der Kaiser bis halb 12 Uhr, obwohl man schon um 7 Uhr vom Tisch aufgestanden war. Mit Lieber vom Zentrum und dem Freisinnigen Eberty, die ihm neu vorgestellt wurden, führte der Kaiser eine kurze Unterhaltung, dann stand er etwa eine Stunde in intimem Gespräch mit Miquel, Herrfurth und v. Man- teusfel, später in einer Gruppe mit v. Helldorff, Clai- ron d'Haussonville und v. Erffa. Schließlich ließ sich der Kaiser in einem Nebensalon mit v. Stumm, Krupp und dem Gesandten Grafen Lerchenfeld zu. einer langen Unterhaltung nieder. Die Begrüßung, die der Kaiser an Herrn v. Stumm richtete, ließ keinen Zweifel darüber, daß ihm dessen Rede vom Freitag gegen die Sozialdemokratie genau bekannt war und seinen Beifall hat. Die Bewilligung der Forderungen für die Marine im Reichstag interes­siert den Kaiser lebhaft.

Berlin, 15. Fcbr. Der deutsche Jnnungs- und Handwerkertag wurde heute eröffnet. Ueber 2000 Delegierte sind angemeldet.

Berlin, 15. Febr. Der gestrige Gottesdienst im Dom, bei welchem der Kaiser anwesend war, wurde durch einen irrsinnigen Pastor gestört, der bei der Predigt ausrief: Das tausendjährige Reich wird kom­men! Derselbe wurde auf die Polizeiwache geführt.

Deutscher Reichstag. In der Freitagssitzung wurde zunächst der Gesetzentwurf betr. die Einziehung der öster­reichischen Vereinsthaler in dritter Lesung endgiltig ange­nommen, und dann die zweite Beratung des Etats der Reichs- Eisenbahnverwaltung fortgesetzt. Abg. Frhr. von Stumm (freikons.) billigte das Vorgehen der Verwaltung gegen die Arbeiter, welche im sozialdemokratischen Sinne agitieren, und verurteilte die Bestrebungen dieser Partei, welche gegen Re­ligion und Ehe, für Meineid und Diebstahl spreche, wenn es ihren Zwecken diene. Nichts sei schlimmer, als die Tyrannei der Sozialdemokratie gegenüber den freien Arbeitern, deshalb dürfe dieselbe in den Werkstätten und Betrieben nicht geduldet werden. Abg. Bebel (Soz.) bestreitet, daß die Sozialdemo­kratie für alle Aeußerungen ihrer Mitglieder verantwortlich sei. Uebrigens kämen auch in der Partei des Herrn von Stumm genug Verbrechen und unsittliche Geschichten vor. Die Rede, welche eben gehalten worden sei, klinge fast so, als ob ein neues Sozialistengesetz im Anzuge sei. Abg. Haus­mann (Demokrat) meint, man sollte an den Erfahrungen aus der Zeit des Sozialistengesetzes genug haben und nicht an neue Zwangsmaßregeln denken. Abg. Frhr. von Stumm (freikons.) erwidert Bebel, die sozialdemokratische Gesinnung werde keinem Arbeiter zum Borwurf gemacht, wohl aber die Bcthätigung dieser Agitation. Daß außerhalb der Sozial­demokratie gar keine Verbrechen passierten, habe er nicht ge­sagt. Aber die Sozialdemokratie billige solche. Abg. Möller (natlib.) verteidigt den Kommerzienrat Baare in Bochum, den Bebel angegriffen. Abg. Hirsch (freis.) fordert Gleichberech­tigung für alle Arbeiter, Abg. Hitze (Ctr.) mißbilligt die Ent­lassung von Arbeitern wegen ihrer politischen Gesinnung. Abg. v. Helldorf (kons.) ist auch der Ansicht, daß wegen po­litischer Gesinnung niemand gemaßregelt werden soll, aber eine aufhetzende Wühlerei dürfe nicht geduldet werden. Nach verschiedenen Wechsclredcn, an welchen sich noch die Abgg. Bebel (Soz.), Hausmann (Demokrat), Schräder (freis.), von Stumm (freikons.), Sieger (Soz.), von Kardorff (freikons.), Barth (freis.) beteiligen, wird die Sitzung auf Sonnabend vertagt.

Deutscher Reichstag. Sonnabendsitzung. Diezweite Beratung des Etats der Reichseisenbahnverwaltung wird fort­gesetzt. Abg. Bebel (Soz.) bringt dabei die Stcmpelfälschungen in Bochum zur Sprache und äußert sich sehr scharf über das Verhalten des Geh. Kommerzienrats Baare und das von ihm geleitete Bochumer Werk. Geh. Rat Kiene! erklärt, daß die tzisenbahnverwaltung mit den Bochumer Schienen seit 1878 nur gute Erfahrungen gemacht habe. Die Schienen wurden durch staatliche Kontrolleure so genau geprüft, daß überhaupt kein Betrug der Eisenbahnverwaltung möglich sei. Abgeord. Schneider (Hamm) tritt den Angriffen Bebels auf den Geheim­rat Baare entgegen und weist auf die schwere Ungerechtigkeit hin, einen Mann zu verurteilen, bevor man ihn gehört und bevor das Gericht gesprochen. Abg. Frhr. von Stumm (frei­kons.) und Hitze (Ctr.) schließen sich dem an. Abg. Bebel behauptet abermals, daß die Eiscnbahnverwaltung von ver­schiedenen Werken durch Betrügereien bei den Schienen ge­schädigt sei. Geh. Rat. Kienel erklärt, er wisse davon nichts. Darauf wird der Etat der Reichseiscnbahnverwaltung ge­nehmigt. Nach debatteloser Erledigung verschiedener Peti­tionen wird die Sitzung auf Montag 1 Uhr vertagt.

Kultusminister Graf Zedlitz erklärte in der Schulkommission des preuß. Abg.-Hauses, er beab­sichtige nicht, die Simultanschulen da, wo sie sich in das Vertrauen der Bevölkerung eingelebt, aufzuheben.

Aus Schleswig-Holstein, 11. Febr. Große Aufregung herrscht in der Gegend zwischen Oldesloe und Reinfeld, wo neuerdings eine Brand- siifterbande ihr ruchloses Gewerbe treibt und an­scheinend lediglich aus reiner Zerstörungssucht. Außer auf dem großen Hofe zu Neu-Fresenburg, wo etwa 80 Kühe und gegen 1000 Tonnen Getreide dem Brande zum Opfer fielen, sind in den jüngsten Tagen zweimal Brände angelegt worden in dem Dorfe Steinfeld, sowie in Zarpen. Auch an den letzteren drei Stellen ist der materielle Schaden erheblich. Das

Jnspektorat von Neu-Fresenburg hat bereits eine Be­lohnung von 1000 Mark auf die Entdeckung des Brandstifters ausgesetzt.

Schwei).

Aus Basel, 11. Febr. schreibt man demN. W. Tagbl.":Der gesamte bedeutende Nachlaß des hier verstorbenen Professors Ignaz Hoppe aus Bonn, der sein Vermögen Denjenigen vermacht hatte, die geneigt wären, in seinem Hause unausgesetzt über das Wesen der menschlichen Seele nachzudenken, fällt den deutschen Verwandten des Verstorbenen zu, da das Testament für ungiltig erklärt wurde.

Bejterreich-Angarn.

Wien, 15. Feb. Erbprinz Leopold zu Isenburg reiste nach New-Aork zur Vermählung mit der Tochter eines kalifornischen Eisenbahnkönigs ab. Die Mitgift beläuft sich angeblich auf 30 Millionen DolarS.

Lemberg, 15. Febr. Die Polenblätter brin­gen Schauerberichte über den Notstand in Galizien. Im Bezirk Myslenica werden von 76 000 Einwoh­nern 62 000 als notleidend bezeichnet.

Frankreich.

Paris, 13. Febr. Ein heute früh eingegange­nes Telegramm aus Rio de Janeiro meldet gerücht­weise den Ausbruch eines Aufstandes in Santos.

Folgen des Kriegs 1870/71. Man schreibt uns aus Paris:Die Rekruten, welche sich dieses Jahr zum Militärdienste stellen, sind Kinder des Kriegsjahres. Es wurde schon hervorgehoben, daß ihre Zahl bedeutend geringer ist, als die anderer Jahre. Diese Wahrnehmung wurde in Paris und andern Departements gemacht; aber einzig in seiner Art ist der Fall, der aus der Seine-Jnferieure ge­meldet wird. Dort haben elf Gemeinden des Ar­rondissements Neufchsttel-en-Bray überhaupt keinen Rekruten zu stellen und elf andere Gemeinden nur je einen."

Spanien.

Xe res, 12. Febr. Die Panik dauert an. Alle öffentlichen Gebäude, Theater, Cafe's sind geschlos­sen, die Straßen und Plätze verlassen. Die wohl­habenden Familien verließen größtenteils die Stadt. Ausgehungerte Bauern durchziehen plündernd die Umgegend und werden von der Gendarmerie verfolgt.

Italien.

Genua, 15. Febr. Nach einer Meldung aus San Pier d'Arena beschloß eine daselbst abgehaltene Versammlung von 500 beschäftigungslosen Arbeitern die Agitation gegen die Arbeitgeber fortzusetzen, und entbot den Anarchisten in Xeres sowie den wegen der Vorfälle am 1. Mai inhaftierten ihren Gruß.

Belgie n-H oll » nL.

Brüssel, 13. Feb. Aus Paris wird gemeldet: Eine reiche Juwelierswitwe klagte ihren Sohn und dessen Geliebte an, ihr während ihrer Abwesenheit in Nizza den Geldschrank erbrochen und über eine Million Franks gestohlen zu haben. Die beiden sind nach London geflüchtet.

Griechenland.

Athen, 15. Febr. Meldungen aus Piräus zu­folge fanden daselbst gestern gelegentlich des evan­gelischen Gottesdienstes Ruhestörungen statt. Die Volksmenge griff die Kirche mit Steinen an; ein Teil des Mauerwerks wurde zerstört und die am Gottesdienste teilnehmenden Protestanten wurden zur Flucht gezwungen. Die Volksmenge mißhandelte mehrere Protestanten, zerstörie die Bibliothek und die Einrichtung der Kirche und griff die einjchrei- tende Polizei an. Eine Untersuchung ist eingeleitet.

Auch in Griechenland haben sich schwere Geld­sorgen eingestellt. Um den laufenden Forderungen genügen zu können, müssen die Steuern sehr stark erhöht werden. Der staatliche Pleitageier scheint recht weite Kreise ziehen zu wollen.

Cetinje, 13. Febr. Infolge der vorjährigen Mißernte haben in Montenegro der Notstand und das Elend ungeheure Dimensionen angenommen. In früheren Zeiten hat sich Montenegro an Rußland um Hilfe gewendet; in diesem Jahre war jedoch Ruß­land genötigt, mit seinen Getreidevorräten zurückzu­halten. Fürst Nikola hat zwar große Vorräte in Rußland angekauft, mußte aber dieselben gegen Bar­zahlung wieder Weiterverkäufen. Infolge dessen wan­dern Tausende von Montenegrinern nach der Türkei aus.

England.

London, 11. Febr. Die Influenza ist endlich auch in London im Abnehmen begriffen. In anderen

englischen Städten dagegen ist die heimtückische Krank­heit im Zunehmen. In Peuiston tritt sie so stark auf, daß alle Schulen geschlossen werden mußten.

Serbien.

Ueber die jammervollen serbischen Verhältnisse haben sich, die Vertreter deutscher Zeitungen wahr­heitsgetreu geäußert und das hat die Regierung schwer übel genommen. So sind aus Belgrad die Vertreter der Voss. Ztg. und Frkf. Ztg. ausgewieseu, weil sie durch ihre Berichte den serbischen Staatskredit ge­schädigt haben sollen. Letzteres besorgt die belgrader Regierung selbst, da braucht ihr niemand zu helfen.

Amerika.

Der in Brasilien neu ausgebrochene Aufstand greift immer weiter um sich. Neuerdings wurden in den Provinzen Minans Geraes und Bachia Aufrufe zur Lossagung von der Centralregierung erlassen. In Santos im Staate San Pavlo ist schon eine selbständige Regierung eingesetzt worden. Gegen den Gouverneur dieses Staates ist ein Revolver-Attentat verübt, bei welchem er am Arm verwundet wurde.

In Amerika ist wieder ein Mörder mittels Elektrizität hingerichtet worden. Diesmal trat der Tod sofort ein.

China.

Der Aufstand in China ist, wie aus Peking gemeldet wird, jetzt definitiv niedergeschlagen. Sechs Gefechte haben dazu gehört, in welchen 1500 Auf­ständische schonungslos niedergemetzelt wurden. Par­don ist überhaupt nicht gegeben.

Kleinere Mitteilnuge u.

Mannheim, 6. Febr. Der von hier flüchtige Wechselfälscher Lang ist in München festgenommen worden. Auf dem Horterhof bei dem pfälzischen Orte Otterberg starb anscheinend am Sonntag ein Manu und sollte am Dienstag beerdigt werden. Wegen der Fremden und auswärtigen Verwandten sollte die Beerdigung jedoch erst am Mittwoch stattfinden. Der Verstorbene lag im Nebenzimmer aufgebahrt. Als sich Freunde und Verwandte, um der Beerdi­gung beizuwohnen, eingefunden hatten, kam plötzlich zu Aller Schrecken der scheintot Gewesene aus dem Zimmer, in welchem er als Toter aufgebahrt war, lebend heraus.

Eine sehr interessante Entschädigungsklage schwebt gegenwärtig am Landgericht inDarmstadt, welche eine Krankenpflegerin gegen einen dortigen Arzt an­gestrengt hat. Mit Einwilligung der Klägerin hatte der Arzt aus deren Körper ein Stück Fleisch in eine offene Armwunde einer alten reichen Dame verpflanzt, wodurch eine völlige Heilung der Patientin erzielt wurde. Die Krankenpflegerin behauptet nun, der Arzt habe zu der Operation von ihrem Körper mehr Fleisch genommen, als notwendig gewesen sei, da­durch sei sie die Klägerin dauernd entstellt worden und der Arzt müsse sie ausreichend entschä­digen.

Auf einen seltsamen Wahlkniff verfiel der oppo­sitionelle Kandidat des Wahlbezirks Aranoys-Ma- roth, Fürst Arthur von Odescalchi. Er ließ 600 Paar Stiefel machen, im Verhältnis zur Anzahl der Wähler eine große Menge von denen oppo­sitionelle Wähler vor der Wahl je einen Stiefel bekam, mit der Zusage, er solle nach der Wahl, wenn er wirklich für Odescalchi gestimmt hatte, sich auch den anderen Stiefel abholen.

Eine Lebensversicherung für den Durst. Wie die Münch. Bank- und Handelsztg. mitteilt, hat eine große Anzahl der Besitzer von Londoner Trinkstuben ein neues Cockmittel für durstige Kehlen eingeführt. Jeder, der ein Glas Schnaps oder Bier genießt, erhält von dem Geschäftsinhaber einen Koupon, der ihm 100 Pfund Sterling als Lebensversicherung ver­heißt, so er durch Unfall oder sonstige Vorkommnisse binnen sieben Tagen vom genommenen Schluck aus dieser Welt abberufen würde.

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Verantwortlicher Redakteur Steinwandel in Nagold. Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchdruckerei.