61. Jahrgang.
Dko. 137
Amts- unä IntekkigenMatt für äen Aezir^.
Erscheint Z>ke«»tag, Souuerrtag L Samstag.
Die EimückungSgebühr beträgt 9 ^ p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.
Dienstag, üea 23. November 1886.
I Abonnementspreis halbjährlich 1 80 durch
i die Post bezogen im Bezirk 2 90 H, sonst in
.ganz Württemberg 2 70
'Z'oLiLifche WachrichLen.
Deutsches Reich.
— Im außerordentlichen Etat für die Verwaltung des Reichsheer e S finden sich mehrere Forderungen, namentlich Bauten, die der Reichstag in der vorigen Session abgelehnt hat. Besonders berücksichtigt ist Elsaß- Lothringen. Auf dasselbe entfallen von den etwas über 23 Millionen über 4 Millionen. In Straßburg wird der Bau einer neuen Kaserne für ein Bataillon Fußartillerie beabsichtigt. Auf Dietenhofen entfallen 295,000 für verschiedene Kasernenbauten rc., auf Saarburg, wohin ein Infanterie- Regiment verlegt werden soll, für gleiche Zwecke 930,218 auf Metz 770,000 zum Bau von Barackenkasernements für eine dorthin zu verlegende Abteilung reitender Artillerie; schließlich werden zur Ergänzung der Befestigungen in Elsaß-Lothringen 3,5 Milk. Mark gefordert. — Im Etat des württembergischen Kontingents wird gefordert der im vorigen Jahr abgelehnte Neubau von Stallungen in Ulm.
O e st e r r e i ch.
Wien, 19. Nov. Der „Pol. Corr." wird aus Paris geschrieben: Den letzten Nachrichten zufolge hat me Idee einer Konferenz zur Regelung der bulgarischen Wirren in manchen europäischen Hauptstädten an Boden gewonnen, da überall der Wunsch vorgeherrscht, dem friedensgefährlichen Zustände-der Ungewißheit ein Ende zu machen; allein man besorgt, daß Rußlands bekannter Widerwille gegen Konfe- rvnzlöjungen nicht zu besiegen sei. Die Türkei wird sich zur Initiative für die einleitenden Schritte bereit finden lassen, wenn Rußland ke^ine Einwendungen erhebt. — Aus Konstaniinopel wird derselben Correspondenz geschrieben: Angesichts der aussichtslosen Situation in Bulgarien und in Erwägung des Umstandes, daß weder Rußland durch einen Gewaltstreich, noch auch die Mächte durch eine Jmtiative ihrerseits die in der Lage eingetretene Stockung zu überwinden gesonnen scheinen, wird in gewissen türkischen Kreisen die Idee erörtert, ob nicht die Pforte den Anstoß geben und als suzeräne Macht ihrerseits eine andere Regentschaft ernennen und neue Wahlen für eine Sobranje ausschreiben könnte. Natürlich würde die Pforte dies nur mit Zustimmung der Mächte und der bulgarischen Autoritäten und nur gegen die Sicherheit thun, Rußland dadurch zu versöhnen und die Situation bleibend zu entwirren. Man meint in türkischen Kreisen, daß dies für die Bulgaren sowohl als für Rußland eine ooldene Brücke zum Rückzuge wäre.
Bulgarien.
Varna, 20. Nov. Die Flagge auf dem russischen Con- sulate ist heute Nachmittag um 4 Uhr eingezogen worden. Der russische Consul schiffte sich eine Stunde später an Bord eines russischen Kriegsschiffes ein. Eine sehr zahlreiche Menge, welche sich vor dem Consulate eingefunden hatte, begleitete den Consul bis zum Einschiffungsplatz. Die Ruhe ist nirgends gestört worden. Frkf. Journ.
Gcrges-Weuigkeiten.
Calw, 22. Nov. Am gestrigen nachmittag wurde der einstige Vorstand des hiesigen Gemeindewesens, Hr. Stadtschultheiß Sch ul dt, unter überaus großer Beteiligung seitens der Einwohnerschaft und besonders auch von auswärts, zu Grabe geleitet. Der Verstorbene war am Freitag abend unerwartet rasch einem Schlaganfall erlegen. Wie wohl Vielen bekannt sein wird, hatte Hr. Schuldt vor 2 Jahren, am 26. Mai 1884, seinem 80sten Geburtstage, infolge zunehmender Gebrechlichkeit sein Amt nach 49jähriger erfolgreicher, fruchtbarer Thätigkeit niedergelegt. Von Seiten des Gemeinderats und Bürgerausschusses war ihm am genannten Tage mit aufrichtigem Danke ffür sein langjähriges treues und ersprießliches Wirken ein wohlverdienter Ruhegehalt angeboten worden. — Im Namen der beiden Col- legien legte Hr. Verw.-Aktuar Ziegler dem einstigen, treuen und hochverdienten Vorstand einen Lorbeerkranz auf das Grab, worauf Hr. Stadtpfarrer Rieger aus Stuttgart (9 Jahre Helfer in Calw) dem verblichenen Freunde
einen poetischen, liebevollen Nachruf widmete. — Sanft ruhe seine Asche!
* »
Wer mit holden Tönen kommt Uebcrall ist der willkommen. (Göthe.)
Calw, 22. Nov. Daß der Name „Liederkranz" einen guten Klang und große Anziehungskraft ausübt, bewiesen gestern die überfüllten Räume des „Badischen Hofes". Da der Eintritt zur musikalischen Unterhaltung für jedermann frei war, so wurde von dieser günstigen Gelegenheit, etwas Gediegenes hören zu können, der ausgiebigste Gebrauch gemacht. Wer nach 5 Uhr kam, mußte sich mit dem notdürftigsten Plätzchen zufrieden geben oder wie es auch vorkam, wieder umkehren. Mit Freuden begrüßten wir die vom Ausschuß ves Liederkranzes getroffene Bestimmung des Freikonzerls, da hiedurch auch den Musikfreunden, die nicht Mitglieder dieser größten hiesigen Gesellschaft sein wollen oder können, der Beweis großer Leistungsfähigkeit des preisgekrönten Vereins gebracht wurde. Mit dem schwungvollen, frühlingsfrischen und majestätischen Chor „Der frohe Wandersmann" von Mendelssohn wurde
IleiricceLon. <«»4^1 °nb°t°n.>
Verlorene Ehre.
Roman von W. Köffer.
(Fortsetzung.)
„Oh", versetzte er, wie immer den schweren Ernst ihrer Gedankenrichtung ignorierend, „auf acht Tage doch, Schatz — in vier Wochen wird unsere Hochzeit gefeiert, und dann geht es fort."
Eine Frage gab es noch, die schon seit Beginn dieser Unterredung fortwährend auf Elisabeth's Lippen schwebte und die sie auch jetzt wieder auszusprechen im Begriff war: „Wie heißt jenes junge Mädchen?" — aber irgend ein Etwas erstickte immer den ersten Laut in der Kehle.
Julius war gegangen. Einen heimlichen Stachel mehr im Herzen, setzte sie sich später wieder an das Bett der Kranken, um mit ihr über die Zukunftshoffnungen des Geliebten zu plaudern und von dieser zärtlichen Mutter zu hören, daß Niemand für das volle Glück der Erde so sehr berechtigt sei, als gerade ihr Sohn, der eine, letzte Sonnenblick ihres verödeten Lebens.
Es war jetzt Alles zusammengekauft und aus Tante Finchens verborgensten Truhen hervorgesucht, was der junge Hausstand für seine erste Ausrüstung brauchte; das ganze kleine heimliche Nest mit der Aussicht auf das keimende Märzgrün des Gärtchens zeigte den bescheidenen Wohlstand der Zufriedenheit, und doch auch wieder so manchen Schmuck, der an jene vergangenen, längst entschwundenen Tage erinnerte, wo Jda und Josephine die schönen, umschmeichelten Töchter des reichen Kaufmannshauses waren und wo die Aussteuer derselben zugleich gefertigt wurde, um dann zur einen Hälfte schon nach kaum zwei Jahren dem Exekutor zu verfallen und zu andern verschlossen und vergessen zu werden bis auf diesen Tag.
Jetzt hatte zum ersten Male Tante Finchens Anteil in allen Einzelheiten /einen rechten Platz gefunden, Silber- und Leinenschränke waren gefüllt und das kost
bare, chinesische Service entfaltete seine goldglänzende Pracht — zuwellen ging die alte Dame selbst auf leisen Sohlen durch den kleinen Raum und konnte wohl hier oder da ein Stäubchen entfernen und eine verschobene Falte glätten. Sie freute sich aus Herzensgrund des fremden Glückes, aber sie war doch seit jener plötzlichen Entdeckung wie verwandelt, viel stiller und nachsichtiger, ja wer sie genauer beobachtete» der fand auch die körperliche Veränderung groß. Das sonst so blühende Gesicht zeigte große Blässe, die Hand suchte nicht selten einen stützenden Gegenstand und sogar die Stimme klang weicher, milder.
Stundenlang konnte die Alte so still zwischen den Schätzen ihrer Jugend dasitzen und Bild nach Bild aus jener Zeit an sich vorüberziehen lassen.
Es war nun Alles gut. Alles versöhnt. Die nachgeborene Generation erntete, was sie gesäet, ein später Sonnenglanz verschönte das Ende ihres Weges.
Es kamen immer noch verborgene Schätze hinzu, Kleinigkeiten vielleicht an Wert, aber doch Heiligtümer der Erinnerung, und Elisabeth's Herz blutete, so oft sie ein derartiges Geschenk erhielt: Bücher, auf deren Titelblatt Ernst Herbst den Namen seiner Braut geschrieben, Schmuckgegenstände und eine in Sammet und Gold gebundene Ausgabe des neuen Testaments, die er ihr, damals selbst noch ein Schulknabe am Tage ihrer Konfirmation geschenkt. Der Spruch, mit welchem sie eingesegnet worden, stand in schöner Schrift von seiner Hand auf dem ersten weißen Blatt:
„Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen."
„An dem Tage verlobten wir uns", sagte halb lächelnd mit feuchtem Blick die alte Dame. „Es war schon zwischen ihm und mir so etwas wie engere Beziehungen von jeher, aber damals, als ich konfirmiert wurde, kam es zu Worten. Er stand hinter der Hecke des Gartens, dreizehnjährig, noch mit kurzer Jacke und der Schülermütze — ich glaube sogar, er hatte sich auf die Hecke geschwungen, und als ich, mein erstes langes Kleid in beiden Händen, wie ein Vogel über Kieswege dahergeflogen kam, um ihn heimlich, während Vater und Mutter die Gäste empfingen, auf einen Augenblick zu begrüßen, da sah er mich ganz traurig an. „Jetzt bist Du eine große Dame, Finchen", sagte er. „Erwachsene Herren, vielleicht gar Offiziere, werden Dir den Hof machen, und ich — ich muß noch zwei Jahre in die Schule gehen, am liebsten