nieder stehen. Die Entwicklung der Technik habe' die Geschäftsverhältnisse ganz verschoben; während z. B. früher mit 3—400 st. einbeschcidenes Geschäft gegründet werden konnte, werden zu einem Fabriketablissement 3—400,000 .-/A erforderlich, wobei aber ein Geschäft statt in Monaten jetzt in so viel Tagen abgewickelt werde. Das Beispiel, daß ein Arbeiter mit 1100 ^ bei bescheidenstem Leben nicht einmal für seine eigene Person auszukommen vermag, verursachte viel Kopfschütteln. Das eherne Lohngesetz, die lange Arbeitszeit und die Akkordarbeit bedingten die gegenwärtigen ungünstigen Lohnverhältnisse. Zur Besserung solcher schlug nun Redner die Organisation und Vereinigung der Fachgewerbe vor, die besonders auch bei Prozessen dem Einzelnen Hilfe und Recht mit wenig Kosten schaffen werde. Als förderndes Mittel einer solchen Vereinigung möchte Redner besonders die Presse herangezogen wissen, zu welchem behufe er zum Abonnement der „Schwäb. Tagwacht" einladet, die besonders der Arbeiter Interesse vertrete. Nach der einstündigen, oft mit Beifall aufgenommenen Rede trennte sich die Versammlung m Ruhe und Ordnung. Vielleicht werden indessen die Arbeiter bei der höheren Lohnforderung auch den Arbeitgebern mit dem Rat zu Hilfe kommen, wie solche einen größeren schnelleren und besseren Absatz ihrer Waren finden und nicht dem Wehrwolf der Conkurrenz zum Opfer fallen.
6l. Wildberg, 2. Sept. Das Erinnerungsfest an die Schlacht bei Sedan wurde heute, wie üblich, auch zum 20sten Male hier gefeiert. Morgens 5 Uhr Tagwache und Böllerschießen. Kirchgang mit Anschluß desMilitär-und Veteranenvereins. Nachher Versammlung im Lokal, wo Herr Stadtpfarrer eine patriotische Rede abhielt und aufs Wohl des ganzen deutschen Vaterlandes toastierte. Abends nochmals Versamm- in der Traube.
K Haiterbach, 4. Sept. Eines eingetretenen Kasualfalles wegen fand hier die kirchliche Feier des Sevaustagcs diesmal schon letzten Sonntag statt. Ein Zug der oberen Klassen der Schüler auf den Marktplatz, woselbst von denselben „Großer Gott, wir loben dich rc." gesungen wurde, und von da ein Zug in die Kirche unter Anschluß des Kriegervereins, der bürgerlichen Kollegien und weiterer Teilnehmer aus der Bürgerschaft gab dieser Feier öffentlichen Ausdruck. Am 2. Sept. erinnerten in aller Frühe Böllerschüsse und die Trommelwirbel der Tagwache an den nationalen Gedenktag. Um 7 Uhr versammelten sich sämtliche Schüler in ihren Klassen, woselbst von den Lehrern Ansprachen über die Bedeutung des Tages gehalten und an die Schüler Sedansbretzcln verteilt wurden. Abends füllten sich auf Einladung des Kriegervereins die Räume des Gasthauses zur Linde zu einer geselligen Vereinigung, die sich ziemlich in die Länge zog und bei welcher patriotische Reden mit vaterländischen Gesängen abwechselten.
L. Sulz, 3. Sept. Wie in vielen Orten unseres großen deutschen Vaterlandes, so wurde auch in hiesiger Gemeinde der Tag von Sedan gestern besonders feierlich begangen, sind ja doch jetzt 20 Jahre vergangen seirffenem welthistorischen Ereignis. Um 4 Uhr abends fand eine Schulfeier statt, welcher auch viele hiesige Bürger anwohnten. Am Schlüsse derselben wurde» die Schüler mit Bretzeln beschenkt. Um 5 Uhr luden die Glocken zum Besuch des Gotteshauses ein. In feierlichem Zuge mit Fahneubegleitung bewegte sich der Vctcranen- und Müitärvercin nach den heiligen Hallen, um daselbst dem Danke gegen Gott, de» allmächtigen Schlachtcnlcnkec, Ausdruck zu geben. An die kirchliche Feier schloß sich ein sehr zahlreich besuchies Bankett im Gasthaus zum Hirsch an, wobei Reden, Deklamationen und Vorträge des Kriegergesangvereins in gemütlicher Weise mit einander abwechselten, so daß der Abend in schönster Harmonie verlief. Möge es uns und dem ganzen deutschen Volke vergönnt sein, diesen deutschen Nationalfesttag noch in fernen Zeilen je in gutem Frieden als ein einig' Volk von Brüdern feiern zu dürfen.
Auszug aus der Ge sch w o rc uc n li ste. Zu'^c- schworcu u des 111. Quartals 18W für das Landgericht Tübingen wurden ». a. gezogen: Fr. Lothar Bollsteitcr. Lbcrstli.iitciiaiit z. D. in Calw; alt Jak. Fleischte, VW- inciiidcrat in Lberjettingei,; L. Geiger, Siadlpfl ger in Wildberg: F. Ha n s c lm a n », Mabr in Wildbad ; Fr. Holder, Mühlcbesiher in Jsclshauscu; G. Knödel, Kaufmann in Nagold: Andreas Nomeksch, Gcmcinderat in Licbtlsberg; Joh. Schill, Mühlcbesiyer in Altcivtcig; Fr.
Schwitzgäbele, Bäcker in Wildbad: Chr. Wildbrett, Buchdrucker in Wildbad.
Aus Stuttgart. 4. Sept., wird geschrieben: Trotz gegenteiligen Zeitungsmeldungen kann jetzt auf das Bestimmteste versichert werden, daß das Abschiedsgesuch des kommandierenden Generals v. Al- vensleben genehmigt ist, und daß derselbe bis Anfang Oktober die Wohnung im Gebäude des Generalkommandos räumen wird. Von einer Wiederanstellung des Generals in Preußen scheint, wenigstens für die nächste Zeit, abgesehen zu werden, denn Herr v. Alvensleben unternimmt mit seiner jungen Frau eine längere Reise nach dem Süden.
Stuttgart, 4. Sept. Der vormalige Hauptmann Miller erzählt u. A. in seiner zweiten Broschüre: „Ich habe oft Offiziere sagen hören, beim Militär könne man leicht jeden Soldaten in das Festungsgefängnis bringen. Ich habe auch Offiziere sagen hören: „Ich werde mein Möglichstes thun, diesen „Kerl" unter die Gallioten zu stecken." Der „Kerl" hatte sich nämlich wegen Mißhandlungen beschwert. Ein Kompagnie-Chef versicherte mir einmal, in seiner Kompagnie kämen keine Beschwerden vor, dafür sorge der Feldwebel. Als Fähnrich war ich Zeuge, wie solch ein Feldwebel eine Beschwerde erledigte. Ein Mann, der von seinem Offizier ins Gesicht geschlagen worden war, ging zum Feldwebel und meldete die Beschwerde an. Kaum war ihm das Wort entfahren, packte ihn der Feldwebel und prügelte ihn mit der Knopfpeitsche regelrecht durch. Hierauf versammelte der Gewaltige die Kompagnie, sprach den Vorfall gründlich durch, am Schlüsse hinzufügend, daß er den würt- tembergischen Humanitätsschwindel nun endgilttg satt habe und künftig, wie er eben gezeigt, nach preußischem Muster Verfahren werde. Viele Offiziere versicherten mir auch, daß sie gar nie über das Beschwerdewesen instruierten, der „Kerl" brauche gar nicht zu wissen, daß er überhaupt das Recht habe, sich zu beschweren. Andere meinten wieder, sie instruierten zwar, um gegebenen Falls sagen zu können, sie hätten instruiert, sie fügten aber ihrer Instruktion immer bei, daß nur ein ehrloser Lump sich überhaupt beschwere.
München, 4. Sept. Die Leiche des Staatsministers Frhr. v. Lutz wird morgen vormittag hie- her gelangen. Wie die „N. N." hören, hat der Verstorbene sich jede Grabrede verbeten.
Dem verstorbenen ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Frhr. von Lutz werden in der gesamm- ten deutschen Presse ehrenvolle Nachrufe gewidmet. Die hohen Fähigkeiten des Verstorbene», der sich, als Sohn eines armen Volksschullehrers, vom unbemittelten Juristen bis zum leitenden Minister des zweiten deutschen Bundesstaates emporgeschwnngen hatte, werden allgemein anerkannt. In der Thrt hat der Verstorbene unendlich viel zum ruhigen inneren Ausbau des deutschen Reiches beigetragen.
München, 4. Sept. Das Hochwasser verhindert den Dampfverkehr auf dem Ammersee. — Infolge einer Dammrutschung entgleiste gestern nachmittag auf der bayerischen Waldbahn ein Lokalzug, wobei 5 Personen verletzt wurden. Zwischen Straubing und Radldors fand ebenfalls eine Dammab- rutschung statt.
Vor der Abreise aus Kissingcn empfing Fürst Bismarck eine Deputation des dortigen Krieger- vercins, wobei er viel von Sedan und den Anstrengungen erzählte, denen er ansgesetzt gewesen. Ec habe durch Zufall damals durch 40 Stunden nichts genossen, so daß ihm abends, (Ls er mtt dem König die Truppen begrüßen mußte, ei» Reitknecht des Königs ein Stück Brot und eine Flasche Moselwein gab. Bismarck erzählte auch, welchen Eindruck es auf ihn gemacht, als er bei einbrechender Dunkelheit mit dem König reitend, einen angenehmen Bratengeruch in die Nase bekommen habe, so daß ihm bei seinem großen Hunger der Muud wässerig geworden sei. Ais er aber dein Geruch näher gekommen, waren es geschmorte Leichen in der Nähe von Bazeillcs,
der Hunger sei ihm sofort vergangen. Dann ^kam Bismarck auf die gegenwärtige Kriegführung zu sprechen, die durch neue Erfindungen immer mörderischer werde. Wenn man jetzt wieder Krieg führe und auch noch so viel Enschädigung bekomme, das Elend und die Kosten, die der Krieg verursache, könne man doch nicht bezahlen. Zum Glück sei die Kriegführung gegenwärtig so kostspielig, daß es sich jeder wohl überlege, ob er anfangen könne.
Der deutsche Buchdruckerverein (Prinzipalverband) hat sich, wie aus Leipzig berichtet wird, an die Gehilfenschaft mit Vorschlägen gewandt, welche die Einführung eines für ganz Deutschland gütigen Lohu- tarifs, sowie außerdem auch eine feste Organisation der Prinzipale, wie auch der Gehilfen bezwecken. Man hofft, daß eine Einigung erzielt werden wird.
Den maßgebenden Persönlichkeiten in Berlin scheint daran zu liegen, den neuen Reichskanzler v. Caprivi dem Fürsten Bismarck gegenüber in der Beurteilung des Volkes etwas mehr herauszuheben als bisher geschehen ist. Der freikonservativen „Post" ist deshalb, wie sie sagt, „von einem Parteigenossen in der Provinz ein Privatbries zur Einsicht mitge- teilt worden, der interessante Andeuiungen über den jetzigen Geschäftsgang an oberster Regierungsstelle giebt." Der Brief mag hier folgen: Nach dem Rücktritt des Reichskanzlers, so heißt es in dem Brief, mußte es ein Bedenken aller uut den Geschäften Vertrauter sein, daß sich in der Leitung der Auswärtigen Angelegenheiten der Mangel der Suc- cession, das heißt des Uebertragcns Mplvmatischer Traditionen fühlbar machen möchte. Unter dem ^ Fürsten von Bismarck ward die auswärtige Politik allein von ihm und seinem Sohn, Grafen Herbert, gemacht; nur sie beide und vielleicht noch dieser! oder jener Vortragende Rat waren in die Geheim- ^ nisse derselben eingeweiht. Nach dem Rücktritt beider schien die Leitung wie zwischen zerrissenen ^ Telegraphendrähten unterbrochen. Der Reichskanzler General v. Caprivi kam neu in die Geschäfte, ebenso der Staatssekretär des Auswärtigen, Freiherr Malschall von Biberstein, der von Hause aus Jurist ist und, so sehr er sich auch als badischer Bundesbe- , vollmächtigtcr bewährt hatte, doch bis dahin den j eigentlichen diplomaüschen Geschäften fern geblieben war. Und das auswärtige Amt hat sozusagen sein Zunftwissen wie kein anderes Ministerium. Als Herr v. Caprivi und Frhr. v. Marschall in die Regierung eintraten, fanden sie im Auswärtigen Amt allerdings einen Stamm von bewährten vonragenSen Räten, welche die Tradition, d. h. das innigste Ver- trautscin mit Inhalt und Form der Geschiffte fvrt- zuführen imstande waren. Mir Riesen Herren wurde die Arbeit auch mutig in Angriff genommen, und l man muß sagen, cs geht vortrefflich. Das macht,! daß der Reichskanzler große Arbeitskraft entfaltet > und daß mit der Kenntnis seines alleronigs weiten Ressorts sein Interesse an den Geschäften immer! wächst. Mit militärischem Scharfblick ist er imstande, die Situation im Moment zu überblicken, im Moment das Wesentliche zu erfassen und mit scharfer Urteilskraft die entsprechende Entscheidung zu geben. Wäh- ^ rcnd früher die meiste Berichterstattung schriftlich ! geschah, hat er für viele Dinge den kürzeren Weg j des mündlichen Vortrages eingeführt und ist in ste- j icm Verkehr mit den Vortragenden Räten, um sich ^ üb-'r den Gang der Dinge auf dem Laufenden zu erhalten, vielfach aber auch pro iukormatiouo über, Gebiete, die ihm bisher fremd waren. Die Auswär- ; tigen Angelegenheiten werden auch jetzt, wie früher, ! nicht durch den Geh. Kabinetsrat, fondern durch - den Staatssekretär deS Auswärtigen dem Kaiser vor- ^ getragen. In vielen Dingen ist das aber gar nicht: erst nötig, denn als Dritter mit dem Reichskanzler und dem Staatssekretär des Auswärtigen arbeitet der Kaiser selbst. Von Zivilsachen interessieren ihn die Auswärtigen Angelegenheiten wohl am meisten und für nicht wenige kommt die Initiative von ihm. Der Kaiser wird wie der große König seinen, Hertzberg haben, er wird seinen Dohm haben, damals den größten Kenner der deutschen Neichs-Fundamen- tal-Gesetzc, aber in vielen Dingen wird er seine Regierung persönlich führen, allerdings unter Assistenz des Reichskanzlers, künftig noch mehr als jetzt. Wenn der Wert eines Mannes die selbstlose Hingabe an die Sache ist, der er die Kraft seines Lebens geliehen hat, so besitzt General v. Caprivi diese im höchsten Grad. Seine Persönlichkeit geht >m Dienst seines kaiserlichen Herrn auf. Er kennt weder Erholung noch Vergnügen und achtet selbst körperliche Beschwerden nicht. Für Ehren und Würden scheint ec gleichgütig, aller seiner hohen Ausgabe lebt er nach und giebt das Beispiel, daß höchste militärische Würde und Fähigkeit sich auch in den liebenswürdigsten und menschenfreundlichsten Formen ausdrückeu kann. Ans all' dem hier Gesagten geht eben doch wieder das eine hervor, daß