stellten Corpsbezirk den Belagerungszustand erklären. Für den Fall des Aufruhrs kann der Belagerungszustand vom Statthalter oder in dringenden Fällen durch den obersten Militärbefchlshaber verhängt werden. Die vollziehende Gewalt geht damit auf den Militärbefchlshaber über, welcher für die Anordnungen persönlich verantwortlich 'st. Derselbe ist befugt, Verhaftungen und Durchsuchungen anzuordnen, bestimmten Personen den Aufenthalt zu untersagen, die Herstellung und Verbreitung von Druckschriften und das Abhalten von Versammlungen zu verbieten. Der Widerstand gegen die bewaffnete Macht bei Ausübung des Dienstes wird mit dem Tod bestraft, minder schwere Fälle mit Zuchthaus nicht unter 10 Jahren. Die Einsetzung der Kriegsgerichte an Stelle der ordentlichen Gerichte steht dem kommandierenden General zu, für die Festungen dem Kommandanten.
Zum Kampfe gegen den Geheimmittelschwindel muntern die „Müncher Neuesten Nachrichten" neuerdings auf und möchten im Speziellen gegen drei Arten von Geheimmitteln vorgegangen sehen, durch welche das Volk als solches an seiner Gesundheit geschädigt und um sein Vermögen beschwindelt wird. Das wären erstens solche Mittel, die als Heilmittel wirken sollen, deren Zusammensetzung aber nicht genau bekannt gegeben oder in denen heftig wirkende Arzneien, wenn auch in kleinen Gaben, enthalten sind. Zweitens solche, die als Heilmittel gegen gewisse Krankheiten ausgegeben werden, denen aher jene Heilwirkung nicht inne wohnt, und drittens solche, die vielleicht einen gewissen Wert haben, deren Verkaufs-Preis aber durchaus in keinem Verhältnis zu den wirklichen Herstellungskosten steht. „Erwägt man," führt das Blatt aus, „die kolossale Zahl dieser ' Schwindelmittel (Professor Hufemann zählt im 7. Bande der Eulenburg'schen Realency- klopädie mehr als 1000 in Deutschland vertriebene neue Geheim- Schwindel- und Reklame- Mittel auf) und den enormen Gewinn, den die Fabrikanten nachgewiesener Maßen bei einer ganzen Zahl derselben erzielten und noch erzielen — so wird man zugestehen müssen, i>aß etwas Energisches gegen diese Plünderung des Publikums geschehen muß. Einige Beispiele mögen dies näher beleuchten. Dubarry verdiente mit seiner kevalouta arudioa, die gewöhnliches Linsenmehl enthielt, Millionen. Die Bannscheidt'schen Oele und Lebenswecker, Schlagwasser u. A. brachten ihren Vertreibern viele Tausende ein. Der englische Pillen- fabrikant Hallowary, der jährlich 40000 Pfund für Reklame ausgad, hinterließ ein Vermögen von 5 Millionen Pfund; ein deutscher Geheimmittel-Fabrikant, der für jeden gleichen Zweck 125 000 Mark jährlich ausgiebt, ist mehrfacher Millionär. Die jetzt nicht mehr verkäuflichen, seiner Zeit aber viel begehrten Goldbergerschen Rheumatismuskctten haben dem Erfinder und seinem Kompagnon ein bedeutendes Vermögen eingebracht; Pillen, deren Hauptbestandteil (Aloe) in 2 Schachteln noch nicht 1 Pfennig kostet, wofür aber mehrere Mark bezahlt werden müssen (Wildermanns Jahrbruch der Naturwissenschaften 1889) zeigen, welchen Gewinn derartige Fabrikationen abwerfen, in welcher Weife das gläubige Volk ausgebeutet wird.
Berlin, 20. Febr. „Auch ein alter Offizier" schreibt der „Köln. Ztg.": Ich glaube mit dem General-Reichskanzler, daß der Weg der obligatorischen Beschwerde nicht gangbar ist. Durchzufüyren aber ist eine leichte Aenderuttg im Mechanismus der Beschwerde: Man bestimme, däß die Beschwerden in RLchhandtungssachen nicht mehr an den Feldwebelsondern direkt an den Hauptmann gehen, denn beim Feldwebel bleiben die meisten Sachen stecken. Nicht in 8er OeffentUchkeit allein., welche die Disziplin nicht gefährdet, wie die Erfahrung lehrt, sondern vor Allem in der Gewährung einer ordentlichen Verteidigung und der Trennung der vielfachen Obliegen- heuen des Auditeurs liegt der große Vorteil des bayrischen Verfahrens. Die Mißhandlungen sind am sichersten abzuschaffen, wenn man im gegebenen Fall die Rogimenskommandeure verantwortlichmacht. Ein halbes Dutzend Beispiele würden genügen. Wenn ein Regimentskommandeur weiß, daß es ihn seine Stellung kosten kann, so wird und kann er Mittel finden, die Mißhandlungen wenigstens zu ganz seltenen, individuellen Ausnahmen zu machen.
Berlin, 22. Febr. Das Landgericht verurteilte den Kaufmann Schwieger, welcher in Gemeinschaft
mit dem flüchtigen Buchhalter Frank die Deutsche Bank durch Rubelspekulation um 3,220,558 ^ geschädigt, zu vierjährigem Gefängnis und 3000 ^ Geldstrafe.
Berlin, 22. Febr. Der Erzpriester Majunke, früher einer der streitbarsten Kapläne, nach der Beilegung des Kulturkampfes jedoch von dem Tummelplatz der Presse durch den fürstbischöflichen Stuhl von Breslau zurückgezogen, ergreift in den „Hist.- Pol. Bl." des Herrn Jörg das Wort zum Schul- gesetzentwurf. Er fertigt die evangelischen Orthodoxen, welche meinen, durch Handinhandgehen mit der römischen Klerisei sich eine Art Gleichberechtigung bei der Teilung der kirchlichen Herrschaft zu sichern, in grausamer Weise ab, indem er schreibt: „Ein Zusammengehen zwischen Katholiken und Protestanten zur Erzielung kirchlicher oder kirchen politisch er Zwecke ist immer nur aus taktischen Gründen möglich; eine prinzipielle Koalition ist ebenso unthunlich. wie die Eine Kirche alle Neben-„Kirchen" ausschließt." Beachtenswert ist auch folgende Bemerkung Majunkes: „Mag der protestantische Geistliche immerhin den Regierungspräsidenten als den Herrn seiner Schule betrachten, der katholische Priester wird in ihm nicht mehr sehen als den Pförtner, der ihm die Schul- thüre behufs Erteilung oder Leitung des Religionsunterrichtes öffnet.
Berlin, 24. Febr. Der Präsident erinnert bei Sitzungsbeginn an die Eröffnung des norddeutschen Reichstags vor 25 Jahren. Ec führt an, daß noch 8 Abgeordnete aus dieser Zeit vorhanden seien. Alsdann Beratung des soz.-dem. Antrages, betr. Aufhebung der Lebensmittelzölle. Bock (Soz.) erklärt, die Sozialdemokraten werden nicht eher ruhen, bis die Lebensmittelzölle abgeschafft seien, v. Man- teuffel (kons.), Buhl (nat.), Graf Behr (Reichsp.) für die Aufrechterhaltung der landwirschafrlichen Schutzzölle. Bamberger (d.fr.) für vollständige Abschaffung der Lebensmittelzölle. Bebel (Soz.) hält die Getreidezölle für ein Unglück, welches den weitaus größten Teil der Bevölkerung schwer schädigt, namentlich im Osten.
Berlin, 24. Febr. Bei dem Festmahle des brandenburgischen Provinziallandlages im Kaiserhof dankte der Vorsitzende des Provinziallandtages, v.
- Bornstedt, dem Kaiser für die Schenkung seines Bildnisses und dafür, daß ein Panzerschiff beim Stapellauf den Namen „Brandenburg" erhalten und erbat die Erlaubnis, letzterem eine kurbrandenburgische Flagge darbringen zu dürfen. Unmittelbar darauf hielt der Kaiser eine Ansprache, in welcher er zunächst seinem Danke für die ihm erneut bekundeten treuen Gesinnungen Ausdruck gab. Es sei ihm in schwerer Arbeit doppelt angenehm und anregend, für seine Bestrebungen auf dem Gebiete des Bolkswohls sto> warme und dankbare Anerkennung zu finden. Leider ser es jetzt Sitte geworden, an allem, was seitens der Regierung geschehe, herumzunörgeln und herumzumäkeln. Unter den nichtigsten Gründen werde den Leuten die Ruhe gestört und die Freude am Dasein und am Gedeihen des gesamten großen deutschen Vaterlandes vergällt. Aus diesem Nörgeln, dieser Verhetzung entstehe schließlich der Gedanke bei manchen Leuten, als sei unser Land das unglücklichste und schlechtest regierte der Welt und eS sei eine Qual, in demselben zu Leben. Daß dem nicht so isst wissen wir alle selbstverständlich besser. Doch wäre, es dMp nicht besser, daß die mißvergnügten Mprgler lieber den deutschen Staub von ihren Pantoffeln schüttelten und sich nuferen elenden, jammervollen Zuständen schleunigst entzögen? Ihne« wäre ja dann geholfen und uns thäten sie großen Gefassten. damist Wir leben iu eurem Uebergangszustande. Deutschland, wächst allmählich aus den Kinderschuhen heraus, um in das Jünglingsalter^ einzutreten ; da: wäre es wohl an der Zeit, daß wir uns von un<° serep Kinderkrankheiten frei machten. Wir. gehen duxch bewegte und erregte Tage Hindurch, in denen daH. Üneil der großen Menge der Objektivität leider zu sehr entbehrt. Es werden ruhigere Tage folgen» insofern uyser, Vqlk sich ernstlich zusammennimmt, in sich geht uyd unbeirrt von fremden Stimmen, auf Gott baut und die ehrliche fürsorgende Arbeit, seines angestammten Herrschers. Der Kaiser erinnert an. den. englischen Admiral Drake, der von einem Bepge C«ntralanrerikas>, aus gleichzeitig, die . wildbewegten Wogen des Atlantischen Oceaus. und den majestätisch ruhigen Spiegel des Stillen. Oreans.ge
sehen habe, und fährt dann fort: „So sei es auch mit uns! Das feste Bewußtsein Ihrer, Meine Arbeit treu begleitenden Sympathien flößt Mw stets neue Kraft ein, bei der Akbeit zu beharren, auf dem Wege vorwärts zu schreiten, der Mir vom Himmel gewiesen ist. Dazu kommt das Gefühl der Verantwortung unserem obersten Herrn dorr oben gegenüber und Meine felsenfeste lleberzeugung, daß unser alter Alliirter von Roßbach und Dennewitz Mich dabei nicht im Stiche lassen wird; er hat sich solche unendliche Mühe mit unserer alten Mark und Unserem Hause gegeben, daß wir nicht annehmen können, daß er dies für nichts gethan. Nein im Gegenteil, zu Großem sind wir noch bestimmt und herrlichen Tagen führe Ich Euch noch entgegen. Lassen Sie durch keine Nörgeleien und mißvergnügtes Parteigerede sich den Blick in die Zukunft verdunkeln oder die Freude an der Mitarbeit verkürzen. Den ewigen mißvergnügten Anspiegelungen über den neuen Kurs und seine Männer erwidere Ich ruhig und bestimmt: Mein Kurs ist der richtige, er wird weitergesteuert. Ich hoffe bestimmt, daß Meine braven Märker Mir dabei helfen werden uns trinke auf das Wohl Brandenburgs und seiner Männer."^
Berlin, 26. Febr. Die l^tersuchung gegen die bei den Kravallen Verhafteten wird von der politischen Polizei geführt. Sämtliche bis heute Morgen Verhafteten wurden wieder entlassen) dis auf tO, welche unter der Anklage des Landfriedensbruchs und Aufrufs iu Haft verbleiben. Die Pöbel-Demonstrationen waren von anarchistijcher Seite vorbereitet. Gestern gingen in der Versammlung der Arbeitslosen Zettet herum, lautend: „Nach der Versammlung bietet sich die beste Gelegenheit zu Demonstrationen vor dem Schloß und Raihauje. Bare, Zettel weitergebrn." Auch ein Gedicht wurde verteilt, worin zur Plünderung der Schaufenster anf- gcforderc wurde.
Berlin, 27. Febr. Als der Kaiser gestern ausreiteu wollte, wurde ihm dies von der Polizei widerraten. Unter den Linden rauchte der Koner eine Cigarrelte und nahm die lebhaften Begrüßungen des Publikums entgegen, beachtete aber den hincec ihm lärmenden Janhagel gar nicht. Der gestrige Adend verlief ruhiger; nur einige Läden der Nojenrhaler- straße wurden in aller Eile demoliert.
Berlin, 27. Febr. Der sozialdemokratische „Vorwärts" veröffentlich! heute au der Spitze des Blattes einen Ausruf an die Arbeiter Berlins, welcher speciell die Parteigenossen ausfocdert, jeglichen Ansammlungen fernzubleiven. Tumulte und Zerstörung von Eigentum seien nicht die Mittel, der herrschenden Notlage abzuhelfeu.
Berlin, 27. Febr. Die Versuche zu Ansammlungen dauerten gestern an verschiedenen Punkten bis gegen 10 Uhr Abends fort, doch kamen nirgends ernstliche Ausschreitungen vor. Ueberall zerstreute sich die Menge vor der cinschreitenden Polizei. Als der Kaiser gegen 8stz Uhr sich zu den Meiniugischen Herrschaften begab, verlief sich die Menge auch in der Umgebung des Schlosses. Bis Mitternacht sind aus keinem Stadtteile Nachrichten von ernsten Zusammenstößen eingelaufen-
j Die Kaiserreöe macht im Publiküm einen tiefen -Eindruck: In der Berliner Presse' schweigen die offiziöse „Norddeutschen Allg. Ztg." und die konservative „Kveuzzeitg." noch vollständig. Besonders erregt der Satz) daß die Nörgler besser thäten, auszuwandern, große Bewegung. Das „Berk. Tageblatt" beschränkt sich auf ein Zitat ans der preuß. Verfassung: „Jeder Preuße hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern." Pie „Nat.-Zeitung" antwortet: „In" einem Lande mit öffentlichen Einrichtungen brawchtman nicht ans- zuwaudern, wenn man mit RegiernngSinaßregeln unzufrieden ist." Der sozialdemokratische „Vorwärts"
,meint: Deutschland wäre läng,» eine'Wüstenei; wenn seit dem Bestehen des Reiches all« diejenigen ansge- wandert wären, ddnen die poliüsthdn Verhältnisse nicht gefallen haben. Die „Freis. Zeitg." sagt: Dn die Regierungsanfichten im-Lauf der Zeit vielfach wechseln, so bleibtn schließfich^nur noch diejenigen im Lande: welchd jeder selbständigen Ansicht entbehren, f Die neueste Rede des Kaisers wird vielfach sehr eingehknd in den Zeitungen besprochen. Besonderen. Nachdruck wird auf die Worte gelegt, daß die Pörgeser, welchen es in Deutschland' nicht mehr gefällst., den deutschen Staub von ihren Pantöffeln schütteln möchten. Es wird gesagt-, wenn MH, die