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und angebliche „defensive" militärische Vorbereitungen an der deutschen Grenze trifft, welche Deutschland gezwungen ist als Provocationen zu betrachten, und deshalb Gegenmaßregeln zu ergreifen, was nur zu leicht einen gefährlichen Konflikt Hervorrufen könnte. Die Journale erklären um die Wette, daß jetzt, wo Deutschland den Rücktritt den Kriegsministers verlange, davon nicht mehr die Rede sein dürfe; der heute durch den Telegraphen hier bekannt gewordene Artikel der offiziös geltenden Berliner „Post", worin die Entfernung des Generals Boulanger aus dem Ministerium telegraphisch gefordert wird, falls man nicht den Krieg wolle, wird sicher nicht dazu beitragen, die Bemühungen zu fördern, welche eine Anzahl vernünftiger Deputierten macht, um durch Ersetzung des Kriegsministers die durch seine Schuld entstandenen inneren und äußeren Schwierigkeiten zu beseitigen.
Italien.
— Die Nachrichten, welche Graf Robilant gestern der italienischen Kammer Mitteilen mußte, sind sehr schlimm: im Kampf gegen den abessyni- schen Häuptling Ras Alula find drei italienische Kompagnien aufgerieben worden und die Abessynier befinden sich im Anmarsch gegen Maffauah. Der Ministerpräsident hat einen Credit von 5 Millionen verlangt, damit die nötigen Maßregeln getroffen werden können.
König Johannes von Abessynien, hat von jeher ein Auge auf Maffauah gehabt, das den natürlichen Hafen seines Landes, die Mündung seines Haupthandelsweges nach dem Meere bildet. Nachdem sich die Italiener in Mas- sauah festgesetzt hatten, suchten sie den König zu versöhnen, richteten jedoch damit nichts aus. Plötzlich kam die Kunde, daß der abessynische General Ras Alula im Anmarsch gegen Maffauah begriffen sei. Das war die Ankündigung des Ausbruchs offener Feindseligkeiten.
Amerika.
— Einige große Blätter der Union hatten in Artikeln über Deutschland das Verhalten der Freisinnigen Partei mißbilligt. Darauf nannte sie Eugen Richter in seiner „Freis. Ztg." „amerikanische Reptile". Darauf bleibt man ihm drüben die Antwort nicht schuldig. Der „Anzeiger des Westens" sagt: „Bei dem hiesigen Publikum wird der Ruf des Herrn Eugen Richter durch diesen Angriff nicht verbessert werden. Was die Redaktion des „Anzeigers des Westens" anbelangt, so haben wir glücklicher Weise nicht nötig, uns gegen derartige Schimpfereien zu verteidigen." Die „Westliche Post" sagt: „In den Kreisen, in welchen die „Freisinnige Zeitung" gelesen wird, mögen solche Verdächtigungen die gewünschte Wirkung haben, hier in den Vereinigten Staaten lacht man darüber. Es fällt hier keinem zurechnungsfähigen Menschen ein, zu glauben, daß Bismarck sichs Geld kosten läßt, um seine Politik durch amerikanische Blätter vertreten und verteidigen zu lassen; schon die Thatsache, daß dieselben deutsch-amerikanischer, Zeitungen, welche Reptilien geschimpft werden, in andern politischen Fragen der deutschen Regierung opponieren, könnte Richter eines Besseren belehren, wenn er überhaupt der Belehrung zugänglich wäre." Die „Belleviller Ztg." schreibt in einem längeren Artikel: „Das Organ Eugen Richters hat die „Illinois Staatszeitung", den „Anzeiger des Westens" und die „Westliche Post" Reptilienblätter genannt. Das ist eine .... und ... . Wir Deutsche in diesem Lande stehen an Liebe zum alten Vaterlande hoch über Leuten von Richters Schlage. Glücklich im Besitze der Freiheit, haben wir uns einen klaren Blick in der Beurteilung der Lage unseres Vaterlandes angeeignet. Wir sehen mit schmerzlichem Bedauern, wie Theoretiker und eitle Menschen den Mann mit den schmutzigsten Waffen angreifen, der Deutschland zu dem gemacht, was es ist, und der dem deutschen Namen Ansehen verschafft hat in den fernsten Weltteilen. Wir glauben, daß Vaterlandsliebe über eine Freiheit geht ä la Richter. Wer es hier wagen würde, seiner Regierung die Mittel zur Verteidigung gegen fremde Mächte zu entziehen und dann die Organe eines großen freien Volkes verleumdete, weil sie ehrlich und offen für Recht und Pflicht eintreten — der würde hier getheert und gefedert werden. Unter den deutschen Bürgern dieses Landes, welche im Jahre 1848 Deutschland verließen, um hier die
Freiheit zu genießen, giebt es nur sehr wenige, die dem Manns nicht dankbar wären, der Deutschland einig gemacht. Sie wissen, daß Einigkeit zur Freiheit führt und nicht umgekehrt. Für solche Feinde wie Richter kann sich der Reichskanzler bedanken. Sie zeigen die ganze deutsche Misere, Vaterlandslosigkeit und Eitelkeit. Für solche Freiheitshelden bedanken wir uns."
Hcrgss-Wsuigkeiten.
— In unserem Bericht betreffs des Vortrags des Hrn. Rektor vr. Müller muß es anstatt „im Jahr 1883 war die Temperatur in Calw 13/40 höher als in Stuttgart" wie folgt heißen: „im Jahre 1883 war die Temperatur in Stuttgart nahezu 12 / 4 » höher als hier."
Ludwigsburg, 31. Jan. Ein hiesiger Büchsenmacher soll, wie auswärtigen Blättern geschrieben wird, ein neues Gewehr erfunden haben, welches unser neu eingeführtes Repetiergewehr noch übertreffen und dem nur eine Abänderung des Mausergewehrs (Modell 71) zu Grunde liegen soll.
Cannstatt, 2. Febr. Ein hiesiger Schriftsetzerlehrling Ankele, 16 Jahre alt, nahm sich heute vormittag auf eigene Weise das Leben. In Mühlhausen, hiesigen Bezirks, wählte er sich einen Baum aus, dessen Neste über einem Steinbruch hingen. An einen solchen hängte er sich auf, schoß sich sofort mittelst eines Revolvers eine Kugel durch den Kopf, der Ast brach und stürzte mit dem Unglücklichen in die Tiefe, wo er mit zerschmetterten Gliedern tot aufgefunden wurde. Ueber die Ursache des Selbstmordes verlautet noch nichts. — Bei den Grabarbeiten auf dem Seelberg stießen die Arbeiter gestern vormittag wiederholt auf ein menschliches Skelett; die Lage desselben war umgekehrt, mit dem Gesicht nach abwärts.
Tuttlingen, 1. Febr. Gestern fand in Spaichingen eine Versammlung von Vertrauensmännern der V 0 lkspartei zum Zweck der Aufstellung eines Kandidaten statt. Man entschied sich für Rechtsanwalt Konrad Haußmann in Stuttgart, welcher auf eine telegraphische Anfrage wegen der Annahme einer Wahl eine zusagende Antwort gab.
Ehingen, 1. Febr. Bei der am Sonntag dahier abgehaltenen Versammlung von Vertrauensmännern der deutschen Partei hat sich Baron Ulm-Erbach auf Ansuchen bereit erklärt, eine Kandidatur im XV. Wahlkreis anzunehmen.
Biberach, 31. Jan. Wir haben nun im XVI. Wahlkreise seit gestern einen nationalen Kandidaten in der Person unseres hochverehrten und allbeliebten Herrn Regierungsrats Bailer von hier gefunden. Die Freude über dessen Kandidatur ist eine große, zumal man sich der Ansicht hingiebt, daß dieselbe dahier keineswegs eine aussichtslose ist.
Kgl. Sta»desamt Kakn».
Vom 28. Januar bis 3. Februar 1837.
G.e st 0 rbene:
28. Januar. Anna Bertha Luise Harsch, Tochter des Michael Harsch, Maurers hier, 20 Wochen alt.
28. , Luise Katharine Roth fuß, Tochter des Leopold Roth fuß, Fabrik
arbeiters hier, 22/4 Jahre alt.
31. . Johann Georg Jung, Gärtner hier, 61 Jahre alt.
2. Februar. Gustav Friedrich Eßrg, Sohn des Georg Gustav Eßig, Bäkermeiflers
hier, 1 Jahr alt.
3. „ Pauline, geb. Wagner, Witwe des Tuchfabrikanten Karl Friedrich Wurz
hie', 53 Jahre alt.
Gottesdienste am Sonntag, den 6. Februar 1887.
Vom Turme Nro: 316. Vormittags-Predigt: Hr. Dekan Berg. Opfer für die Heizung der Kirche. Christenlehre mit den Söhnen. Abends 5 Uhr Bibelstunde im Ve- reinshauS, Hr. Helfer Braun.
Eottesäieast« in äer Metßoäiftenkapekke am Sonntag, den 6. Februar 1887, Morgens ^-10 Uhr, abends 8 Uhr.
»Ima water, sondern auch gemeinschaftlich auf den Geldbeutel eines alten Onkels lagen, der sie hier auf seine Kosten studieren ließ.
Da dieser Onkel bestimmt ist, in meiner Geschichte eine nicht unwichtige Rolle zu spielen, so sei es mir vergönnt, ihn von vornherein zu schildern, obwohl er als äsus ex wsebina, was ja bekanntlich alle reichen Onkels in einer wohlgegliederten Erzählung sind, erst später in die Handlung eingreifen wird.
Herr Johannes Kesselbach war ein alter, wunderlicher Kautz, der sein Vermögen dadurch erworben hatte, daß er andern Leuten das abnahm, was ihnen überflüssig erschien — nämlich den Bart.
Er war ein ehemaliger Barbier. Ich vertraue meinen Lesern dies unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit an, da er es nicht wissen lassen wollte und sich gerne, namentlich Fremden gegenüber als einstiger Dotter gerierte, oft von seinen großen Kuren in früheren Jahren erzählte und sich nach und nach eine solche Praxis anlog, daß er schließlich selbst daran glaubte.
Die Wahrheit war, daß seine größte Kur darin bestanden hatte, hie und da einem unglücklichen Menschenkind einen Zahn auszuziehen oder zur Ader zu lassen — dafür war er aber ein wirklich ausgezeichneter Barbier gewesen der es meisterhaft verstanden hatte, über die gefährlichsten Unebenheiten eines Menschenantlitzes mit sanfter Hand hinwegzugleiten und der Jeden als Todfeind bettachtet hätte, der ihm etwa vorgeworfen hätte, irgend wen einmal geschnitten zu haben, seit er dm Lehrlingsschuhen entwachsen war.
In der Nähe des Landstädtchens, in welchem er damals wohnte, residierte eine kleine mediatisierte Durchlaucht auf dem Stammschlosse ihrer Väter — der Fürst Egon von Schnabelsdorf. Dieser hatte unseren Kesselbach um seiner Barbierkunst Willen ganz besonders in das Herz geschloffen und dreißig Jahre lang war er des Fürsten Leibchirurgus gewesen. Dadurch erfreute er sich auch aller übrigen noblm Kundschaft in Stcckt und Umgegend und hatte sich so in der langen Zeit seiner bartputzerlichen Wirksamkeit ein recht hübsches Vermögen zusammengescharrt. Als er nun gar noch daS Unglück hatte, einen Onkel zu verlieren, der ihm aber 50,000 Thaler
hinterlies, da konnte er beruhigt das Barbiermesser niederlegen und der Seife Valet sagen, er hatte vollständig genug. Der alte Fürst war auch gestorben — er war der letzte Kunde gewesen, den Kesselbach noch barbiert hatte — und hatte ihm testamentarisch eine Busennadel vermacht, welche dazu bestimmt ist, in meiner Erzählung gewissermaßen als Hauptperson zu figurieren.
Der Alte war kinderlos — seine Frau war frühe gestorben und so hätte er denn allein in der Welt gestanden, wenn sein gutes Herz ihn nicht verleidet hätte, zwei Söhne seiner verheirateten armen Schwester zu sich zu nehmen. Sie waren beinahe in einem Alter und seine ganze Freude. Sie sollten Beide etwas Tüchtiges lernen und nachdem sie das Gymnasium der Stadt, in welche Kesselbach nach seiner Zuruhesetzung gezogen war, absolviert hatten, schickte er sie nach Heidelberg, wo sie nun seit drei Jahren als flotte Brüder Studio hausten und dem Alten schon manches Kopfzerbrechen um ihrer großen Geldausgaben Willen gemacht hatten.
Oft hatte er ihnen mit Aufgebot aller seiner Schreibekunst Ermahnungen, Drohungen rc. zugehen lassen, sie aber studierten immer kostspieliger darauf los und mußten nach seiner Berechnung bereits die größten Lichter des Wissens sein, wenn sie im Verhältnis zu dem, was sie ausgegeben, auch gelernt hatten.
Manchmal war er recht böse, wenn aber die lieben flotten Burschen dann wieder in den Ferien nach Hause kamen, dem alten Onkel „Doktor" um den Bart gingen und ihm die verwunderlichsten Geschichten von ihrem gewaltigen „Büffeln" und dem teuren Leben auf der Universität erzählten, das war alles wieder vergeben und vergessen, er machte förmlich Staat mit seinen Jungen, wie er sie mit Stolz nannte und immer wieder kehrten sie mit Geld und Geldeswert versehen nach Heidelberg zurück, um mit dem Mammon des Onkels die harrenden und hoffenden Manichäer wieder auf eine kurze Weile zu beruhigen und dann wieder neue „Pümper" anzulegen.
Vor vier Monaten etwa hatte er ihnen nochmals 300 Thaler geschickt und einen Monat später ging abermals einer ihrer berühmten Briefe an ihn ab, die zwar von allem Möglichen und Unmöglichen handelten, deren Quintessenz aber immer das berühmte Wort Jago's, nur mit einer kleinen Variante war: „Thu'Geld in unfern Beutel! (Forts, folgt.)