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als die Kosten der Heizung hier oben nicht allzugroß sind und mancher der guten Sache gewiß gern ein Opfer bringen würde.
Stuttgart. Die Konservativen haben einstweilen Herrn Gemeinde» rat C. Stählein Aussicht genommen; die Nationalliberalen suchen Herrn Geh. Kommerzienrat G. Siegle für die Bewerbung zu gewinnen. Nimmt dieser an, so ist Herr Stähle bereit, zurückzutreten, damit die aussichtsreichere Wahl des Herrn Siegle von allen nationalen Parteien mit vollem Eifer betrieben werden kann. Die Demokraten bringen Herrn Schott wieder.
Vom unteren Neckar, 15. Jan. Gestern nacht nach 7 Uhr wies Schullehrer G. in Neckargartach einen schon zu wiederholtenmalen unbotmäßigen Winterabendschüler, einen 18jährigen Burschen, vor die Thür. Außen angekommen, wendete sich letzterer sofort gegen den Lehrer und brachte demselben eine große klaffende Stichwunde an der linken Hals- und Kiefer» feite bei. Das anfänglich schwer bedrohte Leben des Lehrers scheint jetzt außer Gefahr; der junge Verbrecher sitzt hinter Schloß und Riegel. Eine Schwester desselben hat vor noch nicht langer Zeit in der Gefangenschaft ihr Leben beschlossen.
Weikersheim, 16. Jan. Heute nachmittag hielt Herr Eduard Elben von Stuttgart im Gasthof zur Krone hier einen Vortrag über „Die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Zusammenwirkens aller Nationalgesinnten im allgemeinen und insbesondere bei Reichstagswahlen". Als Einleitung seines Vortrages schilderte der Redner die Gründung und Ziele des konservativen Vereins, kritisierte hierauf das Bestreben der die bisherige Reichstagsmajorität bildenden Parteien und apellierte schließlich an die Anwesenden, besonders an die katholischen Wähler, bei der nächsten Reichstagswahl sich den Nationalgesinnten anzuschließen.
U l m. Oberbürgermeister v. Fischer in Augsburg ist wiederum als Kandidat der Deutschen Partei ausgestellt.
Augsburg, 15. Jan. Ein geriebener Schwindler, der wegen zahlreicher, seit Jahren in Bayern, Württemberg und Oestreich verübten Betrügereien schon mit erheblichen Vorstrafe belegt wurde, hatte sich vor der Strafkammer des hiesigen Landgerichtes zu verantworten. Der Angeklagte, Namens Alex. Weiß, seines Zeichens ein Schneidergeselle, von Ettensberg B.-A. Kempten, kam auf seinen Schwindelstreifzügen anfangs Novbr. v. I. auch hieher, wo er sich in verschiedenen Herbergen als angeblicher Joh. Haneberg stuck. tlieol. von Niedersonthofen einlogierte. Unter dem nämlichen falschen Namen machte er auch Abstecher in umliegende Ortschaften, wo er sich bei «ermöglichen und leichtgläubigen Bauersleuten und Lehrern einführte. Er spiegelte vor, daß der »erst, hochangesehene Bischof Haneberg sein Onkel gewesen und er durch den Tod seiner Eltern in große Not geraten und zur Fortsetzung seiner Studien als Geistlicher ausschließlich auf die Gutherzigkeit seiner Mitmenschen angewiesen sei. Viele der Leichtgläubigen fielen auf diese Vorspiegelungen herein und gaben ihm Unterkunft, Kost und sogar Geldunterstützungen. Eines Tages aber, als er in einem benachbarten Wallfahrtsorte gläubigen Zuhörern wiederum solche Märchen vorschwindelte, kam zufällig ein Geistlicher dazu, der sich früher in der Gegend von Sonthofen aufhielt und den ihm bekannten Schwindler entlarvte. Wegen 20 Vergehen des Betrugs im Rückfall wurde er zu 1 Jahr 6 Monat Zuchthaus und 300 ^ Geldstrafe und wegen einer Uebertretung der Fremdenpolizei zu 8 Tage Haft verurteilt.
WevmifcHtes.
— Unter den Gewährleistungsfonds der Deutschen Lebensversicherungs-Gesellschaften, deren Gesamtsumme aus der Einnahme des Jahres 1885 um 54,597,705 Mark auf 7 93,410,306 Mark erhöht wurde, bildet den Hauptbestandteil die Prämienreserve, welche in den letzten: 5 Jahren bei den 8 größten Gesellschaften um zu- lammen 122>/z Millionen Mark gewachsen ist. — Die Vermehrung der
Prämienreserve betrug i« dem Jahrfünft 1881/85 bei Gotha 26,971,881 Mark, bei Germania 24,899.964 Mark, bei Stuttgart 17,363,436 Mark, bei Leipzig 16.943,226 Mark, bei Karlsruhe 12.070,725 Mark, bei Concordia 8,750,218 Mark, bei Lübeck 7,295,596 Mark, bei der Berlinisch en 8,209,380.
— Zur Falbschen Erdbeben-Theorie. Der Astronom Rudolf Falb, der am 20. ds. seinen bleibenden Aufenthalt in Leipzig nimmt, schreibt an die N. Fr. Pr: Soeben gelangt die Kunde nach Europa, daß am 31. August 1886 eine der furchtbarsten und verheerendsten vulkanischen Eruptionen auf Nina Föu, eine der Freundschaftsinseln in der Südsee, stattgefunden habe. Bekanntlich trat an demselben Tage die Erdbebenkatastrophe von Charleston in Nordamerika und vier Tage zuvor jene auf Morea in Griechenland ein, und es ist somit der Beweis geliefert, daß jene Erdbeben- Theorie, welche diese Ereignisse auf einen lebhaften Umtrieb der Lava des Erdinnern um den im N. Tgbl. vom 18. August voraussignalisierten theoretischen Erdfluttag des 29. August zurückführte, in vollem Rechte ist. Dieser vulkanische Ausbruch wurde den ganzen Tag zuvor durch ununterbrochenen Donner, Blitze und Erschütterungen des Bodens angekündigt. Die letzte Eruption daselbst hatte im Jahre 1853 stattgefunden.
— Pfarrherren auf dem Reitrad. In den Vereinigten Staaten Nordamerias zählt man beinahe 300 geistliche Velozipedisten, darüber über 20 Doktoren und Professoren der Theologie, viele hervorragende Pastoren, wie der berühmte Erweckungsprediger Pentekost in Brooklyn. In England , in Liverpool z. B., kann man ebenso Pfarrer verschiedener Gemeinschaften , darunter die frömmsten und eifrigsten, auf diesem eigentümlichen Fahrzeug durch die Straßen fliegen sehen zu Komitesitzungen und Krankenbesuchen. Auch im Schweizerland hört man bereits da und dort von einem Pfarrer, der sich desselben bedient, um „aufs Filial" zu kommen, in einer Nachbargemeinde auszuhelfen, überhaupt rascher seine Tour zucückzulegen.
— Eine tapfere Schriftstellerin. Die Stadt Philippopel war am 6. d. der Schauplatz eines veritablen Dramas, als deren unglückliche Heldin die Gattin des Redakteurs des oppositionellen „Narodni Glas". Frau Mantschoff, figurierte. Gegen 3 Uhr nachmittags, so wird dem „N. W. Tgbl." berichtet, traten plötzlich vier Gensdarmen in, das Haus Mantschoffs, um denselben zu verhaften. Ihr Führer erklärte, daß Mantschoff „komplottiert" habe und deshalb im Aufträge der Regentschaft ins Gefängnis abgeführt werden solle. Die Gattin Mantschoffs widersetzte sich indeß der Verhaftung ihres Mannes, und als sie einer der Gensdarmen zurückstieß und mißhandeln wollte, zog sie einen Revolver hervor und feuerte auf die Polizisten, welche den Verhafteten losließen und schleunigst die Flucht ergriffen. Eine Stunde später kehrten sie aber mit einigen dreißig Mann Verstärkung zurück, und da sie das Hausthor verrammelt und alle Fensterläden geschloffen fanden, so begannen sie eine regelrechte Cernierung und Belagerung des Gebäudes. Inzwischen rückte auch eine Patrouille Militär an und versuchte die Hausthüre zu forcieren. Da erschien Frau Mantschoff, mit einem Winchester- Karabiner bewaffnet, und feuerte mutig auf die Andringenden, indeß ihr Mann hinter ihr stand und das Gewehr immer von Neuem lud. Die Soldaten und Gensdarmen schossen zurück, und es entstand ein mehrstündiger Kampf, bei dem über zweihundert Kugeln auf die couragierte Frau abgefeuert wurden, ohne daß sie verletzt worden wäre. So gelang es ihr, sich fast zwei Stunden lang gegen die Uebermacht zu halten; vier Gensdarmen und ebensoviel« Soldaten wurden verwundet; schließlich mußte sie aber doch der Uebermacht weichen und sich zurückziehen. Die Belagerer stürmten das Haus, und Frau Mantschow fiel, von drei Säbelhieben schwer getroffen, blutend zusammen. Auch ihr Mann wurde aufgefunden und von der erbitterten Soldateska zu Boden geschlagen. Gegen Abend wurden Beide infolge Intervention des Stadtkommandanten ins Spital überführt. Der Zustand der tapferen Bulgarin, welche ebenso gut die Feder wie die Flinte zu führen wußte, ist fast hoffnungslos.
Er zwang sie, von ihn: abzulassen.
„Schweig'! Das ist vergebens! Wir trennen uns auf immer, aber ich werde Dich vor der Welt schonen, ich —"
„Julius!"
Ihre Stimme klang heiser, unverständlich.
„Julius, bist Du selbst rein, daß Du so getrost zu richten wagst?"
Er fühlte es, daß alles Blut ihm in's Gesicht trat; er biß die Zähne zusammen vor heftiger Erregung.
„Geh'! — Laß das Alles — wir sind geschiedene Leute. Beide unglücklich, aber doch auf immer getrennt."
Sie schüttelte den Kopf, ihr Blick suchte beharrlich den seinen, ihre Hände hingen zusammengefaltet lose herab.
„Du kannst mich nicht verstoßen, Julius! Sieh' mich an, Du kannst es nicht!"
Er trat zum Fenster und lehnte erschüttert die Stirn gegen das kalte Glas. Was sie ihm jetzt sagen wollte, das zerriß sein Herz. Er ahnte es schon — er hatte nur nie die richtige Stunde gefunden, um mit ihr darüber zu sprechen; jetzt erschien ihm die Botschaft des Glückes wie ein drohendes, schreckliches Gespenst.
„Wir wollen die Zukunft vor der Hand nicht zu unterscheiden versuchen", sagte er nach einer Pause. „Bleibe hier, — ich miete für mich eine andere Wohnung."
„Und Deine Mutter?" fragte sie schaudernd. „Julius, Deine Mittler?"
Er ging langsam zur Thür.
„Ich kann es ihr nicht ersparen — was ist ihr Unglück gegen das, welches ich ertrage?"
Und dann war er fort. Elisabeth wußte, daß jetzt zwischen ihm und ihr kein Wort wieder gesprochen werden ivürde, sie hatte es immer gewußt: Julius war zu stolz, um ihr jemals verzeihen zu können.
Sie hörte ihn die Treppe hinaufgehen. Er wollte ohne Zweifel mit seiner Tante sprechen und ihr Alles sagen. Elisabeth fühlte ein neues Grauen — wie sollte sie den Blick der Betrogenen ertragen, ohne vor Scham zu sterben?
Die Unglückliche wagte keinen Schritt, keinen Laut. Der Platz in diesem Hause gehörte ja rechtlich seit dem zuletzt Geschehenen nicht mehr ihr. Jetzt durchlebte da oben der Mann, den sie so grenzenlos liebte, ihretwegen die bitterste qualvollste Stunde seines Daseins!
Nach kurzer Zeit kam er wieder herunter und gieng über den Flur zur Hausthür. Halb außer sich in dem Gedanken, ihn für immer verloren zu haben, flog Elisabeth hinaus.
„Julius!" sagte sie verzweifelt mit unterdrückter Stimme. „Julius!"
Aber er schenkte ihr keinen Blick — er ging fort, ohne sie irgendwie beachtet zu haben.
Elisabeth hielt sich mit beiden Händen am Treppengeländer; jetzt erst drohte ihre Fassung zu schwinden. Es war nun Alles, Alles zu Ende.
Von oben ertönte die Klingel, das Dienstmädchen kani aus der Küche und fragte, „ob Frau Doktorin selbst hinaufgehen iverde —"
„Ja, ja — ich war eben im Begriff —"
Eine Handbewegung scheuchte diese unverwünschte Zeugin hinweg; Elisabeth schlich langsam, nur der Eingebung des Augenblickes gehorchend, hinauf in den obern Stock. Mochte nun Alles zugleich kommen, Alles über sie Hereinbrechen — es schmerzte nicht mehr.
Und doch zitterte sie, doch brannte ihre Stirn, und die Hände waren eiskalt.
Mama befand sich allein ini Zimmer. Tante Josephine mußte sie also vor Kurzem erst verlassen haben. Scheuen Blickes streifte Elisabeth das Schmerzenslager der armen Gelähmten. — Würde sie auch hier ein Verbannungsurteil hören?
Frau Hartmann konnte seit vielen, vielen Jahren die Anne nicht mehr ausstrecken; sie mußte sich begnügen, ihre Blicke sprechen zu lassen.
„Komm' her mein armes Kind!" sagte sie leise und tief erschüttert.
Elisabeth flog zu ihr und umschlang, auf den Knieen liegend, mit beiden Annen die geliebte alte Frau.
(Fortsetzung folgt.)