gehöre auch eine Kenntnis desselben und des bei uns gelten­den Rechtes. Die Oppositionsreden irritieren hie Regierung nicht. Redner erinnert an den Agitalionssturm für die Herab­setzung der Getreidezöllc. Die Regierung habe damals erklärt, sie werde gegen den Strom schwimmen, sie habe das gethan und werde cs noch einmal thun und wieder wie bisher recht bchatren. Virchows Rede habe ihn sympathischer berührt atS die Eynernsche. Redner verbreitet sich über die Aufgaben der nationalliberalen Partei. Er unterschätzt nicht die Ver­dienste der Partei bei dem Zustandekommen des Reiches und bei der Unterstützung, die sie seinem Vorgänger gewährt habe. Jetzt könne man nicht mehr den Schwerpunkt auf das Na­tionale legen, denn national seien alle Parteien in Deutsch­land, und jetzt wolle man älso das liberale Element betonen. Die gestern gestellte Frage, ob die Regierung der Wiedcrzu- lassung der Jesuiten zustimmen werde, könne Redner verneinen. Den idealen Zug in der nationalliberalcn Partei möchte er erhalten wissen, dieser aber müsse zu einer national-konser­vativen Partei führen. Der Gegensatz, der hier überhaupt hervorlrere, sei nicht evangelisch oder katholisch, sondern christlich und atheistisch. (Große. Lärm links Ruf: Empörend!) Man stehe einem Kampfe mit dem Atheismus gegenüber und als «ine starke Waste gegen diesen erscheine der Entwurf. Die hier vorhandenen Gegensätze seien unverwischbar, wohl aber abgrenzbar, und dies sei das Ziel des Entwurfes.Beur­teilen Sic, was wir thun, objektiv, wir haben in schwerer Zeit erlangt, einen dreißigjährigen Krieg gebraucht, damit die Deutschen sich auf religiösem Gebiet vertrugen, sollte es wieder einer solchen Zeit bedürfen, um dies zu erreichen? Ich hoffe, wir alle vertragen uns, wenn die großen Gefahren, vor denen wir stehen, auch Ihren Augen deutlich werden." (Beifall rechts, lautes anhaltendes Zischen links. Der Minister­präsident verläßt den Saal.)

Zum neuen preußischen Volksschulgesetz teilt die Köln. Ztg. mit, daß der Großherzog von Baden, bekanntlich ein Onkel des Kaisers, sich in Berlin bemüht habe, eine Abänderung desselben im liberalen Sinne herbeizusühren. Die Frks. Ztg. glaubt, daß der Kulrusminlster die Vorlage im Wesentlichen in ihrer heutigen Form durchbringen werde. Ein all­gemeiner Protest der sämtlichen preußischen Städte gegen den Gesetzentwurf wird geplant.

Deutscher Reichstag In der Donncrstagssitzuug sah es wieder einmal öde und leer aus. Auch die Debatte ver­lief äußerst still. Der Gesetzentwurf, betr. die Anwendung der vertragsmäßigen Zollsätze auf am 1. Februar 1892 in Deutschland vorhandenes ausländisches Getreide wurde in dritter Lesung angenommen. Die Gesamtabstimmung wurde wegen des schwachen Besuches auf Freitag vertagt. In zweiter Lesung angenommen wurde der Gesetzentwurf betr. die An­wendung der für die Einfuhr nach Deutschland vertragsmäßig bestehenden Zollbefreiungen und Zollermäßigungen gegenüber den iitcht meistbegünstigten Staaten. Der Gesetzentwurf über das Tetegraphenwejen des deutschen Reiches ist zur nochma­ligen Prüfung an die Kommission zurückgewiescn.

Das Schicksal des hartumstrittenen neuen preußi­schen Volksschulgesetzes scheint entschieden. Die nationalliberale Partei hat am Donnerstag entgiltig die Ablehnung des Entwurfs in der vorliegenden Form beschlossen, während in der Sitzung des Ab­geordnetenhauses, sowohl der Kultusminister Graf Zedlitz, wte die konservativen Redner ien Eingehen auf die nationalliberalen Abünderungswünsche ablehn­ten. Die Vorlage wird also wesentlich in der heu­tigen Form von Konservativen und Centrum ange­nommen, und Herr Miguel bleibt im Amte. Der schroffe Ton, welcher wiederholt von konservativer Seite gegen die Nationallieberalen angeschlagen wurde beweist, daß die einstige Kartellfreundschaft zu Ende ist. Der Kultusmimster sagte:Bei diesem Gesetz scheiden sich die Geister!" Und sie scheiden sich wirklich.

Die Glücksgöttin hat bei der Anttsklaverei- Lotterie nicht ganz blindlings ihres Amtes gewaltet, sondern ihre Gaben mit einem gewissen Verständnis verteilt. Daß der erste Hauptgewinn von 600 000 Mark an sog. kleine Leute nach Danzig gefallen ist, ist schon bekannt. Wir können dem nunmehr hinzu­fügen, daß der auf Nr. 124,368 gefallene 3. Haupt­gewinn im Betrage von 125000 ^ 13 Arbeitern zugefallen ist. Auch der 50,000 «tL betragende 5. Hauptgewinn ist meist kleineren Leuten zugefallen.

Der schweizer Ständerat, der italienische Senat und die drüsseler Kammer haben den neuen Han­delsvertrag mit Deutschland angenommen.

Berlin. Seine Majestät der Kaiser hat, wie wir hören, dem Staatsminister Frhr. v. Mittnacht zur Erinnerung an den Besuch der Württembergi- schen Majestäten in Berlin eme Vase aus der Por­zellan-Manufaktur mit dem Porträtbild des Kaisers überschickt.

Der leitende Arzt für Jrrenfragen an der Be» liner Charitee, Prof. Dr. Jolly, hat seinen Vor­trag auf der Jahresversammlung des Vereins deut­scher Irrenärzte in Weimar überTrunksucht in Be­zug auf Zurechnungsfähigkeit" gedruckt erscheinen lassen. Daß besondere gesetzgeberische Maßnahmen

zur Bekämpfung des Alkoholismus notwendig erschie­nen, werde, so heißt es darin, in einem Kreise von Irrenärzten wohl bejaht werden. In allen Irren­anstalten könne der Nachweis geführt werden, daß bei einem großen Prozentsatz der ausgenommenen Kranken Alkoholwirkung unter den Ursachen der Er­krankung eine Rolle gespielt habe. Im Durchschnitt sei es nicht zu hoch veranschlagt, wenn man an- nebme, daß in den wein> und schnapstrinkenden Ge­bieten Deutschlands 2025 Proz. der in die Irren­anstalten aufgenommenen Männer Trinker gewesen seien. Es folgt dann eins sehr klare Auseinander­setzung der Bestimmungen des Gesetzentwurfs vom August v. I., ganz überwiegend zu ihren Gunsten, und nur gegen Z 18 Abs. 2 kurz bezeichnet, nimmt die Trinkerheilanstalt naturgemäß eine Mittelstellung ein zwischen dem einfachen Krankenhaus und der Irrenanstalt, und sie bedarf dabei unter keiner an­deren als unter sachverständiger ärztlicher Leitung zu stehen. Dies ist bei den Trinkerheilanstalten, zu­meist aus geistlicher Initiative hervorgegangen, durch­aus nicht der Fall. Der ärztliche Einfluß ist dabei in der Regel nicht oder nur in untergeordnetem Maße zur Geltung gekommen". Professor Jollh's Anträge und von dem Weimarer Verein genehmig­ten Beschlüsse lauten:1) Die Bestrafung der Trunk­sucht als solche ist nicht zulässig. 2) Bei dem Ent­mündigungsverfahren wegen Trunksucht ist die Mit­wirkung eines sachverständig-, n Arztes in gleicher Weise notwendig, wie bei der Entmündigung wegen Geisteskrankheit. 3) Die Trinkerheilanstalten, in welchen die zwangsweise Unterbringung von Trin­kern erfolgt, bedürfen in gleicher Weise der ärztlichen Leitung und der staatlichen Beaufsichtigung wie die Irrenanstalten.

S e ff e r r e i ch - U n g s r n.

Aus Wien: Die soeben geborene jüngste En­kelin des Kaisers, Tochter der Prinzessin Valerie, wird die Namen Franziska Josepha Elisabeth Vale­rie erhalten.

Wieu, 27. Jan. Der Kaiser ordnete an, daß trotz der Hoftrauer im Interesse der Geschäftswelt keine Bälle abgesagt werden.

Wien, 29. Januar. Das Ehepaar Schneider wurde zum Tode durch den Strang verurteilt mir der Maßgabe, daß die Strafe zuerst an der Rosalie Schneider zu vollziehen sei.

Brünn, 29. Jan. Die Tuchfabrik von Kafka ist Nachts niedergebrannt, der Schaden beträgt eine Million.

(Die Dienstbotenmörder in Wien.) Der zweite Verhandlungstag gegen Franz und Rosalie Schnei­der ergab ein höchst wichtiges Resultat. Der Mör­der hat sich zu einem Geständnis bequemt, indem er angab, wie die Verbrechen ausgeführt wurden: seine Frau hielt den Mädchen die Hände, während er die armen Opfer erstickte. Die Geschichte mit dem Fläsch­chen und dem Betäubungsmittel erklärt er für erlo­gen. Ungemein bezeichnend für seine Verstocktheit ist, daß er dies Geständnis nicht etwa aus Reue abgelegt hat, sondern wie er ausdrücklich betonte, weils Lügen nix mehr nutzt!" Durch die Verhand­lung wurde auch so gut wie erwiesen, daß Schneider mindestens noch einen vierten Mord auf dem Ge­wissen hat; man sah ihn nämtich am 22. Juni v. I. mit einem Mädchen in Neulengbach und dieses Mädchen ist seit jenem Tag spurlos verschwunden! Offenbar hat er die Aermste ebenfalls in den Wald gelockt und dort entweder allein oder mit Hilfe sei­ner Frau ermordet. Während des Verhöres kam es wiederholt zu sehr heftigen Szenen zwischen dem Ehepaar. Wie am ersten Tag warf auch am zweiten Schneider seiner Frau vor, sie sei es gewesen, die ihn zn den Morden überredet habe; Rosalie Schnei­der lachte bei diesen Beschuldigungen und rief laut uud fest:Nein, das ist nicht wahr!" Als ihr der Mann die Worte ins Gesicht schleuderte:Schämen sollst Du Dich, als Frauenzimmer so zu lügen!" entgegnete sie frech:Ich müßt' nicht, warum ich mich schämen sollt'." (!!) Sie blieb auch noch nach dem Geständnis Schneiders auf ihrer ersten Aussage bestehen. daß sie sich vor ihrem Manne gefürchtet habe und sein willenloses Werkzeug gewesen sei, eine Behauptung, die indeß durch die Thatsachen und Zeugenaussagen längst Lügen gestraft ist. Mit Ausschluß der Oeffentlichkeit wurde über die Sitt- lichkcitsverbrechen, die Schneider an zwei Dienstmäd­chen begangen hat, verhandelt.

Frankreich.

Paris, 29. Jan. Die Regierung beabsichtigt, die 5 Kardinale wegen des Hirtenbriefes wegen Amts­mißbrauchs zu verfolgen.

ZDer Spion Kayser entpuppte sich nun, wie man aus Paris schreibt, als ein Wechselfälscher, dessen Auslieferung von der deutschen Botschaft verlangt wird. Er pflegte sich der Verwandschaft mit einem hohen Beamten in Berlin zu rühmen, aber das war eitel Prahlerei. Auch will er als gebürtiger Pose- ner ein Deutschenfeind sein und dieses gerade durch seine Eipressungsgeschäfte bewiesen haben; denn seine Erpressungsversuche waren hauptsächlich gegen deut­sche Offiziere gerichtet, in deren Privatleben er irgend einen Mackel entdeckt hatte.

In Bordeaux kam der Krach der Bank Menon, der bereits vor einem Jahre stattgefunden hatte, erst jetzt vor dem Zuchtpostzeigericht zur Verhandlung. Derselbe verschlang nicht weniger als 7 Millionen, Menon selbst und seine Kunden sind ruiniert, Laurent, der Senior der Pariser Wechselagenten, mit dem die Bank in dauernder Geschäftsverbindung stand, be­reicherte sich dagegen um anderthalb Millionen. Beide Teile wälzen einander die Schuld zu.

England.

Lvndon, 28. Jan. DerTimes" zufolge zahlte die Pforte zum zweiten Male den vollen Betrag von 350 000 Lst. der jährlichen Abschlagszahlung auf die russische Kriegs-Entschädigung.

Rußland.

Petersburg, 27. Jan. Die Herzogin Wera von Württemberg. Tochter des verstorbenen Groß­fürsten Konstantin, ist hier eingetroffen. Der Tag der Beisetzung der Leiche des Großfürsten ist noch nicht festgesetzt.

Petersburg, 28. Jan. Im Centrum Ruß­lands finden in diesem Jahre Manöver von nie dagewesenem Umfange statt. Die gestimmten Trup­pen des Petersburger und Moskauer Militärbezirks stehen denen des Kiew'schen und Charkow'schen Mi­litärbezirks gegenüber. Im ganzen sollen 8 Armee­korps zusammengezogen worden. Wann die Hun­gernden dazu nicht ein hartes Wort sagen und man das Geld hat, kann man die Sache ja versuchen.

Petersburg, 29. Jan. Zwischen Jcpifen und Bogordizk stießen ein Güterzug und ein Personenzug zusammen. 3 Lokomotiven und 15 Waggons wurden zertrümmert. Es gab 10 Tote und viele Schwer­verletzte.

Bulgarien.

Belgrad, 30. Jan. Die Königin Natalie ist in Biarritz gefährlich an der Influenza erkcankt-

Amerika.

New York, 23. Jan. Der Brand in der Ge­burtsklinik in Jndianopolis war einer der verhee­rendsten der Unionsstaaten. Die Katastrophe ge­staltete sich zu einer entsetzlichen. Die Flammen er­griffen sofort dus Treppenhaus, so daß den Insassen der Krankensäle jeder Rettungsweg abgeschnitren war. Viele Schwerkranke erstickten in ihren Betten. Mehrere Frauen und Männer sprangen aus den Fensterngund verlegten sich schwer. Mehrere Wöch­nerinnen verbrannten, nachdem sie ihre Kinder aus den Fenstern geworfen hatten. Die letzteren wurden von der Feuerwehr glücklich aufgefangen. Bis jetzt sind über 20 Tode und 50 Schwerverwundete aus dem Trümmerhaufen hervorgezogen worden.

Ein Telegramm aus Santiago meldet, der chilenischen Regierung sei von den Vereinigten Staa­ten von Nordamerika ein sehr entschieden gehaltenes Ultimatum zugegangen. Es werde darin erklärt, die Unionsregierung werde die diplomatischen Beziehun­gen zu Chile abbrechen, sofern die chilenische Regie­rung die für die Vereinigten Staaten beleidigenden Ausdrücke der Depesche zurückziehe, welche der frühere Minister des Auswärtigen, Massa, am 11. Dezem­ber v. I. an den chilenischen Gesandten in Washing­ton, Montt, gerichtet hat. Das Ultimatum fordere unverzüglich Genugthuung, für welche keinerlei Frist gewährt würde. Dem Vernehmen nach hätte die nordamerikanische Regierung vier Kauffartheischiffe gechartert, um dieselben für den Fall eines Krieges mit Chile zur Aufnahme von Truppen und Proviant herzurichten. Zum Kriege wird es wahrscheinlich nicht kommen, da Chile voraussichtlich wohl nach­geben wird.

j Ein lieblicher Herr ist der Präsident der «Bereinigten Staaten von Nordamerika, General Harri-