richtige Anwendung dieser Dinge das einzige Heilmittel. Auch die soziale Frage glaubt Kneipp durch Empfehlung einer einfacheren Lebensweise teilweise lösen zu können. Zum Schluß seines Vortrags donnerte Kneipp gegen die heutige Mode bei Männern, Frauen und Kindern und empfiehlt namentlich ein einfacheres Schuhwerk bezw. in den Sommermonaten dos Barfußgchen. Die Versammlung dankte dem Redner durch einen stürmischen Beifall und Sanitätsrat Dr. Bilfinger brachte ein Hoch auf ihn aus.
Stuttgart, 16. März. In der gestrigen Sitzung trat die Kammer der Abgeordneten in die Beratung des Etats ein. die durch den Abgeordneten v. Hofacker mit einigen allgemeinen Bemerkungen eingeleitet wurde, worin derselbe im Hinblick auf die ungünstige Gestaltung der Finanz- läge die Notwendigkeit größter Sparsamkeit betonte, von der sich bereits die Regierung bei Aufstellung des Etats hatte leiten lassen. Sachs betonte, daß es im Lande große llc- berraschung hervorgcrufen habe, daß man wieder zu den früheren Steuersätzen für die direkten Steuern zurückgreifeu wolle, und sprach weiter sein Bedauern darüber aus, daß die Staatsbciträge für die Gemeinden im gegenwärtigen Etat nicht wieder eingestellt worden seien, da man sich an vielen Orten in Erwartung derselben auf größere Straßenbauten eingelassen habe. Haußmann-Gerabronn benutzte die Generaldebatte über den Etat, um über verschiedene politische Fragen sich zu verbreiten. Er besprach die Frage der direkten und indirekten Steuern und sprach sich für eine progressive Einkommenstener ans; er streifte sodann die Frage der Tarifrcform im Verkehrswesen und weiterhin die Frage der Einziehung der Gesandtschaften, wobei er auch auf den im Neuen Tagblatt zu Gunsten der Beibehaltung der Gesandtschaften in Wien und München erschienen längeren Artikel zu sprechen kam. Als er sodann den Fall Hegelmaier zur Sprache bringen wollte, wurde er vom Präsidenten darauf hingewiesen, daß der Gegenstand in der nächsten Woche beim Ministerium des Innern zur Sprache kommen werde; als Haußmann aus der Besprechung bestand, da ja auch die deutsche Partei den Beschluß gefaßt habe, die Frage in der Kammer zur Sprache zu bringen, erklärte v. W o lff, die Kammerfraktion sei bei jenem Beschluß nicht beteiligt gewesen; schließlich wurde darüber abgestimmt, ob Haußmann das Wort über diesen Gegenstand erhalten solle, und mit 62 gegen 15 Stimmen (diejenigen der Linken nnd des Abgeordneten Stälin) dies verneint. Im weiteren Verlaufe der Ausführungen des Abgeordneten von Gerabronn, der nunmehr die Frage der Vcrfassungsrevision und später die Frage der Wahlbceinflussungen behandelte, kam es infolge der Unterbrechungen, die er erfuhr, zu einem erregten Auftritt zwischen ihm und dem Präsidenten. Nach einer kurzen Erklärung des Ministerpräsidenten Dr. Frhrn. v. Miti- nacht, der bei Beratung des Antrages, betreffend die Abänderungen der Bestimmungen des Wahlgesetzes, dem Abgeordneten Haußmann erwidern wird, nnd einer weiteren Bemerkung des Abgeordneten Haug, der für die Gewährung von Staatsbeiträgen an die Gemeinden aus Restmilteln cin- trat, ergriff der Finanzminister Dr. v. Ri ecke das Wort. Den Abgeordneten Sachs und Haug entgegnete er, daß Staatsbciträge, allerdings nicht in der bisherigen Höhe, was ohne Steuererhöhung unmöglich sei, aber doch in geringerem Umfang den Gemeinden noch zugewendet werden sollen: dem Abgeordneten Haußmann gegenüber bemerkte er, daß wenn die Militärvorlage zum Gesetz würde, zunächst aus die Restmittel zurückgegriffeu werden müsse, doch werde eine Erhöhung der Matrikularbciträge wohl nicht zu umgehen sein; würde die Malzsteuer in der Brausteuergemein- schaft erhöht werben, so müßten auch wir mit Erhöhung unserer Malzsteuer Nachfolgen. Nachdem verschiedene Redner noch über die Schaffung einiger neuer pensionsberechtigter Beamtenkakegorien gesprochen, wnrde die Generaldebatte über den Etat geschlossen und in die Einzelberatnng eingetreten, worauf Kap. 1 und Kap. 4 bis 9 erledigt wurden. Kap. 2 (Apanagen nnd Donativgelder) blieb auf Wunsch des Ministerpräsidenten ausgesctzt, da eine Erklärung des Herzogs Philipp über die Donativgelderfrage zu erwarten steht, auch Kap. 3 (Staatsschuld) wird erst später behandelt werden.
Stuttgart. 17. März. Die gestrige Sitzung der Kammer der Abgeordneten wurde ganz ausgcfüllt mit der Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Steuer- bcsrciung neubestocktcr Weinberge. In der allgemeinen Debatte traten Stockmeyer als Referent, ferner die Minister Dr. v. Riecke und o. Schmid für den Entwurf ein, worauf »och mehrere Vertreter weinbantreibender Bezirke teils der Regierung für Einbringung der Vorlage dankten, teils weitere Wünsche, betreffend die Hebung des Weingärtnerstandes, vorbrachten. Man trat alsdann in die Spezialberatung ein, in welcher beide Artikel des Gesetzes, der erste niil einer kleinen Aenverung, angenommen wurden. Bei der Schlnßabstimmung gelangte das ganze Gesetz, dessen finanzielle Tragweite übrigens keine große ist, da der Ausfall für die Staatskasse nur auf etwa 20 000 jährlich sich berechnet, mit allen j74j abgegebenen Stimmen zur Annahme.
Stuttgart, 17. März. Abgeordnetenkammer. Heute beschäftigte sich die Kammer mit dem Gesetzentwurf betreffend die Abstufung der Malzsteuer. Die Debatte leitet der Referent v. Luz ein, indem er den Regierungsvorschlag befürwortet. Deutler wünscht eine Erleichterung bei Behandlung der Malzsteuertransportscheine. Gock und Egger treten auch für die Vorlage ein, wobei der letztere die den kleineren Brauereien gewährte Vergünstigung auch den grüneren Brauereien möchte zu teil werden lassen. Eine ganze Reihe von Rednern tritt sodann für die Steuerbefreiung der Weißbierbrauer, die für den Haustrunk brauen, ein. Auf Anfrage des Abgeordneten Nußbaumer erwidert der Fi- nanzminister, daß er selbst bei Annahme der Militärvorlage und bei Erhöhung der Malzsteuer in der norddeutschen Brau- genoffenschaft eine Erhöhung unserer Malzsteuer nicht in
Aussicht genommen habe. Seine neulich gethanen Aeußerun- gen darüber seien nicht richtig verstanden worden. Man tritt fodann in die Einzelberatung der Vorlage ein und nimmt dieselbe debattelos an.
Cannstatt, 15. März. Am Montag vormittag fand ein Maurer in einem Abort, in dem er arbeitete, eine Briefmappe mit fünf Hundertmarkscheinen Inhalt. Der redliche Finder stellte die Mappe samt ihrem reichen Inhalt dem Eigentümer alsbald zu, erhielt aber nach der Cannstatter Zeitung dafür nicht einmal ein Wort des Dankes, geschweige denn eine klingende Belohnung.
Eßlingen, 14. März. Heute Morgen um 8 Uhr wurde durch den von Ulm kommenden Zug 6 hier, etwa 1 Kilometer oberhalb des Bahnhofs, ein hiesiger Mann überfahren. Der Lokomotivführer sah den Unglücklichen dem Schienengeleise zu springen und gab das Zeichen zum Anhalten; allein bis der Zug zum Stehen kam, war der Mann überfahren und der Kopf desselben vom Rumpfe getrennt, vollständig zermalmt. Der Getödtete ist ein Tanzlehrer von hier.
Benningen bei Marbach, 13. März. Eine rohe Thal geschah gestern Abenv vor einer hiesigen Wirtschaft. Als ein etwa 50jähriger Mann aus derselben zum Heimgehen sich anschickte, wurde er unversehens von einem jüngeren Menschen, mit welchem jener kurz vorher einen Wortwechsel gehabt, überfallen und die Staffel hinabgeworfen. In Folge des Sturzes brach der Ueberfallene das Genick und verschied innerhalb kurzer Zeit, nachdem er noch in seine Wohnung verbracht worden war.
Darmstadt, 17. März. Die zweite Kammer nahm gegen die Stimmen der Ultramontanen den Antrag auf Einführung der fakultativen Feuerbestattung an. Die Regierung bekämpfte den Antrag.
Hamburg, 18. März. Das Vollschiff „Ray- poot" ist mit 22 Mann Besatzung im Atlantischen Ocean untergegangen.
Bei den gegenwärtig stattfindenden Aushebungen wird bereits dem Börsen Courier zufolge auf die Heervorlage Rücksicht genommen; in verschiedenen Orten wurden alle Stellungspflichtigen als tauglich bezeichnet.
In Friedeberg ist der Abg. Ahlwardt, wie die Staatsbürger-Ztq. berichtet, von dem Stadtver- ordneten-Vorsteher Kützner „im Namen der Stadt" am Stadtthor herzlich willkommen geheißen, und durch die reich beflaggte Stadt von dem antisemitischen Verein geleitet, unter Musikbegleitung nach dem Hotel geführt worden. Dann wurde Ahlwardt ein Lorbeerkranz „von der dankbaren Stadt Friedeberg" überreicht.
Der Reichskanzler über den russischen Handelsvertrag. Reichskanzler Graf Caprivi hat am Donnerstag den Kaufmann Goldberger empfangen, welcher ihm im Namen des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller eine Eingabe überreichte, in der die Nützlichkeit einer „Fortsetzung und Erweiterung der Handelsvertragspolitik, insonderheit nach der Seite Rußlands hin" hervorgehoben wird. Der Reichskanzler erwiderte dem Ueberbringer der Eingabe, daß sämtliche wirtschaftlichen Interessen der verschiedenen deutschen Erwerbsstände stets auf gleichmäßige Förderung seitens der Regierung zu rechnen haben, deren Aufgabe es sei, zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln.
Deutscher Reichstag. Die Mittwochssitznng war nur von sehr kurzer Dauer, das Arbeitspensum wurde ohne jede belangreiche Debatte erledigt. Der Etat des Reichsschatzamts wurde unverändert genehmigt, ebenso der Etat der Reichsbank. Beim Etat für Vervollständigung des deutschen Eisenbahnnetzes im Interesse der Landesverteidigung wurde die Höhe des Reichszuschusses zu diesen Bahnen erörtert, worauf die unveränderte Genehmigung erfolgte. Alsdann wurde das Etatsgesetz genehmigt, womit die zweite Beratung des Reichshaushalts beendet ist. Die Novelle zum Postdampfergesetz wurde debattelos endgiltig angenommen, der Gesetzentwurf betr. Abänderung der Maß- und Gewichtsordnung wurde ebenso in zweiter Lesung genehmigt, und endlich desgleichen die Vorlage betr. die Begründung der Revision in bürgerlichen Rechtsstrcitigkeiten. Donnerstag: Handelsvertrag mit Columbien, Unterstützungswohnsttzgesetz.
Deutscher Reichstag. Am Donnerstag wurde der neue Handelsvertrag mit Columbien beraten und der Entwurf einer Kommission überwiesen. Alsdann folgte die erste Lesung des Gesetzentwurfs, betr. die Abänderung des Unter- stützungswohnsitzgcsctzeS, die schließlich bis Freitag Mittag vertagt wird. Der Handelsvertrag mit Columbien fand im allgemeinen Zustimmung. Abg. Staudy (kons.) bemerkte gelegentlich, einem etwaigen Vertrage mit Rußland könne seine Partei nicht zustimmen Abg. Brömel (freis.) wünscht das Zustandekommen. Staatssekretär von Marschall bittet diese Erörterungen während der schwebenden Verhandlungen
zu unterlassen. Bei der Novelle zum Untcrstützungswohnsitz- gesetz konstatiert Abg. Hahn (kons.), die Vorlage erfülle einen Teil der Wünsche der Landwirtschaft, doch genüge dieselbe noch nicht; auch das Freizügigkeiksge etz müsse, unbeschadet des Prinzips, im Interesse des platten Landes eine Einschränkung erfahren. Abg. Stolle (Soz.i ist der Ueberzeu- gung, daß durch solche gesetzliche Bestimmungen die Arbeiter doch nicht auf dem Platten Lande zmückgehalten würde»; sie gingen eben dahin, wo sie am meisten verdienten. Abg. Gamp (freikons.) ist mit der Reform im ganzen einverstanden und bestreitet dem Vorredner gegenüber, daß die Arbeiter auf dem Lande schlechter gestellt >cien, als in den Städten bei den teuren Mieten Abg. v. Schalscha (Ctr.) schließt sich dem au und befürwortet eingehend die verlangten Aen- derungen. Abg. Osann (natlib.) hält einzelne Bestimmungen der Vorlage für zu weitgehend. Hierauf wird die Wciterbe- ratung bis Freitag vertagt. Außerdem Novelle zum Mili- tärpcnsionsgesetz.
Anknüpfend an das Buch des französischen Generalstäblers Molard „Die milstärische L.ist ttigS- fähigkeit der europäischen Staaten" , das vor seiner Veröffentlichung dem französ. Ministerium Vorgelegen hat und dazu bestimmt ist, den Rachegedanken in Frankreich wieder einmal von Amtsw'gen zu beleben, sagt v. B. (General Boguslawski) in der „Nat.- Ztg." u. a.: „Die Stärke der französischen Armee im Kriege gibt Kapitän Molard mit 4350000 Mann an, wozu aber noch 45 000 Mann Marine- Infanterie kommen, welche bekanntlich stets im Landkriege verwendet worden ist. Die Kriegsstärke des deutschen Heeres berechnet er auf 32l7000 Mann. Wir sehen also auch hier wieder. das; die Berechnungen der französischen Militärs mit dene > der deutschen ungefähr übereinstimmen: unter allen Umständen ist eine Ueberlegenheit von 650000 bis 700000 Mann des französ. Heeres für die Zukunft zu konstatieren. Unter diesen Umständen würde die deutsche Regierung sich einer schweren Pflichtverletzung schuldig gemacht haben, wenn sie nicht auf eine angemessene Verstärkung des deutschen Heeres gedrungen hätte. Unbegreiflich und höhst beklagenswert bleibt daher der Fanatismus, mit welchem von Seiten der unbedingten Opposition gegen die betr. Vorschläge der Regierung ausgetreten wird. Auf die krassen historischen und politischen Thorheiten zu antworten, welche die Sätze Molards über den Rhein als Grenze zwischen „Gallien" uno Deutschland enthalten, kann nicht unsere Sache sein. Sie zeigen aber ganz dieselbe Gesinnung, welche den Franzosen die furchtbare Lehre von 1870 eintrug. Der thatsächliche Unterschied zwischen 1870 und jetzt jedoch ist der, daß die Franzosen damals a ch t Armeekorps in der ersten Linie aufzustellen vermochten, während sie jetzt mit Reservetruppen — selbst eine Aufstellung gegen Italien stark berechnet -— etwa fünfundzwanzig Armeekorps an der deutschen Grenze werden aufmar- schiercn lassen. Was die deutsche radikale Presse hiezu sagen wird, das weiß man: Ausgeburten eines Chauvinisten, wird sie sagen. Aber diese alles Bisherige übertreffende Rüstung Frankreichs und die Entwürdigung zu den Füßen Rußlands, die beweisen vollgiltig, daß Kapitän Molard Recht hat, wenn er als einziges Ziel der französischen Politik die Revanche, die Demütigung und Beraubung Deutschlands bezeichnet."
Berlin, 17. März. Die Militärkommission lehnte heute die Regierungsvorlage gegen 6, den Antrag Richter gegen 5, den Antrag v. Bennigsen gegen 5 und den Antrag Lieber gegen 8 Stimmen ab. Damit ist die zweite Lesung der Vorlage für die Kommission erledigt und es erfolgt der schriftliche Bericht an das Plenum.
Frankreich.
Paris, 18. März. Der Tod Jules Ferrys erfolgte abends Uhr. Er starb in Folge einer Herzkrankheit, woran er seit dem Attentat im Januar 1888 litt. Die Freunde Ferry's sind tiefbewegt. Der Vizepräsident des Senats, Bardeaux, wurde ohnmächtig. (Die Kunde vou dem Ableben des ersten und thatkräftigsten Staatsmanns, den Frankreich zur Zeit hatte, und der erst kürzlich durch seine Wahl zum Präsidenten des Senats nach längerer unfreiwilliger Zurückgezogenheit berufen schien, wieder maßgebenden Einfluß auf die Geschicke Frankreichs zu erhalten, wird weit über Frankreich hinaus Teilnahme erregen.)
Egypten.
Nach einem Telegramm aus Kairo ist vr. Peters von dem am 13. Februar erlittenen Bein- bruch nunmehr wieder hergestellt. _
Verantwortlicher Redakteur Stein wandet in Nagold. - Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchdruckerei