Berlin, 28. Sept. Der freisinnige Reichstagsabgeordnete Barth macht in seiner „Nation" jetzt den Nationalliberalen den Hof, während er früher das Gegenteil gethan hat. Er schreibt u. A.: „Stirbt der Bismarck-Kultus, der in diesen Kreisen noch fortwirkt, weiter ab, so muß die Trennung von den Konservativen notwendigerweise immer deutlicher werden. Unter den Nationalliberalen wird gar mancher, wenn nur erst das Trauerjahr um den ersten Reichskanzler vorüber ist, sein liberales Herz wieder entdecken. Ich meine, die fortgeschrittenen Liberalen sollten alles thun, eine derartige Rückbildung zu erleichtern. Denn wie man auch über die politische Charakterfestigkeit der heutigen Nationalliberalcn denken mag, so ist doch kein Zweifel darüber möglich, daß in dieser Partei ein sehr erhebliches Quantum bürgerlicher Tüchtigkeit — wirtschaftlicher wie geistiger — steckt." — Im selben Artikel wird eine künftige Koalition zwischen Zentrum und Konservativen prophezeit, wenn einmal Herr Windthorst den angekündigten „Kampf um die Schule" beginnen werde.
Zum Rücktritt des Kriegsministers. Ueber die Gründe, welche beim Rücktritt des Kriegsministers Verdy du Vernois mitgewirkt haben sollen, wird jetzt in der „Köln. Ztg." folgende Leseart verbreitet: „Es sei bekannt, daß der Minister sich mit den Deutschfreisinnigen auf guten Fuß zu setzen versuchte; ein deutschfreisinniaer Abgeordneter aus einer östlichen Provinzialhauptstadt (also Rickert) hätte nach einem Festmahle im Kreise von Abgeordneten in seiner mitteilsamen Weise erzählt, er habe Grund anzunehmen, daß der Kriegsminister nichts dagegen habe, wenn die Deutschfreisinnigen die zweijährige Dienstzeit verlangen würden. Ein konservativer Abgeordneter aus der Mark Brandenburg habe die Sache Weiler erzählt und sie sei auch zur allerhöchsten Stelle gekommen." Daß die Geschichte eitler Klatsch ist, ist selbst redend.
Berlin. 1. Okt. Dem „Kleinen Journal" zufolge tritt Graf Waldersee mit Ende des Jahres als Generalstabschef zurück; der Kommandeur des IX. Armeekorps, General v. Lescynski, soll sein Nachfolger werden. (Wohl eine Ente!)
Zur Revision des Jnvaliditätsversiche- rungsgesetzes schreibt die „Freist Zeitung": „Die Probe darauf, , ob der jetzigen Mehrheit des Reichstags die Inkraftsetzung genehm ist, wird derselben vor dem Neujahrstermin schwerlich erspart bleiben. Unserer Schätzung nach wird in dem für die Regierung günstigsten Fall die Sozialdemokratie für die Inkraftsetzung den Ausschlag geben." Damit wird, wie es scheint, ein deutsch-freisinniger Antrag im Reichstag angekündigt, die Ausführung des Gesetzes zu verschieben. Man darf interessanten Verhandlungen darüber entgegensehen. Nach den bestimmten Erklärungen der Regierung würde aber ein Aufschub auch dann schwerlich bewilligt werden, wenn sich eine Reichstagsmehrheit dafür aussprechen sollte.
Die von den Sozialdemokraten in Berlin und anderen Städten veranstalteten Versammlungen und Festlichkeiten zur Feier des am Dienstag Abend 12 Uhr erfolgten Erlöschens des Sozialistengesetzes sind, soweit bisher bekannt, im ganzen ruhig verlaufen. In einigen Berliner Vororten illuminierten die Sozialisten.
Wie einige Blätter berichten, will das Zentrum des Reichstages gleich nach Wiederbeginn der Session einen Antrag auf Aufhebung des Jesuitenge- sctzes und Zulassung der Jesuitten, Redemptoristen, Lazaristen, Väter vom Heiligen Geist und der Ordensfrauen vom Heiligen Geiste einbringen. Ein Petitionssturm soll eingeleitet werden. Ein Münchener Korrespondent der „Germania" sagt, daß man nicht ausgewiesene Sozialdemokraten zurückrufen, „den treuen Söhnen des Vaterlandes aber, weil sie den Priestcrrock tragen, die Heimkehr verweigern" könne.
. „Wir werden für jeden Sozialdemokraten mehr, der 'unter den Katholiken austaucht, diejenigen verantwortlich machen, welche die durch Lehre und Beispiel kräftigsten Helfer gegen die Sozialdemokratie von Deutschland fernhatten.
Die Ausgabe dreiprozentiger Staatspapiere im Deutschen Reiche, wie in Preußen ist entschieden. Die Offerte des Berliner Bankkonsortiums, 170 Millionen dreiprozentiger Reichsanlcihe und 65 Mill. dreiprozentiger preußischer Staatsanleihe zu übernehmen, ist vom Neichsschatzsekretär von Maltzahne
Gültz und dem Finanzminister Dr. Miquel acceptiert. Der Uebernahmekurs ist 86,40 Prozent, der Emissionskurs 87 Prozent. Man hat zu der dreiprozentigen Anleihe mit dem niedrigen Kurse in Folge des Kursfalles der 3Vzprozentigen Anleihe gegriffen, welche im Laufe eines Jahres um 6 Prozent zurückgegangen ist. Das das Geld theurer geworden, ergiebt sich auS diesen Verhältnissen auf das Klarste. Der Zinssatz von 3 Prozent ist für Deutschland bei so hoher Anleihe eine Neuheit, es wird aber angenommen, daß dar Publikum angesichts des Emissionskurses von 87 sich damit befreunden wird. Schweiz.
Der Schweizer Bundesrat hat offiziell erklärt, daß er die gesprengte Regierung im Tessin für die einzig gesetzmäßige halte und sie nach der Volksentscheidung am 5. Oktober, einerlei, wie diese ausfallen werde, wieder zum Amt zuzulassen gedenke.
In Bern- ist definitiv beschlossen worden, daß bis zu den Neuwahlen im Kanton Tessin der Bundeskommissar die Regierung in Händen behalten soll. Was nachher geschieht, hängt davon ab, wie die Wahlen verlaufen. Daß es bei denselben zu Krawallen kommt, ist in keiner Weise ausgeschlossen.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 1. Okt. Noch niemals empfing Wien einen fremden Potentaten so glanzvoll wie heute Kaiser Wilhelm. Kein Haus auf der langen Strecke von dem Nordbahnhof bis zum Schönbrunner Schloß blieb undekoriert. Eine großartige via triumplialm, welche schon gestern bis zu später Nachtstunde von Hunderttausenden besichtigt wurde, bot heute bei dem prächtigen Wetter einen herrlichen Anblick. Unzählige Inschriften, welche auf das Bündnis der beiden Reiche anspielen, grüßten den Monarchen. Sensation erregte ein Haus in der Ma- riahilferstraße, dessen Balkon in ein veritables Schiff umgewandelt war, das die Aufschrift trug: „Der Kurs bleibt der alte!" Die ganze Bevölkerung ist vom frühesten Morgen an auf den Beinen. Um 3/i9 Uhr traf der Hofzug auf der Nordbahn ein. Kaiser Franz Joseph und sämtliche hier weilenden Erzherzöge empfingen den Kaiser Wilhelm. Die Begrüßung war eine ungemein herzliche. Kaiser Wilhelm küßte wiederholt den Kaiser von Oesterreich, dann die Erzherzöge. Hierauf fand Vorstellung der Würdenträger und Abschreiten der Ehrenkompagnie unter den Klängen der preußischen Hymne statt. Die Fahrt beider Monarchen in offenem Wagen durch die menschenbesäten Straßen machte einen unauslöschlichen Eindruck. Vom Bahnhof bis in die Hofburg pflanzten sich brausende Hochrufe fort. Vor der Aspernbrücke begrüßten den Kaiser Wilhelm 30 Waldhornisten mit der Kaiser Wilhelm- Fanfare, wovon der Monarch sichtlich angenehm überrascht war. Kurz nach der Ankunft in der Hofburg besuchte der deutsche Kaiser das Grab des Kronprinzen Rudolf in der Kapuzinergruft und legte einen Kranz daselbst nieder. Die Abreise zu den Hofjagden in Steiermarck erfolgt um 3 Uhr nachmittags.
Wien, 1. Okt. Am Eingänge zur Kapuzinergruft wurde Kaiser Wilhelm von General Wedel mit einem Kranz ans Theerofen, Veilchen und Blattpflanzen, mit einer weißen Atlasschleife, welche das kaiserliche 'W und die Kaiserkrone trug, erwartet. Der Kaiser durchschritt die lange Reihe der Sarkophage, legte den Kranz am Sarge des Kronprinzen Rudolf nieder und verrichtete knieend ein Gebet. Beim Verlassen des Klosters reichte der Kaiser dem Guardian die Hand mit den Worten: „Dieses war ein sehr schwerer Gang." Darauf kehrte der Kaiser zur Hofburg zurück. Kurze Zeit später fuhr er nach Schönbrunn, wobei er von dem sehr zahlreich versammelten Publikum überall aufs begeistertste begrüßt wurde.
Wien, 29. Septbr. Die „Montagsrevue" erfährt, zwischen Deutschland und Oesterreich fänden unausgesetzte Erörterungen darüber statt, wie eine Besserung der wirtschaftlichen Beziehungen beider Staaten zu einander hergestellt werden könne.
Frankreich.
Paris, 29. Sept. Der Kaiser von Rußland hat das Schiedsrichteramt zwischen Frankreich und Holland in dem Streit um die Grenzen von Guyana endgültig angenommen.
Paris, 30. Sept. Nach Berichten aus Portugal wird dort die Lag^ immer kritischer. Die Hof-
kreisc sind ratlos. In denselben wird gegenwärtig ein Ansuchen an Spanien um militärische Invention behufs Aufrechthaltung der Monarchie und Dynastie erörtert. Italien.
Rom, 26. Sept. Fürst Bismarck machte den bereits abgeschlossenen Vertrag über Miete einer Villa in San Remo wieder rückgängig; der Fürst geht nicht nach Italien.
Rom, 30. Septbr. Die „Perseveranza" will wissen, bei den schlesischen Manövern hätten die Kaiser Wilhelm und Franz Joseph sich auch über Jrredenta besprochen und die Bestrebungen zur Los- lösung des Trentino und Triests von Oesterreich scharf verurteilt. Hievon sei dem König Humbert und Crispi Mitteilung gemacht worden.
Belgien.
Der Besuch des Königs der Belgier am Ber- ^ liner Hofe wird der Post zufolge mitte Oktober erwartet. Se. Majestät wird der Einweihung des Mausoleums in Potsdam beiwohnen, zu der auch ^ die Frau Großherzogin von Baden erwartet wird. ^ Holland.
Amsterdam, 29. Sept. Der Zustand des Kö- nigs hat sich verschlimmert: Prof. Rosenstein aus Leyden und der Hofarzt Vinkhuizen aus Haag sind nach Schloß Loo berufen.
Aus Haag wird gemeldet: Die Aerzte verlassen den königlichen Palast nicht mehr; jeden Augenblick wird das Schlimmste befürchtet.
England.
Die Londoner „Times" meldet aus Ranggon, daß durch den Einfluß des deutschen Konsuls in Bangkok ein deutscher Jngenier, der bei der Regierung von Siam angestellt ist, mit dem Bau einer Eisenbahn von Bangkok nach Kora beauftragt wurde.
Die Kosten betragen 1300000 Pfd. Sterling. Schienen und Maschinen werden aus Deutschland bezogen. Die beim Bau angestellten Ingenieure müssen alle Deutsche sein.
Amerika.
Der Postdampfer „Wieland" sollte nach einer Meldung des Reuter'schen Bureaus aus New-Iork gestrandet sein. Glücklicherweise bestätigt sich diese Sensations-Nachricht nicht. Der „Wieland" ist, wie uns die Direktion mitteilt, am Bonnerstag nach einer schnellen Reise von 9 Tagen 10 Stunden in New-Iork angekommen und hat seine 650 Passagiere im besten Wohlsein dort gelandet. _ ^
Handel ^ Berkehr.
Walddorf. Großer Vorrat von vorzüglichem Tafel- und Mostobst, Preis für letzteres 4 ^ 50 bis 5 !
Unterjettingen, 29. Sept. (Hopfen.) Sämtliche '
Produzenten, die absetzten, erlösten 200 per Ztr. Kauf- i geld cirka 30 per Ztr. . I
Hochdorf. Der Hopfenhandcl beginnt etwas lebhaft zu werden. Nürnberger Hopfenhändler boten einigen Produzenten für sehr schöne Ware 250 X per Zentner. Minder gute, kleinere Quantitäten fanden zu 180 und 200 pro Zentner ihre Käufer. — Schiet ingeu. Sehr schöne Hopfen hätten heute zu 200 und 215 pro Zentner abgesetzt werden können, aber die Produzenten vertrösten sich auf bessere Preise. — Haitcrbach. Schöne Ware galt 185 bis 200 .«i der Zentner. Trinkgeld ward ausgeschloffen.
Simmozheim, 27. Sept. O b st ist hier noch viel vorhanden. Für Aepfel bezahlt man gegenwärtig bis zu 5 ^ per Ztr., Birnen 50 o weniger, Zwetschgen sind bereits vergriffen zum Preise bis 5 X 80 4.
Stuttgart, 29. Sept. (Mehlbörse. Suppcngries 33.50-34, Mehl Nro. 0 34-34.50, Nro. 1 ^ 32
bis 32.50, Nro. 2 30.50-31, Nro. 3 4L 28.50—29.50,
Nro. 4 4L 25—25.50, Kleie mit Sack -6 9 per 100 Kilo ! je nach Qualität.
Stuttgart, 30. Sept. (Kartoffel-, Obst- und Krautmarkt.) Zufuhr 300 Ztr. Kartoffeln, Preis 2 4L 30 4 bis 2 4L 80 4 Per Ztr. Auf dem Wilhelmsplatz sind heute 2500 Ztr. Mostobst zugcführl. Preis 5 bis 6 4L per Ztr. 3060 Stück Fildcrkraut, Preis 12—14 per 100 St. i
Spalt, 26. Sept. (Hopfen.) Heute wurden in der ! Stadt 300 Mark, im Weingarten 270—280 Mark bezahlt.
Nürnberg, 3o. Sept. (Hopfenbericht.) Der Gc- sammtumsatz von gestern und heute betrug ca. 2200 Ballen.
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_ Hiezu das Uuterhaltungsblatt 40.
Verantwortlicher Redakteur Stciuwandel in Nagold. — Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung.