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werden die feinsten Schmucksachen, Tiere, Blumen, Bouquets u. dgl., sowie physikalische Instrumente aus einfachen Glasröhren ohne Verwendung einer Form angefertigt; ferner werden von einem beliebigen Stück Fensterglas in einer Minute Tausende von Metern Fädchen gesponnen, welche der Seide täuschend ähnlich und fünfmal feiner als ein menschliches Haar sind. Diese Fädchen werden seit neuerer Zeit zum Filtrieren von Säuren und als Charpie von den Aerzten verwendet. Den ganzen Sonntag war die Ausstellung stark besucht.
Heilbronn, 14. Nov. Ein schändlicher Anschlag ist durch die Wachsamkeit eines Bahnwärters vereitelt worden. Gestern früh entdeckte letzterer bei seinem ersten Postengang auf dem Geleise in der Richtung nach Großgartach zwei große Baumpfähle quer über die Schienen gelegt und davor zwei gewaltige Steine im Geleise selbst. Außerdem fand er etwa 200 Schritte weiter gegen Großgartach hin einen Hektometer-Pflock im Geleise, der gewaltsam von seinem Orte entfernt worden war. Das Unglück, das den um 6 Uhr 25 Min. morgens hier von Eppingen ankommenden Personenzug betroffen hätte, wenn nicht das Bubenstück rechtzeitig entdeckt worden wäre, läßt sich nicht absehen. Leider fehlt bis jetzt jeder Anhalt zur Entdeckung der Thäter. ^
Ebingen, 14. Nov. Zu einem hiesigen Wundarzt kam letzter Tage ein junger Mann vom benachbarten Pfeffingen, der nach seiner Angabe seit einiger Zeit an ihm unerklärlichem Kopfweh litt. Der Arzt besah sich den Kopf und fand alsbald eine oberflächlich vernarbte Wunde, unter welcher er nach näherer Untersuchung zum Staunen des Burschen eine ca, 2^ Zoll lange Messerklinge hervorzog, die dieser seit 16 Wochen unbewußt auf seinem jugendlichen Haupt mit herumgetragen. Es stellte sich nämlich heraus, daß er am 7. Juli auf einem Jahrmarkt in der Nachbarschaft in Händel verwickelt worden war und hiebei einen Messerstich auf den Kopf erhalten halte, wobei die Klinge abgebrochen sein muß. Der Messerheld beeilte sich begreiflicherweise nicht, die Sache aufzuklären und der Verletzte, welcher nur einen Schlag erhalten zu haben wähnte, der ihn nicht länger als ein paar Tage schmerzte, ließ es ebenfalls bewenden, bis später das Kopfleiden sich einstellte, ihn zum Arzt und diesen zu der seltenen Entdeckung führte.
Frankfurt a. M., 14 Nov. Der der sozialistischen Partei ange- hörige, im Hause Nr. 4 (vierter Stock) der Querstraße wohnende Schneider Schäfer, welcher sich auch unter den bei der Aufhebung der sozialistischen Versammlung Verhafteten befunden hatte, später aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden war, sollte heute nachmittag gegen 2 Uhr zwecks wiederholter Vernehmung vorgeladen werden. Als der mit der Vorladung Schäfers beauftragte Schutzmann ins Zimmer trat, sprang Schäfer aus dem Fenster des Zimmers vom vierten Stockwerk herab und versuchte im Sprung den Ast eines dem Hause nahestehenden Baumes zu ergreifen. Der Ast schnellte den Mann mit solcher Wucht zurück, daß er sich nicht zu halten vermochte und in weitem Bogen auf das Pflaster geschleudert wurde. Er blieb auf der Stelle tot.
Straßburg, 15. Nov. Die Str. P. schreibt: Vor etwa 2^2 Monaten kam ein anscheinend den besseren Ständen angehöriger Mann abends spät hier an, nahm sich eine Droschke und ließ sich zu einem hiesigen bessern Gasthause fahren. Der Mann trug sehr gute Kleider und hatte einen Reisekoffer bei sich. Er ließ sich ein Zimmer geben und begab sich zur Ruhe. Am andern Tage wartete man vergebens in dem Gasthause auf den in der Nacht angekommenen Gast; man sah endlich im Zimmer nach, fand Mantel und Reis.koffer, aber nicht mehr den Reisenden vor. Der Reisende kam auch im Laufe des Tages nicht wieder, sodaß der Gasthausbesitzer sich genötigt sah, die Polizei von dem rätselhaften Verschwinden des Reisenden in Kenntnis zu setzen. Ein Anhaltspunkt über die Persönlichkeit des Reisenden fand sich in rcn zurückgelaffenen Sachen nicht vor, von einem Zechschwindel konnte, da dis zurückgelaffenen Gegenstände mehr wie das Vier-
noch zurückhalten, Julius", sagte sie ernst. „Wird man nicht immer mit Recht sagen können, daß ich frühere Verhältnisse ausbeutete, um, selbst arm und verlassen, einen wohlhabenden Mann zu gewinnen und dadurch die Hoffnungen Anderer, auch der Tante zu zerstören d"
Der Doktor lachte.
' „Nicht solche unnötige und ganz zwecklose Grübeleien, mein Mädchen!" versetzte er. „Ich habe Dir schon einmal gesagt: man kann auch den Stolz übertreiben. Du kamst hierher und ich wählte aus den Töchtern des Landes gerade Dich, wie ich unbekümmert Jede, die mir gefällt, wählen würde, oh sie die Tochter eines Barons oder eines Handwerkers wäre. Und endlich — laß doch in Gottes Namen die Leute sagen was sie wollen; es ist mir auf Erden nichts so gleichgültig als das."
Seine Küsse erstickten die Worte auf ihren Lippen.
„Morgen wirst Du mich während des ganzen Tages nicht sehen", setzte er, uni den Gegenstand des Gespäches zu wechseln, hinzu. „Ich habe in K. eine ärztliche Konferenz, welche jedenfalls mehrere Stunden in Anspruch nimmt. Hier nmß mich ein anderer vertreten — Du siehst nach meinen kostbaren Instrumenten, Schatz, nicht wahr?"
„Natürlich", versetzte sie zerstreut. „Aber — ist die weite Reifs unerläßlich?"
Sie dachte immer noch an das Eisenbahnunglück von damals, sie sah die rauchenden Trümmer und die Reihen der Toten — ihre Seele zitterte heimlich, um so mehr wohl, als von dieser Schreckenstunde hier im Hause nie die Rede war; sie hatte sich instinktmäßig gehütet, die Kenntnis jener Katastrophe überhaupt zu verraten.
Julius lachte.
„Die weite Reise, Liebchen? Drei Stunden per Bahn im bequemen Coupd, die Zeitung in der Hand und vor sich die wechselnde Scenerie des Weges — das wird ja zu ertragen sein, denke ich. Schlimmer ist es schon, daß es sich um ein ganz junges Mädchen handelt!" setzte er im neckenden Ton hinzu.
„Ach — und woran leidet sie?"
„Eine arme Blinde", sagte er ernst. „Meine Herren College» haben ihr alle
fache des Nachtgeldes und des Verzehrs — etwa 3 -- an Wert be
saßen, der Unbekannte auch beim Bezahlen des Droschkenkutschers Geld ge- zeigt hatte, keine Rede sein. Die Polizei hat nun zwar nach allen Richtungen hin über die Person und das etwaige absichtliche oder unabsichtliche Verschwinden des Mannes Nachforschungen angestellt, diese sind aber ohne Ergebnis geblieben, denn der Reisende ist und bleibt verschwunden.
Nizza, 14. Nov. Der „Eclaireur du Litoral" meldet die Ankunft Ihrer Majestäten des Königs und der Königin von Württemberg, die gestern nachmittag 5 Uhr erfolgte. Nach diesem Blatt mußte der Königliche Extrazug in Luino am Donnerstag wieder umkehren, weil dort die Nachricht eintraf, daß die Bahn zwischen Massiv und Nizza unterbrochen sei. Nach 5stündigem Warten im Bahnhof von Luino wurde die Route Chiaffo-Como-Mailand eingeschlagen, von da ging es über Turin und durch den Montcenis nach Lyon. An der französischen Grenze in Modane war der Spezialkommiffar Colonna d'Jstria nicht benachrichtigt worden und hatte keinen Befehl erhalten, Ihre Majestäten zu empfangen. Dessen ungeachtet stellte er sich Höchstdenselben zur Verfügung. Ein Inspektor der Bahngesellschaft bestieg den Zug und brachte ihn nach Marseille. Der König glaubte zuerst über Grenoble, Aix und Carnoules fahren zu können, was eine bedeutende Abkürzung gewesen wäre, allein die jüngsten Ueber- schwemmungen und Bahnzerstörungen machten diese Linie unpassierbar.
WsäärnischLes.
— Auch ein Kleptomane. Eine recht heitere Episode spielte sich dieser Tage im Allgemeinen Wiener Krankenhause ab. Gegen 10 Uhr vormittags, so erzählt das „W. Jll. Extrabl.". schritt ein kleiner, ziemlich abgerissen gekleideter Mann mit einem großen Höcker durch das Einfahrtthor des Riesenhauses und irrte dann ziemlich lange ratlos in den zahlreichen Höfen umher, getraute sich aber Niemanden anzusprechen. Ueber eine halbe Stunde war er so von Hof zu Hof gepilgert, endlich blieb er vor der Aufnahmskanzlei stehen, und zufälligerweise trat in diesem Momente ein Sekundärarzt zur Thüre heraus und erblickte den ratlos dreinschauenden Buckeligen. „Was wünschen Sie?" fragte er. — „I bitt' schön, san Sö a Doktor?"
— „Jawohl", erwiderte lächelnd der Arzt. — „Na, da bitt' i um a ärztlich's Zeugnis." - Zu welchem Zwecks brauchen Sie das?" — „Na, für's G'richt."
— „Da müssen Sie sich an den Polizeigerichtsarzt wenden." — Der Buckelige kraute sich verlegen hinter den Ohren. „Ja, das wär' recht schön, aber das is mir z' g'fährlich!" — „Wieso?" fragte erstaunt der Arzt. — „Hm, hm
— das is halt a so. Wissens, i muaß mit Jhna glei offen reden, weil Sö a Doktor san; i Hab' nämlich mein' Hausherrn was g'stohl'n — und weil i schon — öfter was g'stohl'n Hab', würv'ns mi dösmal urndtli einnah'n. Da hat mir der Zimmerherr vom zweiten Stock, der was auch a Doktor wird, g'sagt, i leid' an einer Krankheit, wo i stehl'n muaß, und i brauch' mir nur a Zeugnis vom Spital oder an Doktor geben z' lassen, daß i an derer Krankheit leid', dann können's mir beim G'richt nix thun." Damit überreichte er dem Arzt einen Zettel, auf welchem kalligraphisch schön das inhaltsschwere Wort: „Kleptomanie" geschrieben stand. Der Arzt lachte laut auf. „Ja, mein Lieber, das können wir Ihnen nicht bestätigen." — „Na, warum denn net? I laß mi untersuchen, dann müaffen's es ja seh'n." — „Diese Krankheit ist so schwierig zu erkennen", sagte der junge Arzt humoristisch, „daß absolut ein Polizeikommiffar dabei sein muß, wenn man den Patienten untersucht. Es wird Ihnen also nichts helfen, wenn Sie den Polizeiarzt umgehen wollen — von der Kleptomanie wird man heut zu Tage beinahe immer nur in wohlversperrten Zellen geheilt." Der alte Spitzbube blieb nach dieser Eröffnung einige Sekunden lang ganz perplex stehen, dann steckte er den Zettel mit seiner rettenden Krankheit wieder ein und verschwand recht betrübt aus dem Hause.
Hoffnung abgesprochen und wollen nun, bevor entscheidende Schritte geschehen, erst hören, was ich dazu sage. Du siehst also, Liebe, daß ich mich dieser Pflicht auf keinen Fall entziehen kann."
Ihr Blick voll stolzer Freude suchte den seinen.
„Wie Dich die Herzen der Unglücklichen segnen mögen", flüsterte sie fast andächtig. „Welche schöne, heilige Mission Dir zu Teil wurde! — Geh' und Gottes Gnade schenke Dir für die Arme das beste, vollste Gelingen!"
Er schloß sie fest an seine Brust.
„Nur ein glücklicher, zufriedener Mensch kann seinen Wirkungskreis so recht vollständig ausfüllen", versetzte er. „Möchtest Dü also nicht zögern, mir an Deiner Seite eins wie das andere, Glück und Gelingen, zu sichern?"
Sie schloß die Augen.
„Ich bin Dein, Julius — mache mit meinem Dasein, meiner Seele, was Tu willst, — es gehört Alles nur Dir."
Und so trennte er sich von ihr, um auf dem Standesamt die Dokumente des Toten zu präsentieren.
Es wurde Alles in bester Ordnung gefunden und das Aufgebot verfügt.
Am folgenden Morgen reiste Julius nach K.
Der Brief seines Kollegen hatte gesagt, daß die Kranke im städtischen Hospital liege, er begab sich also dorthin und wurde von dem dienstthuenden Assistenzarzt an das Bett eines jungen Mädchens geführt, wo schon die beiden Oberärzte der Anstalt, telegraphisch benachrichtigt, seiner warteten. In diesem Hause hatte Julius vor seinem Eramen und ehe er sich besonders der Augenheilkunde widmete, mehrere Jahre als Unterarzt fungiert, er begrüßte daher alte Bekannte und wurde freundlich empfangen.
So näherte sich allmählich der Hochzeitstag. Julius korrespondierte unausgesetzt mit den Aerzten des Hospitals von K. und erhielt Nachrichten von stetig fortschreitender Besserung seiner Patientin.
(Fortsetzung folgt.)