den Magistrat aufzufordern, sich diesem Ersuchen an­zuschließen.

Berlin, 30. Mai. Der Statthalter der Reichs- lande, Fürst Hohenlohe, besuchte vorgestern den Für­sten Bismarck in Friedrichsruh.

Berlin. Der Streit in der nationalliberalen Presse in Betreff des Berliner Parteitags verstärkt sich zusehends. DieKöln. Ztg." schreibt heute gegenüber derNat. Ztg." folgendes: Wir möchten den Nationalliberalen des deutschen Südens und Westens dringend empfehlen, recht zahlreich auf dem Delegiertentag zu erscheinen, damit die schlaffe und unklare Berliner Richtung, welche überall im Reich so mißliebig vermerkt wird, nicht in einer Stärke zum Ausdruck kommt, welche zu ihrer tatsächlichen Vertretung innerhalb der Partei in einem argen Mißverhältnis stehen würde. Wer von der Lebens­kraft und der nationalen Notwendigkeit der Partei, welche im deutschen Leben eine so ruhmreiche Rolle gespielt hat, überzeugt ist, muß den Wunsch hegen, ein so unerfreuliches Ergebnis abzuwenden; denn dasselbe würde der ohnehin schwierigen Stellung der Partei einen sehr bösen Stoß versetzen.

Die Einberufung des Reichstags zum Zweck einer Prüfung der durch die teuren Brotkornpreise hervorgerufenen Lage wird ziemlich allgemein als wahrscheinlich angesehen und es ist auch vorauszu­sehen, daß der Reichstag einer zeitweiligen Suspen­dierung der Kornzölle zustimmen würde, wenn die heutigen Preise sich nicht ändern. Der freikonserva­tive Abg. v. Kardorff hat sich in der Mittwochs­sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses schon in diesem Sinne ausgesprochen, auch in nationalliberalen und Centrumsblättern wird diese Auffassung ver­treten. Mit dem neuen deutsch-österreichischen Han­delsverträge, also mit der endgiltigen Regelung der Getreidezölle, wird sich der Reichstag bei dieser Ge­legenheit natürlich noch nicht beschäftigen. Diese Sache wird in der Wintersession des Reichstags erst zur Sprache kommen und es werden dann alle bis dahin vereinbarten Handelsverträge mit einem Male vorgelegt werden.

Viel besprochen wird ein Verlust, den der Sohn eines rheinischen, sehr reichen Großindustriellen in Berlin in der Pfingstwoche im Spiel erlitten ha­ben soll. Der angebliche Verlust wird, lautKon­fektionär", auf mehr als eine Million Mark beziffert, den zwei vielgenannte Kavaliere gewonnen haben sollen. Die Angelegenheit ist so geordnet worden, daß die betreffende Summe in einem bestimmten Zeit­raum von einigen Monaten gezahlt werden muß.

Die Unisormtuche für die bulgarische Armee, die bisher aus Rußland bezogen wurden, sind jetzt bei deutschen Fabriken bestellt worden, da die Preise in Deutschland viel niedriger sind.

Was bei unserem Kaiserpaar getrunken wird. Bei kleineren Mahlzeiten im engeren Familienkreise wird, wie derKons." mitzuteilen weiß, meistens Mosel- und Rheinwein getrunken. Bei größeren Festlichkeiten wird zur Suppe Madeira, Portwein und Scherry gereicht. Zu Austern und Fischen giebt es deutsche Schaumweine. Für die größeren Speisen werden Rheinweine und Rotweine, die in Krystallkaraffen eingcgossen werden, meistens Schloß, abzüge und auserlesene Jahrgänge, gereicht. Fran­zösischer Champagner wird zu jedem größeren Diner serviert. Als Dessertweine werden alte Tokayer und Muskat Lunel gegeben. Der Kaiser ist kein großer Freund des Trinkens; besonders Wohlgefallen findet der Monarch an Bowle, trinkt dagegen nur wenig Bier.

Der älteste Priester Deutschlands, Herr Domenikus Klein, Pfarrer in Dieblich a. d. Mosel, feierte das eiserne Pnesterjubiläum. Am 26. Mai 1821 wurde der damals 25jährige Geistliche zum Priester geweiht und 70 Jahre hindurch hat er in ungebrochener Kraft seines schweren Amtes gewaltet. Herr Klein ist am 15. August 1796 geboren, zählt also heute nahezu 95 Jahre. Er ist noch so rüstig, daß er am 26. Mai das Hochamt zelebrieren konnte. Seine Pfarrkinder ehrten ihn durch einen Fackelzug, die Priester der Diözese durch Ueberreichung einer Geldsumme für einen religiösen Zweck.

Luxemburg, 30. Mai. Uebing, der Mörder des Oberstlieutenants Prager, wurde heute den deut­schen Behörden übergeben.

Besterreich-Angarn.

Prag, 25. Mai. Fortwährend werden Deutsche,

welche den Ausstellungsplatz besuchen, insultiert. Ge­stern mußten Besucher, welche aus Reichenberg zu­gereist kamen, den Ausstellungsplatz verlassen, weil sie deutsch sprachen. Heute wurde eine ganze Tisch­gesellschaft zum Verlassen des Ausstellungsplatzes gezwungen, weil sie in deutscher Sprache Bier ver­langte.

Schwei).

In Genf sind aus dem Kanton bis jetzt rund 75 000 kA Maikäfer eingestampft worden und trotz­dem hängen noch alle Bäume voll von dieser Land­plage. Man schreibt die Zunahme dieses Ungezie­fers der Ausrottung der Maulwürfe und dem Ver­schwinden der Schleier-Eule, die beide unglaubliche Mengen von Engerlingen vertilgen, zu.

Italien.

Italien ist bereits mit der Prüfung eines neuen Jnfanteriegewehrs beschäftigt, welches ein noch kleineres Kaliber aufweist, als das gegenwärtig ein­geführte Gewehr und eine ganz vorzügliche Waffe sein soll. Auch aus Paris kommen allerlei geheim­nisvolle Andeutungen von einer neuen Waffe, welche dem Kriegsministerium eingereicht werden soll. Hoffent­lich erkennt man in Rom wie in Paris, daß das heutige Gewehr in Wahrheit das beste ist, denn wenn wieder ein besseres gefunden werden sollte, so würden die Gewehrfabriken zwar wieder Arbeit in Hülle und Fülle haben, aber die Staatskasse auch bluten müssen.

Am 26. ds. wurde auf der Strecke Rom-Fras­cati zum erstenmal der Versuch gemacht, die Loko­motive mit destilliertem Lignit (Braunkohle) statt mit Kohle zu Heizen. Der Versuch, welcher in Anbetracht der ungeheuren unbenutzten Lignit-Lager des Landes von größter Wichtigkeit ist, gelang vollkommen. Dem Könige wurde darüber durch den Draht berichtet. Fachmänner behaupten, Italien könne nunmehr fremde Kohlen entbehren.

Frankreich.

Paris, 25. Mai. Hier circulieren Gerüchte von dem Fallissement eines großen Spekulanten in Bor­deaux, woran der hiesige Platz beteiligt sein soll. Das Deficit soll angeblich 9 bis 12 Millionen Franks betragen.

Belgien.

Der Brand bei Dünkirchen, der erst spät in den Abendstunden gelöscht werden konnte, hat viele Menschenleben gekostet. Bis jetzt zog man 7 ver­kohlte Arbeiter und 2 Kindesleichen unter dem Schutte hervor, doch ist die Zahl der Vermißten eine weit­aus größere. Der materielle Schaden entzieht sich bis jetzt jeder möglichen Schätzung. Die Stadt ist heute noch von dichten Rauchwolken bedeckt.

England.

Die Ankunft des deutschen Kaiserpaares in Lon­don ist offiziell auf den 4. Juli anberaumt. In der City sind für die festliche Ausschmückung 70000 Mark bewilligt.

Rußland.

Nach derKreuzztg." ist die Verlegung der'Re­sidenz des Zaren von Petersburg nach Moskau beschlossen, und zwar auf Betreiben der Führer der altrussischen Partei.

Wegen des Verbrechens, daß sie ihre Pfarrkin­der ermahnten,sich treu und fest zur evangelischen Kirche zu halten", wurden vom russischen Senat zwei evangelische Pastoren, Treu und Krause, in Kurland zu acht Monaten Gefängnis verurteilt, während ein dritter, Pastor Eisenschmidt nach Si­birien verbannt wurde. Eisenschmidt (Vater von 8 Kindern) vergiftete sich. Treu und Krause wandte sich an die Gnade des Zars Alexander, der indessen die Strafe noch dahin verschärfte, daß beide Pasto­ren überhaupt nicht mehr ein geistliches Amt in den Ostseeprovinzen bekleiden dürfen.

In wahrhaft erschreckender Weise tritt der Jammer zu Tage, den die russiche Regierung durch ihre Ausweisungsmaßregeln über die armen Juden des Zarenreiches gebracht hat. Dieser Tage haben etwa 150 russische Auswanderer, Arbeiterfamilien, welche nach Brasilien wollten, weil sie die Passage nicht bezahlen konnten, nach der russischen Grenze zurücktransportiert werden müssen. Als die Unglück­lichen in Spandau während eines kurzen Aufent­haltes merkten, daß sie in die Heimat zurück sollen, verweigerten sie unter Jammergeschrei die Weiter­fahrt. Es mußte Polizei und Militär requiriert

werden, um die verzweifelten Menschen gewaltsam in den für sie bestimmten Zug zu bringen.

Die Ernteaussichten in Rußland sind größten­teils noch recht trübe. Ein in Petersburg eingetrof- sener Brief aus dem Gouvernement Simbirsk an der Wolga teilt mit, daß die ganze Wintersaat in dieser reichen Provinz fast gänzlich vernichtet ist. Die örtlichen Behörden haben Getreide zur Aussaat unter die Bauern verteilen lassen, welche dasselbe aber für Mehl verkauft haben, so daß nichts gesät wird. Die Not ist groß, Tausende von dort an­sässigen Bauern wandern ganz verarmt nach Zen­tralasien aus, obgleich die Behörde ihr Mögliches thut, um dieser leichtsinnigen Auswanderung ein Ziel zu setzen.

Amerika.

Das Wettwachen ist in Amerika als neuester Sport aufgetaucht. Ein großer Schlafenthaitsamkeits- Verein in San Franzisko hat jüngst, wie die Sport­welt berichtet, mit einem glänzenden Siege des Cham- pionwachers W. C. Wordford geendet. Es ist ihm gelungen, 158 Stunden 48 Minuten lang die Augen offen zu halten und die Leistung trug ihm einen Preis von 20 Listr. ein. Der zweite und dritte Preis von 10 und 5 Lstr. wird zwei Herren zu teil, die nach 95 Stunden den Kampf aufgaben. Für die Herren Mediziner war die Sache wieder sehr in­teressant, ähnlich, wie das Preishungern. Sie be­obachteten den Wettwacher und waren schließlich so verständig, zu erklären, daß Mr. Wordford, wenn er sich noch länger den Schlaf entziehe den Ver­stand verlieren würde.

Kleinere Mitteilungen.

si Am 29. Mai hatte Fr. Martini in Em­mingen den ersten starken Bienenschwarm er­halten.

Als Fahrgast des Prinzen. Aus Ludwigs- burg läßt sich die Cannstatter Zeitung schreiben: Als in voriger Woche S. K. H. Prinz Wilhelm abends von Stuttgart nach Villa Marienwahl Heimsuhr, trat ein Soldat bei Kornwestheim an das Gefährt heran, dessen Insassen er in der Dämmerung nicht erkannte, und bat, ob er nicht aufsitzen dürfe, er komme sonst zu spät in die Kaserne und dann stehe ihm Arrest in Aussicht.Nun, sitzen Sie hinten auf," lud ihn der Prinz ein, nachdem er ihn nach seinem Bataillon gefragt hatte. Rasch gings nach der Stadt und durch dieselbe, in der Nähe der Ka­serne wurde angehalten. Der Soldat stieg ab und eilte,Merci!" rufend, seiner Kaserne zu.

Heilbronn, 28. Mai. Aus einer Stadt an der Tauber wird mitgeteilt, daß daselbst in voriger Woche ein polnisches Ehepaar angehalten, auf seine Reinlichkeit untersucht und sodann einer Kneipp'schen Wasserkur unterzogen wurde; auch ersetzte man den Leuten die Fetzen, welche sie als Kleidung trugen, durch einen neuen Anzug, obgleich sie sich dagegen sträubten. Als man an die Fußbekleidung der alten Polin kam, weigerte sich dieselbe entschieden, solche abzulegen. Es mußte schließlich Gewalt an­gewendet werden und da zeigte es sich, daß in den Schlappen ca. 2000 Rubel wohlverwahrt eingenähr waren.

Weibliche Schlächtergesellen sind bisher wohl eine ganz unbekannte Erscheinung gewesen. Jetzt ucht in einem Fachblatt des Schlächtergewerks durch eine Anzeige ein Berliner Schlächtermeister ein junges und hübsches Mädchen, welches Lust hat, die Schlächterei zu erlernen."

Die Prügel, die ein friedlicher Deutscher in der Prager Ausstellung von tschechischen Studenten erhalten hat, nur weil er das Ohr der Musensöhne durch eine Unterhaltung in deutscher Sprache be­leidigt hatte, zeigen, daß man es sich zwei Mal überlegen soll, bevor man sich auf den Weg macht, um nähere Bekanntschaft mit der böhmischen Jndu- trie zu machen. Der Ausspruch:Wir brauchen leine Berliner auf der tschechischen Ausstellung, wer nicht tschechisch kann, soll zu Hause bleiben!" wird hoffentlich von allen Deutschen beherzigt werden. Der Vorgang in Prag steht in der That in der Geschichte der Ausstellungen ohne Beispiel da. Selbst die Franzosen haben während ihrer Ausstellungen den Deutschenhaß zurückgedrängt und den Pflichten der internationalen Höflichkeit genügt, obschon in Paris viele Tausende von Deutschen gewesen sind, die sich nicht im Geringsten geniert haben, sich auf