62. Jahrgang.

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Erscheint Ainuta- , Aouuerrtag L Samstag.

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Donnerstag, äen 13. Januar 1887.

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'Uotitifche WcrcHvichten.

Deutsches Reich.

Berlin, 9 Jan. Fürst Bismarck ist gestern abend 9 Uhr 20 Minuten hier eingetroffen. Auf dem Lehrter Bahnhofe hatten sich zu seinem und seiner Begleitung Empfange die beiden Söhne und Dr. Schweninger eingefunden. Begleitet war der Reichskanzler von feiner Gemahlin und dem gräflich Rantzau'schen Ehepaare.

Berlin, 10. Jan. Gestern und heute haben unter Vorsitz des Reichskanzlers Sitzungen des preußischen Staatsministe' rin ms stattgefunden. Es liegt nahe genug, daß dabei die Frage der Stellungnahme zu der eventuell ablehnenden Haltung des Reichstages in Sachen der M i l i t ä r v o r l a g e zur Entscheidung gelangte. Man geht gewiß nicht fehl, wenn man annimmt, daß die Regierung auf der Annahme ihrer Vorlage beharrt. Die Oppositionsparteien, namentlich das Centrum und die Freisinnigen, haben augenscheinlich einen gemeinsamen Operationsplan festgestcllt, welchem sich die Sozialdemokraten, die bei der Abstimmung den Saal verlassen sollen, anschloffen. Es soll zuerst der freisinnige Antrag, der in der Kommission abgelehnt worden, im Plenum mit Hilfe des Centrums abgelehnt werden; dann sollen die Freisinnigen für den Centrumsantrag -- Bewilligung der Forderungen auf drei Jahre stimmen. Innerhalb des Freisinns soll es übrigens zu heftigen Auseinander­setzungen gekommen sein. Man darf gespannt sein, wie viel und welche Frei­sinnigen morgen oder bei den entscheidenden Abstimmungen fehlen, weil ihnen das allzu offene Bekenntnis zur Führerschaft Windthorst dem»- doch recht un­bequem ist. Der Kanzler wird jedenfalls morgen schon das Wort ergreifen, wobei wohl Erklärungen in Sachen der auswärtigen Politik nicht fehlen dürften. (S. folg.)

Berlin, 11. Jan. Extrablatt vom Schw. Merk. (3 U. 10 Min. nachm.) Reichstagssitzung. Moltke erklärte als erster Redner, er glaube, daß wir, wenn das Haus die Forderungen der Regierungen ab« lehne, trotz der Friedensliebe und Friedensbeteuerungen der Regierungen den Krieg sicher haben werden; 1 und 3 Jahre genügen nicht, man möge die Regierungslage unverkürzt nach Zahl und Zeit annehmen und jedes Opfer auch das der eigenen Ansicht bringen, wenn es um die Sicherheit des Vaterlandes handle. Darauf spricht Stauffenberg für seinen Prinzipalantrag. Die Besprechung der Para­graphen 1 und 2b wird auf Vorschlag des Präsidenten vereinigt. Bis­marck erklärt, die augenblickliche Wehrkraft Deutschlands biete nach der Ueberzeugung der verbündeten Regierungen nicht die Bürgschaft für die Verteidigung der Grenzen, auf welche die Na­

tion ein unverlierbares Recht besitze. Ob in 10 Tagen oder in 10 Jahren der Krieg mit Frankreich ausbreche, könne Nie­mand wissen. Redner kommt auf die allgemeine Politik zu sprechen und rühmt besonders unsere feste Freundschaft mit Rußland.

(3 U. 40 Min.) Fürst Bismarck: Ich sehe dem Verlangen aller militärischen Autoritäten gegenüber nur Richter, Windthorst, Grillenberger. Es ist schwer gewesen, den Frankfurter Frieden zu machen, noch schwerer, ihn zu erhalten. Unser Verhältnis zu Oe streich ist ein so ver­trauensvolles, inniges, wie nie zu Zeiten des deutschen Bundes. Geboten ist, dem Weltteil den Frieden zu erhalten; dazu bedarf es eines starken Heeres. Die Beziehungen zu allen Mächten sind die besten. Rußland gegenüber sind die guten Beziehungen über jeden Zweifel erhaben. Uns beseelt wahrlich keine Rauflust, schwerlich läßt sich eine solche von Rußland besorgen. Wir werden sicher keinen Krieg mit Rußl-and beginnen; an eine Koalition zwischen Frankreich und Ruß­land haben wir bei der Vorlage nicht gedacht; alle Argumente in dieser Richtung sind uns untergeschoben. Die Presse, welche die Vorlage bekämpft, hat alles darangesetzt, uns in einen Krieg für Bulgarien mit Rußland zu verwickeln. Ich hätte mir Landesverrat vorgeworfen, hätte ich mich auch nur einen Augenblick auf solche Dummheiten eingelassen. Völlig gleichgiltig ist uns, wer in Bulgarien regiert, die Freundschaft mit Rußland ist uns wichtiger als mit Bulgarien; gute Be­ziehungen zwischen den Mächten zu erhalten, ist unsere schwierige Aufgabe/ die wir uns nicht durch journalistische und parlaniMarische Angriffe vereiteln lassen. Zu Frankreich ist die Erhaltung der gegenwärtigen guten Beziehungen schwieriger, weil dort die Vergangenheit noch nicht vergessen ist. Wir haben unsererseits alles hiezu gethan. Wir wollen keinen Krieg mit Frankreich, fürchten ihn aber auch nicht. Unter keinen Umständen werden wir Frankreich angreifen, aber wir werden auch stets gerüstet sein, um dem Wiederausbruch de» Krieges gewachsen zu sein. Dies ist das Ziel der Vorlage. Ich glaube an eine friedliche Gesinnung der französischen Regierung und eines Teils des französischen Volkes. In Frankreich kann aber plötzlich eine Regierung ans Ruder kommen, welche den Krieg bringt; damit ist zu rechnen; nicht erst dann kann man Vorkehrungen treffen. In Frank­reich verzichtet kein Blatt, keine Stimme auf Elsaß- Lothringen. Was würde werden, wenn uns die Franzosen besiegten? Die Regierung kann kein Haarbreit vom Septennat abweichen; er müsse die unveränderte und baldige Annahme der Regierungsvorlage verlangen, andernfalls werde er sofort an die Wähler appellieren. (Nächste Sitzung morgen Mittwoch 12 Uhr.)

Jeuiccetorr.

Verlorene Ehre.

Roman von W. Köffer.

(Fortsetzung.)

Eines Morgens, es waren wenige Tage vergangen, weckte mich ein plötzliches Geräusch, das sich, als ich völlig wach geworden, nicht wiederholte, das aber ein un­heimliches Hin- und Herlaufen im ganzen Hause, ein Thürschlagen und Rufen zur Folge hatte. Eine Unruhe ergriff mich und trieb mich auf, als auf wiederholtes Klingeln Niemand erschien, aus dem Bett und in den Vorsaal. Hier zeigte mir die um eine bestimmte Thür versammelte Dienerschaft den Weg. Es war meines Vaters Zimmer, das da vor mir lag, und von Furcht ergriffen drängte ich mich durch die rastlos flüsternde Menge auf dem Teppich lag blutüberströmt die Leiche des alten Mannes. Er hatte sich mittelst eines Pistolenschusses das Leben genommen, um der unabwendbaren Schande rechtzeitig aus dem Wege zu gehen. Was jenem Schreckenstage später noch folgte, bedarf keiner Schilderung mehr.

Die junge Frau fuhr in ihrem Geständnisse fort:

Ich lebte eine Zeit lang thatlos wie in wachem Traum dahin. Das Haus war plötzlich nicht nur leer uud öde geworden, sondern geradezu in die Acht erklärt. Niemand kam, um mich zu trösten, die Schaar meiner Verehrer hatte der Pistolen­schuß in alle Richtungen der Windrose auseinandergesprengt. Ich war allein mit meiner wachsenden Verzweiflung, bis eines Tages ein Herr bei mir erschien und sich als mein Vormund einführte. Er sagte, daß Haus und Einrichtung verkauft werden würden, und daß es jetzt an mir sei, meinen Unterhalt durch eigene Kraft zu erwer­ben. In den nächsten Tagen werde er wiederkommen, um zu hören, welchen Weg ich einzsuchlagen gedenke. Das war eine schreckliche Zeit, die trostloseste, bitterste

meines Lebens! Ich glaube nicht mehr unglücklicher und elender werden zu können. Womit sollte ich Geld verdienen? Ich, die ich es nicht verstand, mein eignes Haar zu frisieren und mein Kleid ohne fremde Hilfe anzuzichen? Als inein Vornrund wiederkam, fand er mich so ratlos wie zuvor. Ich hatte über die Entscheidung meines ferneren Schicksals auch keine Ansicht, keine Vermutring; ich sah ihn nur an und ließ Alles geschehen, was er für gut fand. "Nach längeren Kreuz- und Querfragen, nach vielen Schreibereien und demütigeir Vorstellungen in fremden Häusern gelang es ihm, mich als die Bonne einer kleinen, achtjährigen Gräfin in Wien zu placieren, und damals erst erwachte ich aus dein Schlummer der letzten entsetzlichen Unglückszeit zum vollen Bewußtsein meines schrecklichen Looses. Aus einer regierenden Fürstin war ich über Nacht zu einer Sklavin geworden, aus dem verwöhnten, vergötterten Kinde des Hauses zur Dienerin, die »ran wiederstrebend duldet, weil eben keine Ma­schine ihre Thätigkeit zu ersetzen im Stande ist. Ich kannte von allen den Obliegen­heiten meiner neuen Stellung nicht eine einzige; ich hatte anstatt der verlangten Unterordnung und des blinden Gehorsams das Benehmen der großen Dame, und konnte mich namentlich an die kleine Quälerin, deren spezielle Sklavin ich war, durch­aus nicht gewöhnen. Das Kind wurde als lästig zur Seite geschoben, anstatt den Gegenstand meiner lebhaftesten wenigstens erheuchelten Teilnahme und des wärmsten Interesses zu bilden. Ich begann, die ganze Welt um mich herum, die glücklichen Menschen, in deren Mitte ich lebte, ja das Dasein selbst zu hassen. Ich fühlte es fast wie den Genuß befriedigter Rache, daß ich Allen gleich antipathisch war. Von hundert Seiten zugleich blutete das Herz des verzogenen, aus allen seinen Himmeln plötzlich in die Eiswüste verbannten Kindes. Tie Herren fanden an meiner Erscheinung Wohlgefallen genug, um mich heimlich mit Beleidigungen zu überhäufen, die Damen haßten mich, weil meine Manieren nicht die der Untergebenen, sondern die der großen Welt waren sie ersannen ein System, das mir zuweilen Folter­qualen verursachte und durch welches ich für meine Kenntnis der fremden 'Sprachen, der Musik und des gesellschaftlichen Tones von ihnen hinlänglich bestraft wurde. Ich