsminister v. Kalten­born damit, daß die bezüglichen Erlasse jedes politischen Charakters entbehrten und keinerlei Einschränkung der staats­bürgerlichen Rechte bezwecken. Damit ist. die Sache erledigt. Der Nachtragsetat wird nach einigen unerheblichen Bemerkun­gen unverändert angenommen, und hieraus die zweite Beratung des Wuchergesetzes fortgese^t. Abg. Stadthagen (Soz.) kommt auf die gestrige Aeutzerungen des Abg. Liebermann v. Sonnenberg zu sprechen und wirft demselben Gewissen­losigkeit vor. (Vizepräsident Baumbach ruft ihn in Ordnung.) Es gebe ebensogut christliche Wucherer, wie jüdische, auch ein gewisser Böckel in Frankfurt a. M. habe Wucher getrieben. (Abg. Böckel ruft: Gemeinheit, Erbärmlichkeit! und wird vom Vizepräsidenten zur Ordnung gerufen.) (Abg. Böckel: Er hat meinen Vater beleidigt, Schuft!j (Zweiter Ordnungsruf.) Abg. Stadthagen schließt damit, daß das Wucher resetz doch erweitert werden müsse. Abg. Kühner (Soz.) meint, Ahl- wardt habe sich ja auch geäußert, er sei mehr von christ­lichen, wie von jüdischen Wucherern bedrängt. Ahlwardt wäre übrigens auch einmal gern Sozialist geworden, voraus­gesetzt, daß ihm beim Abg. Sing er ein Pump glückte, was aber nicht der Fall war. Nach seiner Ansicht gehörten die Antisemiten in eine Korrektionsanstalt für sittlich Verwahr­loste. Abg. Liebermann v. Sonncnberg (Antis.) meint, Stadt- Hagen habe wohl nur deshalb so erregt gesprochen, weil ihm gestern der Rat erteilt worden sei, ein Bad zu nehmen. (Lärm bei den Sozialdemokraten. Pfui!) Redner betont, daß er alle Wucherer treffen wolle, gleichviel ob Christen oder Juden. Abg. Böckel, Antisemit erklärt, Stadthagen habe es mit seinen Beschimpfungen noch ärger getrieben, wie Ahlwardt. Uebrigens lasse sich auch aus dem Privatleben der Sozial­demokraten so manches Mitteilen. In wiederholtem scharfen Wortwechsel fallen noch Ausdrücke, wie:unverschämter Patron, Feigling, Lump!" dann wird das Wuchergesetz in dritter Lesung mit der Neuerung angenommen, daß auch gewerbs­mäßiger Betrieb der Viehpacht, des Viehhandels und des Handels mit ländlichen Grundstücken konzessionspflichtiz sein solle.

Deutscher Reichstag. Sonuabcndsitzung. Der Ge­setzentwurf über die Ersatzverteilung wird in zweiter Lesung ohne Debatte erledigt, ebenso der Nachtragsetat für 1893s94 in dritter Lesung und der Nachtragsctat für I89H93 in erster und zweiter Lesung. Es folgt die zweite Beratung des Ge­setzes über die Abzahlungsgeschäfte. Die Sitzung wird bis Dienstag vertagt. (Nachtragsetat und Gesamtabstimmung über das Wuchergesetz. Antrag Ahlwardt.) Abg. Heine (Soz.) möchte wissen, ob auch Staatslotterien dem Gesetze über die Abzahlungsgeschäfte unterliegen. Abg. Wöllmer (frs.) legt nochmals die Bedenken seiner Partei gegen die Vor­lage dar, die lediglich das legitime Abzahlungsgeschäft be­drohe und empfiehlt, die Verwirkungsklausel wenigstens so zu fassen, daß der Käufer gegen Rückgabe der empfangenen Sachen die Rückgewährung der von ihm geleisteten Teilzah­lungen nur insoweit fordern kann, als er nachweist, daß bei Verwirkung der Teilzahlung die Vermögensvorteile des Ver­käufers in auffälligem Mißverhältnis zu der von ihm ge­währten Leistung stehen. Abg. Ackermann (kons.) erblickt darin eine Benachteiligung des Käufers. Abg. v. Bar (frs.) befürwortet einen Antrag zu H 2, der die Entschädigungs­frage regelt. Wer Verpflichtungen eingehe, müsse sich die Fol­gen klar machen, jedenfalls dürfe man nicht, wie die Vorlage wolle, den Richter zum Taxator machen. Der Käufer solle im Falle des Rücktritts die in Folge des Vertrags gemachten Aufwendungen, sowie den Minderwert der Sache ersetzen, der sich bei der Rückgabe gegenüber dem Kaufpreise crgiebt. Abgg. Krämer (natlib.), Spahn (Ctr ) und Auer (Soz.) erklären sich für unveränderte Annahme der Kommissions­beschlüsse. Abg. Auer führt namentlich aus, daß ohne die Abzahlungsgeschäfte in Nähmaschinen die Hausindustrie nicht einen so großen Umfang hätte gewinnen können.

Berlin, 30. April. DerBossischen Zeitung" zufolge hat sich Graf v. Hoensbroech bei dem evan­gelischen Theologieprofessor Dr. Harnack vor einigen Jahren unter Verschweigung seiner Zugehörigkeit zum Jesuitenorden als katholischer Priester eingeführt. Nach

Vollendung seiner Studien habe er seine Eigenschaft als Jesuit bekannt und sofort hinzugesetzt, nun werde er den Kampf gegen Harnack ausnehmen.

lieber den Antisemitismus hatte Maximilian Harden, der Herausgeber derZukunft", mit dem Fürsten Bismarck eine Unterredung. Der Fürst äußerte sich dabei folgendermaßen: Infolge seiner Erziehung sei er kein Judenfreund geworden, im Jahre 1847 sei er sogar Gegner der Judenemanzi­pation gewesen, im Jahre 1869 habe er sie begün­stigt. weil er bei Bleichröder ein rascheres Verständ­nis für seine nationalen Pläne gefunden habe, als bei der Opposition. Das Aufflackern des Antisemi­tismus nach der Gründerperiode sei veranlaßt wor­den, weil der Jude sür das Volk ein erkennbarer Repräsentant der Geldherrschast geblieben sei. Die Aera Ahlwardt sei eine Folge der jetzigen unproduk­tiven Politik; die feiernde Kraft suche eine Entladung in dem antisemitischen Sport.

Berlin, 1. Mai. Der Staatssekretär des Reichsjustizamts, v. Hanauer, ist gestern Nachmittag gestorben.

Berlin, 1. Mai. Die Militärvorlage kommt erst am Donnerstag zur zweiten Lesung im Reichs­tag Alle Aussichten auf Verständigung über die Militärvorlage sind geschwunden; das Zentrum wird geschlossen die Vorlage stimmen. Eine Vertagung des Reichstages, sowie die Zurückziehung der Mi- litärvolage erscheint immer mehr als wahrscheinlich.

Berlin. 2. Mai. Die gestrigen Maifeiern sind ruhig verlaufen. In den 14 Festlokalen der Sozial­demokraten, die mit roten Fahnen und mit Büsten geschmückt waren, hatten sich insgesamt etwa 50000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, eilige- funden. Die Festredner boten nichts Hervorhebendes.

Das Zentrum hat auf die Beratung des Jesuiten­antrages vor der Entscheidung über die Militärvor­lage definitiv verzichtet.

Berlin. 2. Mai. (Reichstag.) Das Haus ist gut besetzt, die Tribünen überfüllt. Es kommt zur Beratung der schleunige Antrag Ahlwardt. Referent v. Cuny (natlib.) giebt nochmals eine liebersicht über den Inhalt der Akten Ahlwardts und legt die Anlage der Kapitalien des Jnvalidenfonds dar. Redner beantragt die Beschuldigungen Ahlwardt's für nicht gerechtfertigt zu erklären. Zweiter Referent, Porsch, reproduciert ebenfalls nochmals die Be­hauptungen Ahlwardt's und geht sehr ausführlich auf die Aktenstücke ein. welche keinen Beweis für Ahlwardt's Beschuldigungen enthalten. Die Kom­mission bittet den Reichstag die Erklärung zu rati­fizieren, den Antrag Ahlwardt für erledigt zu er­klären; besitze Ahlwardt einen Funken von Ehrgefühl, so nehme er die vorgebrachten Beschuldigungen zu­rück. (Bravo.)

Seüerreich-Anaarn.

Wien, 30. April. Bon den hiesigen Zeitungen erscheinen am Dienstag keine Morgenbläter, da die Setzer am Montag feiern.

Wien, l. Mai. In Chicago herrscht nach einer Kabeldepesche des Wiener Tagblatts Wohnungsnot; alle Hotels sind überfüllt. Leider ist das Wetter ungünstig und trostlos. Ein Sturm fegt durch die Straßen, und man trägt wegen der eisigen Kälte Winterkleider. Cleveland wurde bei seiner Ankunft enthusiastisch begrüßt; ein Bataillon als Ehrenes­korte begleitete ihn auf Bhcicles.

Italien.

Eine närrische Ente hat in Beziehung auf die Unterhaltung des Kaifers mit dem Papste der Korrespondent derTribuna" ausgeheckt. Darnach hätte der Kaiser, veranlaßt durch die Unhaltbarkeit der heutigen drückenden, durch die Militärlasten herbeige­führten Zustände dem Papst folgenden Abrüstungs­antrag unterbreitet. Deutschland verzichtet auf Elsaß- Lothringen , welches aber nicht an die Franzosen, sondern an den Papst abgegeben werden soll. Der Papst schlägt seine Residenz in Strasburg auf und hat die ersehnte weltliche Herrschaft wieder. Deutschland und Frankreich entlassen ihr Militär bis auf 200000 Mann, Oesterreich und Italien bis auf 100000 Mann, Rußland rüstet auch ab, nachdem es vorher noch ein ordentliches Stück von der Türkei zugesprochen be­kommen hat; auch Oesterreich und Italien nehmen sich noch etwas von den Türken. So ist schließlich jeder befriedigt und ein Zustand ungeahnter Glückseligkeit bricht über Europa herein. Wir erwähnen diese Meldung lediglich ihrer Kuriosität halber.

Neapel. 29. April. Das deutsche Kaiserpaar und das italienische Köuigspaar sowie der Kronprinz mit Gefolge begaben sich heute um 9 Uhr nach Pompeji. Lebhafte Ovationen fanden während der Fahrt auf den Stationen, sowie bei der Ankunft in Pompeji statt. Die Ruinen der alten Stadt wurden eingehend besichtigt. Die Kaiserin und die Königin benutzten zierliche Sänften antiken Stils. Später wohnten die Fürstlichkeiten den Ausgrabun­gen des jüngst entdeckten Hauses bei, wobei mehrere Gegenstände gefunden wurden, besonders Amphoren, größere Weinkrüge. Alsdann erfolgte die Besichti­gung der Thermen von Stabiä. Die Rückfahrt wurde um '/,3 Uhr angetreten.

Mailand, 29. April. Ein Landregen erquickte endlich Oberitalien und bessert die Aussichten der Ernte.

Türkei.

Daily News" melden aus Koustantinopel: Der Besuch des Prinzen Ferdinand und seiner Ge­mahlin beim Sultan ist infolge Widerspruchs des russischen Botschafters Nelidow aufgegeben.

Kleinere Mitteilungen.

Nagold, 28. April Eine raffinierte Be­trügerei übte der erst kürzlich aus der Strafan­stalt entlassene S. von Unterjcttingen aus. Der­selbe stellte sich selbst eine Vollmacht aus, welche mit dem Ortssiegel und den Unterschriften vom Schultheiß und zwei Gemeinderäten versehen ist. Mittels dieses Schriftstückes gelang es ihm, in Herren­berg 900 zu erschwindeln. Nachdem er auf dem Stuttgarter Pferdemarkt ein freies Leben geführt hatte, wurde er gestern verhaftet.

Lorch, 28. April. Angenehm und freudig über­rascht wurde die hieher eingepfarrte, nicht ganz 400 Einwohner zählende, im allgemeinen ökonomisch nicht gut situierte Gemeinde Weitmars durch die ihr vom Oberamtmann heute überbrachte Mitteilung, daß ein in Zürich verstorbener Hr. Stolz, dessen vorverstor­bene Frau aus Weitmars gebürtig war, dieser Ge­meinde den Betrag von ca. 35000 Fr. 28000 ^ mit der Bestimmung testamentarisch vermacht habe, daß der Zins hieraus zu allgemein nützlichen Zwecken, namentlich zur Unterstützung und Ausbildung armer Lehrlinge. zur Verbesserung des Straßennetzes, zur Näh- und Strickschule verwendet werden solle. 3 Fa­milien aus Weitmars wurden außerdem mit je 5( 00 Fr. bedacht. Ehre einer solch' landsmännischen Ge­sinnung.

Handel und Berkehr.

Calw, 28. April. (Schwarzw. B.) Vom t. Mai an haben wir hier einen Milchaufschlag. Die hiestgen Vieh­besitzer werdenangesichts des unerhörten Fntterm mgels und des horrenden Henpreises" (56 den Preis der Milch auf 16 4 (bisher 14 4), die auswärtigen Milchhändler den Milchpreis auf 15 4 (bisher 13 4) per Liter erhöhen. In manchen anderen Orten haben Mehbesitzer den Preis auf 18 hinaufgesetzt.

Verfälschte schwarze Seide. Man ver­brenne ein Müsterchen des Stoffes, von dem man kaufen will, und die etwaige Verfälschung tritt sofort zu Tage: Aechte, rein gefärbte Seide kräuselt sofort zusammen, ver­löscht bald und hinterläßt wenig Asche von ganz hell­bräunlicher Farbe. Verfälschte Seide (die leicht speckig wird und bricht) brennt langsam fort, namentlich glimmen dieSchußfäden" weiter (wenn sehr mit Farbstoff er­schwert,) und hinterläßt eine dunkelbraune Asche, die sich im Gegensatz zur ächten Seide nicht kräuselt, sondern krümmt. Zerdrückt man die Asche der ächten Seide, so zerstäubt sie, die der verfälschten nicht. Die Gelder»» Fabrik N. llvlluodorK (k. u. k. Hoflief.) 2iirioll ver­sendet gern Muster von ihren ächten Seidenstoffen an Jedermann, und liefert einzelne Roben und ganze Stücke Porto- und zollfrei in's Haus.

Vialo werden von Piphteriti, und Keschhiße,

»IVIV IXIIIUVI ^r jetzigen Zeit befallen und unter­liegen diesen bösartigen Krankheiten. Würden die Eltern den Kleinen beim geringsten Unwohlsein und selbst bei Wohlbefinden die M«l»t imschädliche» Zains-London» reichen, so wäre manches vor der Krankheit bewahrt oder dieselbe im Entstehen unter­drückt und dadurch die Kleinen am Leben erhalten. Es sollen deshalb in keinem Hause, wo Kinder find, die A»l»»-K»»Imi» fehlen. Zu haben in Packeten L 25 4 und 50 4 in roten Schachteln L 1 in den Apotheken und Droguerien. Nie­der!. beiH. Lang in Nagold, M. Geltenbort in Unter­jettingen und Ad. Frauer in Wildberg.

HiezuSchwäbischer Landwirt" 3.

Verantwortlicher Redakteur Steinwandcl in Nagold. Druck und Verlag der G. W. Zaiser' schen Buchdruckerei.