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Ebingen, 5. Jan. Wie der Albb. erfahrt, ist in Zürich ein zunger Landsmann, der 27 Jahre alte Schreiner Jakob Hang von Ostdorf, seit dem 19. Dezember unter Umständen plötzlich verschwunden, die vermuten ließen, daß er ums Leben gekommen sein könnte. Diese Vermutung hat sich nun bestätigt; ob aber Haug das Opfer eines Verbrechens geworden oder verunglückt, ist noch nicht festgestellt. Der Verstorbene war ein braver Sohn und fleißiger Arbeiter.
Ulm, 8. Jan. Sergeant Seitz von der 4. Kompagnie, 6. Jnfan- lerie-Regiments König Wilhelm Nr. 124, hat sich heute vormittag mit seinem Dienstgewehr in der Kaserne erschossen. Wie gerüchtweise verlautet, soll Furcht vor Strafe infolge entdeckter Unterschlagungen das Motiv des Selbstmords sein. (Von anderer Seite wird darüber berichtet: Am 8. ds. vormittags schoß sich im Abort der Friedenskaserne der Sergeant Seitz der 4. Kompagnie des Jnf.-Reg. König Wilhelm Nr. 124 mit seinem Dienst- gewehr, das er mit seinem Seitengewehr abdrückte, in die Brust. Die Kugel streifte die Lunge. Von einem andern, den genannten Ort zufällig besuchenden Sergeanten wurde das Stöhnen des tödlich Getroffenen vernommen; dieser wurde nun sofort in das Garnisonslazareth überführt, wo er unter gräßlichen Schmerzen gegen 1 Uhr seinen Verletzungen erlag. Kleine Unterschlagungen an einer von den Unteroffizieren zusammengeschofsenen Gesellschaftskasse, sowie sonstige Unregelmäßigkeiten, wegen deren ihm Untersuchung drohte, sollen den Unglücklichen zum Selbstmord getrieben haben.)
Friedrichshafen, 8. Jan. Der See ist dem Ufer entlang bis Langenargen fest gefroren und bietet für Schlittschuhfahrende eine flotte Eisbahn.
Friedrichshafen, 8. Jan. Von einigen Jahren wurde der den Gewässern des Bodensees fremd gewesene Zander in mehreren Exemplaren versuchsweise in der Nähe des hiesigen Hafens in den See eingesetzt. Nachdem bisher schon einige wenige nicht sehr große Stücks gefangen worden, aus welchen auf ein Gedeihen dieses Fisches im Bodensee noch nichts geschloffen werden konnte, hatte heute ein hiesiger Fischer das Glück, mehrere dieser Fische zu fangen, welche durch ihren Umfang und Gewicht hinreichend bekunden, daß ihnen das Bodenseewasser sehr gut entspricht. Das Fleisch des Fisches ist sehr schmackhaft, der Fisch selbst ist ähnlich dem Hecht und der Barsche, er hat einen etwas breiteren Kopf als der Hecht und die stacheligen Rückenflossen der Barsche.
Karlsruhe, 4. Jan. Nachdem das Hypnotisieren in Pforzheim anstößige Auftritte hervorgerufen hat, ist höheren Orts angeordnet worden, daß die Bezirksämter künftighin die Veranstaltungen hypnotischer Vorstellungen, auch in geschloffenen Gesellschaften, Vereinen ü. dergl. verbieten, bezw. gegen die leitenden und mitwirkenden Personen wegen groben Unfugs einschreiten, weil die fraglichen Unternehmungen nicht nur eine Gefährdung der Gesundheit der dabei als „Medien" benützten Personen, sondern auch grobe Störungen der öffentlichen Ordnung herbeizuführen geeignet sind.
Göttingen, 11. Jan. Das hiesige Stadttheater ist in vergangener Nacht gegen 12 Uhr, zwei Stunden nach der Vorstellung, vollständig niedergebrannt. Verlust an Menschenleben ist glücklicherweise nicht zu beklagen. (Das Göttinger Stadttheater war im Jahr 1848 erbaut und faßte 900 Personen. Als Eigentümer nennt Entschs Bühnen- almanach W. Grethen, als artistischen Direktor Wilhelm Grün dner.)
Berlin, 9. Jan. In der gestrigen Nacht gegen 11 >/? Uhr passierte der Hutmacher Hoffmann, Rupinerstraße 41 wohnhaft, auf dem Nachhausewege die Kaserne des Kaiser Alexander-Regiments. Hoffmann. ein verheirateter Mann, war ganz augenscheinlich betrunken und belästigte mutwilliger Weise den Wachtposten mit beleidigenden Redensarten. Dieser hieß den Störenfried seiner Wege gehen, was Hoffmann nicht beachtete. Der Posten hieß ihn nochmals nachdrücklich fortgehen und drohte, ihn zu arretieren. Darauf antwortete Hoffmann wieder mit einer Schmähung und ergriff die Flucht. „HaltI" rief der Soldat dem Fliehenden nach. Allein Hoffmann eilte weiter in die Kleine Alexanderstraße hinein und beobachtete auch den zweiten Halt-Ruf nicht. „Zum dritten Male Halt! oder ich schieße!" donnerte der Soldat ihm nach. Als auch dieser Zuruf keine Beachtung fand, legte
der Soldat an, der Schuß krachte und getroffen taumelte Hoffmann zur Seite. Nun wurde Hoffmann von dem Posten eingeholt und nach der Wacht- stube der Kaserne zurückgebracht. Dort wurde festgestellt, daß die Kugel den Fliehenden am Rücken gestreift, den Rock aufgeriffen hatte und ihm durch die rechte Hand gegangen war. Es wurde sofort ein Arzt herbeigeholt, welcher ihm den ersten Verband anlegte. Der Verletzte wurde nach der Charits gebracht. Beim Besteigen der Droschke wandte er sich an die umstehenden Paffanten mit der Bitte, seiner Ehefrau von dem Vorgefallenen Mitteilung zu machen.
Wevrnifchtes.
— Der japanesische Prinz Akihito Komatsu No Muja, welcher beauftragt ist, im Namen des Kaisers von Japan dem Prinzen Wilhelm den hohen japanesischen Orden vom Chrysanthenum zu überbringen, ist mit seiner Gemahlin in Berlin eingetroffen, nachdem die Herren seines Gefolges bereits tagszuvor aus London hier angekommen sind.
— Unsere deutsche Rhederei hat durch den „Norddeutschen Lloyd" wieder recht bemerkenswerte Triumphe im Wettbewerb mit den englischen und französischen Schiffen davongetragen. In einem amtlichen Berichte des Postinspektors der auswärtigen Posten der Vereinigten Staaten von Nordamerika wird die Schnelligkeit aller Dampfer, welche in den letzten fünf Monaten die Po st vonNewyork nach Europa befördert haben, zusammengestellt. Es wird die Zeit berechnet, welche jeder Dampfer von Dock zu Dock gebraucht hat. Demnach hat sich herausgestellt, daß der Norddeutsche Lloyd von sämtlichen wettbewerbenden Linien die meisten Schiffe besitzt, die durchschnittlich mehr als 16 Meilen in der Stunde zurücklegen, nämlich fünf: „Trave", „Saale", „Ems", „Fulda" und „Werra", während die Cunardlinie nur zwei, die Guion- und die Anchorlinie jede nur einen, die französische Linie drei und alle anderen Linien überhaupt keine Dampfer von so schneller Fahrt besitzen. Auch in der Zahl der Schiffe, die in der Stunde zwischen 15 und 16 Meilen durchlaufen haben, hat der Norddeutsche Lloyd alle andern Schiffe übertroffen; er hatte deren drei, während die französische und die Cunardlinie deren je zwei, die Guion- und die Nationallinie je einen und alle andern Linien wiederum keine solche Dampfer besitzen.
— Aus Leipzig. 5. ds., wird geschrieben: Eine der seltensten Ordenkauszeichnungen ist dieser Tage nach Leipzig gefallen. Der Zulukönig Diny, der Sohn des verst. Königs Cetewayo, hat nämlich einem hiesigen Buchhändler durch den bekannten Afrikareisenden vr. Einwald einen Orden verliehen. Er hat die Größe eines Zweithalerstückes, dar aus weißem Metall scharf geprägt ist. Auf der einen Seite befindet sich ein geschweifter Schild, welchen zwei Straußenfedern und zwischen ihnen eine Frucht bekrönen. Aus dem obersten Teile des Schildes treten auf jeder Seite 4 Hassagais oder Speere hervor. In diesem geschweiften Schilde ruht ein ovaler Schild mit drei Feldern, von welchen das obere einen kranichähnlichen Vogel mit gespreizten Adlerfängen, das Mittelfeld 8 längliche Vierecke, vielleicht Spindeln, wie sie unsere Heraldiker als „Wecken" bezeichnen, und das untere Feld ein Krokodil zeigt. Umschlossen ist das Ganze von einem Aehrenkranze. Die Rückseite enthält nach der L.Z. die Schrift: 11X11 XSOXIIL^
Die Umschrift lautet: VMI2lII.II IXX08 L-4.1XI2XVL ^LM2l1vl1.
1885.
Die amtlich beglaubigten Zeugnisse über Apotheker R. Brandt'S Schwcizerpillen. Wenngleich heute fast in keiner Familie in Dorf und Stadt die Schweizerpillen fehlen und viele Tausende als wandernde Apostel ihre Güte preisen, hat Herr Brandt dennoch so weit es ihm möglich die in den letzten Monaten ihm zugekommenen Dankschreiben amtlich beglaubigen lassen, um sowohl den Behörden wie dem Publikum die Garantie zu geben, daß die Dankschreiben, welche über die gute Wirkung der Schweizerpillen in den Zeitungen erscheinen auch wirklich acht sind. Kein anderes Präparat war bis jetzt in der Lage solche Beweise für seine Güte zu bringen und kann sich Jedermann davon überzeugen, daß es kein besseres Mittel für Verstopfung verbunden mit Blutandrang, Kopfschmerzen, Schwindelanfälle etc. gibt als Apotheker R. Brandt'S Schweizerpillen, welche ä Schachtel 1 in den Apotheken erhältlich sind.
Man fand nicht den Mut, ihm zu wiedersprechen, aber noch an demselben Tage wurde das Pferd abgeschafft, und ich selbst, so lange noch der Fremde im Hause war, auf das schärfste überwacht. — Die Thörinnen! Sie glaubten, gewaltsam sein Interesse für mich ersticken zu können!
In dieser Periode des fortwährenden lästigen Beobachtetseins, jetzt, wo man mich mit Spionage überall umstellte, begann ich zu meinem lebhaftesten Erschrecken wahrzunehmen, daß sich für mich das Spiel in den bittersten Ernst verwandelt hatte. Bis dahin coquettierte ich absichtlich mit dem Fremden, selbstverständlich kalt, nun aber fühlte ich doch, daß sich sein Bild in mein leichtsinniges Herz gestohlen hatte. Ich zitterte vor dem Gedanken, ihn in den Armen einer Anderen zu wissen.
Gott mag mir vergeben, was jetzt folgte. Ich wurde von den Verhältnissen gezogen und gedrängt. Meine Zukunft war dunkel und trostlos, ich hatte ein Herz, das mich warnen, mir den offenen Abgrund zeigen konnte.
Viktor spähte nach mir, und ich fand Gelegenheit, ihn zu sehen. Wir sprachen uns gegeneinander aus — ich schwelgte berauscht im doppelten Triumph des gelungenen Sieges und der Liebe. Es hat damals über meinem ganzen Seelenleben noch ein dichter Schleier gelegen, ich bin zun: Verständnis der Welt und meiner selbst erst viel, viel später erwacht. Viktor sagte mir, daß es ihm unmöglich sei, schon jetzt zu heiraten. Die Gründe, welche er dafür angab, Majorats- lind Familienverhältnisse, waren natürlich Erfindung; aber es gelang ihm dennoch unschwer, mich zu überzeugen und mit dem Gedanken an Flucht vertraut zu machen. Nur wenige^ Monate, dann konnte unsere Hochzeit stattsinden — war es denn eine so unverzeihliche Sünde, bis dahin die neugierige Welt — über' diesen Punkt ein wmig zu täuschen? Er meinte es nicht.
Eine Stimme in mir sprach anfangs von Schande und der Strafe der Uckbrr- tretung, aber sie war sehr bald zum Schweigen gebracht. Sollte ich, die keine Familienrücksichten zu nehmen hatte, die auf Erden Niemandem angehötte, nur der Idee ein schweres Opfer bringen? Sollte ich abermals das ganze Elend der Dienst
barkeit über mich Hereinbrechen lassen, nur um den wenigen Glücklichen, denen durch ihren Reichtum die Tugend so leicht gemacht worden ist, keinen Gmnd zum Achselzucken zu geben? Ich konnte es nicht. Man hatte es mich nie gelehrt, mein Gewissen zu fragen, man hatte in mir die große Dame herangebildet. — An einem Herbstabend verließ ich in Viktors Gesellschaft das Haus der Gräfin und lebte nun, als seine Frau geltend, zunächst mit ihm in Rom und Venedig, wo wir enorme Summen verbrauchten. Heute weiß ich, wodurch sie ins Haus kamen; damals hielt ich Herrn von Holling für den Krösus, als welchen er sich schon in Wien bei der Gräfin eingeführt hatte. Viktor brachte mir zuweilen Schriftstücke, welche er seine Geschäftssachen nannte und die ich meistens kopieren mußte, deren Inhalt mir jedoch uninteressant und unverständlich blieb. Er sprach gelegentlich einmal so nebenbei von der vielverbreiteten Sitte oder besseren Unsitte, seinen Namenszug derartig zu verschnörkeln, daß ein Lesen desselben völlig unmöglich sei."
„Freilich schützt er vor Fälschungen", setzte er hinzu. „Solche monströse Zerrbilder von Buchstaben lassen sich nicht täuschend nachmachen."
Ich lächelte.
„Sieh' einmal dorthin, Viktor! — Schnell!"
Und während er gehorsam den Kopf wandte, hatte ich die Nachahmung jenes unkenntlichen Namenszuges schon vollendet. Als er das Blatt sah, schien es ihm außerordentliches Vergnügen zu bereiten.
„Du bist eine wahre kleine Künstlerin", sagte er. „Ich glaube, jener Herr mit der unleserlichen Handschrift würde selbst kaum die Fälschung behaupten können."
Er verwahrte den Papierstreisen, als sei derselbe eine wettvolle Kostbatteck, und zwei Tage später reisten wir aus Venedig ab. Viftor überhäufte mich mit Geschenken; er hätte mich, auch wenn ich seine Frau schon gewesen wäre, nicht aufmerksamer und liebevoller behandeln können.
(Fortsetzung folgt.)