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R u tz l a n

Petersburg, 7. Nov. Der russische Botschafter am Berliner Hofe, Graf Schuwalow, wurde am Freitag vom Kaiser empfangen und reist heute nach Berlin zurück.

Bulgarien.

Tirnowa, 8. Nov. Der russische Konsul in Burgas zeigte dem dortigen Präfekten an, daß die Absendung eines russischen Kanonenbootes nach Burgas notwendig geworden, um die Verbindung zwischen Burgas und Varna aufrecht zu erhalten, da der Telegraph während der letzten Unruhen in der Umgegend von Burgas zerstört wurde. (Unterm 7. wird ferner der Fr. Ztg. aus Tirnowa gemeldet: Die Regierung erhielt heute nacht ein Telegramm von dem Kreisvorstande von Burgas, in welchem über den Ursprung und Verlauf des Putsches folgendes mitgeteilt wird: Kaulbars telegraphierte dem russischen Konsulate in Burgas, Bulgarien befinde sich im vollsten Aufstand, die Regentschaft und die Regierung seien gestürzt und die Mitglieder der Sobranje verhaftet. Dieses Telegram wurde in der Garnison durch einen aufrührerischen Lieute­nant vorgelesen und die Garnison leistete dem Zaren den Eid. Die Auf­rührer wurden jedoch durch den Kapitän Kraiwanoff mit einer Kompagnie Soldaten zersprengt und die verführten Soldaten baten kniefällig um Pardon. Die Führer der Rebellen sind geflüchtet, doch ist Nabokoff bei Anchiolo (nördlich von Burgas) gefangen worden.

Tirnowa, 9. Nov. Die Sobranje vertagte die Fürsten- wahl auf nächsten Mittwoch.

Gages-WerrigkeiLen.

Herrenberg, 8. Nov. Letzten Freitag nacht gegen Ve9 Uhr er­blickte man in nordwestlicher Richtung einen gewaltigen, auf einen großen Brand deutenden Feuerschein. Ein kurz nachher eingetroffener Feuerreiter meldete ein in Unter jettingen ausgebrochenes Feuer. Es sind dort zwei Wohngebäude und sechs mit Früchten rc. gefüllte Scheuern binnen wenigen Stunden ein Raub der Flammen geworden. Den angestrengten Bemühungen der Feuerwehren von Unterjsttingen, Haslach, Mötzingen, Nagold, Oberjet- tigen und Oeschelbronn gelang es, die in unmittelbarer Nähe gelegenen Ge­bäude zu retten. Erschwert wurden die Nettungsarbeiten durch den in Unter­jettingen herrschenden Wassermangel. Rühmend ist die Thätigkeit der weib­lichen Bevölkerung in Beischaffung von Wasser zu erwähnen. Von den Ab­gebrannten ist nur einer nicht versichert, der seine im vorigen Jahre abge­laufene, feit 20 Jahre innegehabte Versicherung nicht erneuert hat.

Stuttgart, 9. Nov. Gestern abend 5 Uhr wurde im Hause Eßlingerstraße Nr. 35 in 2 Magdkammern durch Anwendung falscher Schlüssel ein frecher Diebstahl verübt. Der Dieb wurde auf frischer That durch das Dienstmädchen des Hauseigentümers B. ertappt; auf deren Hilferufen kam der Hauseigentümer selbst hinzu, der Dieb flüchtete in den Abtritt, von wo aus es ihm gelang zu entfliehen. Der Hauseigentümer feuerte ihm mit einem Revolver 4 Schüsse nach und verletzte ihn an der rechten Hand. Der Dieb setzte seine Flucht in der Eßlingerstraße bis auf den Charlottenplatz fort und wurde dort durch einen Fahnder und einen Schutzmann mit Hilfe einiger Zivilpersonen eingefangen und festgenommen. Der Dieb hatte mehrere Diet­riche im Besitz. ^

Fellbach, 6. Nov. Nicht ohne Grund wird der hiesige Ort, wo neben ausgebreitetem Landbau auch ausgedehnter Weinbau getrieben wird, als einer der wohlhabendsten unseres Vaterlandes bezeichnet; allein beim Ueberblick des heurigen Jahrgangs mit seinen Erzeugnissen kann es selbst in einem solchen Orte einzelnen Bürgern etwas trüb zu Mute werden. Denken wir vor allem an den gänzlichen Obstausfall; ca. 50 Eisenbahnwagen Obst wurden hier eingeführt und gegen 60,000 ^ kamen hiefür hinaus, gering waren die Einnahmen für Wein, noch geringer für Hopfen; über die billigen

unabweisliche Ahnung schien in ihrer Seele zu entstehen. Sie hob abwehrend beide Hände.Was soll das, Elisabeth? Was wollen Sie?"

Die Gesellschafterin sah zufällig im gegenüberhängenden Spiegel ihr eigenes Bild. Wie ein Gespenst mit weißem, unbeweglichem Gesicht stand sie mitten im Zimmer.

Ich komme, um mich Ihnen zu erkennen zu geben, Fräulein Haberland, viel­leicht um Ihnen zu beweisen, daß ich berechtigt war, Worte zu sprechen, die Sie vor­hin unpassend nannten. Es ist ein längst Verstorbener, der mich zu Ihnen schickt."

Tante Josephine schrie nicht, sie wurde auch nicht ohnmächtig, aber sie klammerte sich mit beiden Händen an einen Tisch.

Beweise ich will Beweise haben!"

Kennen Sie die Handschrift?"

Elisabeth zeigte ihr jenen Brief mit der AdresseAn Josephine". Sie beachtete es nicht, daß die alte Dame vor L-chreck und Auflegung schluchzte; ganz im Geiste ihrer Rolle, von Natur zur Jntrigue veranlagt, sah sie jetzt nur das halbgewonnene Spiel und ging schnellen Schrittes, ohne alles Bedenken, dem Ziel entgegen.

Kennen sie diese Handschrift, Fräulein Haberland?"

Der Brief ist an mich", flüsterte die Weinende.Ich will ihn haben!"

Sie streckte die Hand aus, zitternd, bittend.

O, geben Sie mir den Brief, Elisabeth er gehört mir."

Noch nicht!" versetzte die Gesellschafterin.Hören sie mich an, Fräulein Haberland!" Der Mann, welcher diese Worte schrieb Ernst Herbst einst, vor langen Jahren Ihr Verlobter war mein Vater. Er ist es, der mich dem Schutze Ihres Hauses empfahl er, dessen ganzes Lebensglück Sie durch Ihre maßlose Herrschsucht vernichtet haben. Ich weiß von ihm selbst Alles. Sie sollen auch den Brief erhalten, aber vorher bitte ich Sie um Hilfe für ihren Neffen. Geschenk gegen Geschenk, Fraulein Haberland'. In wenigen Minuten vollzieht sich das Schlimmste soll ich den Wolfs hierherrufen lassen?"

Tante Josephine fuhr auf.

Das ist ein Komplott! die Handschrift kann gefälscht sein, ich will"

Und dieses Portrait, Fräulein Haberland? ist das auch gefälscht?"

Fruchtpresse, welche ja im ganzen Lande dieselben sind, soll hier nicht einmal geklagt werden; der Gesamtausfall im heurigen Jahrgang dürfte für unfern Ort mindestens 100,000 betragen. Jedenfalls aber sind wir noch weit besser daran, als unsere Nachbargemeinden, wo fast nur Weinbau getrieben wird, auch sind hier die Kapitalisten noch nicht ausgestorben, so daß allgemeiner Notstand nicht leicht eintritt.

Vom Kocher, 7. Nov. In verschiedenen Gegenden des Landes ist amtlich angeordnet, daß Fuhrwerke, die im Gang sich befinden, nachts beleuchtet sein müssen. Man hat in manchen Kreisen diese Maßregel nicht gerade will­kommen geheißen und doch ist sie eine äußerst zweckmäßige und ihre Unter­lassung stiftet oft großen Schaden an. So fuhren kürzlich bei Enslingen, OA. Hall, zwei Fuhrwerke in der Dunkelheit der Nacht aufeinander ein, wobei ein Pferd im Wert von 600 zu Grunde ging. Infolge gütlichen Vergleichs wird der Schaden von beiden Teilen zur Hälfte getragen. Wären die Wagen beleuchtet gewesen, so wäre der Unfall verhütet worden.

Ravensburg, 7. Novbr. Große Aufregung verursachte heute früh die Kunde, daß Dr. E., ein seit 2r/z Jahren hier ansässiger praktischer Arzt, der sich der allgemeinsten Achtung erfreute, auch in sehr guten äußer­lichen Verhältnissen sich befand und eine gute Praxis hatte, durch einen Stich in die linke Brust sich getötet habe. Dem Urteil der Aerzte zu­folge muß Geistesstörung angenommen werden. Schon seit einiger Zeit wurde bei dem sonst so ruhigen Manne eine gewisse hastige Aufregung bemerkt und öfters hat er, um des Nachts in Schlaf zu kommen, zu künstlichen Mitteln greifen müssen. Gestern hat er noch an mehrere Personen Briefe geschrieben. Der Verstorbene war unverheiratet und ist von Stuttgart gebürtig.

Von der badischen Grenze, 6. Nov. Dieser Tage trafen beim Bürgermeisteramt in Weißenbach jene 10,000 Mark vom Grafen Arnim ein, welche auf die Auffindung der Gräfin A. als Preis gesetzt waren. Der Graf hatte es sich, wie der Murgth. schreibt, zur Bedingung gemacht, daß das Geld nur ausgezahlt werden solle, wenn die drei Finder durch Unterschrift bestätigt haben würden, über die Verteilung des Geldes einig zu sein. Die drei Auffinder der Leiche sind viel zu kluge Leute, als daß sie sich wegen der Verteilung des Geldes in einen Prozeß stürzen sollten. Sie haben sich dahin geeinigt, daß Alois Heitzler (nicht Heizel) 4400 und Leopold Merkel sowohl wie Valentin Merkel je 2800 ^ erhalten. Das Geld wurde ihnen eingehändigt und sie verteilten es bereits in oben­erwähnter Weise. Der genaue Vorgang der Auffindung der Leiche der Gräfin A. war, daß Heitzler zuerst den Leichnam im Gebüsch liegen sah, ohne zu erkennen, wer der Leichnam sei. Leopold war der erste, welcher hinging und den Leichnam als den der Gräfin erkannte. Der Preis von 10,000 war für den ausgesetzt, welcher die Gräfinauffinden" würde. Nun ist es aber eine erst noch zu entscheidende Frage, ob der die Leicheaufgefunden" hat, welcher sie zwar zuerst sah, aber nicht erkannte, oder der, welcher sie zwar nicht zuerst sah, aber zuerst erkannte. Alle diese Streitfragen sind durch den zu stände gekommenen Vergleich erledigt worden.

Von der bayerischen Grenze, 7. Nov. In Bernhardswend, einem kleinen Weiler in der Nähe von Dinkelsbühl, hat sich ein schweres Unglück ereignet. Ein dortiger Bauer war mit einem Taglöhner im Steinbruch beschäftigt. Sie hatten eben einen Sprengschuß in ein dickes Lager eingebracht, die Zündschnur angezündet und waren dann auf die Seite getreten. Das Pulver entzündete sich jedoch lange nicht, so daß sie der Meinung waren, die Glut sei erloschen. Sie fingen deshalb an, den Schuß wieder mit einem Meißel herauszubohren. Der Taglöhner setzte sich hierbei auf die Steinplatte und dirigierte den Meißel und der Bauer schlug oben drauf. Plötzlich ging der Schuß los und die Ladung dem Bauer ins Gesicht; dabei wurde ihm das rechte Auge völlig aus der Augenhöhle herausgeschlagen und das linke Auge so verletzt, daß er nur noch von der Seite her einen kleinen Schein hat; ohne Zweifel ist dasselbe auch verloren. Der Unglück-

Sie reichte der zitternden, alten Dame die Photographie, aber bei dem, was sie jetzt sah, brach sie fast zusammen unter der Last des Schuldbewußtseins.

Tante Josephine faltete die Hände und schien im Anblick dieses Bildes die Wirklichkeit um sich herum vergessen zu haben.

Mehr als ein Menschenalter, seit derselbe Mann lebend und lächelnd vor ihr gestanden, damals ihr Alles, die Gottheit ihres jungen, gläubigen Herzens mehr als ein Menschenalter, seit sie von diesen Zügen träumte und nach dem Verlernen weinend die Arme ausstreckte jetzt kam sein Blick, sein Lächeln wieder zu ihr, das Tote wurde lebendig, Einzelheit um Einzelheit erstand aus dem Schlummer langer Jahre sie konnte nur weinen weinen.

Elisabeth stand stumm, wie gerichtet, zu Boden gedrückt von unsichtbarer, ge­waltiger Hand.

Da klang durch das stille Haus von unten her die Glocke, und mit einem Schauder fuhr das junge Mädchen auf aus dieser quälenden Versunkenheit.

Lesen Sie den Brief, Fräulein Haberland lesen Sie von Ernst Herbst's eigener Hand geschrieben, daß es ihre Unduldsamkeit war, die ihn über das Weltmeer trieb! Wollen Sie dem ersten Opfer noch das zweite hinzufügen? Soll Julius zu Grunde gehen

Die alte Dame sah auf.

Julius? Sie nennen ihn Julius?"

Und wieder rang es sich aus der Brust des jungen Mädchens:Ja! der da unten mit ihm spricht, ist sein Gläubiger."

Tante Josephine ergriff, am ganzen Körper zitternd, Brief und Bild.

Schicken Sie mir den Alaun hierher!" flüsterte sie kaum verständlich.

Elisabeth flog die Treppe hinab und in das Besuchszimmer, wo ihr plötzliches Erscheinen eine höchst fatale Auseinandersetzung jählings unterbrach.

Bemühen Sie sich nicht weiter, Herr oben liegt das Geld für Sie bereit. Bitte!"

(Fortsetzung folgt.)