Ars. 144.
«1. Jahrgang
Amts- unä IntelligeaMlltt für äen Kezirsi.
Erscheint Aienrtag, Ionnerrtag L Samstag.
Die EinrückungSgebühr beträgt 9 ^ p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.
Donnerstag, äen 9. Dezember 1886.
Abonnementspreis halbjährlich 1 -4i 80 durch die Post bezogen im Bezirk 2 «4L SO H, sonst i» ganz Württemberg 2 «4L 70
Amtliche Wekanntmachungen.
Calw.
Bekanntmachung,
betr. das Befahren der Nebenwege (Trottoirs) der Staatsstraßen mit Veloeipeden.
Die längs der Staatsstraßen bestehenden Nebenwege und Trottoirs werden vielfach von Radfahrern benützt und wird dadurch der Fußverkehr gefährdet. Es wird deshalb daran erinnert, daß das Befahren der Nebenwege rc. verboten (8 2 der K. Verordnung vom 6. Juli 1873, Reg.-Bl. S. 295) und die Uebertretung dieser Vorschrift nach 8 366, Abs. 1 und Ziff. 10 d. R.-St.-G. mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu 14 Tagen abgerügt wird.
Die Ortsvorsteher derjenigen Gemeinden, durch deren Markung die Staatsstraße zieht, werden angewiesen, Vorstehendes in ortsüblicher Weise bekannt zu machen und hierüber Eintrag im Schultheißenamtsprotokoll zu machen.
Calw, den 4. Dezember 1886.
K. Oberamt. K. Straßenbauinspektion.
Flaxland. Stuppel.
-Politische Wcrchrichlerr.
Deut ches Reich.
Berlin, 6. Dez. Der Reichstag erledigte heute rasch in erster und zweiter Lesung den Entwurf, betr. die Kontrole des Rerchshaushalts und des Landeshaushalts für Elsaß-Lothringen und überwies die Servis- tarif-Vorlage nach kurzer Debatte an die Budget-Kommission. — Dann trat der Reichstag in die Beratung derjenigen Kapitel des Etats ein, die ohne Vorberatung durch die Budget-Kommission im Plenum beraten werden. Auf der Tagesordnung stand zuerst der Etat für den Reichskanzler und die Reichskanzlei. Exigiert sind an fortdauernden Ausgaben wie im Vorjahr 141,360 vtL (darunter Gehalt des Reichskanzlers 54,000 zur Unterhaltung der Dienstwohnung des Reichskanzlers 30,000 »4L) und an einmaligen Ausgaben mehr 11,000 »4L (zur Erhöhung der Feuersicherheit der Dienstwohnung des Reichskanzlers). Der Etat wird ohne Debatte bewilligt.
— Der Reichstag soll in dieser Woche nach der morgigen Sitzung keine Plenarsitzungen mehr halten, um den Commissionen Zeit zur Förderung ihrer Arbeiten zu lasten.
Berlin, 7. Dez. Der Prinzregent Luitpold von Bayern, welchem der bayrische Gesandte bis Leipzig entgegengefahren war, ist beute vormittags 10 Uhr auf dem Anhalter Bahnhofe eingetroffen, vom Kaiser, dem Kronprinzen, den Prinzen Wilhelm und Alexander, sowie dem Erbprinzen von Meiningen und anderen Fürstlichkeiten, der ganzen Generalität, dem Gouverneur, dem Polizeipräsidenten, den Mitgliedern der bayrischen Gesandt« schaft, den Hofstaaten und allen hiesigen bayrischen Offizieren empfangen. Eine Ehrenkompagnie des 2. Garde-Neg. mit Musik und Fahne war auf dem Bahnhofe aufgestellt. Die Musik intonierte die Nationalhymne. Die Begrüßung des Prinzregenten durch den Kaiser, den Kronprinzen und den Prinzen Wilhelm war eine äußerst herzliche durch wiederholte Umarmung und Kuß. Nach Abschreitung der Front der Ehrenkompagnie und Begrüßung der bayrischen Offiziere erfolgte die Vorstellung der beiderseitigen Gefolge, sowie der anwesenden Generalität. Hierauf fuhren der Kaiser mit dem Prinzregenten in einem Wagen, vom Kronprinzen und den übrigen Prinzen gefolgt, nach dem König!. Schloß, auf dem ganzen Wege dorthin von den dichtgedrängten Menschenmasten, welche unter Tücher- und Hüteschwenken dem Kaiser und dem hohen Gast stürmische Hochrufe ausbrachten, begrüßt.
Berlin, 7. Dez. Die „Nordd. Allg. Ztg." bringt einen warmen Begrüßungsartikel zum Besuch des Prinz-Regenten Luitpold von Bayern in Berlin. Das Blatt heißt den Prinz-Regenten in der Reichshauptstadt willkommen und begrüßt in dem Besuche desselben ein neues Unterpfand der Einigkeit, in welcher die deutschen Stämme einigen Sinnes mit ihren Fürsten und Führern allein den Mut und die Kraft zur Erfüllung der hohen Aufgaben unserer Nation zu finden im Stande sind.
England.
London, 6. Dezbr. Die „Daily News" sagt über die Rede des deutschenKriegsministers: „Die A r m e e ist für das D e u t s ch e Reich das, was die Flotte für das britische Reich ist, und das Gefühl, welches wir in England über die Verstärkung unserer Verteidigungsmittel auf dem Meere hegen, wird genau in dem Wunsche der Deutschen wieder gespiegelt, ihre Landesverteidigung unüberwindlich zu machen. Es ist unmöglich, nicht das böse Geschick zu beklagen, welches alle europäischen Nationen auf den Weg des Ruins treibt, aber so lange Frankreich und Rußland mit der Verstärkung ihrer Armee fortfahren, ist es kaum möglich, daß Deutschland und Oesterreich ihre Militärausgaben einschränken können."
London, 6. Dez. Hiesige Blätter melden, Graf Kalnoky werde der bulgarischen Deputation anraten, den Fürsten von Mingrelien als Fürsten von Bulgarien anzunehmen. Eine Weigerung würde Oesterreich als gewichtigen Faktor bei der Lösung der bulgarischen
Ileuilleton. <«°chdru>r-«b°,-n.>
Verlorene Ehre.
Roman von W. Köffer.
(Fortsetzung.)
Der Doktor hatte seinen Zweck erreicht; es befremdete ihn nicht, daß Elisabeth heute nach rechts und morgen nach links zu gehen wünschte, daß sie im Grunde mit allen ihren Gedanken und Plänen immer der gegenwärtigen Stunde vorauseilte und offen eingestand, wie geme sie die Reise bis in's Unendliche hinein ausgedehnt misten möchte. Das ganze war ja ein der Wirklichkeit gleichsam gestohlenes Glück, ein holder Traum zwischen Wachen und Schlafen, es gab ihr neuen Reiz, neuen Zauber, heute im frühlingsgrünen Thale am Seeufer und unter blühenden Feldem dahin- zugehen, morgen hoch oben auf dem Gebirge in der halbzerfallenen Hütte des einsamen Waldwärters ein Nachtquartier zu suchen, und vielleicht nach wenigen Stunden auf dem Dampfschiff stromabwärts zu gleiten, einerlei wohin, nur nicht unter viele Menschen, nicht in große Städte mit ihrem lauten Markt und ihrem treibenden, lärmenden Gewühl.
Aber er schüttelte doch den Kopf, als sie ihn bat, seinen Urlaub zu verlängern.
„Es geht nicht, Schatz! Ich könnte es kaum verantworten, auch nur noch wenige Tage fem zu bleiben. Die Pflicht steht höher als das Glück — nicht wahr, mein Lieb?"
Sie wurde wieder so blaß wie immer, wenn er irgend ein solches Wort sprach. Julius konnte ihr, sobald er erst Alles erfahren hatte, nie im Leben verzeihen — das wußte sie nur zu wohl. Jene leidenschaftliche Richtung des Charakters, die in den eigenen Fehltritt so verhängnisvoll schnell und spielend hineintreibt, die aber auch den fremden zu entschuldigen versteht, jene plötzlichen Wallungen des Blutes waren jhm ganz unbekannt; er urteilte ruhig mit unbestechlicher Redlichkeit und indem ihm
die Ehre als oberstes Prinzip galt, als teuerstes, wertvollstes Gut. Einmal erkannt, konnte sie für ihn Nichts mehr sein, als höchstens ein Gegenstand des Mitleids.
Die Bewegung, womit sie ihm antwortete, war mutlos und traurig.
„Morgen also, Julius?" fragte sie leise.
„Ich muß!" versetzte er. „Freut es Dich denn nicht auch ein wenig,.in unser kleines, niedliches Nest zurückzukehren und am eigenen Herd die Hausfrau zu werden?"
Seine Worte zerrissen ihr das Herz.
„Doch!" antwortete sie mechanisch. „Doch Julius!"
Er suchte freundlich ihren Blick.
„Zuweilen frage ich mich, ob Du wirklich ganz glücklich bist, Lisa", sagte er in seiner milden, gewinnenden Weise. „Ob es namentlich nicht irgend ein Geheimnis gibt, das Du vor mir zu verbergen suchst! — Weshalb wechselst Du zum Beispiel in diesem Augenblick fortwährend die Farbe?"
Elisabeth erschrack.
„Ein Geheimnis?" wiederholte sie langsam. „Was könnte es geben, das ich Dir verbergen müßte? — Du kanntest meine Armut, meine abhängige Stellung. Du wußtest, daß ich Dir keinen Groschen in die Ehe brachte."
Er streichelte zärtlich ihr kaltes, blasses Gesicht.
„Wenn Du mir sagen wolltest, was Dich heimlich quält, Lisa!" bat er voll Liebe und Güte. „Etwas dergleichen existiert faktisch, davon bin ich als Arzt und als Mensch gleich sehr überzeugt. Was ist es also?"
Elisabeth hatte im Fluge ihren Vorteil begriffen.
Es würde ihr Nichts mehr nützen, jetzt, wo er sie unausgesetzt und aus nächster Nähe beobachtete, noch einfach leugnen zu wollen; sie riskierte vielmehr, schon dadurch in seiner Achtung zu fallen. Nur ein verzweifeltes Mittel konnte Rettung bringen.
„Du weißt es", sagte sie mit stockender Stimme.
„Ich?"
Er sah voll Erstaunen auf. Ein plötzliches Rot färbte sein Gesicht.
„Wir haben zwar verabredet, während dieser Reise vom jenem bedauerns-