Gegenstand zu hören. Referent war Redakteur Schrempf von der „Reichspost," welcher die in religiöser, nationaler, pädagogischer, socialer und agitatorischer Hinsicht geäußerten Bedenken gegen den Entwurf zu entkräftigen suchte. Betreffs der religiösen Bedenken hält es Redner mit dem Grafen Capri- vr, welcher m einer Ablehnung der confessionellen Schule die Herrschaft des Atheismus begründet sieht. Jedem confessionellen Christen müssen die Simultan- jchulen als undenkbar erscheinen, denn unter keinen Umständen dürfe die Religion in die Stellung eines gewöhnlichen Schulfaches zurückgedrängt werden. Sie müsse vielmehr das Rückgrat des ganzen Volksschul- unterrichts bilden und ohne die confessionelle Schärfe fehle dem Religionsunterricht das Salz. Der letztere erfülle niemals seinen Zweck, wenn es dem Lehrer nicht gestattet sei, frei vom Herzen nach seiner Ueber- zeugung zu lehren. In nationaler Hinsicht sei zu befürchten, daß durch eine Ueberlieferung der Volksschule an den Ultramontanismus eine antinationale Richtung Platz greife. Nach der pädagogischen Seite dürfte anzuführen sein, daß ein guter Pädagoge auch immer ein guter Christ fei, dem die confessionelle Schule am Herzen liegt. In socialer Beziehung könne eine confessionelle Schule mit vernünftigen Lehrern nur wünschenswert fein. Eine Agitation gegen den Entwurf werde namentlich auch von den Lehrern betrieben, die in ökonomischer Hinsicht, obwohl den Entwurf eine Besserung anstrede, sich nicht zufriedengstellt glauben und das mit vollem Recht. Es sei als eine Schande für das deutsche Volk zu betrachten, daß man zu hundert anderen Dingen stets Geld habe, nur nicht für die Lehrer, die trotz aller Aufbesserung mit ihren Familien noch ein kümmerliches Dasein führen. Wohl spreche man von Hunderttaufenden, die für die Lehrer aufgewendet werden, aber bei ihrer großen Zahl treffe nur wenig auf den einzelnen. Eduard Elben glaubt, daß die Evangelischen bei Annahme des Entwurfs nur einigen Gewinn haben, den Sieg die Ultramontanen davon- lragen werden. Und sollen wir ihnen den ganzen Staat in die Hände geben? Elben hält dafür, daß durch den Entwurf entweder Atheismus oder die Herrschaft des Jesuitismus großgezogen werde. Der Referent kann diese Logik nicht verstehen und wundert sich über die Opposition des „Schwäb. Merkurs," da dieses Blatt doch wissen muß, daß in Württemberg die Schule seit 183V mehr der Kirche übergeben fei, als dieses in Preußen beabsichtigt werde. Gerade in Württemberg müßten also diejenigen Zustände cingetreten sein, die der „Merkur" für Preußen befür- worrct und doch ist es bekannt, daß die württemberg- ische Schule unter dem Schutz der Kirche groß geworden. Warum also den sonst sehr annehmbaren Entwurf adlehnen, lediglich aus Furcht vor Rom.
Stuttgart, 1. März. Ueber die Frage, wie weit sich die Wirkung des Gnadenerlasses Sr. Mas. des Königs, muh welchem verschiedene Personen, die wegen Mililärvergehens das Vaterland verlassen haben, die Rückkehr wieder gestattet ist, erstrecke, herrsche vielfach große Unklarheit. Nach einer Auskunft der hies. Sladtdireklion erstreckt sich die Wirkung nur aus solche Württemberger, welche in würt- tembergischen Regimentern dienten, resp. dienen sollten; dagegen auf solche Württemberger, die in andern deutschen Ländern ihre Militürzeit abdienten, resp. abdiencn sollten, erstreckt sich die Wirkung nicht.
Stuttgart, 3. Marz. Es scheint jetzt außer Zweifel zu sein, daß der Siuttgarter zentrale Güterbahnhof, der sich in seiner gegenwärtigen Gestalt schon seit Jahren als unzulänglich herausgestellt hat, auf die Prag zwischen dem Rvsensteiu und der Luo- wlgsburgerstraße verlegt werden soll. Die K. Eisen- bahnverwaltung hat bereits in jener Gegend bedeutendes Terram erworben und steht wegen Erwerbung weiterer Grundstücke in Unterhandlung.
Stuttgart, 3. März. Auf Grund der Statistik des hiesigen Verbrauchsstcueramts hat sich her- ausgestellt, daß im Jahre l89l wiederum der Consum des bayerischen Bieres zurückgegangen ist. Es wurden hier nur 8900 Hcctol. bayerisches Bier verzapft, während der Confum des böhmischen (Pilsener und Lilbwelfser) Bieres auf 12800 Hcctol. — 3,1 pCt. des Gefammtconsums sich gesteigert hat. Bei einem Br rvcrbrauch von gegen 400 000 Hcctol. in Stuttgart treffe» auf den Kopf der Bevölkerung 285 Liter d. h. .nva 45 Laer pro Kopf über den Durchschnitt des D^.coujuinS in Württemberg überhaupt. Als er
freuliches Zeichen ist zu betrachten, daß der Fleischkonsum in Stuttgart letztes Jahr sich um etwa 450 OoO Kilogramm gehoben und nunmehr 9614 000 Kg. betträgt.
Ludwigsburg, 3. März. Die Königin hat ihrem Ulanenregiment gestern eine recht hübsche Ucber- raschung bereitet. Es sollen nämlich künftig jedes Jahr am Geburtsfest ihres hohen Gemahls 250 verteilt werden an kranke und bedürftige Unteroffiziere sowie teilweise auch als Prämien für außerordentliche Leistungen von Angehörigen des Regiments.
Im Laufe der nächsten Monate werden neue silberne Fünfmarkstücke und Zweimarkstücke mit dem Bildnis des Königs Wilhelm II. zur Anspräguug gelangen, wogegen Goldmünzen erst später an die Reihe kommen werden.
Brandfälle: Den 1. März in Mössingen das dem Bauern Jakob Stotz gehörige Wohnhaus samt angebauter scheuer. — Den 2. März das Wohnhaus und die Scheuer des Schultheißen in Dürrenwaldstetten (Riedlingen).
Darmstadt, 5. März. Die „Darmstädter Zeitung" meldet; S. K. H. der Großherzog wurde gestern von einem Schlaganfall getroffen. Die rechte Körperhälfte ist gelähmt, das Bewußtsein hat sich erhalten.
Im rheinisch- westfälischen Kohlenrevier dauern, wie der Frkf.-Ztg. von dort geschrieben wird, die Arbeiterentlassungen in großem MaßsWkix fort. Die Behörden widmen den zahlreichen Arbeitslosen, die auch zum Teil unbedacht ihre Heimat verlassen haben, bereits ihre große Aufmerksamkeit.
Danzig, 4. März. Der Magistrat ließ, um Arbeit zu schaffen, heute früh Erdarbeiten auf den Riesefeldern beginnen. 220 Arbeiter sollen mittels Dampfer befördert werden, es waren aber 800 an der Landungsstelle des Dampfers erschienen. Die Zurückgebliebenen begiengen Ausschreitungen, besonders gegen Bäckerläden und Brottcäger; ein Wagen mit Fleisch wurde geplündert. Jetzt sind zahlreiche Gruppen von Arbeitslosen in Bewegung, welche von der Polizei unschwer zerstreut werden.
Ein neuer Streik in Sicht. Die Schuhmachergesellen in Altona haben beschlossen, zum Frühjahr einen allgemeinen Ausstand zu beginnen — wenn etwas daraus wird.
Welchen haarsträubenden Blödsinn sich das Pariser Publikum durch die dortigen Zeitungen über die Berliner Unruhen auftischen läßt, dafür giedt der „Figaro" einen Beweis. Dos Blatt meldet allen Ernstes, „daß das Volk vorige Woche in die Zimmer des Schlosses gedrungen sei und der Kaiser, mit einem Revolver in der Hand, sich durch einen unterirdischen Gang vom Schützenplatz nach Spandau gerettet habe."
Nach der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" bereitet der Kultusminister einen Gesetzentwurf vor, der die Gemeinden verpflichtet, zur Aufbesserung der Gehälter der Lehrer an höheren Schulen wesentlich dasselbe zu leisten, was für die Lehrer der Staats- anstalten vorgesehen ist.
Zur Entstehungsgeschichte der jüngsten Rede des Kaisers schreibt die Nat.-Ztg.: In der Presse wird verbreitet, die jüngste Rede des Kaisers soll im Manuskript dem Reichskanzler und dem Finanzminister Vorgelegen haben. Wir halten diese Angabe für durchaus unbegründet und vielmehr eine andere für richtig, wonach der vom Kaiser geschriebene Text der Rede wenige Stunden, bevor sie gehalten wurdg, dem C'vilkabiner mit dem Aufträge zuging, das Manuskript des Kaisers abschreiben zu lassen und die Abschrift zur Veröffentlichung an den Reichskanzler zu senden.
In die Kommission des Reichstags für das Gesetz über den Belagerungszustand in Elsaß-Lothringen sind gewählt Gröber, v. Gültlingen und Payer.
, Deutscher Reichstag. Am Dienstag halte der Reichstag die zweite Beratung des Marineetats beendet. In der Mitlwochssigung beriet er den Antrag Bebel auf Verstaatlichung der Apotheken. Abg. Bebel behauptete, daß die Apotheken zum reine» Spekulationsobjekt geworden seien, bei den Medikamenten enormes Geld verdient werde, und deshalb sich eine Uebeinahme aller Apotheken durch das Reich empfehle. Abg. Witte (freis.) führte aus, daß unter allen Apathekergcwerbcn in der ganzen Welt das deutsche obenan stehe, und es ein Irrtum sei, zu glauben, nach einer Verstaatlichung würden die Arzneien billiger werden. Redner wünscht allerdings, eine Neuregelung mancher Bestimmungen im Apothekerwesen. Staatssekretär v. Bötticher erwidert, es schwebten schon lange hierüber Verhandlungen, doch habe vis zur Stunde eine Einigung nicht erzielt werden können. Er hoffe aber, in absehbarer Zeit Positives Mitteilen zu
können. Abg. Mcugcr (kons.) verteidigt, das Apothckergewerbc gegen die Bebel'sche» Angriffe, Abg. Wurm (Soz.) behauptet, daß die Apothekerlehrlinge und Gehilfen gar zu sehr überbürdet seien, und daß viele Aerzte nur zu Gunsten der Apotheker, aber nicht der Kranken verschriebe». Abg. Witte (freis.) bestreitet, daß diese Dinge Anlaß zu einer Verstaatlichung der Apotheken gäben. Unliebsames komme überall vor. Die Sozialdemokraten wüßten frei.ich für Reformen kein anderes Mittel, als Verstaatlichung. Abg. Bebel (Soz.) befürwortet den Antrag. Dann erfolgt die Abstimmung, bei welcher sich wieder einmal herausstellt, daß der Reichstag nicht beschlußfähig ist. Die Sitzung wird abgebrochen. Am Donnerstag: Kleine Vorlagen.
Deutscher Reichstag. Dounerstagssitzung. Der Gesetzentwurf betr. den Belagerungszustand in Elsaß Lothringen wird in erster Lesung beraten. Abg. Petri (nattib ) bezeichnet das Gesetz als ein unnötiges Ausnahmegesetz für E.saß- Lothringen, welches dort nur sehr große Unzufriedenheit Hervorrufen werde. Staatssekretär Dr. Bosse bestreitet, daß das Gesetz ein Ausnahmegesetz ist. Es regelt nur die schon lange bestehenden Verhältnisse in klarer Weise. Abg. v. Lollmar (Soz.) behauptet, die Anncktiou von Elsaß-Lothringen habe dem deutschen Reiche keilt Glück gebracht und meint ebenfalls, daß die Vorlage den Charakter eines Ausnahmegesetzes habe. Abg. Hartmann (kons.) bestreitet das. ES werde in der Hauptsache alles beim Alten bleiben. Die Rückgewinnung Elsaß-Lothriugens habe der Patriotismus des deutschen Volkes gefordert, und das Neichslaud werde auch nicht wieder herausgegeben werden Avgg. v. Bac lfrcis), Ortcrer (Etr.), Dziembowski (Pole) sind gegen tue Vorlage, weil sic einem Ausnahmegesetz zu ähnlich sehe, Abg. Petri <nattib.) bittet nochmals um Ablehnung, Abg. v. Lollmar (Soz.) bestreitet einer Bemerkung des Abg Hartman» gegenüber, daß er von einer Rückgabe Elsaß-Lothringens an Fmukreich gesprochen. Abg. Hartmann (kons.) konstatiert mit Befriedigung düse, von den Aeußerungen anderer Sozialdemokraten abweichende Erklärung. Die Vorlage geht au eine Kommission von 2t Mitgliedern; daun wird die Beratung des Tele- grapyengesetzes fortgesetzt und der Rest desselben ohne wesentliche Debatte endlich angenommen.
Berlin. 3. März. Sämtliche kvlhoiischen Vereine Berlins beschlossen an dem Sterbetage Windthorst's Feierlichkeiten zu veranstalten, wobei die Parlamentarier der verschiedensten Parteien erscheinen werden.
Die in Königshütte ansgebrochenen, aus Polen eingeschleppten Pocken, die epidemisch um sich greifen, wurden von ärztlicher Seile als echte Pocken konstatiert. Die Regierung H it die sofortige Impfung aller bisherigen ungeimpften Kinder ungeordnet.
Schwei).
Die schweizerischen Zölle haben am 12, Februar auch gegen Deutschland eine Erhöhung er- fahren infolge Ablauf des Handelsvertrages zwischen der Schweiz und Italien. Im „Reichsanzeiger" wird besonders aus folgende Zollerhöhungen der Schweiz, aufmerksam gemacht: Parfümerien (bisher 30, jetzt 50, bczw. 100 Fr.); Glasflüsse, Email, G.asperlen, (bisher 4, jetzt 10 Fr.); Möbel und Möbelieile aus gemeinem Holz, polirt, geschnitzt, gepolstert, sowie solche aus Eoenistenholz (bisher 16, jetzt 25, bezw. 38, und 50 Fr.); Handschuhe ans Leder (bisher 30, jetzt 150 Fr.); lebendes Geflügel (bisher 4, jetzt 6 Fr.); getötetes Geflügel (bisher 6, jetzt 12 Fr.); Wurstwaren (bisher 12, jetzt 20 Fr.); frische Gemüse, andere als Karioffel (bisher frei, jetzt 2 Fr.); Reis in geschälten Körnern (bisher 1.50, jetzt 2.50 Fr.); Schaumweine in Flaschen rc. (bisher 3.50, jetzt 40 Fr.); Seife (bisher 1.50, jetzt 5 bezw. 40 Fr.); Gespinnste aus Flachs und Hanf bis und mit Nr. 10, roh und gebrecht (bisher 0.60, jetzt'1.50 Fr.); Strohhüte, nicht ausgerüstet (bisher 50, jetzt 100 Fr.); Pferdehaare, gereinigt, zubereitet (bisher 5, jetzt 10 Fr.); Dachziegel. Röhren, Backsteine, Platten, Fliesen, roh (bisher 0.10, jetzt 0.50 bezw. 0.25 Fr.); Töpferwaren, gemeine (bisher 2, jetzt 3 Fr.); gemeine Kurzwaren (bisher 16, jetzt 50 bezw. 30 Fr.)
Bekerreich-Ungarn.
Lemberg, 3. März. Eine Versammlung der ruthenischen Radikalen faßte den Beschluß, den obligatorischen Unterricht der deutschen Sprache in den Volksschulen Galiziens zu verlangen.
Frankreich.
Das neue französische Ministerium Loubet ist am Donnerstag mit einer Programm- Erklärung vor die Kammern getreten. Das Ministerium verbricht Ordnung im Innern, Aufrecherhaltung der Slaats- rechte gegenüber der Kirche und Beharren bei der Handelspolitik. Die auswärtige Politik soll unverändert fortgesetzt, die Wehrkraft der Armee erhalten bleiben. Die Gesinnung der Regierung ist friedlich. Trotz dieser schönen Worte wird noch sehr lebhaft bezweifelt, daß die Existenz des Ministeriums von längerer Dauer sein wird. Der Premier Landet ist ein sehr tüchtiger Monn, aber er hat sehr viele Geg- ' ner, die ihm schon deshalb gram sind, weil sie durch ihn von der Negierung ausgeschlossen werden.