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Buhl, Köllerund Stauffenberg geführter Beratung schlägt der Präsident vor, die nächste Sitzung am 4. Januar abzuhalten und darüber am Schluß der heutigen Sitzung abzustimmen. In fortgesetzter Etatsberatung werden sodann zur Unterstützung der Hochseefischerei 200,000 bewilligt, worauf Dirichlel die Vertagung beantragt. Das Haus stimmt zu. Bei der Abstimmung über den Antrag Windthorst, die nächste Sitzung am 7. Januar abzuhalten, bezweifelt Köller die Beschlußfähigkeit des Hauses. Der Namensaufruf ergibt nur 163 Anwesende. Das Haus ist also nicht beschlußfähig. Der Präsident beraumt die nächste Sitzung auf den 4. Januar an.
Berlin, 20. Dez. Die drei Herren der bulgarischen Deputation wurden gestern vormittag einzeln vom Grafen Bismarck im Auswärtigen Amt empfangen. — Dem Kleinen Journal zufolge äußerte Graf Moltke vor einigen Tagen verschiedenen Generalen und Offizieren gegenüber gelegentlich einer Unterhaltung über die Chancen eines Krieges gegen Rußland und Frankreich: „Sie können versichert fein, daß, solange unser Kaiser Wilhelm lebt, Deutschland vom Kriege verschont bleib t."
Berlin, 20. Dez. Die drei Bulgaren sprechen sich über den Empfang, den sie gestern beim Grafen Herbert Bismarck gefunden haben, sehr befriedigt aus. Sie haben jeder einzeln volle Gelegenheit gehabt, ihre Ansichten und Wünsche darzulegen. Graf Bismarck, der die Herren mit großer Aufmerksamkeit anhörte, beschränkte sich, wie erwartet, darauf, zu betonen, daß Deutschland keine direkten Interessen in Bulgarien besitze, daß es aber dringend wünsche, den Frieden bewahrt zu sehen; der einzig mögliche Weg, der dahin führe, sei aber der einer direkten Verständigung zwischen Rußland und Bulgarien, die zu erzielen er den Herren warm ans Herz legte.
Frankreich.
Paris. Seit einigen Tagen bemühen sich die Russen, hier eine große Anleihe zum Abschluß zu bringen. Es soll sich um einen Betrag von fünfhundert Millionen handeln. Als Zweck der Anleihe wird die Vervollständigung der militärischen Ausrüstung, insbesondere auch die Ausstattung der russischen Infanterie und die Ergänzung des Eisenbahnnetzes angegeben. — Gestern gab das Konnte für die Ueberschwemmten ein soldatisches Fest im Hippodrom, zu welchem der Zudrang ein ungeheurer war, weil General Boulanger dabei erschien, allerdings in Zivil, wodurch die Damen sehr enttäuscht wurden, da er sich in Generalsuniform so gut ausnimmt. Ec kain spät; vorher war er zum Diner bei bei dem Gouverneur General Saussier gewesen, welcher die kommandierenden Generale von Frankreich eingeladen hatte. Die Mannschaften der Unteroffiziersschule von Joinville zeichneten sich durch ihre Hebungen im Boxen, Fechten und Bajonnetstoßen aus; das Publikum, welches gegenwärtig von nichts als von soldatischen Dingen hören will, war außer sich vor Vergnügen. Der Berichterstatter des „Figaro" schreibt: „Wenn die 600 Hände auf die Hosen fielen, so machten sie, die Schenkel treffend, ein Geräusch wie von Stahl. (Was war drin?) Außerdem wurden Feuerwehrübungen ausgeführt.
^ Gergss-Wsuigkeiterr.
Calw. 22. Dez. Von überall her berichten die nun eingetroffenen Zeitungen von großem Schneefall. Bei uns haben die Schneemaffen aber solche Dimensionen angenommen, daß es nahezu beängstigend ist. Der Schnee liegt an windfreien Stellen thatsächlich 60—70 cm hoch. Durch Schäufeln und durch die fortwährend im Gange befindlichen Bahnschlitten säumen Wälle in Höhe von 1>/z bis 2 Meter die Straßen der Stadt. Schneewehen haben besonders aus dem Wald kolossale Massen zusammengebracht und wie man hört, sollen schon von größeren Waldteilen die Bäume unter der Last zusammengebrochen sein; auch unter den Obstbäumen hat der Schnee schon Opfer gefordert. Betriebsstörungen sind infolgedessen nicht ausgeblieben, so blieb bereits gestern vormittag der 9-Uhr-Zng Stuttgart-Calw
Anna erschrak.
„Ohne ihm zu sagen, wohin? Soll er mich für undankbar halten? O, Frau Hartmann, soll er irre werden an mir?"
„Ja wenn möglich. Er soll zweifeln, es soll ihn verletzen. Anna, ich verlange von Ihnen ein schweres Opfer, vielleicht Etwas, was nur Wenige über sich gewinnen könnten, aber das auch Heilung sichert und Gelingen. Gehen Sie fort von hier, ohne ihm zu sagen, wohin!"
Das junge Mädchen lehnte den Kopf gegen die Scheiben; ein verhaltenes Schluchzen hob ihre Brust.
„Er hat mich gerettet und beschützt, er hat mir seine Zeit, seine Ruhe geopfert — und ich soll ihn kränken, ihn verleugnen?"
„Zu seinem Besten, Anna!" flüsterte Elisabeth. „Blochten Sie es sein, die ihm den Frieden des Gewissens geraubt, ihn mit sich und dem Leben in Zwiespalt gebracht hätte?"
Das junge Mädchen zuckte zusammen.
»Ich gehe!" versetzte sie tonlos. „Ich gehe! — Noch drei Tage — bis ein Brief geschrieben und beantwortet wird - dann bin ich fort."
„Und dann ohne Haß gegen mich, Anna?"
Sie sagte es schüchtern, demütig — das erste Ahnen neugewonnenen Glückes rief tausend Blüten wach in ihrer umdüsterten Seele. Wie gerne hätte sie in diesem Augenblick das leise weinende Mädchen an die Brust gezogen und es aus überströmendem Herzen eine teure, geliebte Schwester genannt!"
Anna sah sie an.
„Ohne Haß!" sagte sie kindlich. „Gott sei mit Ihnen und mit ihm! Er soll mich nicht Wiedersehen!"
Ihre Hände lagen ineinander; sie fühlten es Beide, daß diese Stunde den Frieden gebracht hatte. Es wurde kein Wort mehr gesprochen, aber doch waren die Herzen still und versöhnt. Als Elisabeth nach Hause kam, schien es ihr, daß heute erst ihre Ehe mit Julius begonnen habe - jetzt zeigte der Himmel kein Wölkchen, es gab Nichts, Nichts mehr zu fürchten.
im Forsttunnel von Althengstett stecken und kam mit bedeutender Verspätung hier ein. Die Abendzüge Calw-Pforzheim und Pforzheim-Calw blieben beide unterwegs stecken. Zug 9« abends von Stuttgart nach hier abgehend konnte bei Renningen nicht mehr weiter. Nachdem derselbe einigemal mit vieler Mühe freigemacht, traf er heute Mittag 12 Uhr hier ein. Der sonst von hier 8<o abends nach Stuttgart abgehende Zug wurde vorsichtshalber zurückbehalten. Mit einiger Sorge beobachtet man hier den Barometerstand, da ein rasch eintretendes Thauwetter ein Hochwasser befürchten läßt, das dem zur selben Zeit vor 4 Jahren stattgehabten keinenfalls zurückstehen würde. Diesen Morgen um 8 Uhr wurde durch den Ausrufer bekannt gemacht, daß sich Leute mit Schippen oder Schaufeln auf dem Bahnhof einfinden sollen. Der Bahnverkehr ist nächstens vollständig gehemmt. Mit Unterbrechung von nur wenigen Stunden schneit es nun seit Sonntag abend. Das Thermometer zeigt 3 Grad unter 0. ^
Stuttgart, 21. Dez. Aus dem Bahnhof stehen die schwarzen Tafeln alle vollgeschrieben mit Zugsverspätungen. Ein Zug vom Remsthal ist unterwegs stecken geblieben. Die Stadtwaldungen liegen voll von zertrümmerten Baumteilen. Großer Schaden an Obstbäumen.
— Das neue Tagblatt enthält eine Reihe von Berichten, so z. B. von Cannstatt, Fellbach, Waiblingen, Ludwigsburg, Böblingen, Winnenden und vom Murrthal. In Tuttlingen ist die Donau aus ihren Ufern getreten. Auch von Leipzig, Mainz und Metz wird außerordentlicher Schneefall gemeldet.
Stuttgart, 21. Dez. Am Samstag traten im Königsbausaale die „Liliputaner" auf, neun Zwerge, die mit normal gebauten Leuten zusammenwirkend, die Posse „Die kleine Baronin" zum großen Ergötzen der Zuschauer aufführen. Diese Posse gibt den Miniaturmenschen Gelegenheit, sich in allerhand komischen Situationen zu zeigen. Sie stellen z. B. eine kleine Garde vor, welche der Baron Wolfram sich hält; letzterer hat im Unterschied von dem König Friedrich Wilhelm >. von Preußen eine ausgesprochene Vorliebe für kleine Leute. Es fehlt dann nicht an Verwicklungen; eine Entführung bringt allerhand Verlegenheiten, denen schließlich nur durch Verkleidung der Zwerge begegnet werden kann. Der kleinste wird, um die Spürnase der Polizei zu täuschen, als Wickelkind produziert, und erregt unbändige Heiterkeit, wenn er, statt sich mit der Mutterbrust zu begnügen, einen Humpen Bier expleniert. Die Posse ist mit den gebräuchlichsten Kaulauern und Gassenhauern reichlich ausgestattet. Am Dienstag ist die letzte Vorstellung.
Oberndorf a. N., 18. Dez. Heute früh verstarb in Böchingen hiesigen Oberamts der dortige kath. Pfarrer I. B. Bachmor im Alter von 71 Jahren infolge einer am letzten Mittwoch abend erhaltenen schweren Verletzung. Der alte Herr, welcher an genanntem Tage hier einige Besuche machte, begab sich abends zwischen 6 und 7 Uhr auf den Heimweg. Eine Viertelstunde vor seinem Orte entfernt, wurde er durch ein die sog. Böller Steige rasch daher fahrendes Mühlfuhrwerk, das er wegen der großen Dunkelheit nur hören, aber nicht sehen konnte, zumal es keine Beleuchtung bei sich führte, erfaßt und teils durch das Sattelpferd, teils durch das beladene Fuhrwerk selbst so verletzt, daß er den mehrfachen Verletzungen, darunter hauptsächlich einige Rippenbrüche, heute früh erlag.
Gottesdienste während der Weinachtszeit.
Am h. Abend, Freitag, d. 24. Dez., um 4 Uhr im Verciiiöhaiis: Weihnachtöandacht, sodann Beichte für das Christfestabendmahl, Hr. Dekan Berg.
Christfest.
Vom Turm: Nro. 111. Vorm.-Pred. Hr. Dekan Berg. Feier des h. Abendmahls. Nachm.-Pred. (um 2 Uhr in der Kirche) Hr. Helfer Braun. Opfer für die Rettungsanstalten unseres Landes.
Sonntag nach dem Christfest, Feiertag Stephani.
Vom Turme: Nro. 105. Vorm-Pred. (in der Kirche) Hr. Helfer Braun. Abend- prcdigt (um 5 Uhr in der Kirche) Hr. Dekan Berg.
Montag, d. 27. Dez., Feiertag Johannis.
Vorm.-Pred. (um (-10 Uhr im Vereinshaus): Hr. vr. Grindert.
Sie konnte nicht erwarten, ihn wiederzusehen, schon der erste Blick, das erste Wort sollten den Weg zum ersehnten Ziele anbahnen. Die drückende, schreckliche Fessel war von ihrer Seele genommen.
Thränen wechselten mit verhaltenem Jubel. Welche Feierstunden barg doch das Leben, wie war die Brust so eng für all' das Glück, für die schrankenlose, innige Dankbarkeit gegen Gott!
Als Julius kam, empfing ihn ein Gruß, und seit den Tagen seiner Bräutigamszeit zum ersten Mal wieder die gestopfte Pfeife. Elisabeth erkundigte sich nach dem Verlauf der stattgehabten Operation.
Julius lächelte.
„Sind hier Feen zum Besuch gewesen, Lisa?"
Sie errötete leicht.
„Möglich, Julius! Findest Du nicht, daß sie uns schon lange schmerzlich gefehlt haben? Zu spät kommt das Gute nie."
Erhöhte sie seit Monaten zum ersten Mal.
„Gott gebe es, Lisa!"
Und dann erzählte er ihr von den Vorgängen im Krankenhause. Sie konnte wieder mit freier, erlöster Seele teilen, was ihn beschäftigte, sie saß wieder auf dem niederen Schemel ihm zu Füßen und lehnte den Kopf gegen seine Kniee wie einst.
Ob es auch gleichgültige Dinge waren, von denen sie sprachen, er hatte doch die Hand auf ihren Kopf gelegt, und sie konnte mit geschloffenen Augen seiner Stimme lauschen. Es gab zwischen ihm und ihr keinen Zwiespalt mehr.
Später, als ihn die letzten Besuche wieder von ihrer Seite riefen, bat sie ihn, nicht so lange auszubleiben. Ihre Wange gegen die seinige gepreßt, flüsterte sie leise in sein Ohr:
„Ich will mich bemühen, Dir künftig besser zu gefallen, Julius. Du sollst Dich über mich nicht wieder beklagen dürfen. Sag' mir, hast Du — mich — nicht noch ein klein wenig lieb?"
(Fortsetzung folgt.)