Thatsache, daß eben aufstaatlichem" Wege nicht alle Sozialreformen gleichmäßig zur Durchführung gebracht werden können, an seinemFörderung des sozialen Ausgleiches" benannten Werke mit den Worten zur Mitwirkung aufgefordert:Jeder Bürger möge zu seinem Teil an der Lösung der sozialen Frage mithelfen". Demnach hat sich sofort die private Thätigkeit zu regen, um den vorher angedeuteten Mißständen thunlichst abzuhelsen, während die Ge­setzgebung sich mit der Frage beschäftigen muß, durch welche Mittel und auf welchen Wegen den von diesen Mißständen bedrohten Arbeiterinnen gesetzlicher Schutz gewahrt werden könne.

Der neueste kaiserliche Erlaß und die Lang­samkeit des Strafverfahrens im Deutschen Reiche. Der Erlaß des Kaisers an das preußische Staats­ministerium zur schärsern Unterdrückung und Be­kämpfung des Zuhältertums wird in allen Schich­ten der Bevölkerung den lebhaftesten Widerhall fin­den. Das Unwesen und die Ausschreitungen jener verworfenen Menschenklasse haben in der That nicht blos in der Residenzstadt, sondern auch in manchen großen Provinzialstädten einen Umfang erreicht, der nicht weiter geduldet werden kann. Der kaiserliche Befehl, mit aller Schärfe einzuschreiten und sich nicht von einer falschen Humanität leiten zu lassen, ver­dient die nachdrücklichste Beachtung aller Behörden, denen man den Vorwurf nicht ersparen kann, daß sie seit Jahren gegenüber den vorhandenen Aus­wüchsen nicht entschieden genug oder auch in falscher Richtung auf Abhilfe bedacht gewesen sind. Der Kai'er hat durchaus recht, wenn er die Hoffnung aus'pricht, daß alle Maßnahmen, welche eine durch­greifende Abhilfe zu ermöglichen im Stande sind, innerhalb aller gesitteten Kreise des deutschen Vol­kes auf Unterstützung und Förderung rechnen dürfe. Vor allem aber möchten wir betonen, daß unsere Gerichte auch nach einer anderen Seite hin sich zu einer Aenderung ihres jetzigen Verfahrens entschlie­ßen müssen, das zu nur sehr berechtigten Klagen ge­führt hat. Wir meinen die außerordentliche Lang­samkeit des Strafverfahrens, die von der Schnellig­keit des Einschreitens und llrtetlens vor allem der französischen Gerichte sehr seltsam und nachteilig ab- stichl. Wir unterlassen es, die Langsamkeit der deut­schen Gerichte an einzelnen Prozessen der jüngsten Zeit näher darzulegen, obwohl hierfür eine Reihe besonders auffälliger Beispiele zur Verfügung stehen. Möge der jetzige kaiserliche Erlaß, in dem wir ein offenes und entscheidendes Wort zur richtigen Zeit begrüßen, auch in dieser Hinsicht vou umfassender Wkrkung sein. (Fr. I.)

Noch im November d. I. werden 40 chilenische Oberstlieutenants nach Deutschland kommen, um hier militärischen Studien obzuliegen. Außerdem sollen das ganze chilenische Heer nach deutschem Muster reorganisiert und die allgemeine Dienstpflicht, wie bei uns, dort eingeführt werden.

Der Buchdruckerstreik hat am letzten Samstag in Berlin begonnen. Diejenigen Gehilfen, welche nur achttägige Kündigungsfrist hatten, sind an diesem Tage abgelohnt. In einer Zeitungsdruckerei kam es zu Lärmszenen, so daß mehrere Schutzleute her- beigeholt werden mußten. In Folge des sehr starken Zuzugs von außerhalb ist in Berlin für Ersatz im allgemeinen gesorgt.

Von der Mißernte in Rußland sind bekanntlich auch zahlreiche deutsche Landwirte betroffen wor­den, die heute bittere Not leiden, die um so schwerer ist, als die russischen Beamten, welche den Bewohnern der Nolstanddistrikte Unterstützungen zukommen lassen, nicht selten über die Deutschen hinwegsehen. Die Zahl unserer Landsleute, welche schweren Tagen entgegensetzen, wird auf mehrere Hunderttausende geichätzt. Ein Comitee in Berlin ersucht jetzt um Zuwendung von Unterstützungen für die Deutschen in Rußland, die an Dr. Dalron in Berlin X. übermittelt werden sollen.

Mit diesem November sind 30 Jahre verflössen, daß die preußische KriegskorvetteAmazone", ver­mutlich in Folge eines Sturms, in den Gewässern zwischen Holland und England mit Mann und Maus untergleng. 5 Offiziere, 1 Arzt, 19 Kadetten uüd 120 Mann bildeten die Besatzung, von welcher keine Spur wehr zum Vorschein gekommen ist. Im Jn- validenpark zu Berlin ist den Verunglückten ein Denkmal gesetzt.

Bkltrrreich-Angrrn.

Wien, 3. Nov. Nach der Montags-Revue sind die österreichisch-ungarischen Handelsvertragsverhand­lungen mit Belgien beinahe abgeschlossen.

Aus Wien: Auch die österreichische Regierung bereitet jetzt die Aufhebung des Verbotes der Ein­fuhr von amerikanischem Schweinefleisch vor.

Iraükreich.

Paris, 2. Nov. In dem Schreiben, durch welche König Wilhelm von Württemberg dem Papst seinen Regierungsantritt anzeigte, sagte er: Die re­ligiöse Freiheit seiner katholischen llnterthanen werde von ihm geschützt werden. Papst Leo XIII. antwor­tete mit einem Glückwunsch und dem Ausdruck der Genugthuung über diese guten Absichten gegen die Katholiken.

Die radikale Partei in der Pariser Deputier­tenkammer will dem Ministerium Freycinet jetzt Opposition machen. In Folge der Beliebtheit des Letzteren in Petersburg ist aber an einem Erfolg dieser Attacke aber nicht zu denken. Alexander IIR ist ja nicht blos in Rußland allmächtig, sondern auch in Frankreich.

In der Deputiertenkammer in Paris ist in den letzten Tagen nie über Arbeiterfragen verhandelt. Der Regierung wurde der Vorwurf gemacht, sie habe die soziale Frage ganz aus dem Gesicht ver­loren, doch wurde diese Behauptung vom Premier­minister Freycinet zurückgewiesen, der zur Ruhe und Vorsicht ermahnte, denn schließlich komme doch alles auf den guten Willen der Arbeitgeber und Arbeiter an. Mit Gesetzen allein sei die soziale Frage nicht aus der Welt zu schaffen. Die Kammer billigte diese Auffassung, erwartete aber doch die baldige Vorlage weiterer sozialpolitischer Gesetze.

O, welche Lust gewährt das Reisen! Eine eben veröffentlichte Statistik ergiebt, daß auf den fran­zösischen Eisenbahnen vom 27. Juli bis 26. Okt., also innerhalb des letzten Vierteljahrs, zweiundfünf­zig Unfälle stattfanden, in denen neunzig Personen getötet und 360 verwundet wurden!

Rußland.

Aus Petersburg: Ein Telegramm der Köln. Ztg." berichtet, der bei den Judenhetzen in Starodub angerichtete Schaden zähle nach Millio­nen. Gegenwärtig fänden eine Menge Haussuchun­gen statt, wobei sogar bei ganz wohlhabenden Leu­ten den Juden geraubte Gold- und Silbersachen auf­gefunden wurden. Verhaftet sind 170 Personen, da­runter mehrere Hausbesitzer von Starodub.

Wie derPol. Korr." aus Petersburg ge­meldet wird, plant die russische Regierung ein Gesetz, durch welches den Söhnen deutscher Kolonisten, die sich zur Ableistung ihrer Militärpflicht nach Deutsch­land begeben, die Rückkehr nach Rußland untersagt werden soll. Man läßt sich bei dieser Absicht von der Auffassung leiten, daß der Aufenthalt solcher jungen Leute in Podolien, Wolhynien und den an­grenzenden südwestlichen und westlichen Gouverne­ments eine Gefahr für den Staat bedeute, da die­selben im Kriegsfälle durch ihre Sprach- und Orts- kenntnis, sowie durch ihre militärische Schulung den feindlichen Armeen wirksame Unterstützung leisten könnten.

Die Zarenfamilie ist aus Kopenhagen wieder zu Hause eingetroffen, wird sich aber gleich nach der Krim begeben, wo in dem berühmten Schlosse von Livadia die silberne Hochzeit des Kaisers und der Kaiserin gefeiert werden soll.

Nach offiziellen Meldungen, die aus St. Peters­burg in Paris eingelaufen sind, verbietet nunmehr ein kaiserlicher llkas vom 1. November ab die Aus­fuhr aller Cerealien mit Ausnahme des Weizens.

Deutsche und russische Studenten. Eine Petersburger Depesche meldet, daß bei einem Stu­dentenballe in Dorpat (LivlaNd) blutige Schlägereien vorkämen. Deutsche Studenten hatten ihre russischen Kommilitonen beschimpft, die Folge war eine eigent­liche Schlacht, in welcher Revolverschüsse gewechselt wurden. Die russischen Studierenden plünderten und verbrannten sodann Vas Stamcklokal der deutschen Studentenverbindutig. Die Zahl der Tode» und Verwundeten ist noch unbekannt. Die Deutschen sollen natürlich stets das Karnickel sein!

Asien.

Das in voriger Woche in Japan stattgehabte Erdbeben hat ungeheure Verheerungen angerichtet. Ein Privattelegramm meldet darüber aus Dokohama:

Das Erdbeben brach über die unglückliche Bevölkerung ganz Plötzlich ohne vorausgegangenL Warnung herein; sie wurde einfach in einem einzigen Augenblicke mitten in die Katastrophe hineingerissen. Nach der niedrigsten Schätzung beträgt der Gesamtverlust an Menschen­leben 24 000. Der Erdstoß war in der Richtung von Ost nach West und riß eine gewaltige Strecke von unglaublicher Ausdehnung ins Verderben. Hun­derte, die dem Tode durch Verschüttung entgingen, starben nachher an Not und infolge der Obdach­losigkeit. Die Ueberlebenden flohen aus den Städten und überließen die Verwundeten einem langsamen Tode. Die zur Linderung der Not bisher gethanen Schritte sind völlig unzureichend. Die Beamten schienen vor Schreck gelähmt zu sein. An der Meeres­küste stiegen die tobenden Wasser zu fürchterlicher Höhe und stürzten dann auf die Küstenstriche hinab, wo sie Tausende ertränkten. Die Städte Ökaku, Komo, Kafamutsu sind von der Erde wie weggefegt; nur wenige entkamen aus ihnen. In Gise sind 8000 Häuser zerstört, 5000 Menschen getötet. In Oragoya stürzten 18 000 Häuser ein und wurden 2000 Menschen getötet. Die Eisenbahn ist in einer Länge von fünfzig Meilen z erstört.

Kleinere Mitteilungen.

Herrenberg, 2. Nov Die hiesige Deutsche Partei hielt gestern ihre Jahresversammlung, welche auch vom Lande zahlreich besucht war. Dem Rechen­schaftsbericht ist zu entnehmen, daß der Verein 118 Mitglieder zählt und 4 Vollversammlungen im letz­ten Jahr stattgefunden haben. Anschließend an die üblichen Wahlen hielt Amtsanwalt Abv hier einen eingehenden Vortrag über den Entwarf des deut­schen bürgerlichen Gesetzbuchs, der mit Beispielen illustriert war und des Interessanten vieles bot und der mit großem Beifall ausgenommen wurde.

Allzuviel ist nicht blos ungesund, sondern manch­mal sogar tätlich. Ein achtzehnjähriges Mädchen in Stuttgart, das eine große Menge Zwiebelkuchen gegessen und Wasser darauf getrunken hatte, starb trotz sofort angewandter ärztlicher Hilfe.

In der Nacht vom 15./16. November wird eine totale Mondfinsternis stattfinden, die am 15. nachts 11.25 M. beginnt und früh 2.50 endet. Die Totalität dauert von 12.24 bis 1.47. Sichtbar ist die Mondfinsternis in Asien, Europa, Amerika und atlantischen Ozean.

Urach, 30. Okt. In Würtingen wurde ein eigenartiger Verkauf abgeschlossen. Ein Metzger kaufte von dem Bauern H. aus Kohlstetteu einen Ochsen, den Kubikmeter um 250 Nachdem durch einen Geometer das Tier auf seinen Kubikinhalt ge­messen, kam andern Tags das Bäuerlein wieder zu Metzger G. und bat denselben flehentlich, er solle doch den Kauf rückgängig machen uud seine Familie nicht ruinieren. Der Metzger ging unter der Be­dingung darauf ein, daß H. ein Faß Bier bezahle, worauf der Bauer mit Freuden einging.

Waiblingen, 30. Okt. Letzter Tage saß hier ein Bauersmann gemütlich in einer Wirtschaft beim Schöpple. Im anderen Zimmer befanden sich lustige Herrn Heilbrunner Techniker, die Tags zuvor eine Hochzeit mitgemacht und in ihrer Weinlaune den Wein lm Melkkübel vor sich stehen hatten. Diese Thatsache veranlaßte den biederen Bauersmann zu dem klassischen Ausspruch:So, so, die send von Heilbronn, da isch kei Wunder, wenn der Hegelmaier mit dene net auskommt."

Deutschen Bierbeflissenen zum Trost und der deutschen Industrie zur Ermunterung sei hier eine Auslassung der englischen ZeitschriftTruth" wiedergegeben. Ihr Verfasser ist der Abgeordnete Labouchore, der unter Anderm Folgendes schreibt: Ich bin nicht der Ansicht, daß eine geringe Masse Alkohols, selbst wenn man sie täglich zu sich nimmt, irgend eine üble Wirkung auf den Organismus des Menschen ausübe. Der Kern der Sache liegt darin, daß die meisten Leute den Alkohol nicht weise ge­brauchen, sondern mißbrauchen, d. h. sich übermäßig an ihm erfreuen. Besonders in England ist das der Fall. Wie glücklich würden wir sein, wenn das Ziel, dem ich schon seit Jahrött zustrebe, endlich er­reicht werden könnte, nämlich der Verbrauch deutschen Bieres in London weiteren Umfang ännähme. Das deutsche Bier ist das beste der Welt, denn es ist für Jedermann unmöglich, davon betrunken zu werden, auch wenn er noch so große Mettgen zu sich nimmt!