61. Jahrgang.

Mro. 146.

Amts- mul Intelkigenzbkatt für äen Aezirkr.

rfcheint Aicnrtag, Konnerstaq L Samstag.

Die EtnrückungSgebühr beträgt d -2, p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.

Dienstag, äen 14. Dezember 1886.

Abonnementspreis halbjährlich 1 -s 80 H, durch l die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in

^ ganz Württemberg 2 70 H.

Amtliche Wekcmntmcrchungen.

politische Wctchvichlerr.

Calw.

An die Krtsvorlteher, betreffend die Ausstellung der Wandergemerbescheine für 1887.

Die Ortsvorsteher erhalten unter Hinweis auf die vom Kgl. Min. des Innern vom 8. Novbr. 1883 im Regierungsblatt Nro. 26 S. 221 ff. ver­öffentlichten Aussüh ungsbestimmungen des BundcSralhs zur Gewerbeordnung für das deutsche Reich, den Auftrag, diejenigen Gewerbetreibenden, welche Wandergewerbescheine, (früher Gewerbelegitimationsfcheine) für das Kalender­jahr 1886, am Beginne dieses Jahres zu erhalten wünschen, durch öffentliche Bekanntmachung zur alsbaldigen Anbringung ihrer Gesuche bei der Ortsbehörde auszusordern. Die Gesuche sind mit den gemäß H 64 der Voll­zugsverfügung vom 9. Novbr. 1883 (Reabl. 260 a kl) auszustellenden Zeug­nissen und mit dem Signalement der Gesuchsteller versehen, unter Anschluß von je Dreimark-Spor'el einzusenden. Ist ein Gesuchstcller im Besitz eines giltigxn Wandergewerbescheins für das Kalenderjahr 1886, so genügt für die Zulässigkeit der Ausstellung eines neuen Wandergewerbescheins in der Regel die Beurkundung des G-meinderaths bezw. der Ortspolizeibehörde des Wohn­orts bezw. Ausemhaltsorts, daß stit Ausfüllung des früheren Zeugnisses keine Aenderung der in Betracht kommenden thatsächlichen Verhältnisse bei dem Gesuchsteller eingetreten sei und wenn der Wohnort des letzteren nicht zugleich sein Geburtsort ist, daneben die Bestätigung der das Strafregister des Ge­burtsorts führenden Behörde, daß der Gesuchsteller in den vorangegangenen 3 Jahren eine Bestrafung nicht erlitten hat (vergl. den oben cit. § 64 der Vollzugs - Verfg.). Außerdem ist von Seiten des OrtsvorsteherS oder des Vorstands der Beziiksschätzungs-Kommission der Nachweis darüber beizubringen, daß der Gesuchsteller am Wohnort in das Ortsgewerbekalafter bezw. Geweibe- verzeichniß als Wandergewerbetreibender ausgenommen und mit keiner Wandeigewerbesteuer im Rückstände ist (vergl. § 67 der Vollzugs- Verfügung).

Bei Gesuchen um Mitführung von Begleitern ist der Zweck der Mit­führung und die persö« l. Beziehungen zum Gewerbetreibenden anzugeben, im übrigen hiebei die Bestimmungen hinsichtlich der Besteuerung ausgenommen, die gleichen gesetzlichen Vorschriften zu beobachten, wie bei den Gewerbetrei- benden selbst.

Den 14. Dezember 1886. K. Oberamt.

Flaxland.

Deutsches Reich.

Berlin, 10. Dezember. Der Prinzregent Luitpold und der Herzog Max Emanuel nahmen um IIZR Udr bei den kronprinzlichen Herrschaften das Frühstück. Der Kaiser und die Kaiserin begaben sich mittags 12'/^ in das kronprinzliche Palais, woselbst sich die Kaiserin von dem Prinzregenten verabschiedete. Der Kaiser begleitete den Prinzregenten zu dessen Abreise nach Dresden nach dem Anhalter Bahnhofe; außer dem Kaiser waren auch der Kronprinz, Prinz Wilhelm, der Polizeipräsident v. Richthosen und zahl­reiche bayerische Offiziere anwesend. Der Prinzregent verabschiedete sich in herzlichster Weise von dem Kaiser und den Prinzen und begrüßte die bayeri­schen Offiziere. Die Abreise erfolgte um 1 Uhr 10 Minuten. Der Kaiser reichte dem Prinzregenten, welcher schon im Waggon war, nochmals die Hand, als der Zug sich in Bewegung setzte.

Die Ermordung Dr. Jühlke's in Ostafrika wird durch ein Telegramm des Gevalvertreters der Deutsch Ostasrikanischen Gesellschaft in Sansibar, Baumeister Hoernccke, bestätigt. Sie erfolgte in Kismoju un­weit der Juba-Mündung auf dem Gebiet des Sultans von Sansibar, jedoch nicht durch Somalis, sondern durch Gelas. An Jühlke's Stelle reist Graf Pfeil sofort noch Ostafrika ab.

Frankreich.

Der General Saussier, Gouverneur von Paris, ist ein gewandter Mann, ihm war eine HOkle Aufgabe zugefallen. Am Dienstag 'sollte er beim Begräbnis des Generals Pittie in der Madelaine - Kirche die Gedächtnißrede halten, dabei der Heldenthaten des Toten im Krimkrieg ge­denken und nach St. Petersburg hin doch nicht verletzen. Also sagte er: In diesem ritterlichen Krieg machten die Verteidiger von Sebastopol den Stürmenden den Sieg durch ihre Energie, durch ihren Mut und durch ihre Seelengröße derartig streitig, daß man beiderseits sagen konnte, es habe zwar Sieger, aber keine Besiegten gegeben."

Bulgarien.

Wien, 10. Dezbr. DasFremdenblatt" meldet: Die hier weilende bulgarische Deputation, welche im Ministerium des Aeußern eine Audienz nackgesucht halte, wurde heute Nachmittag um 3 Uhr von dem Gräfin Kal» noky in nicht offizieller Eigenschaft empfangen. Die Deputation hatte mit demselben eine längere Unterredung, welche der Deputation Gelegenheit bot, ihrem Aufträge gemäß die derzeitige Lage in Bulgarien eingehend auseinander­zusetzen und die Wünsche der bulgarischen Bevölkerung bezüglich einer thun- lichst baldigen Lösung der gegenwärtigen Krise dem Minister darzulegen. Der

IterriiceLon. <»-4^ °-rb°.°n.)

Verlorene Ehre.

Roman von W. Koffer.

(Fortsetzung.)

Weinen Sie, Anna", sagte er tröstend,das löst die Spannung."

Aber sie lächelte matt.

Ich mag nicht von den Nerven beherrscht werden, Herr Doktor. Das ist so kläglich. Wenn nur erst dies Zittern überstanden wäre!"

Die Diakonissin hatte Kölnisches Wasser mitgebracht; Julius befeuchtete mittelst der Fingerspitze die Stirn und den Scheitel seiner Pflegebefohlenen, deren Kräfte durch Sprechen und Aufregung völlig erschöpft schienen.

Er sah, daß ihre Augenlider schwer herabsanken, und daß ein zufriedenes Lächeln die Mundwinkel umspielte hatte er sie magnetisiert?

Ganz allmählich wurden die Athemzüge tiefer und ruhiger; das Herz unter seiner linken Hand pochte nicht mehr so rasend ungestüm, und als er unmerklich die Rechte von ihrer Stirn zurückzog, da gewahrte sie es nicht. Ein fester Schlaf hielt ihre Sinne in Banden.

Die Blicke des Arztes und der Diakonissin verständigten sich; letztere zog leise den Vorhang des. Fensters herab, und der junge Samariter veränderte seine Stellung derartig, daß der Kopf der Schlafenden auf seiner Brüst wie auf einem Kissen lag, für ihn selbst war es' unbequem, namentlich durch die längere Dauer der Fahrt, aber er ertrug die kleine Beschwerde, ohne nur daran zu denken dieser Schlummer war für das arme Mädchen eine große Wohlthat.

Das Rollen der Räder wurde zum Wiegenlied. Die Diakonissin und Julius blieb stumm; Beide waren viel zu sehr mit eigenen Gedanken beschäftigt, um sich

einer oberflächlichen Conversation hinzugeben. Die Stunden verrannen und schon nach kurzer Frist mußte der Zug seinen Bestimmungsort erreicht haben.

Julius sah die Türme der Stadt und die abendlich beleuchteten Dächer der höheren Gebäude, die Vorstädte tauchten auf aus ihrem Bette von jungem Frühlings­grün, und allmählich verfielen die Raver in langsameres Tempo. Unwillkürlich kehrten die Gedanken des Doktors zurück zu seiner Frau. War es ganz Recht, daß er sie heute Morgen so allein und im Bösen von sich gehen ließ?

Er wußte nur zu wohl, wie tief, ja wie unheilbar Elisabeth durch den Anblick seiner gegenwärtigen Situation verletzt worden wäre. Er hatte ein Gefühl, als sei es nicht ganz freundlich von ihm, ihre Wünsche zu Gunsten einer Fremden völlig zu ignorieren.

O, wenn sie sich doch von diesem grundlosen, unsinnigen Verdacht losreißen wollte!" dachte er.

Der Zug hielt, und nun bemühte er sich, die Schlafende zu wecken. Es sahen schon neugierige Blicke in das geöffnete Coupe; alle Reisenden hatten ihre Plätze ver­lassen, nur Anna schlief noch fest.

Sie schien zu träumen, ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen.

Der Doktor sah ziemlich ratlos von einer Seite zur andern da plötzlich zuckte er zusammen, obgleich im selben Augenblick ein Wiederschein innerer Freude sein Gesicht überflog. An der Ausgangspforte, von den Pfeilern halb versteckt, stand Elisabeth und sah unverwandt zu ihm herüber vielleicht schon längere Zeit hin­durch, bis sich ihre Blicke begegneten, nun verschwand sie plötzlich, ehe er ihr ein Zeichen zu geben vermocht hatte.

Sich weiter vorbeugend, spähte er ungeduldig in das Gewühl hinein, um sie wiederzusindcn aber vergebens. Nur gleich einer Vision war ihm das schöne, brünette Antlitz sekundenlang erschienen; dann hatte er es verloren, als sei das Ganze ein Spuck gewesen.

Sich mit heimlichem Seufzer der Blinden zuwendend, sah er, daß ihre weit offenen Augen voll Furcht den Blick der seinen zu suchen schienen.