ordnungsnovelle legte die Kammer neben der ein­gehenden, gedruckt vorliegenden Begutachtung das Schwergewicht auf die Sammlung thatsächlichen Ma­terials, da jede einzelne Industrie, und bezüglich der Tonntagsruhe fast jede einzelne Gemeinde eigenartige Wünsche vorzubringen hat. Es konnten denn auch die Aeußerungen von nahezu 100 Firmen höheren Orts zur Kenntnis gebracht werden. Von den in der Sitzung beschlossenen Anträgen zu dem Ent­würfe der Reichstagskommission sind hervorzuheben: 1) In Betreff der Sonntagsruhe wird folgende Ab- Linderung beantragt: ». gleichmäßige Behandlung aller Handelsgewerbe, auch derjenigen, die lediglich mit Familienangehörigen betrieben werden, b. Zu­lassung der Oeffnung der Verkaufsstellen für nur 3 (statt 5) von der Lokalbehörde zu bestimmenden Stunden des Sonntags, o. Schluß spätestens 3 Uhr nachmittags. 2) Die Nachtarbeit im Sinne der Ueberzeitarbeit soll länger als nur 1 Stunde und zwar für 60 (statt nur 40) Tage gestattet werden. 3) Eine Unterscheidung in der Arbeitszeit der ver­heirateten und unverheirateten Frauen einzuführen, ist unmöglich, und würde nur die elfteren in ihrem Erwerb schmälern. 4) Bezüglich der l'/sstündigen Mittagspause sind die Vorschläge der Reichstags­kommission zu allgemein; von einer weiteren halb­stündigen Pause haben die wenigsten Arbeiterinnen Vorteile für ihren Haushalt, die Mehrzahl dagegen büßt, namentlich wenn sie in Akkordarbeit steht, zwecklos an ihrem Lohneinkommen ein. 5) In Be­treff der Beschäftigung der Lehrlinge soll Entlassung aus der Schule der Zurücklegung des 14. Lebens­jahres gleichgestellt werden. Außer zu den mate­riellen Bestimmungen wurden weiter auch bezüglich der weitgehenden polizeilichen Kontrolle und will­kürlichen Dispensationen Aenderungen beantragt. Die anderen Gegenstände der Tagesordnung betra­fen die Vorbereitung einer Enquete über die Er­neuerung der 1891 ablaufenden Handelsverträge, welche eine längere Besprechung hervorrief, und die Beteiligung an dem Hamburger Gewerbekammertag, von welcher diesmal ausnahmsweise abgesehen wurde.

Ulm, 23. Aug. Der Schaden, welchen das Hagelwetter am 16. Juli in den Gemeinden Göt- tingenj Langenau, Neenstetten, Niederstotzingen, Ober­stotzingen, Oellingen und Weidenstetten angerichtet hat, wird amtlich auf 270,000 ^ geschätzt.

Eine Prüfung im Hufbeschlag findet für Schmiede, welche die in Art. 1 des Gesetzes betr. das Hufbeschlaggewerbe vom 25. April 1885 ver­langte Befähigung Nachweisen »ollen, vom 2. bis 4. Oktober an der königl. tierärztlichen Hochschule in Stuttgart statt.

Bei der Absetzung des irrsinnigen KönigsLud- wig II. von Bayern hat Fürst Bismarck, damals noch Reichskanzler, eine eigentümlich, bisher noch unbekannt gebliebene Probe auf den Geisteszustand des Königs zu machen versucht. Fürst Bismarck hat jetzt darüber dem Redakteur Memminger, wie dieser in seiner Zeitung berichtet, folgendes erzählt: Als im Unglücksmonat 1886 die Katastrophe her­annahte, wurde ich durch den Flügeladjutanten Gra­fen Dürckheim mittelst eines in Tirol aufgegebenen Telegramms von dem Stande der Angelegenheit unterrichtet und so zu sagen meine Hilfe für den König angerufen. Ich telegraphierte an den Grafen von Tirol:Seine Majestät soll sofort nach Mün­chen fahren, sich seinem Volke zeigen und selbst sein Interesse vor dem versammelten Landtage ver­treten."Ich rechnete so: Entweder ist der König gesund, dann befolgt er meinen Rat. Oder er ist wirklich verrückt, dann wird er seine Scheu vor der Oeffentlichkeit nicht ablegen. Der König ging nicht nach München, er kam zu keinem Entschluß, er hatte die geistige Kraft nicht mehr und ließ das Verhäng­nis über sich Hereinbrechen."

Ueber den Empfang der Heilbronner bei Fürst Bismarck in Kissingen. Präzis ^-2 Uhr wurde die 5060 Personen zählende Versamm­lung unter Vorantritt des Fabrikanten Amann, des Bankdirektors Schmidt und des Kaufmanns Gustav Fuchs in den großen mit alten Oelgemälden ge­schmückten Saal geführt, wo Fürst Bismarck aufrecht stehend mit freundlichem Lächeln seine Gäste empfing. Bankdirektor Schmidt dankte dem Fürsten im Namen der Anwesenden für die hohe Ehre des ^Empfangs und gedachte in einer kurzen trefflichen Ansprache der unvergleichlichen Verdienste desselben um das

deutsche Vaterland. Fürst Bismarck, dessen hochra­gende Gestalt und Helles Auge für sein Wohlergehen Zeugnis ablegten, dankte dem Redner für die aus­gesprochenen Gefühle und^ermahnte alle Anwesenden, die Liebe zu dem großen geeinigten Vaterlande im­mer hochzuhalten. Er zweifle nicht, daß das große Werk der Einigung, das mit so vielem Blut auch von Württenbergern errungen worden sei, nicht wie­der zusammenbrechen werde. Dann lud er mit ge­winnender Freundlichkeit zu einem Glas bayrisch Bier ein und schritt auf ein Sopha zu, um sich dort niederzulassen. Dabei bemerkte der Fürst, daß auch eine Dame, die Gattin des Herrn Mosbrucker von Heilbronn, sich unter den Gästen befand, er ging auf dieselbe zu, drückte ihr seine Freude aus, sie zu sehen, wies ihr einen Platz in seiner Nähe und überreichte ihr eine Marschall-Niel-Rose, die er bis dahin im Knopfloch seines Rockes getragen. Es ent­spann sich nun eine lebhafte Unterhaltung, die ver­schiedene Gebiete streifte und äußerst interessant war. Prof. Dr. Egelhaaf, welcher den Heilbronnern, sei­nen alten Landsleuten, sich angeschlossen hatte, brachte nach schwungvoller Rede auf den Fürsten ein don­nerndes Hoch auf denselben aus, und schließlich ge­dachte Herr Gustav Fuchs der treuen Lebensgefähr­tin des Fürsten. Zu rasch waren die Minuten ver­flossen. Beim Abschied gab der Fürst allen seinen Gästen die Hand, die in gehobenster Stimmung die Rückreise antraten. Der Gedanke, den Fürsten Bismarck seitens der deutschen Partei in Heilbronn um einen Empfang zu bitten, der manchen etwas kühn gedäucht hatte, war so schön zur Ausführung gekommen und keiner, der mit dabei war, wird den Tag je in seinem Leben vergessen; der Fürst war von einer überwältigenden Freundlichkeit und Lie­benswürdigkeit und wohl kein Auge blieb trocken, als derselbe erklärte: sein einziger Ehrgeiz sei noch, eine gute Grabschrift zu erhalten;aber noch lange nicht", wurde ihm von allen Seiten zugerufen. .Das steht bei Gott", erwiderte er.

Nürnberg, 24. Aug. Aus dem Ludwigskanal wurden dieser Tage die Leichen zweier Mädchen ge­zogen. Bei jeder fand sich ein an den betr. Vater gerichteter Abschiedsbrief vor, aus dem hervorgeht, daß die Mädchen des Lebens überdrüssig waren. Den Tod hatten sie gemeinschaftlich gesucht; beim Länden der Leichen hielten sie sich noch eng um­schlungen. Beide waren ihrem Berufe nach Arbeits­mädchen, das eine 15, das andere 18 Jahre alt.

Reichenhall, 23. Aug. Gestern tobte hier ein furchtbares Unwetter. Das Hotel zur schönen Aus­sicht wurde durch einen Blitzschlag getroffen und ist vollständigZniedergebrannt.

Hamburg, 24. Aug. Rußland richtet hier ein großes Exportmusterlager ein.

Feldmarschall Graf Moltke feiert am 26. Okt. d. I. seinen 90. Geburtstag. Vom Kaiser hat der greise Stratege eine besondere Einladung zu de» Manövern nach Kiel erhalten. Eine Zuschrift in derKreuz-Ztg." regt an, es möchten Veranstaltun­gen getroffen werden, daß dieser Tag in den weite­sten Kreisen des deutschen Volkes gefeiert werden könne. Der Gedanke sei schon unter Mitgliedern des Reichstags erörtert worden, und ohne Zweifel werde das Präsidium des Reichstags und vor allem die konservative Partei, deren Mitglied Graf Moltke ist, bald dieser Frage näher treten.

Finanzminister Dr. Miquel hat seine Steuer- rcformentwürfe in der Hauptsache fertig gestellt und wird sich nach der anstrengenden Arbeit der letzten Monate nun auch eine Erholungsreise gönneu. Un­ter den Reformvorlagen befindet sich auch eine solche über die Reform der Erbschaftssteuer.

An die Arbeiter Deuschlands! In einer Auflage von einer halben Million wird am 1. Okt. eine Broschüre erscheinen unter dem Titel:An die Arbeiter Deutschlands!", welche die gesamten Fragen der Sozialreform in kurzer, gemeinverständlicher Form und zwar im Sinne der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar d. I. behandeln soll. Wie man von gutunterrichtcter Seite mitteilt, hat .der Inhalt dieser Brochüre dem Kaiser Vorgelegen und auch die Druckkosten werden zum Theil aus staatlichen Mitteln bestritten. Der Preis der Brochüre ist auf 10 Pfennig berechnet und die Verkäufer derselben sollen am 1. Oktober vor allen Fabriken der bedeu­tenderen Jndustrieplätzen Deutschlands Aufstellung nehmen.

Die in Fulda versammelt gewesenen preußischen Bischöfe sollen auch bezüglich der noch schweben­den Sperrgeldervorlage zu einem Einvernehmen ge­langt sein. Sie befürworten die Auszahlung der Hälfte des Sperrgelderfonds in baar an die ein­zelnen Bisthümer, während von dem Rest des Kapitals jährlich nur ^die Zinsen gezahlt werden sollen!

Eine große sozialdemokratische Einholungsfeier wird in Berlin geplant. Man rechnet auf die Rückkehr von etwa 60 ans Berlin ausgewiesenen Sozialdemokraten nach dem Ablauf des Sozialisten­gesetzes am 1. Oktober und will diese Zurückkehren­den festlich empfangen.

Schweiz.

Obsternteaussichten in der Schweiz. Es dürfte nicht uninteressant sein, einiges über die Ernte- anssichten der hauptsächlich in Betracht kommenden Kantone zu erfahren. Die einen ausgedehnten Obst­bau treibenden Kantone sind: Thurgau, Zürich, Lu­zern, St. Gallen, Aargau, Bern und Wallis, von denen für uns hauptsächlich die nächst benachbarten, namentlich Thurgau, in Betracht kommen. Dorther lauten die Nachrichten über Wirtschafts- und Most­obst im allgemeinen gut bis mittelmäßig; aus einzel­nen Gegenden werden die Ergebnisse an Mostbirnen als sehr gut bezeichnet. Im Kanton Schaffhausen stehen die Aussichten geringer, in Zürich diejenigen des Wirtschaftsobstes ebenfalls, die des Mostobstes gut. Die Nachrichten aus den Kantonen St. Gallen, Glarus, Zug, Graubünden, Aargau, Bern lauten sehr verschieden, im Durchschnitt mittelmäßig, was Mostobst betrifft; das Tafelobst steht in den Kan­tonen Aargau, Luzern, Basseland, Bern entschieden besser als das Mostobst. Dagegen melden Luzern, Schwyz, Freiburg gute, zum Teil sehr gute Aussichten an Wirtschafts- und Mostobst. Fast durchweg un­günstig und ganz selten über mittelmäßig lauten die Berichte aus allen Teilen Oesterreichs. Am besten noch, im Durchschnitt mittelmäßig bis gut stehen die Birnen in Tirol, die Aepfcl dagegen bieten geringere Aussichten.

Frankreich.

Paris, 24. Aug. DerBreslauer Generalan­zeiger" hat den Einfall gehabt, General Boulan- ger zu fragen, was er über ein französisch-russisches Bündnis denke. Der General antwortete, daß ein solches Bündnis für die beiden Länder eine Notwen­digkeit im Interesse ihrer Sicherheit sei.Solange ich Minister war, wollte ich den Krieg nicht, aber es war meine Pflicht, mich stets bereit zu halten, und ich würde ihn nicht gescheut haben, um den Rechten und der Ehre meines Landes Achtung zu verschaffen, weil ich glaube, daß Völker, die vor die­ser Eventualität zurückbeben, so furchtbar sie auch sein mag, verloren sind. Wir haben Unrecht daran gethan, uns im Jahre 1870 in einen Krieg einzu­lassen, in welchem wir besiegt wurden. Aber Deutsch­land hat das noch schwerere und vielleicht verhäng­nisvollere Unrecht begangen, unter Verachtung der Selbständigkeit der Völker und der modernen na­tionalen Ideen vom französischen Vaterlande Gebiets­teile zu annektieren und ihm so eine stets blutende Wunde beizubringen, welche ein ganzes Jahrhundert lang nicht vernarben wird." Zum Schluffe empfiehlt Boulanger den Deutschen, Elsaß-Lothringen zurück­zugeben und um diesen Preis, der nicht zu hoch sei, den Frieden zu erkaufen. Wie das mit der Ehre und Würde, deren Bewahrung Boulanger bei seinem Volke für das erste Erfordernis nationaler Existenz erklärt, deutscherseits vereinbar wäre, das herauszu­finden, überläßt Boulanger zunächst demBreslauer Generalanzeiger".

Die großen französischen Manövern, bei welchen das neue Gewehr und das rauchlose Pulver allge­mein zur Anwendung gebracht werden soll, werden in dieser Woche ihren Anfang nehmen.

Gestern Freitag hat ein Versuch zur Uebermitte- lung der Mobilisationsbefehle durch ganz Frankreich stattgefunden. Alle Telegraphenanstalten des Landes, ungefähr 10000, wurden zu diesem Zwecke mit dem Generalstab durch die General-Telegraphendirektton von Paris in Verbindung gesetzt. Eine jede Station mußte genau berichten, zu welcher Zeit sie den be­treffenden Befehl erhalten habe. Man hat daraus feststellen können, daß nicht mehr als drei Stunden dazu nötig seien, um sämtliche Befehle selbst nach den entferntesten Orten Frankreichs zu senden.