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deren Dasein, Verfassung oder Zweck von der Staatsregierung geheim ge- halten werden soll, und zu deren Zwecken oder Beschäftigungen es gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetz- liche Mittel zu verhindern oder zu entkräften (Vergehen gegen U 128 und 129 des Str.-G.-B). Von einer Anklage wegen Landesverrats, welche einige Blätter ankündigen, ist nicht die Rede. Ebendeshalb kommt die Sache auch nicht vor dem Reichsgericht zu Leipzig, sondern vor der Strafkammer des Frankfurter Landgerichts zur Verhandlung.
Gcrges-Weirigkeiten.
Stuttgart, 22. Dezbr. Gestern früh wurde ein gefährlicher Einbruchsdieb hier festgenommen, welcher verschiedene Silberstücke, zweifellos von Kirchengeräten herrührend, bei einem Vorkäufer zu veräußern suchte. Derselbe ist am 28. Nov. d. I. im Zuchthaus in Ludwigsburg, woselbst er eine Itz 2 jährige Strafe verbüßt hat. entlassen worden, hat sich in letzter Zeit teils auswärts, namentlich im schwäb. Oberland Herumgetrieben und in den letzten Tagen hier bei einem Ehepaar in der Judenstraße aufgehalten, welches ebenfalls wegen Diebstahls bezw. Hehlerei scdon bestraft ist. Bei einer in dieser Wohnung sofort vorgenommenen Durchsuchung wurden noch viele zerschlagene Silberaeräte, sowie ein vollstänvigcs Diebswerkszeug, Bohrwinde, viele Sperr- und andere Schlüssel und auch ein Säckchen mit zwei frisch getöteten, jedenfalls gestohlenen Gänsen mit grauen Federn gefunden.
Stuttgart, 23. Dez. Von allen Seiten kommen Nachrichten von den Beschwerlichkeiten und dem Schaden, welchen der plötzliche starke Sch nee fall verursacht. In Städten, wie Eßlingen, Ludwigsburg, Heilbronn mußte der Bahnschlitten geführt werden, um die Passage notdürftig frei zu halten; auf den Landstraßen ist gar nicht mehr duichzukommen. Am Samstag und Sonntag, wo das Unterland schon starken Schnee hatte, waren das Allgäu und andere oberschwäbische Gegenden noch frei davon. Der Schaden des Schneedrucks an den Obstbäumen wird allgemein als sehr bedeutend geschildert, viele Bäume wurden ganz entwurzelt oder abgeknickt oder der Aeste beraubt. In den Wäldern mag der Schaden noch viel beträchtlicher sein. — In Stuttgart leidet man unter Verkehrsstörungen aller Art. Die Pferdebahn hat ihre Fahrten eingestellt. — Daß die Weihnachtsmesse arg darniederliegt, läßt sich denken. Die Verkäufer haben die größte Mühe, am Morgen ihre Auslagen aus den sie bedeckenden Schneelasten wieder auszugraben. Die Weihnachtsbäume auf der Königsstroße, die über Nacht von den Verkäufern zu Pyramiden zusammengestelll zu werden pflegen, bilden am Morgen undurchdringliche weiße Schneehügel. Die kgl. Anlagen sind der Schneebrüche wegen gesperrt, an der Planie sind Warnungstafeln aufgestellt. — Die hungernden Vögel stellen sich auch ein, möge man überall ihrer gedenken!
Ludwigsburg, 21. Dez. Durch den großen Schneefall und Schneedruck ist namentlich in den K. Anlagen, in dem K. Schloßgarten und im Favoriteschloß großer Schaden angerichtet worden. Die schönsten Bäume wurden entwurzelt oder ihrer Krone beraubt. Die Verheerungen dauern noch fort und gewähren einen betrübenden Anblick. Der Schnee liegt meterhoch auf dem Lande. Auch die Schienenwege sind ganz mit Schnee überdeckt. Es mußten heute ca. 100 Mann Infanterie aufgeboten werden, um die Bahngeleise gegen Marbach, Bietigheim und Kornwestheim von den Schneemassen zu befreien. An den Landstraßen rsl selten ein Baum zu bemerken, der nicht erheblichen Schaden gelitten hätte. Auch auf der Markung Asperg und im Osterholzwäldchen soll der entstandene Schaden ein ganz bedeutender sein.
Eßlingen, 21. Dez. Gestern abend hielt Dr. K. Elben aus Stuttgart hier im Kugelschen Saale einen Vortrag über das Militärseptennat und die neueste Heeresgesetzvorlage, dem eine sehr zahlreiche Zuhörerschaft aufmerksam folgte, die am Schluß ihre Zustimmung zu den Ausführungen des Redners zu erkennen gab. Darauf erstattete unser ReichStagS- abgeorvneter Dr. Abä so», einen gedrängten Bericht über die Verhandlungen
Er hatte während seiner Worte Hut und Handschuhe abgelegt; jetzt näherte er sich der jungen Frau und schien sie umarmen zu wollen.
Bei der ersten Berührung dieser kühlen Fingerspitzen erwachte die Unglückliche aus ihrer Betäubung.
„Wer hat Ihnen erlaubt, hierher zu kommen, Herr von Holling?" sagte sie, zitternd am ganzen Körper. „Entfernen Tie sich sofort, oder ich rufe dritte Personen herzu 7
Er verbeugte sich spöttisch.
„Das ist nicht Deine wirkliche Meinung, schöne Emilie!" versetzte er- „Du hast allen Grund, Dich mit mir auf den besten, vertraulichsten Fuß zu stellen."
Eine Bewegring der jungen Frau ließ ihn plötzlich erröten. Sie hatte sich mit Widerwillen von ihm gewandt.
„Ich glaube, daß Dein ganzes ferneres Schicksal in meiner Hand liegt", setzte er etwas nachdrücklich hinzu. „Die Zeitungen mit den interessanten Gerichtsverhandlungen gegen Emilie Bredow sind in meinem Besitz - wünschest Du, daß Herr Doktor Hartmann dieselben heute noch mit den nötigen Ergänzungen zugestellt bekommt
Die Kräfte der jungen Frau schienen erschöpft; bei diesem letzten furchtbaren Schlag brach sie zusammen.
„Victor", sagte sie leise, kaum hörbar, „Victor — Du drohst Du?"
Er lächelte wohlgefällig.
„Bewahre!" versetzteer. „Wer droht einer schönen Frau? Aber der Ton, in welchem Du jetzt sprichst, ist der, den ich zu hören wünsche. Wir verständigen uns ohne Zweifel, teuerste Emilie, obgleich Du mir, wie ich fürchten muß, Deine Liebe zu Gunsten eines Anderen inzwischen entzogest. Alan sagt, daß Frau Doktor Hartmann eine sehr zärtliche, hingebende Gattin sei — ist das wahr?"
Ter Purpur des tiefsten, schrecklichsten Schamgefühls färbte die Wangen der jungen Frau.
des Reichstags in den letzten 4 Wochen. wobei er die Hoffnung aussprach, daß nach Neujahr trotz ver verschleppenden und teilweise ablehnenden Beschlüsse der Kommission die Heeresvorlage eine Mehrheit erhalten werde.
Vom Neckar, 21. Dez. Der von Samstag auf Sonntag gefallene Schnee richtet in Wäldern und Feldern Verheerungen an. Unter dem Drucke der ungeheuren Schneelast haben hauptsächlich Fichten und Tannen, sowie stark beastete Obstbäume zu leiden. Viele Bäume stehen teilweise entwurzelt, teilweise stehen sie abgeastet auf der Erde.
Tübingen, 22. Dez. Der Sohn des Herrn Ministers v. Hölder, der erst diesen Herbst als Studierender auf die Universität kam, wurde gestern nachmittag 2 Uhr, als er die Neckargafle hinunterging, von einem Offiziers- pfeid, das von einem Diener geführt wurde, derart auf die Stirne geschlagen, daß er bewußtlos von dannen getragen werden mußte. Zum Glück ist die Verletzung keine gefährliche.
Rottweil, 22. Dez. Der tiefe Schneefall hat abermals ein Opfer gefordert. Der 61 Jahre alte Bauer Martin Bossert von Tübingen, OA. Rottweil, war gestern mit seinem 20 Jahre alten Sohne auf dem Jahrmarkt in Balingen gewesen, wo er ein Paar Ochsen um 800 ^ verkaufte. Auf dem Heimwege ermattete der alte Mann in dem starken Schneegestöber. Sein Sohn trug ihn etwa '/? Stunde weit, dann waren auch dessen Kräfte erschöpft und er eilte mit Hinterlassung des Vaters allein nach dem noch 1 Stunde entfernten Heimatorte, von wo er Hilfe holte. Diese kam aber nachts 10 Ubr schon zu spät, denn der alte Mann war inzwischen erfroren.
Riedlingen, 20. Dez. Der heutige hiesige Viehmarkt war mit Pierden, Rindvieh und Schweinen zahlreich befahren; gute junge Pferde erzielten hohe Preise; der Handel mit Rindvieh (fast ausschließlich Simmen- thaler) gestaltete sich lebhaft bei guten Preisen namentlich für Jungvieh und große, schwere Exemplare; junge, im Bezirk gezüchtete Farren wurden von auswärtigen Käufern viel begehrt. Für Schweine trat infolge des häufigen Angebots ein Preisabschlag ein.
Vom schwarzen Grat, 21. Dez. Stuttgart steckt im Schnee! Das klingt für Allgäu beinahe unglaublich, wo man am Sonntag und Montag frühlingswarme, sonnenhelle Witterung und keine Spur von Schnee hatte. Erst heute früh lag eine nicht bedeutende Schneedecke.
Karlsruhe, 20. Dez. In dem Befinden des verwundeten Oberförsters Müller von Gernsbach ist nach der Straßb. Post insofern eine entscheidende Besserung eingetreten, als der getroffene Schenkelknochen nunmehr als gut geheilt betrachtet werden darf. Dagegen wurde das Allgemeinbefinden noch in letzter Zeit durch Wundeiterung gestört, die man jetzt durch Eröffnung des Eiterherdes endgültig beseitigt hofft.
Mainz, 21. Dez. Der Kölner Personenzug Nr. 110 stieß gestern abend in Coblenz mit einer Maschine, in Folge falscher Weichenstellung zusammen. Das Geleise war mehrere Stunden gesperrt. Vier Reisende und drei Personen des Zugpersonals wurden verletzt. Mehrere Wagen und die Lokomotiven sind beschädigt.
Dresden, 22. Dez. Da in Folge andauernder Schneeverwehungen seit 2 Tagen in Dresden, Leipzig, Chemnitz und anderen umliegenden Orten keine auswärtigen Zeitungen eingetroffen sind, ist zwischen Dresden und Leipzig Postdienst mittelst Schlitten eingerichtet worden.
Paris, 22. Dez. Im nördlichen und östlichen Frankreich herrschen Schneestürme. Der Eisenbahnverkehr stockt; in den Departements Vogesen, Meurthe, Aonne sind mehrere Bahnzüge im Schnee stecken geblieben. An mehreren Stellen der Belforler Strecke liegt der Schnee 2 Meter tief.
Werrnisetztes.
Karlsruhe, 19. Dez. Gestern abend hat sich ein junger Mann von 17 Jahren, Schüler des hiesigen Gymnasiums, im Abort seines elterlichen Hauses mittelst Revolveischuffes in die Brust selbst entleibt. Zurück- gegangene Leistungen in der Schule und deshalb erfolgte Zurechtweisungen seitens der Eltern sollen den jungen Menschen zu dem Schritt getrieben haben.
„Du hast kein Recht, mich zu fragen, Victor, Du solltest Dich begnügen, einmal mein Schicksal ruiniert und meine Zukunft dem Verderben überliefert zu haben! — Geh' fort — ich bitte Dich um Gottes Willen! — und komm in dieses Haus nie wieder."
„Das wäre Selbstmord, Teuerste," erwiderte er. „Ich kann ihn aus Galanterie gegen Dich unmöglich begehen. Ueberdies — sollte denn die erste Liebe in Deinem Herzen wirklich vollkommen erkaltet sein? Einmal war ich Derjenige, den Du anbetetest."
Elisabeth hielt die Hände im Schooß gefaltet. Schrecken und Angst hatten sie fast betäubt. Ihr trockenes Auge, todesmatt und glanzlos, war halb geschlossen.
„Damals wußte ich nicht, wer Du warst," flüsterte sie. „Ein Kind, wie ich es damals war, täuscht sich selbst und Andere sehr leicht."
Er lachte sarkastisch.
„Ich begreife!" sagte er. „Es ist nicht angenehm, von vergessenen, verleugnten Gefühlen zu sprechen. Man hat vielleicht dem Einen geschworen, daß vor ihm kein Anderer das keusche Herz zu rühren vermochte und sieht sich daher lieber nicht corrigiert. Herr Doktor Hartmann würde sehr erschrecken, wenn sich seine holde Elisabeth plötzlich in die berüchtigte Emilie Bredow verwandeln sollte!"
Die junge Frau sah nach der Uhr. Noch eine halbe Stunde, dann mußte Julius kommen!
„Willst Du ihn hier erwarten und mich denuncieren, Victor?" fragte sie. „Vergiß nicht, daß Dir fünf Jahre Zuchthaus zuerkannt wurden, und daß Du ohne Zweifel Deine jetzige Freiheit gestohlen hast! Ein Verrat gegen mich wäre zugleich auch Dein Verderben!"
Er verbarg nur mühsam den Groll, welchen er empfand.
(Fortsetzung folgt.)