Geestemünde, 17. April. Gesamtergebnis der Reichstagswahl: Fürst Bismarck erhielt 7557, Adloff 2619, v. Plate 3343, Schmahlfeldt 3928 Stimmen. Es findet sonach eine Stichwahl zwischen Fürst Bismarck und dem Sozialisten Schmahlfeldt statt.
Eugen Richter soll am Montag Abend in einer Berliner Versammlung gesagt haben: „Wenn ich ganz offen sein soll, so fehlt mir etwas im Reichstage, seitdem Fürst Bismarck nicht mehr da ist. Wenn ich die schönen Augenblicke bedenke, welche ich mit dem Fürsten Bismarck erlebt habe, so beschleicht mich ein gewisses Heimweh, denn Herr v. Caprivi kann ihn mir doch nicht ersetzen u. s. w." — Wenn das kein Größenwahn ist, dann gibts überhaupt keinen.
Gelegentlich einer Unterredung, welche der Fürst Bismarck vor Kurzem über die Frage hatte, ob Deutschland die Weltausstellung in Chicago beschicken solle, äußerte er sich dahin, daß er es sehr beklagen würde, wenn die deutschen Industriellen sich etwa in ihrer Verstimmung über die Mac Kinley-Bill abhalten ließen, an der Chicagoer Ausstellung teilzunehmen. Das würde ein großer Fehler sein; Deutschland und die Vereinigten Staaten von Nordamerika seien stets gute Freunde gewesen; beide haben weder widerstreitende territoriale Interessen, noch sind sie beide politische Rivalen. Er, der Fürst, sei während des amerikanischen Bürgerkrieges im Amte gewesen und obschon er für viele der hochgebildeten Männer des Südens die größten persönlichen Sympathien gehabt hätte, hielt er doch als preußischer Minister zu dem Norden. Preußen sei in jenem Kriege der festeste Freund der Union gewesen. Das deutsche und amerikanische Volk sei durch die Bande der Freundschaft wie Verwandtschaft und nicht minder der gegenseitigen Interessen verbunden und darum wäre es beklagenswert, wenn die deutsche Industrie sich weigern würde, an einer Ausstellung teilzunehmen, welche berufen ist, die Kenntnis deutscher Erzeugnisse bei dem amerikanischen Volke zu erweitern und die deutschen Produzenten in direkte Berührung mit den Amerikanern zu bringen.
Berlin, 14. April. Eine seltsame Gummiverordnung ist den höheren Lehranstalten im Aufträge des Kultusministeriums mitgeteilt worden. Seit einiger Zeit wurden Radiergummistücke verkauft mit einem Stempel, welcher das Bildnis des Kaisers trägt. Der Gebrauch dieses Gummis ist in den höheren Lehranstalten nunmehr untersagt mit dem Bemerken, daß Gummistücke mit Kaiserbildern den Knaben Veranlassung geben könnten, die Kaiserbilder zu verzerren.
Deutscher Reichstag. (DcnnerStagssitzung.) Die zweite Beratung des Arbeiterschutzgesetzcs wird bei den Bestimmungen über die Kinderarbeit fortgesetzt. § 135 bestimmt, daß Kinder unter 13 Jahren in Fabriken nicht beschäftigt werden dürfen, Kinder über 13 Jahren nur dann, wenn sie zum Besuche der Volksschule nicht mehr verpflichtet sind. Die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren darf die Dauer von 6 Stunden täglich nicht überschreiten. Junge Leute zwischen 14 und 16 Jahren dürfen in Fabriken nicht länger als 10 Stunden pro Tag beschäftigt werden. Die Sozialdemokraten beantragen, daß Kinder unter 14 Jahren überhaupt nicht in Fabriken arbeite» sollen. Der Antrag wird aber nach eingehender Erörterung abgclehnt. 8 136 schreibt vor, daß die Arbeitsstunden der jugendlichen Fabrikarbeiter nicht vor Uhr früh beginnen und nicht über 8^z Uhr abends dauern dürfen. Er bestimmt die Dauer der Pausen re. Der Paragraph wird unter Ablehnung eines weitergchenden sozialistischen Antrages angenommen. Die Sozialdemokraten beantragen die Einfügung eines neuen H 136 u, welcher Bestimmungen über einen Normalarbeitstag für erwachsene Arbeiter enthält.
(Reichstag.) Der Antrag auf Einführung tzes zehnstündigen Normalacbeitstags wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und der Abgg. Payer und v. Münch, der Antrag auf Einführung des neunstündigen von 1894 und des achtstündigen von 1898 an gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Berlin. Der Reichstag hat die 100. Sitzung dieser Session abgehalten, und im hohen Hause ist dies Ereignis durch ein prächtiges Bouquet konstatiert worden, welches dem Reichstagspräsidenten v. Levetzow dargebracht worden war. Eigentlich hätte man aber ggr keinen Grund gehabt, so besonders froh zu sein, denn die 100. Sitzung war vorzeitig dadurch hcr- bqigeführt worden, daß die 99. wegen Beschlußunfähigkeit des Parlamentes abgebrochen werden mußte. Der Reichstag war in letzter Zeit geradezu kläglich besucht, und man kann nur hoffen, daß sich im neuen Hundert der Sitzungen diese Verhältnisse etwas, bessern werden. Zur Beratung stand ununterbrochen
das Arbeiterschutzgesetz, »dessen zweite Lesung bis Mitte dieser Woche beendet werden soll. Besonders viel Mühe haben die Bestimmungen über den Kontraktbruch, die Kündigungsfristen, Arbeitsordnung und Arbeiterausschüsse gemacht, die aber im Wesentlichen nach den Beschlüssen der Kommission d. h. zugleich der Regierungsvorlage angenommen wurden. Die sozialdemokratischen Abgeordneten brachten heftige Angriffe gegen die Einzelheiten des Gesetzentwurfes vor, aber die dabei unterlaufenden Uebertreibungen ermüdeten das Haus schließlich gar zu sehr. Die Herren sprachen meist vor leeren Bänken.
Den „Berl. Polit. Nachr." zufolge hat nunmehr die preußische Staatsregierung beschlossen, das dem Zentrum mißliebige Volksschulgesetz endgiltig abzusetzen und unter Benutzung der Ergebnisse der kommissarischen Beratung in der nächsten Session wieder aufzunehmen. Der Kultusminister werde bei der Beratung des Kultusetats diese Entschließung der Staatsregierung kundgeben.
Berlin. Soviel bis jetzt über den österreichischen Handelsvertrag verlautet, sollen, was Getreide an- gcht, nur die Zölle von Weizen und Roggen ermäßigt werden. Haber, Gerste, Erbsen und Oelsaaten sind mehr Viehfutter als Nahrungsmittel für Menschen und leiden unter der Höhe dieser Zölle weniger die Konsumenten als die Landwirte selbst. Eine Herabminderung dieser Zölle, besonders des Haberzolls, erscheint als geboten durch die ausgleichende Gerechtigkeit.
Hamburg, 14. April. Nach Privatbriefen aus Chile wünschen alle ordnungsliebenden Elemente des Landes sehnlichst den Sieg der Kongreßparlei herbei, welche die rechtmäßige Regierung darstelle. Die Uebergriffe und Greuelthaten würden sonst den vollständigen Ruin Chile's herbeiführen. Die Untcr- chlagungen der Negierungsanhänger betrügen viele Millionen Pesos.
Hamburg, 16. April. Fürst Bismarck empfing gestern die Abordnung des Zentralverbandes deutscher Industrieller zur Ueberreichung der Ehrengabe eines silbernen Tafelservices und des Kaufbriefs einer Landparzelle bei Friedrichsruh. Geheimrat Schwartzkopff überreichte die bereits beim Beuch im vorigen Jahre verlesene Adresse, welche mittlerweile von Künstierhand aufs herrlichste ausgestattet worden. Der Fürst ergriff hiebei zu einer längeren Erwiderung das Wort. Daß er heute so hervorragende Vertreter der Industrie in seinem Hause begrüßen dürfe, sei eine weitere Freude für ihn. Sein Interesse an dem Gesamtwohl des Vater- 'anbes sei auch nach dem Austritt aus dem Amte nicht geringer geworden; er halte es deshalb für seine Pflicht und nicht weniger für seine Recht, überall da seine Stimme zu erheben, wo er nach seinem besten Wissen und Gewissen das Wohl des Vaterlandes bedroht glaube. Der Fürst plauderte in heiterer Unterhaltung und entzückte alle Teilnehmer durch seinen vortrefflichen Humor.
Nömhild, 18. April. Ein gestern Abend in unserer Stadt ausgebrochenes Feuer hat bis heute Morgen 5 Uhr am Markt 82 Wohnhäuser mit Nebengebäuden vernichtet.
Dem Fischzüchter Blasius in Trier, der in Steinheim bei Echternach große Fischweiher besitzt, Ind am vergangenen Freitag in diesen Weihern 300 000 junge Salmsorellen vergiftet worden. Die Fische sollten am 15. April in die Eifelflüsse einge- etzt werden. Der Schaden beziffert sich auf Tausende von Mark. Von dem Thäter hat man bis jetzt keine Spur.
Drsterreich-Ungarn.
Wien, 15. April. Nach einer Meldung der Presse beschränkt sich künftig das handelspolitische Verhältnis zwischen Oesterreich-Ungarn ünd Deutschland nicht auf den Handelsvertrag als solchen, sondern beide Staaten sind entschlossen, auf, dem Gebiete der Händelspolitik überhaupt auch, anderen Staaten gegenüber gemeinsam vorzugehen. Hinsichtlich des Appreturverkehrcs zwischen Oesterreich und Deutschland bleibe der statüs guc> aufrechterhalten.
Frankreich.
Paris, 15. April. In Brie haben 400 französische Bahnarbeiter sämtliche italienischen Arbeiter mit Gewalt vertrieben; 40 Soldaten sind zur Auf-, rechterhaltung der Ordnung eingetrqffey.
Paris, 15. April. Die Blätter kündigen große Mobilisierungs-Manöver des XV. Armeekorps
in Marseille an der italienischen Grenze für diesen Sommer an.
Italien.
Rom, 13. April. Der „Corriere di Napoli" publiziert eine Unterredung seines Korrespondenten mit Bismarck. Der Fürst äußerte, wenn Italien die Tripelallianz verläßt, sinkt es noch tiefer als 1881. Der Friede, der im Vorjahre noch gesichert war, ist heute ungewiß. Ueber den Jrredentismus sagte Bismarck, die Trientsrage wäre heute bereits gelöst, aber die thörichte Agitation der Jrredentapartei verzögert die Lösung. Bezüglich seiner eigenen Zukunft äußerte Bismarck: „Mit meiner Karriere ist es für immer vorbei."
Rom. Aus Massaua kommen neue Hiobsbotschaften. Unter der eingeborenen Bevölkerung herrscht die furchtbarste Hungersnot, sowie Krankheit aller Art. Die bekannten Enthüllungen der „Tribuna" über die Blutthaten Livraghi's und Genossen werden bestätigt.
Rom, 16. April. Der Schachspieler Georg Henry Mackenzie, dessen Name zu den bekanntesten der Schachwelt gehörte, ist, 54 Jahre alt, gestorben.
Serbien.
Belgrad, 16. April. Falls Bulgarien keine befriedigenden Erklärungen bezüglich seiner Rüstungen abgiebt, wird Serbien eine Protestnote an die Mächte richten.
England.
London, 13. April. Der „Standard" schreibt: Die österreichische Thronrede stellt cs außer Zweifel, daß an den Höfen Wiens und Berlins der ernste Wunsch besteht, den Ausbruch der Feindseligkeiten zu verhindern oder zu vertagen. Ebenso sei die persönliche Friedensliebe des Kaisers Alexander III. bekannt. Trotzdem könne man nicht vergessen, daß Rußland das Zeichen neuer Störungen auf der Balkanhalbinsel gegeben habe und in bedenklicher Weise an der Grenze Oesterreichs Truppen konzentriere. Man brauche diese Manöver nicht hoch anzuschlagen, aber man könne sie nicht ignorieren.
Spanien.
Wie aus Gibraltar gemeldet wird, sind 451 Leichen der bei dem Schiffbruch des Auswandererschiffes Utopia Verunglückten bis jetzt bestattet worden. 66 sind noch nicht aufgesunden. Alle Persönlichen Effekten, welche sich an den Leichen befanden, sind dem italienischen Konsul in Gibraltar eingehändigt worden.
Rußland.
Petersburg, 15. April. Der Gouverneur von Moskau Großfürst Sergius, erließ ein Dekret über Ausweisung von 14 000 jüdischen Handwerkern aus dem Moskauer Gouvernement, weil dieselben angeblich nicht den Gesetzen über die Ansässigkeit ent- prechen. Die Maßregel ruft große Aufregung hervor.
Amerika.
Zur Warnung. Aus New-Iork wird gemeldet, daß täglich viele mittellose Auswanderer nach Europa zurückgeschickt werden; die Regierung handhabt das neue Einwanderungsgesetz aufs strengste.
Washington, 14. April. Das oberste Bundesgericht hat gegen die Verfügung der Zolldirektoren von Newyork und Chicago entschieden, nach welcher wollene Kleiderstoffe, die auch nur einige Prozente Baumwolle enthalten, als halbwollene Stoffe zu verzollen sind.
San Francisco, 18. April. Der von Sidney eingeiroffene Dampfer „Monovai" berichtet, das englische Schiff „Sauct Katharis" habe an der Küste der Karolineninseln Schiffbruch erlitten. 90 Personen ind ertrunken:
Händel nnd Verkehr.
Herrenberg, 14, April. ..Als Seltenheit, ist zu erwähnen, daß dieser Tage Viehhändler H. Fischer von hier von Johs. Notier, Sch. S. ist Kahh, eist 6 Wochen alres Wilchkalb um den Preis von 110 ^ gekauft. Dasselbe hatte ein Gewicht von 240 Pfund.
Konkurseröffnungen. Johann Egner. Weingärtner in Weisbach. — Johann Ziegler, Spezereihändler in Jagstfeld. — Jakob Hägele, Bauer and seitheriger Stkftüngspfleger in Gerstetten. — Friedrich Eckert, Baster und Oclmüller in Hohehach. — Caspar Gerstlaucr. Küfer in Langenau. -,J, Faden, Holzhändler inWurmlingen.— Heinr. Bock, Kaufmann in Böblingen. — Friedr. Friesch, Schuhmacher vost Rstdersbcrtz, entwichen. — Mich. Zaiser, Adlertvirts Sohn, Bauer ist Köngen. — Bernhold und Scheurlen, Firma in Cannstatt.
Verantwortlicher Redakteur Stein Wandel in Nagold. — Druck und Verlag der G. W. Zaiscr'schen Buchdruckerei.