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Empfang der Deputation war der freundlichste und sind bei demselben die lebhaften Sympathien des Ministers und besonders dessen dringender Wunsch zu Tage getreten, sowohl im Interesse Bulgariens wie des allgemeinen Friedens die derzeitige Krisis möglichst bald einem befriedigenden Ende zugeführt zu sehen.
Gages-Weuigkeiterr.
— Die K. Generaldiktion der Posten und Telegraphen erläßt wiederum, wie alljährlich, die Aufforderung zu möglichst frühzeitiger Einlieferung von Weihnachtssendungen, sowie zu möglichst baldiger Erneuerung von Zeitungsbestellungen, da der ununterbrochene Fortbezug der Zeitungen nur dann gesichert ist, wenn die Bestellung noch vor den Christfeiertagen bei den Postanstalten gemacht wird.
Stuttgart, 11. Dezbr. Auf Veranlassung des Kaufm. Vereins hielt gestern im Königsbausaale Professor Dr. W. Onken aus Gießen einen öffentlichen Vortrag über „Der Vorabend des Befreiungskrieges von 1813". Der gerstvolle und auch bei uns rühmlichst bekannte Redner setzte in seinem Vortrage, dessen Aufbau von wunderbarer Klarheit war, auseinander, wie die Ansichten über die Vorzeit und den Verlauf des Freiheitskrieges irrige gewesen und wie man erst im vorigen Jahrzehnt durch Zugänglichkeit der Archive, die den Forschern bis dahin verschlossen gewesen seren, dahin gelangt ist, diese ganze wichtige Episode der deutschen Geschichte in das richtige Licht zu stellen. Gewöhnlich nehme man an, daß die ganze Erhebung eine Thal des preußischen Volks und nicht des preußischen Kabinets gewesen, daß der König sich bis zur letzten Stunde gegen die Kriegserklärung, d. h. gegen den Bruch der Napoleon zugesagten Bundestreue gesträubt habe, doch ist jetzt durch urkundliche Thatsachen festgestellt, daß das preuß. Kabinet unter dem Drucke der Fremdherrschaft eine Doppelpolitik gespielt hat, die eine, Frankreich zu schmeicheln uns sich als seine treuen Verbündeten hinzustellen, die andere, nie aufhöcend, an Preußens Wiederauferstehung zu arbeiten, ein Schutz- und Trutzbündniß mit Oestreich und Rußland herbeizuführen, und die Rüstungen im Angesichte von Frankreich zu betreiben, angeblich um demselben größere Hilfstruppen zuzusühren aber eigentlich doch nur für die Erhebung und nur dis alle diplomatischen und inländischen Vorbereitungen so weit gediehen waren, bis am 20. März 1813 Friedrich Wilhelm ill. mit dem Auf- ruf „An mein Volk" sich hervorwagen konnte. Diese Politik von Friedrich Wilhelm UI., unter der Leitung des Ministers Hardenberg, des Bismarcks seiner Zeit, sehr geschickt durchgesührt, erweckte dann einen Volksenthusiasmus, wie er für alle Zeiten nicht glänzender gedacht werden kann. Volk und Monarch fühlten sich eins in der Wiedererlangung der Freiheit, in der Rückkehr zur Wahrheit, die man dem Bedrücker nicht zeigen durfte. Theodor Körner hat uns in seinem „Leyer und Schwert" ein köstliches Vermächtnis hinterlassen zind damals das Seinige dazu beigetragen, die Jugend mit'Heldensinn und Heldenmut zu erfüllen. Die ganz vorzügliche logische Entwicklung des Vortrags und die plastische Beredsamkeit desselben machten einen großen Eindruck auf dre zahlreiche Versammlung und riß sie zu begeistertem Beifall hin.
(Schrv. M.)
Reutlingen, 9. Dezbr. Ueber den dem Hrn. Landgerichtsrat Gmelin zugrstoßenen Unglückssall wird dem Tgbl. folgendes geschrieben: Das Mädchen, das nur eine leichte Körperverletzung erhalten hat, spielte am dritten Tage nach dem Unfall wieder munter und ist außer Bette. Der Großvater, der einen Nippenbruch und eine oberflächliche Verletzung erlitten hat, ist geistig frisch, fieberfrei und wird nur durch die Unfähigkeit, sich zu bewegen, und einen sehr lästigen Hustenreiz an die Brustverletzung erinnert. Die Aussichten auf eine möglichst vollkommene Wiederherstellung sind sicher. — Der Unfall selbst geschah bei der Rückkehr von einen« kurzen Ritt durch die obere Garten- und Mühlgrabenstraße zum Oberamtsgencht; das Pferd wurde vor dem Wirtshaus zum Stern durch das Anbellen eines kleinen Hundes unruhig, das Kind rm Sattel hinderte den Reiter, seine ganze Kraft auf Zurückhalten des Pfer
des zu verwenden, und so jagte dasselbe die Gartenstroßs hinunter. In der Mitte derselben fiel das Kind ab und jetzt, mit aller Kraft am Zügel zurückgerissen, bäumte sich das Tier und schleuderte auch den Reiter zu Boden.
Künzelsau. Gestern fand im Gasthaus zum Hirsch in Hermuthausen unter dem Vorsitz von O.A.M. Schwend Vollsitzung des landw. Vereins statt. Dieselbe war ganz außerodentlich stark besucht. Nach kurzer Begrüßung der Anwesenden warf der Vorsitzende zunächst einen kurzen Rückblick auf die abgelaufene dreijährige Wahlperiode. Die Mitgliederzahl ist in dieser Zeit von 600 auf 690 angewachsen. Das VereinSvermözen, das seit Beginn 83 340 „lL betrug, beträgt jetzt, trotz sehr erheblicher Leistungen, gegen 800 Hierauf hielt der Vereinsvoistand O.A.M. Schwend einen längeren Vortrag über das Feldbereinigungsgesetz vom 30. März 1886. Die Veranlassung zu diesem Vortrag gab der Beschluß der letzten Ausschußsitzung, für Durchführung dieses Gesetzes in unserem Bezirk fördernd einzutreten und der Gemeinde des Bezirks, die zuerst die Feldbereinigung so durchführe, daß sie Nachahmung verdiene, einen Beitrag bis zu 100 ^ zu gewähren. Redner hob den großen Wert der Durchführung dieses Gesetzes für unsere Landwirte und die im Vergleich damit unbedeutenden Kosten des Verfahrens hervor und wünscht auch bei uns möglichst Verwertung des Gesetzes. Reicher Beifall wurde dem Redner gezollt. Bei der nun folgenden Vorstands- und Ausschußwahl blieb cs beim alten.
Mergentheim, 8. Dezbr. Heute wurde unser seitheriger Kameral- verwalter Finanzrat Weber beerdigt, welcher seine neue Stelle in Kirchheim, wohin er erst vor kurzem befördert wurde, nicht mehr antreten sollte; ein Herzschlag machte seinem Leben ein rasches Ende. Wie beliebt dieser Beamte im ganzen Bezirk war, davon gab der großartige Leichenkondukt Zeugnis; bedauerte man schon dessen Versetzung, so zeigte sich durch den jähen Todesfall allgemeine Teilnahme und Trauer. Er war freundlich und wohlwollend gegen seine Untergebenen, wie gegen das Publikum, pünktlich, gewissenhaft und fleißig in seinem Amte; er war der letzte Kameralverwalter in Creglingen und kam in Folge der Auflösung dieses Kameralamts im Jahre 1870 hieher. Die Grund- und Gefäll - Steuereinschätzung im Bezirk leitete er als Steuerkommissär mit erprobtem Fleiß und Gewissenhaftigkeit von Anfang bis zu Ende. Ehre seinem Andenken.
Brüssel, 10. Dezbr. Nach in Antwerpen eingelaufenen Berichten scheiterten am Mittwoch vier große Dampfer, darunter der englische Steamer „Jspahan", welcher samt der Bemannung zu Grunde ging.
Wevrnifctztes.
— Großer Diebstahl. Man schreibt aus Wollin: Kürzlich zog von Cammin die Familie Kücken hier zu, bestehend aus der Mutter, einem Sohne von einigen 30 Jahren und einer Tochter von etwa 20 Jahren. Der Sohn hatte längere Zeit in Cammin bei dem Justizrat Schweiger geschrieben. Letzterer vermißte kürzlich aus seiner Kasse eine bedeutende Summe, wie es heißt 60,000 -M, darunter Pfandbriefe und Zinsscheine. Der Verdacht lenkte sich sofort auf Kücken. Bei einer Haussuchung wurde in einer finstern Kammer ein altes Buch gefunden, indem sich zwei Wertpapiere über je 3000 vorfanden, und in einer alten Bibel fanden sich viele Zinsscheine. In dem Fußboden, der aufgebrochen wurde, fand man aber die wahre Diebesschatzkammer. Es wurden hervorgeholt viele Rollen mit Goldstücken, wertvolle Ringe mit Brillanten, Silberzeug, ferner ein zugenähter und versiegelter Handschuh, der ebenfalls vollgepfropft mit Goldstücken war. Bei dem Handschuh befand sich ein Zettel, auf welchem bemerkt war, wie viel an diesem und jenem Tage demselben entnommen. Kücken scheint ein sonderbarer Heiliger zu sein, denn auf dem gestohlenen Gute fand sich auch die Bemerkung: Lieber Gott, heute habe ich wieder einen guten Tag gehabt! Auch Pläne zu Reisen nach Rumänien, Aegypten, der Türkei lagen bei dem Schatze, es ist also eine Reise auf Nimmerwiedersehen geplant worden. Außerdem
„L", flüsterte sie bittend, „ich bin Ihnen lästig geworden! — Schlief ich?"
Julius zwang sich zur Ruhe.
„Während der ganzen Fahrt!" versetzte er freundlich. „Das thut Ihnen gut, Fräulein Herbst. Bitte, lassen Sie mich vorangehen."
Er sprang aus dem Coupe und nahm das junge Mädchen in seine Arme, um sie dann der Diakonissin wieder zu überliefern.
„Beste Julie", sagte er, „können Sie jetzt das Weitere allein übernehmen? Schützenstraße 9 — die Leute sind von Allem unterrichtet, und überdies komme ich schon morgen Vormittag selbst!"
Die freundliche Pflegerin lächelte nur, anstatt zu antworten. Sie hatte schon einem Droschkenkutscher gewinkt und ließ sich jetzt das wenige Gepäck ausliefern, während Anna immer noch mit ihren beiden kleinen Händen den Arm des Doktors umklammert hielt.
„Ihre Stimme klingt verändert", hörte Julius die Blinde halblaut flüstern. „Sind Sie mir böse?"
Er drückte lebhaft ihre Hand.
„Ich habe im Augenblick Eile", versetzte er, sich zu ihr herabneigend. „Morgen sehen wir uns wieder, liebes Fräulein. Wie können Sie nur glauben, daß ich Ihnen den segenbringenden Schlaf mißgönnt hätte, weil mir derselbe einige geringfügige Unbequemlichkeiten verursachte? — Adieu für heilte!"
Er legte ihre Hand in die der Diakonissin, bei welcher er sich freundlich verabschiedete, um dann den kurze» Weg nach Hause mit schnellen Schritten einzuschlagen, einzig darauf bedacht, die gekränkte Frau wiederzusehen und sich womöglich mit ihr zu versöhnen.
In weniger als fünf Minuten stand er vor seiner Hausthür.
Elisabeth hatte kaum Zeit gehabt, Hut und Mantille abzulegen; sie mußte ihm schon entgegengehen, als noch die Unruhe, die Aufregung ihre Züge beherrschte. Was ihr armes, gequältes Herz empfand, als sie, von nicht zu besiegender Furcht getrieben nach dem Bahnhof ging und dort, zufällig gerade vor dem geöffneten Coups stehend,
die Fremde in Julius' Armen sah — darüber wollen wir schweigen. Nur ein einziger Gedanke, verhängnisvoll und gefahrdrohend für das gemarterte Hirn; ein beharrlich wiederkehrender Gedanke verdrängte jede andere Reflexion: Es war Elisabeth Herbst, die Julius geheiratet hatte, es war diese, die da so still, so ganz als sei das ihr gutes Recht, an feiner Brust lag —
Und sie selbst? — Sie?
Was wußte er von ihr? Welche Gemeinschaft gab es zwischen dem feingebildeten, zartfühlenden Manne und der entlassenen Strafgefangenen?
Verwirrung und Furcht, die ganze Qual des unruhigen Gewissens, durchflutete ihre Seele, als sie jetzt in sein Auge sah. Noch wußte er Nichts, aber welche Absicht steckte hinter dem unerklärlichen Schweigen der Fremden?
„Lisa!" rief Julius, mit offenen Armen seine junge Frau begrüßend. „Lisa, weshalb fürchtetest Du vorhin?"
Und die Bedauernswerte that, was in jedem Falle gewagt ist, hier aber notwendig verhängnisvoll werden mußte: sie wandte sich achselzuckend ab, sie provozierte eine Scene.
„Hattest Du wirklich noch Zell genug übrig, um mich zu bemerken, Julius?"
Er ließ sogleich die Arme sinken.
„Wie Du mich ansiehst, Lisa! — Also weshalb fandest Du für gut, Dich zu verbergen?"
Laß das!" sagte sie mit erkünstelter Kälte. „Wenn erst das Unglück geschehen ist — zu spät natürlich dann wirst Du bereuen."
Julius stand einen Augenblick schweigend vor ihr.
„Und das ist Dein Empfang, Lisa?" fragte er endlich. „Mehr als dies hast Du mir nicht zu sagen?"
„Nein! Kehre zu dieser Betrügerin zurück, sobald es Dir beliebt — ich werde Dich nicht daran zu hindern suchen!"
Er schüttelte den Kopf, halb zweifelnd an der Wirklichkeit dessen, was er hörte.
(Fortsetzung folgt.)