kammer. 2. Bortrag der Kommission für die Leitung der Etaatsschuldenverwaltung über die Besetzung von 4 Buch­halterstellen bei der Staatsschuldenzahlungskasse. Eingelaufcn ist eine Eingabe des Oberbürgermeisters Hegelmaier in Hcil- bronn, worin er sich über das seitens der Staatsbehörden ihm gegenüber eingehaltene Verfahren beschwert. Die Eingabe geht an die staatsrechtliche Kommission. Zu 1. der Tages­ordnung giebt der Berichterstatter Nast einen Ueberblick über die Funktionen des Kanzlisten und die an ihn zu stellenden Anforderungen. Eingegangen sei eine Menge Bewerbungen aus allen Ständen, auch solche mit akademischer Bildung, mit und ohne Prüfung. Der Gesamtvorstand sei zu dem einstimmigen Beschlüsse gekommen, dem hohen Hause 4 zur engeren Wahl vorzuschlagen (Bautz, Kern, Schmollinger und Landenberger) und von diesen in 1. Linie den Bewerber Kern, z. Z. Bibliothekassistent in Tübingen. Die Wahl findet morgen statt. Eine Debatte ergiebt sich nicht. Zu 2. Kichert der Berichterstatter v. Hofacker: Eingelaufen sind 38 Be­werbungen. Heute handelt es sich nur um 3 Stellen, da die Entschließung des Königs hinsichtlich der Pensionierurg des Buchhalters Lautenschläger noch nicht erfolgt ist. Die Kom­mission empfiehlt zur Wahl die seitherigen provisorischen Buchhalter: Kistner, Frank und Moser. Auch diese Wahl findet morgen in gemeinschaftlicher Sitzung mit der I. Kam­mer statt. Die nächste Sitzung findet morgen Mittwoch Vor­mittag 91/2 Uhr statt. Auf der Tagesordnung stehen Wahlen (Kanzlist des Abg. Hauses, Buchhalter, eines Mitgliedes des Staatsgerichtshofes u. s. w.)

Stuttgart, 18. Jan. Landtag. Ueber die Anfechtung der Wahl des Abgeordneten Essich (Besigheim) wird bean­tragt, über die Anfechtung zur Tagesordnung überzugehen. Demgegenüber beantragt Haußmann (Gerabronn), die Wahl Esfich's für ungilrig zu erklären eventuell weiteren Beweis zu erbeben. Vor Schluß der Sitzung teilte der Abg. Ebner mit, daß die Linke sich Vorbehalte, den Fall Hegelmaier so­fort bei Beginn der nächsten Tagung zur Sprache zu brin­gen. In der gemeinschaftlichen Sitzung beider Kammern wählte man die ständigen Mitglieder des Staatsgerichtshofs.

Stuttgart, 19. Jan. Die Eingabe mit 28219 Unterschriften aus Württemberg, die ein Verbot des Hausierens und des Detailreisens verlangt, ist an den Reichstag abgegangen.

Stuttgart, 19. Jan. Wie derSt.-Anz." ver­nimmt, hat das Ministerium des Kirchen- und Schul­wesens mit Allerhöchster Ermächtigung angeordnet, daß der Tag des Geburtsfestes Sr. Mas. des deut­schen Kaisers an den öffentlichen Schulen des Landes allgemein als schulfreier Tag zu behandeln ist.

Stuttgart, 20. Jan. Mit dem 22. d. M. geht die Hoftrauer um die Königin Olga zu Ende. Ebenso legen an diesem Tage die Offiziere der Re­gimenter, deren Chef die Königin-Witwe war (Gre­nadier-Regiment 119 und Dragoner-Regiment 25) die Trauer ab.

Stuttgart, 20. Jan. Gestern nachm. '/«5 Uhr löste sich zwischen Bietigheim und Groß-Sachsenheim die Lokomotive des Güterzugs 604 L. vom Tender durch Zerreißen der Kuppelung. Infolge des hefti­gen Ruckes flogen der Lokomotivführer Gunzenhau­ser und der Heizer Zuholz in großem Bogen von der Maschine. Dem G. wurde der rechte Arm bei­nahe ganz aus der Achselhöhle gerissen und mußte ihm derselbe in Bietigheim vollends abgetrennt wer­den. Der Heizer kam mit geringeren Verletzungen am Kopf davon. G. wurde ins Katharinenhospital hier verbracht. Der Arzt bezweifelt sein Aufkommen. Die führerlose Maschine setzte mit rasender Geschwin­digkeit ihren Lauf fort, wurde von den Stationen nach Mühlacker gemeldet, wo sie mit 3 Atmosphären Dampf ankam, von einem Lokomotivführer mit Le­bensgefahr rasch bestiegen und zum Halten gebracht wurde.

Stuttgart, 20. Jan. (Landtag.) Die Tages­ordnung der heutigen Sitzung der Kammer der Ab­geordneten war ziemlich unwichtiger Natur. Es han­delte sich darum, Maßnahmen zu treffen, um den Druck der Protokolle zu beschleunigen. Da man sich über die Einzelheiten nicht einigen konnte, wies man die ganze Sache an die Geschäftsordnungskommission. Zum Schluß der Session war der alte Halbmondsaal noch Zeuge einer Scene, die in ihrer Lebhaftigkeit mehr an das französische Parlament als an die schwäbische Abgeordnetenkammer erinnerte. Der gestern von dem Abgeordneten Haußmann (Balingen) stark verun­glimpfte Abg. Essich ergriff das Wort, um der Kam­mer bekannt zu geben, daß er sich Vorbehalte, dafür von Haußmann außerhalb des Hauses Genugthuung zu verlangen, worauf Haußmann erwiderte, daß er Essichs Schritten mit Ruhe entgegensehe, sich aber die Beurteilung der Satisfaktionsfähigkeit desselben Vor­behalte. Diese in der That sehr starke Aeußerung rief natürlich große Unruhe im Hause hervor und, vom Präsidenten hierzu aufgefordert, schwächte Hauß­mann seine Worte dahin ab, daß er sich mit Rück­sicht auf die Drohung Efsich's die Prüfung aller per­sönlichen und sachlichen Fragen Vorbehalte. Jetzt

ergriffen die Abgg. v. Wolfs und v. Ellrichshausen das Wort, um ihrer Ansicht Ausdruck zu geben, daß es unerhört sei, einen Ehrenmann und Reserveoffizier (Essich) derartig zu beleidigen. Darob wieder große Unruhe und als sich dieselbe gelegt hatte, erhob sic j der Abg. Egger, um zu konstatieren, daß Essich war, der die Angelegenheit in das Haus getragen und daß er es lieber hätte bleiben lassen sollen. Au wiederholtes Zureden des Präsidenten entschloß sich schließlich Haußmann, zuzugeben, daß er Essich nicht habe beleidigen wollen. Damit war der Fall, einst­weilen wenigstens, erledigt. Der Landtag vertagte sich heute bis Anfang März.

Untertürkheim, 19. Jan. Es gilt in Wein gärtnerkreisen für zweifellos, daß die seit mehreren Tagen eingetretene hochgradige Kälte den Weinbergen in den höheren Lagen, also in den Bergen, wo das Beziehen," das ist das Bedecken der Reben mit Erde über den Winter nicht üblich ist, großen Schaden gebracht hat, insbesondere den weichen Rebsorten, wie Portugieser und Trollinger. In den niederen La gen dagegen ist das Beziehen üblich, somit sind die Reben durch die Schnee- nnd Erddecke vor dem Er frieren geschützt, doch wird auch hier Schaden be> fürchtet. Bon einer Frostbeschädigung der Obst bäume verlautet bis jetzt hier noch nichts, wohl aber wird aus der Gegend von Neuhausen a. F. der­artiges berichtet.

Botenheim, 19. Jan. Dem Z.-B. wird fol­gender Vorfall geschrieben, für dessen Wahrheit der Einsender einstehen kann. Eine Frau hörte aus ihrem Hühnerstall ein furchtbares Geschrei und be eilte sich, nach dessen Ursache zu sehen; in die Nähe des Stalles gekommen, fühlte sie zu ihrem Schrecken sofort, daß ihr etwas Lebendes unter ihre Kleider gekommen, hatte jedoch noch so viel Geistesgegen­wart, das Tier in die Kleider zu drücken und sich mit schrecklichem Geschrei über die Straße in ein Nachbarhaus, in dem sich ihr Mann befand, zu re­tirieren. Dieser kam in Gemeinschaft mit noch einigen jungen Leuten seiner Frau sogleich zu Hilfe und zog zum Wunder aller einen prachtvollen Iltis her­vor. Für den ausgestandenen Schrecken wird die mutige Frau jedenfalls jetzt einen warmen Pelz erhalten!

Saulgau, 20. Jan. Die Beerdigung des ver­storbenen Stadtpfarrers und Reichstagsabgeordneten Göser findet Montag den 23. Januar hier statt.

Ulm, 18. Jan. Die Stadt Ulm verhandelt gegenwärtig mit einem Bauunternehmer Emmer aus Berlin wegen Einrichtung einer Straßenbahn für Dampf- oder elektrischen Betrieb durch d'e Stadt nach Neu-Ulm und in die Friedrichsau.

München, 20. Jan. Der Prinzregent über­wies dem Magistrat infolge der anhaltenden Kälte 5000 ^ zur Beschaffung von Heizmaterial für die hiesigen Stadtarmen.

Halle, 20. Jan. In der Irrenanstalt Niet­leben kamen drei weitere Todesfälle im Laufe der Nacht vor. Bei einer Neuerkrankung ist Cholera­diagnose gestellt. Bisher insgesamt 18 Todesfälle.

Halle a. S., 21. Jan. DieHallesche Ztg." meldet, daß die Epidemie in Nietleben zunehme; es seien 17 Neuerkrankungen und 2 neue Todesfälle konstatiert. Bisher feien im ganzen 63 Erkrankungen und 19 Todesfälle vorgekommen.

Halle, 21. Jan. DerHalle'schen Zeitüng" zufolge ergab die Untersuchung Kochs, daß das Saalewasser unterhalb Nietlebens als verdächtig anzusehen ist. Die Verordnung, wonach alle Zu­reisenden innerhalb 12 Stunden sich melden müssen, ist hier wieder in Anwendung gebracht.

In Waldenburg (Sachsen) hat das Lehrersemi­

nar wegen epidemisch auftretender Influenza ge­schlossen werden müssen.

Eisenach, 18. Jan. Anhaltende furchtbare Kälte zeitigst ernste Kalmaitäten. In Thüringen sind viele Menschen und Tiere erfroren. Das Brun­nenwasser versiegt; die Flußläufe und Teiche sind ausgefroren. Der Verkehr ist stark beeinträchtigt.

Das neue Hausiergesetz. Das im Bundes­rat eingebrachte neue Hausierergesetz besagt: 1) Der Hausierschein ist nur giltig für den Bezirk der Behörde, welche ihn ausgestellt hat. 2) Er kann auch auf kürzere Zeit, als für das Kalenderjahr, erteilt wer­den. 3) Die Ausstellung des Hausierscheins ist in gewissen Fällen abhängig von dem durch die zustän­digen Behörden zustellenden Bedürfnis. 4) Der Hau­

sierschein ist auch für denjenigen notwendig, welcher an seinem Wohnort oder am Sitze seiner gewerbli­chen Niederlassung das Gewerbe im Umherziehen be­treibt, d. h. von Haus zu Haus hausiert. 5) Han­delsreisende, welche auf Grund des ß 44 der Ge­werbeordnung ihr Gewerbe ohne Wandergewerbe­schein ausüben, dürfen Bestellungen auf Waren nur bei solchen Gewerbetreibenden (also nicht bei Privat­kunden) suchen, in deren Gewerbebetriebe Waren der angebotenen Art Verwendung finden. Durch die Be­stimmungen sollen angeblich die hauptsächlichsten Mißstände des Hausierhandels beseitigt werden, näm­lich die Uebekvorteilung des Publikums, die Gefähr­dung der wirtschaftlichen Existenz der ansässigen De­tailhändler und Handwerker, namentlich in den mitt­leren und kleineren Städten, der Ankauf von Gegen­ständen, welche keinem reellen Bedürfnisse entsprechen und das Drängen von Handel und Industrie in eine unsolide Richtung.

Der Vorschlag Bennigsens zur Militärvorlage, die Bewilligung von einem Mehr von 40 000 Mann statt 60 000 in der Rekrutenaushebung wird in Par­lamentskreisen allgemein als gangbarer Weg zu einer Verständigung betrachtet. Die Zustimmung der Re­gierung, sowie der Mehrheit des Reichstages ist hie- für sehr wahrscheinlich.

DieHamb. Nachr." weisen darauf hin, daß Fürst Bismarck in seinen Kissinger und Jenenser Reden betont hat, daß die Kriege von 1864, 1868 und 1870 notwendig hätten geführt werden müssen, er werde daher eher geneigt gewesen sein, sie zu fördern und herbeizuführen, als sie zu verhindern. In dem letztgenannten Feldzuge galt es, wie sich Fürst Bismarck in Kissingen ausdrückte, die deutsche Kaiserkrone aus den französischen Bataillonen heraus­zuhauen. Jetzt allerdings habe die deutsche Politik die Aufgabe, Kriege zu verhindern, nnd das könne sie, wenn sie ihr Geschäft verstehe, auch ohne daß dem deutschen Volke die Opfer auferlegt werden, welche die Militärvorlage in ihrer jetzigen Gestalt ihm zumute.

Zur Militärvorlage. Der Pol. Korr, wird aus Rom gemeldet, daß in vatikanischen Kreisen die Annahme verbreitet sei, das deutsche Centrum werde chließlich die Militärvorlage mit gewissen Aenderun- ;en annehmen und in Folge dessen würden sich die Beziehungen zwischen dem Centrum und der Re­gierung enger gestalten.

Hunderttausend Arbeitslose^sollen nach den Mitteilungen, welche in den Massenversammlungen Berliner Arbeitslosen gemacht wurden, in der Reichs­hauptstadt vorhanden sein. Wenn das auch ein wenig übertrieben klingen mag, so mag doch mit Einschluß der Tausende von Bauarbeitern, welche die strenge Kälte schon seit Wochen zum Feiern ge­zwungen sind, annähernd solche Zahl herauskommen. Die Leihämter haben eine außerordentliche starke Kundschaft, die unerbittliche Kälte legt harte Opfer auf. Traurig sind die Obdachlosen dran, man wird erst später genau feststellen können, wieviel erfroren sind.

Deutscher Reichstag. Der Reichstag beriet am Mittwoch die Anträge des Abg. Ackermann (kons.) auf Einführung des Befähigungsnachweises für das Handwerk, Ausdehnung der Rechte der Innungen auf das Handwerk u. s. w. Der Reichskanzler wird hierdurch ersucht, dem Reichstage entsprechende Gesetzentwürfe zu unterbreiten. Abg. Ackermann empfahl die Anträge im Hinblick auf die Not im Handwerk, der unbedingt Rechnung getragen werden müsse. Abg. Stolle (Soz.) bekämpft die Anträge, von denen er sich nichts verspricht. Abg. Metzner (Ctr.) wies darauf hin, daß das Handwerk schon lange Jahre vergeblich auf Hilfe gewartet habe; es handle sich hier um die Lebensfrage des Mittelstandes, der zu Grunde gehe, wenn man ihm nicht zu Hilfe komme. Abg. Schräder (freis.) ist der Ansicht, daß der Befähigungsnachweis nur Belästigung bringen und alle intelligenten Personen davon fernhalten werde. Des­halb ist er dagegen. Abg. von Komioronaski (Pole) ist für den Befähigungsnachweis, den auch Abg. Hitze (Ctr.) befürwortet. Abg. Hirsch (freis.) fragt, was aus den Leuten werden solle, denen das Betreiben eines selbständigen Hand­werks nicht ermöglicht sei. Nachdem noch Bock (Soz.) gegen die Anträge und Abg. Ackermann (kons.) für dieselben ge­sprochen, werden die Anträge mit den Stimmen des Cent­rums und der Konservativen angenommen. Am Donnerstag wurde die Börsenstcuer beraten, die ebenso wie die Bier- und Branntweinsteuer der Militärkommisston überwiesen wird.

Berlin, 19. Jan. Eine sehr wichtige Frage haben die Ausführungen des Reichskanzlers in der Militärkommission aufs neue angeregt, nämlich: In welchem Verhältnis steht England zu dem Dreibünde? Der Abgeordnete Frhr. v. Stumm, der durch beson- dere Verbindungen als vielfach unterrichtet gelten