schienen. Es wird darin den bei Hofe verkehrenden Herren gestattet, bei den Hofgesellschaften Kniehosen nnd ausgeschnittene Schuhe anzulegen, ähnlich wie das in anderen Hauptstädten, besonders in Madrid und London der Fall ist. Ein Zwang, diese Tracht zu tragen, wird nicht geäußert. Wahrscheinlich wird sich die neue Tracht auf den Kreis der engeren Hofgesellschaft beschränken.

Im preußischen Ministerium ist die Frage der Ausarbeitung eines Lehrlingsgesetzes erwogen worden. Es soll nämlich gesetzlich bestimmt werden, wie viele Lehrlinge in einer Werkstatt im Verhält­nis zur Gesellen- oder Gehilfen-Zahl beschäftigt werden dürfen. In diesem Jahre wird aber schwer­lich noch eine bezügliche Vorlage an den Reichstag gelangen. Wahrscheinlich wird auf drei Lehrlinge ein Gehilfe kommen müssen.

Der Reichsanzeiger schreibt: Es ist Klage dar­über geführt worden, daß die bei Eisenbahnbauten beschäftigten Unternehmer vielfach die Interessen der ländlichen Grundbesitzer dadurch schädigen, daß sie kontraktbrüchig gewordene ländliche Arbeiter anneh­men und sie trotz ergangener Reklamationen nicht zurückgeben. Ein derartiges Verfahren der Unter­nehmer darf nicht gestattet werden, weshalb der (preußische) Minister der öffentlichen Arbeiten die K. Eisenbahndirektionen beauftragt hat, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit Vorkommnisse der gedachten Art vermieden werden.

Der Evangelisch-soziale Kongreß in Berlin hat folgende Resolution angenommen. Der Kongreß erklärt es für eine Pflicht der evangelischen Kirche, dafür einzutreten, daß der Arbeiterstand als mit jedem anderen Stand sittlich gleichberechtigt aner­kannt wird. Der Kongreß kann für die Bestrebungen der Arbeiter zur Hebung ihres Standes aber nur dann Heil und Erfolg hoffen, wenn sie sich von dem atheistischen und materialistischen Jrrthum frei­zuhalten vermögen. Der Kongreß empfiehlt darum an allen Orten mit größerer evangelischer Arbeiter­bevölkerung die Begründung evangelischer Arbeiter­vereine.

DieFreis. Ztg." bringt eine interessante zwei Spalten lange persönliche Erklärung Richters über den Konflikt innerhalb der dfr>. Fraktion. Richter versichert, er werde aus der Partei und dem parlamentarischen Leben überhaupt ausscheiden, wenn die Parteimehrheit es fordere. Aber ändern könne er sich nicht. Dazu sei er zu alt, er werde in der Partei sein, was er stets gewesen ist, oder er werde nicht mehr sein. An einer Stelle heißt es:Ich habe Fehler wie jeder Andere. Es mag sein, daß unter der Flut fortgesetzter persönlicher Angriffe und Verdächtigungen, denen ich beständig ausgesetzt bin, wie wenig Andere im Lande, bei der Notwendigkeit sofortiger Abwehr auch ich mitunter mehr persönlich geworden bin als nötig war. Uebrigens habe ich bisher stets Mühe gehabt, mich des Andrängens von Parteigenossen zu erwehren, mich noch mehr als bisher zu exponieren." Auf diese Erklärung Richters veröffentlicht Barth eine Antwort, die im Wesentlichen besagt:Richters Erklärung läßt an sachgemäßer Offenheit nichts zu wünschen übrig. Wären immer Meinungsverschiedenheiten in dieser feinen offenen Weise zum Austrag gebracht worden, so würde der gegenwärtige, bedauerliche Streit nie­mals akut geworden sein, denn das ungewöhnliche Talent und die große Arbeitskraft Richters wird kein Parteigenosse verkennen; Niemand erkennt die­selben williger au als ich. Die Wendung, die der Streit durch die neueste Auslassung gewonnen hat, läßt mich hoffen, daß die Wiederherstellung eines moäu8 vivonäi nicht ausgeschlossen ist. Ich werde gern bemüht sein, einen ehrlichen Frieden, der auf Anerkennung der Eigenart der beiden jetzt streitenden Teile beruht, herbeizuführen."

Auf dem in der Pfingstwoche abgehaltenen allgemeinen Deputierten-Konvent der deutschen Burschenschaften wurde folgender Beschluß gefaßt: Das Ehrengericht darf Pistolenmensuren zwischen Studenten nur dann genehmigen, wenn körperliche Gebrechen einen der Paukanten hindern auf blanke Waffen anzutreten." Angesichts der häufigen be­klagenswerten Ausgänge von Pistolenmensuren, die noch dazu oft aus recht geringfügigen Ursachen statt­finden, wird dieser Beschluß der deutschen Burschen­schaft in weiten Kreisen mit Freude begrüßt werden.

lieber die Arbeiterwohnungsfrage sprach auf

der sozialen Konferenz in Berlin Pastor von Bodel- schwingh aus Bielefeld. Derselbe führte aus: Als materielle Grundlage eines gesunden christlichen Familienlebens ist eine ausreichend große, freund­liche Wohnung nicht zu entbehren. Die Entvölke­rung des Platten Landes und die Anhäufung un­übersehbarer Arbeitermassen in den Großstädten und Industriezentren hat die Wohnungsfrage akut ge­macht. Um hier zu helfen, sei die Forderung zu stellen, daß jedem fleißigen und sparsamen Arbeiter die Möglichkeit gewährt werde, sich ein eigenes Heim auf ausreichend großer eigener Scholle zu erwerben. Hierzu haben die Diener der Kirche, der Staat, die Verwaltungen sämtlicher größerer Städte und die gesetzgebenden Körper mitzuwirken. Der Staat soll in seinen Werkstätten, Bergwerken mit gutem Bei­spiel vorangehen und die freiwillige Liebesarbeit auf diesem Gebiete unterstützen. Die Verwaltungen der Städte sollen rechtzeitig geeignete Grundstücke in ihrem näheren Umkreis erwerben und gemeinnützige Baugesellschaften unterstützen. Die gesetzlichen Kör­perschaften sollen mit der Staatsregierung durch ein Ansiedlungs- oder Heimstättengesetz die Ansiedlung auch kleiner Leute auf eigenen Grundstücken in der Nähe der Industriezentren ermöglichen, die öffent­lichen Kreditinstitute, namentlich die Sparkassen, zur Hergabe von Kapitalien zu billigen Zinsen für die­sen Zweck nötigen und bei allen neuen Fabrikanla­gen die Unternehmer verpflichten, die Wohnungsver­hältnisse der Arbeiter in gedachtem Sinne zu berück­sichtigen. Die Pfarrer aber sollen nicht nur für die Armen bei den Besitzenden bitten, sondern auch darüber wachen, daß bei ländlichen Ansiedlungen der Fabrikarbeiter die kirchliche Versorgung nicht versäumt werde." Daß auf diesem weiten Gebiete noch viel geschehen kann, ist ganz sicher außer Frage.

Die Kaiserin Eugenie hat Wiesbaden am Sonnabend nach einer erfolgreichen Kur bei Dr. Mez- ger wieder verlassen.

Breslau, 3l. Mai. In der Steinkohlen­grube Carsten-Zentrum, welche täglich ca. 10,000 Ztr. fördert, ist derBrest. Ztg." zufolge der Be­trieb durch neue Wasserzuflüsse voraussichtlich auf mehrere Wochen unterbrochen. Die Belegschaft, 600700 Mann, soll aber anderweitig beschäftigt werden.

Der Herzog von Coburg hat den freisin­nigen Reichstagsabgeordneten Harmening, der wegen Beleidigung des Herzogs zu Festungshaft verurteilt war, begnadigt. Dr. Harmening ist sofort aus der Haft entlassen.

Schweiz.

Bern, 31. Mai. Der Niederlassungsver­trag der Schweiz mit dem Deutschen Reiche wurde heute unterzeichnet.

Oesterreich-Ungarn.

Im böhmischen Landtage wird in dieser Session wenigstens ein Teil der dentsch-czechischen Ausgleichsvorlagen genehmigt werden und sind da­mit die Jntriguen der radikalen Czechen vereitelt. Das neue Schulgesetz ist im Prinzip bereits ange­nommen.

Frankreich.

Paris, 31. Mai. Graf Herbert Bismarck wollte bei seinem Hiersein in Versailles das Haus besuchen, in welchem 1870 sein Vater gewohnt hatte. Die Besitzerin des Hauses verweigerte jedoch die Erlaubnis. (?)

Die Pariser Regierung beabsichtigt, einen Normalarbeitstag für erwachsene Arbeiter einzurich­ten. Ein bezüglicher Gesetzentwurf wird für die Kammer bereits ausgearbeitet.

Ucber die Nihilistenverhaftungen in Paris, die bisher als wenig bedeutsam galten, meldet nun diePost": Die Untersuchung der Vorgefundenen Bomben ergab eine chemische Füllung von äußer­ster Gefährlichkeit. Sonnabend abend ist noch ein russischer Student verhaftet. Aus Genf wird berich­tet. es sei ein großes Komplott gegen den Zaren geplant gewesen, dem im Falle des Gelingens eine Revolution folgen sollte. 20 Nihilisten mit Spreng­stoffen sollen bereits von Genf nach Rußland ge­reist sein.

Italien.

Der Kronprinz von Italien ist in Peters­burg angekommen und vom Kaiser Alexander per­sönlich recht herzlich empfangen worden.

Kronprinz Viktor Emanuel von Italien

wird am 8. Juni aus Petersburg zu mehrtägigem Besuche nach Berlin kommen. Zu Ehren des jun­gen Prinzen ist u. a. eine größere militärische Uebnng in Berlin oder Potsdam geplant.

Das Ministerium Crispi hat am Samstag ein glänzendes Vertrauensvotum, 329 gegen 61 Stimmen, erhalten. Ohne Skandalscenen ging es während der Verhandlung natürlich wieder nicht ab. Gleich zu Anfang der Debatte erfolgte ein überaus heftiger Zwischenfall. Der Dichter Caval- lotti hatte das Wort zu einer persönlichen Erklärung ergriffen und zwar unter heftigen Ausfällen gegen Crispi. Darauf entzog ihm die Regierungs-Mehr- heit auf Antrag des Präsidenten der Kammer das Wort. Die Folge davon war ein heilloser Skandal. Eavallotti schleuderte der Majorität die schönen Epi­theta,Schafe, Schweine, Kanaillen, Lakaien" ins Gesicht. Nur mit äußerster Mühe brachten seine Freunde den aufgeregten Dichter zum Schweigen. Crispi selbst verteidigte seine Politik, an der nichts geändert sei und deren volle Verantwortung er übernehme.

Belgien.

Brüssel, 2. Juni. Die Londoner Times meldet aus Sansibar: Nach hier eingegangenen Nachrichten hat Dr. Peters auf dem Durchmärsche durch Uganda dem vertriebenen König Mwanga gegen seinen Gegner Kalema und dessen Araber zum Siege verholfen und wieder zum unbeschränkten Herrscher von Uganda gemacht, wofür Dr. Peters bedeutende Zugeständnisse und Monopole für Deutsch­land erhielt.

Bulgarien.

Fürst Ferdinand von Bulgarien hat den wegen Hochverrats zum Tode verurteilten Major Panitza zu zwanzig Jahren Gefängnis begnadigt.

Die im Panitza-Prozeß Verurteilten haben, wie aus Sofia gemeldet wird, beim Kassationshof Berufung eingelegt.

England.

Festlichkeit zu Ehren des Fürsten Bismarck in London. Die Deutschen Londons beabsichtigen dem Fürsten Bismarck anläßlich seines bevorstehen­den Besuches in England einen außerordentlichen Willkommen zu bereiten. Die Festlichkeit wird wahr­scheinlich die Gestalt eines Banketts annehmen, welchem eine großer Empfang folgen wird.

London, 2. Juni. Im Unterhaus beantragte bei der Budgetberatnng Campbell die Streichung des Gehalts des Gouverneurs von Helgoland. Hel­goland sei England nutzlos und möge an Deutsch­land abgetreten werden. (Nicht übel! D. R.) Ba­ron Worms spricht sich gegen den Antrag aus. Wenn England über seine Besitzungen vom Gesichts­punkte ihrer Nähe bei anderen Ländern verfügen sollte, so würde es die Inseln des Kanals an Frank­reich und Gibraltar an Spanien abzutreten haben. Der Antrag wurde mit 150 gegen 27 Stimmen ab­gelehnt.

Etwa 16000 Schutzleute in London, die mit dem Wochenlohn von 24 Schillingen nicht zu­frieden sind, sollen entschlossen sein, ohne Rücksicht auf die Folgen zu streiken, falls ihre dem Minister des Innern, sowie dem Polizeichef übermittelte Bitt­schrift zu Gunsten einer höheren Besoldung nicht sofort berücksichtigt wird.

Rußland.

Da haben wir's! Fürst Nikita.von Mon­tenegro soll beim Zaren in Ungnade gefallen sein und höchst wahrscheinlich wird aus dem geplanten Heirat zwischen dem russischen Thronfolger und der schönen Helene, der Prinzessin aus den Schwarzen Bergen, nichts werden. Fürst Nikita, den der Zar im vorigen Jahr nochden einzigen wahren Freund Rußlands" genannt hatte, soll so unklug gewesen sein, auf den Zaren und dessen Minister zu schim­pfen, weil sie seinen Plan, König von Serbien zu werden, vereitelt hätten. Er mag sich übrigens in Acht nehmen, denn am russischen Hofe fragt man sich jetzt, was aus der halben Million Rubel ge­worden ist, die in St. Petersburg für die Unter­stützung der Montenegriner während der letzten Hun­gersnot zusammengebracht worden ist!

Türkei.

Konstantinopel, 1. Juni. Rußland droht, die türkischen Zahlungen in Europa zu beschlag­nahmen, wenn die Pforte nicht die russische Kriegs­entschädigung zahlt.